Am 01.03.2016 sollte sich nach Ansicht des Anbieters firstbird die Recruitingwelt für immer ändern. Zumindest kündigte deren Marketingagentur im Vorfeld „The Day Recruting will change for ever.“ an. Dazu wurden vermeintlich anonyme Karten an Recruiting-Verantwortliche von Unternehmen versendet. Was dann beim offiziellen Event in Berlin heute Abend folgte, war allerdings nicht mehr und nicht weniger als der Beginn des Ausverkaufs der Mitarbeiterempfehlungsprogramme.
Warum, lesen Sie hier.
Vom Sinn und Unsinn von Mitarbeiterempfehlungsprogrammen
Die beste Werbung ist eine Empfehlung von zufriedenen Kunden. Das ist nichts wirklich Neues. In der Werbung werden Testimonials seit jeher verwendet. Wenngleich die Glaubwürdigkeit nicht immer im Vordergrund steht. Und was George Clooney für Nespresso ist, sind seit einigen Jahren die eigenen Mitarbeiter für das authentische Employer Branding. Kein Unternehmen möchte mehr auf Fotos, Videos und Statements der eigenen Mitarbeiter verzichten.
Mitarbeiter als Arbeitgebermarkenbotschafter
Die Kraft der Mitarbeiterempfehlung lässt sich selbstverständlich nicht nur für das Employer Branding nutzen. Nein, insbesondere im Recruiting kann die Glaubwürdigkeit einer Jobempfehlung gegenüber Bekannten, Freunden und Familie des Empfehlers positiv zugunsten der Arbeitgebermarke genutzt werden. Mitarbeiter werden somit zu sogenannten Arbeitgebermarkenbotschaftern. Soweit so gut.
Systematisches Empfehlungsmanagement vs. Mundpropaganda
Sobald HR sich das Thema Mitarbeiterempfehlungen systematisch zu eigen machen will und die Empfehlungspower der eigenen Mitarbeiter optimiert nutzen möchte, kommen die HR-Verantwortlichen eigentlich gar nicht um einen technikgestützten Prozess herum. Die Geburtsstunde von Mitarbeiterempfehlungstools wie firstbird oder Talentry.
Belohnungssystem versus intrinsische Motivation
Mit der Systematisierung der Prozesse im Mitarbeiterempfehlungs-Management (was ein Unwort!) geht die Frage einher, wie die Mitarbeiter motiviert werden sollen, Stellenangebote weiter zu empfehlen. Gesegnet sind die Unternehmen, die aufgrund einer hohen Mitarbeiterzufriedenheit und Loyalität intrinsisch motivierte Mitarbeiter relativ leicht mobilisieren können.
Bei vielen Unternehmen stößt diese intrinsische Motivation der Mitarbeiter schnell an ihre Grenzen. Es muss nachgeholfen werden, z.B. mit Prämien bei erfolgreichen Vermittlungen. Dass aber finanzielle Anreize alleine heute kaum mehr Zugkraft besitzen, wissen wir nicht erst seit dem mäßigen Erfolg von Empfehlungsprämienplattformen wie Jobleads oder Jobcrowd.
Finanzielle Prämien stehen heute mehr denn je in der Kritik und gelten zwischenzeitlich sogar als weitgehend wirkungslos.
Mit Gamification zur Empfehlungsmotivation
Wenn der finanzielle Anreiz also nicht mehr ausreicht, um Mitarbeiter, die wenig intrinsische Empfehlungsmotivation verspüren, dennoch zu Arbeitgebermarkenbotschaftern zu machen, hilft das Zaubermittel „Gamification“. Und das meine ich jetzt ganz ohne Ironie: Das Wecken von spielerischen Instinkten gehört zu den subtilsten, aber wirkungsvollsten modernen Methoden zur Aktivierung von Menschen (nur Angst oder Mitleid wirken wohl noch stärker).
Der Firstbird Product Launch am 01.03.2016
Es steht also die Frage im Raum, ob die von Firstbird angekündigte Revolution des Recruitings tatsächlich stattgefunden hat. Das Event des Product Launches wurde jedenfalls live via Google Hangout übertragen. Oder eben auch nicht:
Ebenso ernüchternd aus meiner Sicht die sogenannte Revolution: Es gibt ein neues Freemium-Modell, das schnell gelauncht werden kann sowie eine offene API, über die zum Beispiel die Bewerbermanagementsysteme unterschiedlicher Anbieter angebunden werden können.
Aber mal ehrlich: Connectivity zu produktiven Systemen sowie alle Register im Bereich Social Sharing gehören für so ein System doch zu den Hygienefaktoren, oder? Wenn es schwer fällt, die ausgeschriebenen Stellen des Unternehmens in die eigenen Netzwerke zu bringen, dann macht so ein System weder Spaß noch Sinn.
Der Mehrwert einer prozessual integrierten Lösung
Aber ich gebe zu, dass dies leider bei einem Großteil der HR-Tools auf dem Markt tatsächlich noch lange nicht Standard ist. Insofern ist Firstbird diesbezüglich tatsächlich einer der Firstbirds auf dem deutschen HR-Markt. Auch die Anbindung von Systemen wie Dropbox oder Messenger erhöht natürlich die prozessuale Integration und wirkt sich positiv auf den Nutzwert des Tools aus.
Der Anfang vom Ende der Mitarbeiterempfehlungsprogramme
Und dennoch kann genau diese neue Konnektivität dazu führen, dass sich Mitarbeiterempfehlungsprogramme schneller auf dem Hypecycle in Richtung Ernüchterung bewegen.
