Ein Selfie als Bewerbungsfoto zulassen? Warum das, fragen Sie sich? Naja, seit Jahren geht der Trend im Personalmarketing und Employer Branding in Richtung Authentizität. Es geht um den Einsatz echter Mitarbeiter vor den Kameras. Um reale Botschaften. Um echte Geschichten aus dem Arbeitsleben. Wenn man ins Recruiting hineinblickt, wirken viele Ansätze von Unternehmen sehr bemüht.
Die generelle Frage, die ich in diesem Beitrag stelle:
Wie viel Authentizität sind wir Personaler WIRKLICH bereit zu bieten – und wie viel davon lassen wir bei Bewerbern TATSÄCHLICH zu?
Unternehmen ringen mit dem Thema Authentizität
Letzten Donnerstag hatte ich einen sehr inspirierenden Abend mit über 30 Münchner Personalern beim Personalerstammtisch des ZEIT-Verlags, bei dem ich als Referent einen einstündigen Vortrag hielt. Wobei mir das Wort „Vortrag“ eigentlich nicht so gut gefällt, weil es nach einseitiger Frontalbeschallung klingt.
Immerhin hat mein fachlicher Impuls hinterher zum regen Austausch geführt. Besonders gefallen haben mir dabei die Einblicke und ehrlichen Worte der Teilnehmer über ihre eigene Arbeit im Unternehmen. Und dort wird anscheinend täglich heftig gerungen mit dem Thema Authentizität. Zwischen dem, was frechmutige Personaler gerne tun möchten und dem, was die Verantwortlichen in den Managementetagen großer Konzerne für richtig, oder besser gesagt „politisch korrekt“ halten, klafft häufig ein wahrer Grand Canyon.
Man glaubt fast, dieses viele Gerede von Authentizität sei manchen eher ein lästiges Übel und kein probates Mittel im War for Talents. Wie schön schien doch die heile Hochglanz-Welt im Web 1.0, als Unternehmen senden und die Welt da draußen brav die Botschaften empfangen durfte. Äh, Verzeihung „musste“.
Authentisch meint nicht spontan oder unprofessionell
Möglicherweise liegt das Problem in einem falschen Verständnis des Wortes „authentisch“. Denn das ist nicht gleichbedeutend mit „spontan entstanden“ oder gar „unprofessionell“. Im Gegenteil.
Anlässlich des Blogparade-Aufrufs auf dem CeBIT-Blog schrieb ich kürzlich für den DATEV Karriereblog einen Beitrag zum Thema Homeoffice. Dabei war mir klar, dass ich einerseits eine authentische, also ehrliche, Geschichte aus meinem Arbeitsleben verfasse und mich sprachlich der Zielgruppe (angehende Azubis und Studierende) anpasse. Also alles wie immer.
Hinsichtlich des passenden Fotos für den Blogbeitrag bezog ich mich auf die Textpassage, in der ich davon berichtete, dass man im Homeoffice auch mal im Schlafanzug vom Bett aus arbeiten kann.
Dabei habe ich das Foto natürlich nicht unvorbereitet gemacht, sondern es fein säuberlich inszeniert und einen der vielen Trendence-Logo-Aufkleber auf den Laptop gepappt, natürlich auf dem Kopf, damit es nicht so plump wirkt. Die tatsächlich im Bett liegenden Häkeläffchen durften dann mit aufs Foto als virales Element, um dem Bild noch mehr Emotion zu verleihen.
Und selbstverständlich sieht meine Frisur morgens nach dem Aufstehen etwas derangierter aus. Aber egal. Jedenfalls ist dies ein Bild, das letztlich eine reale Situation zeigt – nur eben nicht unvorbereitet oder unprofessionell aufgenommen.
Extrem geteiltes Feedback
Was mich doch etwas überrascht hat, waren die Feedbacks, die mich zu diesem Foto erreicht haben. Sie ahnen es schon, oder? Ja, natürlich gab es eine Gruppe Kritiker, die eine solche Darstellung der Arbeit im Homeoffice für „nicht angemessen“ oder gar „nicht seriös“ hielten.
Solche Rückmeldungen nehme ich zuerst einmal ernst. Das sollte man bei Feedbacks immer tun. Und ich möchte ausdrücklich betonen, dass diese Feedbacks nicht von meinen Vorgesetzten oder der Personalleitung kamen.
Dann habe ich mir die durchaus spannende Frage gestellt, was genau denn „nicht angemessen“ sei. Denn vielleicht ist ja bereits die Tatsache, dass ich beim Arbeiten zu Hause ab und an mal leger im Bett sitze bereits anrüchig?
Hören Sie mal genau in sich hinein, ob sich bei Ihnen da etwas regt. So in der Art „das soll Arbeit sein?“, oder etwa „ein wenig Disziplin gehört zur Arbeit schon dazu.“. Ertappt? Ich fürchte nämlich, dass es zu keinerlei solchen Äußerungen gekommen wäre, wenn ich an einem Schreibtisch gesessen hätte, vielleicht sogar noch mit Hemd und Jackett. Ach ja, und natürlich mit Telefon am Ohr. Also quasi mal eine ganz neue Idee. Merken Sie was?
