Die Frage mag auf den ersten Blick ein wenig lapidar erscheinen, sorgt aber seit einiger Zeit für Diskussionen. Konkreter Auslöser für diesen Blog zum Thema Bewerbungskiller ist ein Beitrag von Karriereexpertin Svenja Hofert mit dem recht reißerischen Titel „Hasenfüsslein und Zuckerschnute: Gefährliche Spuren in Internet und Bewerbung“.
Darin stellt sie beispielhaft E-Mail-Adressen vor, denen sie in ihrer Beratungspraxis begegnet ist und geht auf die aus ihrer Sicht bestehenden Gefahren ein, die von Benennungen wie Peggy906892@gmx.de ausgehen. E-Mails mit Lebensläufen, die von solchen Adressen gesendet werden, landen bei ihr nach eigener Aussage sofort per Klick im Papierkorb und werden als SPAM markiert. Mit dem Satz „Sie glauben doch nicht, dass das bei Personalern anders ist?“ projiziert sie dieses Verhalten auch auf die Recruiter in Unternehmen.
Eine unseriöse E-Mail-Adresse ist das Bewerbungs-Aus
Die Facebookseite der Jobbörse Yourfirm pauschalisiert nochmal einen drauf und meint: „Bewerber mit Mail-Adressen wie Peggy906892@gmx.de katapultieren sich schon von vornherein ins Aus, denn: Personaler schauen solche Mails gar nicht erst an.“.
Ach, echt? Um welche Personaler geht es hier genau? – Vielleicht um die, die sich bisher noch nicht weiter mit den Umgangsformen und Gepflogenheiten einer Generation Y beschäftigt haben?
Vielleicht vorweg so viel: Selbstverständlich rate auch ich in Vorträgen auf Messen, Seminaren und Workshops im Rahmen von Bewerbertrainings dazu, eine businesstaugliche E-Mail-Adresse zu wählen. Allerdings nicht, weil ich die Verwender einer Adresse wie warcraft_freak@battleship-fighter.com oder ich-brauche-das-geld@web.de herabwürdigen möchte. Ich tue das, weil ich den Bewerbern die Chance geben möchte, mit der Nutzung dieser extravaganten E-Mail-Adresse nicht bereits mehr über ihre persönliche Einstellung oder ihr Privatleben preis zu geben, als sie vielleicht in diesem Moment wollen.
Allerdings käme ich nicht auf die Idee, einen Lebenslauf oder ein Anschreiben, das eine solche E-Mail-Adresse zur weiteren Kontaktaufnahme nennt, von vorn herein anders zu behandeln als ein PDF, auf dem ein Hans.Mustermann@t-online.de prangt.
Können wir uns eine solche Denkweise noch leisten?
Vielmehr halte ich eine solche Denkweise sogar für extrem schädlich und kontraproduktiv! Wir leben in einer Zeit, in der Unternehmen viele tausend Euro ausgeben für den Aufbau einer attraktiven Arbeitgebermarke. Mit innovativen und kreativen Personalmarketing-Maßnahmen versuchen wir Talente auf dem Markt zu einer Bewerbung zu uns zu bringen. Und dann soll die E-Mail-Adresse einen spürbaren Einfluss auf die Wirksamkeit einer solchen Bewerbung haben? Nicht wirklich, oder?
Svenja Hofert verteidigt Ihre Ansicht, indem sie die Verwender von E-Mail-Adressen im Rahmen ihrer Antwort auf meinen Kommentar differenziert und meint: „Es ist die Kombi, die Tatsache, dass eine Zuckerschnute auch rote Pullis anzieht, schwarzroteblonde Strähnchen hat, Rechtschreibfehler macht und insgesamt auch von den kognitiven Leistungen her in aller Regel KEIN Gen-Y-Überflieger ist.“.
Katapultiert auch die falsche Kleidung auf dem Bewerbungsfoto ins Aus?
Aha, der rote Pulli scheint also auch gefährlich zu sein? Gilt das auch für rote Jacketts? Und was bitte hat die Haarfarbe oder Färbung mit der Qualifikation zu tun? Klar, Rechtschreibfehler gilt es zu vermeiden, aber die Erfahrung zeigt, dass selbst in Magazinen wie Stern oder SPIEGEL, die es wahrlich können sollten, durchaus sehr häufig Schreibfehler in Onlinebeiträgen enthalten sind.
Ich versuche also den Ansatz, der Frau Hofert umtreibt, schrittweise etwas besser zu verstehen. Es gibt da wohl die eine von ihr so genannte (Zitat) „reflektierte, moderne, intelligente Zielgruppe“, die solche E-Mail-Adressen nie wählen würde. Der stehe die andere Zielgruppe gegenüber: „Die etwas naiven, nicht ganz so dollen, die sich in stinknormalen konservativen Firmen bewerben, solche, die sich im Denken noch weitaus langsamer bewegen als sie sich das vorstellen mögen.“ (Zitat) unterstellt sie, dass „solche Leute nicht so sehr selbst denken, sie müssen ein Stück weit geführt werden.“ (Zitat). Diese zweite Gruppe würde ihre Beratung aber nicht in Anspruch nehmen, sondern nur die erste.