Sinnvolle Social Shares versus Stellenanzeigen-Posting-Spam
Meine These: Je einfacher Inhalte via Multiposting und Connectivity in alle Netze gespiehen werden können, desto schneller wird die Grenze zum Spammen überschritten. Ein Beispiel: Wer hat sie nicht bekommen, die nervigen Einladungen via Facebook, um Candy Crush zu spielen?
Die Fans des Spiels werden jetzt natürlich einwenden, dass gerade diese leichte Empfehlungsmöglichkeit über die sozialen Netzwerke erst dazu geführt hat, dass das Spiel so erfolgreich war. Stimmt. Nur geht es bei Jobempfehlungen nicht um ein Mitspielen im Reigen der Jobempfehler. Es geht um das Passen auf das Anforderungsprofil einer Stellenanzeige, oder? Und das ist etwas ganz anderes.
Wenn Netzwerkkontakte ständig Stellen posten
Nehmen wir also mal an, die via Freemium-Produktversion schnell und leicht erhältlich Gamification-Masche fängt tatsächlich auch bei Mitarbeitern der Unternehmen richtig Feuer (nur dann würde sich übrigens das Motto „Recruiting will change for ever“ bewahrheiten). Dann können wir uns in den sozialen Netzwerken zukünftig auf eine geballte Flut von Stellenanzeigen gefasst machen.
Schon bei 50 mitmachenden Kolleginnen und Kollegen im eigenen Netzwerk dürften wir uns also auf ebenso viele Postings bei einem neu ausgeschriebenen Job einstellen. Und wehe, der Kontakt besteht auch in weiteren sozialen Netzwerken. Dann wiederholt sich dort der Wahnsinn…
Es erinnert mich ein wenig an die Idee von XING, immer mehr Recruiter und Personalberater im gleichen Datenpool fischen zu lassen und ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, durch die eine massenhafte Ansprache von Personen zunehmend leichter wird. Ich kenne nur wenige IT-Kollegen, die ihren XING-Account noch aktiv nutzen oder auf die vielen (häufig sehr dilettantischen) Active Sourcing-Anfragen nicht genervt reagieren.
Postingflut ein theoretisches Luxusproblem?
Jetzt mag mancher von Ihnen einwenden, dass es so schlimm ja nicht werden könne und es sich allenfalls um ein theoretisches Luxusproblem von Unternehmen handelt, wenn Stellenanzeigen so stark verbreitet werden, dass deren Kenntnisnahme bereits als lästig empfunden wird. Mag sein.
Allerdings legen es die Macher doch genau darauf an, wenn sie bei der Präsentation des Gamification-Ansatzes sinngemäß von sich geben: „Es gibt Badges für 500 (!!) Postings in den eigenen sozialen Netzwerken oder einen virtuellen Award für das Posten der neuen Anzeige schon 5 Minuten nach Veröffentlichung“.
Mehr Masse als Klasse?
Dass es tatsächlich zu einer darauf folgenden Flut an eingehenden Bewerbungen kommt und somit mehr Masse als Klasse entsteht, mit der sich die Recruiter rumschlagen müssen, glaube ich allerdings nicht.
Für mich steht auch nicht das grundsätzlich erstrebenswerte Ziel außer Frage, die Reichweite der eigenen Stellenanzeigen auszuweiten durch clevere Nutzung aller zur Verfügung stehenden Kanäle. Allerdings fürchte ich, dass dann, wenn die Features tatsächlich so rocken, wie die Macher Glauben machen wollen, sehr schnell keiner mehr Jobpostings von Freunden in seinem Newsfeed haben möchte.
Mehr vorgefertigte Inhalte im Newsfeed
Dort finden sich für meinen Geschmack schon heute mehr geteilte und vorgefertigte Inhalte als echte, selbstgemachte Inhalte von Freunden. Facebook und Co verkommen immer mehr zur Werbeschleuder dummer Sprüche, witziger Videos oder (leider) politischer Hetze. Ob das massive Auftauchen von Stellenanzeigen das so viel besser machen würde, wage ich zu bezweifeln.
Der Tag nach dem Tag, als Recruiting noch immer das ist, was es immer war
HR sagt man in letzter Zeit immer häufiger nach, nicht zukunftssicher aufgestellt zu sein oder zu veränderungsscheu und überhaupt nicht agil zu sein. Das ist in vielerlei Hinsicht nicht von der Hand zu weisen. Aber sollte heute Abend tatsächlich die Revolution im Recruiting passiert sein, habe dann wohl selbst ich das verpasst.
Fazit
Nichts desto trotz, herzlichen Glückwunsch an Firstbird für die Überarbeitung ihres Tools, die sicherlich zu einer stärkeren Verbreitung im Markt führen wird. Ich will diese Leistung in keiner Weise schmälern. Und Spaß machen kann so ein Tool ja.
Aber bitte beim nächsten Mal, wenn Eure Marketingleute so auf den Busch klopfen und Revolutionen ankündigen, die in meinen Augen dann doch keine sind, lasst dieses grüne Kräuterzeugs aus dem Briefumschlag raus, das sich beim Aufreißen des Kuverts unschön über meine Tastatur und dazwischen verteilt hat! Hätte nur noch gefehlt, dass man mich wegen des Besitzes von Drogen verdächtigt. 😉
Auch wenn heute eher Evolution bei Mitarbeiterempfehlungssystemen statt Revolution im Recruiting stattgefunden hat, werden wir sehen, was die Zukunft für die Mitarbeiterempfehlungssysteme bringt…
Ich wünsche Firstbird, Talentry und all den anderen Anbietern jedenfalls viel Erfolg!