Der Wurm muss dem Fisch schmecken
Andererseits habe ich großartiges Feedback erhalten aus der Zielgruppe für die ich den Beitrag verfasst hatte. Das sei ein „cooles Foto“ und „Endlich mal eine ehrliche Aussage und kein Hochglanz-Sch…“ (leicht zensiert).
Der Satz ist uralt, hat aber im Personalmarketing heute mehr Bedeutung denn je „Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Großonkel des Anglers.“. Will heißen: Authentizität ist zwar unabhängig von der Zielgruppe, allerdings fassen unterschiedliche Empfänger die gesendeten Botschaften unterschiedlich auf.
Das sollte einem beim Thema authentische Kommunikation unbedingt bewusst sein. Und wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum den Personalmarketingverantwortlichen in vielen Unternehmen der Frechmut fehlt, einfach mal richtig authentisch zu sein. Ja sogar über sich selbst zu lachen und sich nicht zu ernst zu nehmen. Denn komischerweise haben eine Menge Firmen in ihren Arbeitgebermarkenwerten das Attribut „sympathisch“ verankert. Gespielt wird dann aber eher die konservative, distanzierte Nummer. Schade eigentlich.
Bewerber sollen authentisch sein
Nachdem es Unternehmen anscheinend bei der Eigendarstellung nicht immer so leicht fällt mit der Authentizität, verwundert es fast schon, warum sie dann mit einer Selbstverständlichkeit vom Bewerber eine solche verlangen.
Und es kommt noch schlimmer. Denn wenn ein Bewerber tatsächlich mal extrem authentisch rüberkommt, dann stellt sich die Frage, ob das den durchschnittlichen Personaler tatsächlich positiv beeindruckt. Das glauben Sie nicht?
Dann überlegen Sie mal, wie Sie mit einem Bewerbungsfoto umgehen würden, das via Long-arm-production erstellt wurde, neudeutsch Selfie. Das sind die Fotos, die oftmals aufgrund des Aufnahmewinkels optisch etwas verzerrt rüberkommen. Eine moderne und einfache Variante des Selbstportraits.
Auf der Suche nach der Persönlichkeit
Das Schöne an diesen Fotos: Sie spiegeln oft sehr authentisch den Charakter der Person wider und sind diesbezüglich sehr aussagekräftig. Schon alleine deswegen, weil die meisten Menschen nur ungern zu Fotografen gehen und oftmals die Ergebnisse von Shootings im Fotostudio um die Ecke unglaublich gezwungen aussehen.
Und trotzdem würde ich behaupten, dass 90% der deutschen Recruiter zumindest ein Bauchgrummeln hätten, würde sich ein Bewerber mit einem solchen Foto auf seinen Unterlagen bewerben. Dabei könnte man auf Basis des gewählten Hintergrunds doch sehr viel über den Bewerber erfahren – oder sagen wir besser interpretieren. Zumindest mehr als bei einem typischen Bewerbungsfoto mit sterilem Studiohintergrund.
Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist es fast schon etwas pervers: Personaler investieren einerseits eine Menge ihrer Arbeitszeit darin, neben den fachlichen Kompetenzen auch die sogenannten persönlichen Kompetenzen sowie charakterlichen Attribute herauszufiltern. Mit Gesprächstechniken oder auch zunehmend mit elektronischen spielerischen Persönlichkeitsverfahren, Stichwort Recruitainment, will man hinter die Fassade des Bewerbers blicken.
Aber warum empfehlen wir dann allen Bewerbern in unsagbar vielen Beiträgen im Internet unter dem Stichwort „das perfekte Bewerbungsfoto“ stets ein konservativ standardisiertes klassisches Format? Wir drängen den Bewerber damit erst einmal in eine Konformität hinein, um uns dann hinterher mit viel Aufwand zu überlegen, wie wir dann doch die Authentizität rauskitzeln.
Höchst fragwürdig.
Das Selfie – der aktuelle Hype im Internet
Im Jahre 2013 ging der Hype so richtig los und das Selfie schaffte sogar den Sprung zum Wort des Jahres beim Wörterbuchverlag Oxford Dictionaries. Und auch unsere Kanzlerin wird immer wieder in diese neue Bildvariante einbezogen.
Spätestens seit der Oscar-Verleihung 2014 ist der Begriff Selfie bei der breiten Masse angekommen. Nunmehr berichtete n-tv online letzte Woche vom neuen Trend, dem äh, … darf ich das hier schreiben? Nicht dass Google ab jetzt die falsche Zielgruppe auf meinen Personalerblog lockt. Egal. n-tv berichtete vom neusten Trend, dem Aftersex Selfie.
Das wäre jetzt wahrscheinlich nicht unbedingt mehr das, was ich unter einem authentischen Bewerbungsfoto verstehen und was sogar aus meiner Perspektive die Grenze des „nicht angemessenen“ überschreiten würde. Aber mal im Ernst: Warum öffnen wir Personaler uns nicht aktiv dem Selfie?
Ich wäre dabei. Was ist mit Ihnen?