Wer hat denn nun eigentlich welches Problem?
Ist es die Zielgruppe, der man scheinbar helfen muss, damit sie gut in ein „stinknormales konservatives Unternehmen“ eintreten kann, trotz bunter Haare und farbigem Pulli? Sind es die Berater, deren Rat, solche E-Mail-Adressen nicht zu verwenden, einfach nicht gefolgt wird? Oder sind es am Ende die Personaler, die das eigentliche Problem haben?
Suchen Recruiter für ihre Unternehmen nicht letzten Endes vor allem authentische Menschen, also Menschen, die tatsächlich so sind, wie sie vorgeben zu sein? Menschen, die keine blendende Fassade aufbauen im Rahmen von Bewerbungsgesprächen und hinterher nicht halten können, was sie vermeintlich versprechen?
Es ist für mich schon ein wenig schizophren: Da werden Bewerber tausendfach penetriert mit Tipps für Bewerbungen im Sinne von „Tue dieses und lasse jenes“ und in Richtung Konformität getrieben. Gleichzeitig investieren zahlreiche Unternehmen in immer ausgefeiltere Auswahlsysteme, um dann diese konformen Aussagen in Lebensläufen wieder so zu analysieren, dass wir auf die Persönlichkeit (bzw. die für die Stelle und kulturelle Passung benötigten Anteile der Persönlichkeit) zurückschließen können.
Noch einen Schritt weiter gegangen
Nun stelle ich ernsthaft die Frage, ob uns geholfen wäre, wenn wir die von Frau Hofert genannte Bewerberin dazu bringen, für das Bewerbungsfoto die Haare einheitlich schwarz zu färben und eine hellblaue Bluse mit schwarzem Jackett anzuziehen. Um damit die pink-lola93@partyhouse.com zu einer „erfolgreicheren Bewerberin“ zu machen? Was wäre, wenn diese Bewerberin nach ihrer Einstellung dann doch wieder ihre zu ihrer Persönlichkeit passende Haarfarbe trägt und die besagte private E-Mail-Adresse irgendwo auf dem Firmenserver auftaucht?
Würden wir die neue Kollegin dann rauswerfen, weil sie uns getäuscht hat und doch eigentlich so gar nicht zu uns passt? – Auch wenn sie vielleicht gar keinen Kundenkontakt hat, sondern ihre Leistungen in der telefonischen Kundenbetreuung erbringt, bei der die Fähigkeit rechtschreibfehlerfrei zu kommunizieren nur reduziert wichtig ist? – Warum nehmen wir sie dann nicht gleich so an wie sie ist?
Sollten wir nicht die Diskussion um unpassende E-Mail-Adressen und Haarfarben an dieser Stelle abbrechen? Bei einer Telefonnummer, die mit „666“ endet, unterstellen wir ja auch nicht, den Antichristen damit anrufen zu können. Oder hat jemand je an den Fähigkeiten von Altkanzler Willy Brandt gezweifelt, der in Wirklichkeit Herbert Ernst Karl Frahm heißt, nur weil er sich ebenfalls einen Künstlernamen gegeben hat?
Warum glauben wir Personaler immer noch, dass wir uns die Bewerber erziehen können, die wir haben wollen? Und warum versuchen wir nicht umgekehrt endlich, uns auf die vorhandenen Bewerber (insbesondere die Vertreter der Gen Y) einzustellen?
Bewerbungstipps verunsichern häufig mehr als dass sie hilfreich sind
Ich habe in meiner Praxis als Personaler mittlerweile so häufig erlebt, wie verunsichert Bewerber letztendlich sind bzw. durch den ganzen Wirbel um allgemeine Bewerbungstipps werden. Je mehr Bücher sie lesen oder Beratungen sie in Anspruch nehmen, umso komplexer erscheint ihnen der Bewerbungsprozess und umso mehr Unsicherheit kommt dabei auf.
Kann das unser Ziel als Personaler sein? – Wollen wir nicht umgekehrt den Bewerber bestärken, dass WIR als Unternehmen der richtige Arbeitgeber sind? Läuft also der Bewerbungsprozess – gerade bei sehr gefragten Zielgruppen – heute nicht genau umgekehrt, nämlich dass das Unternehmen sich letztlich beim Bewerber vorstellt?
Mein Fazit und Gedankenanstoß zu Bewerbungskillern
Wir sollten also die Kirche meiner Meinung nach im Dorf lassen und von E-Mail-Adressen, Haarfarben oder der Kleidung in keiner Weise auf eine berufliche Qualifikation schließen! Wer das doch tut, der wird schon sehr bald Probleme haben, die jungen, dynamischen, hoch-innovativen IT-Cracks zu akquirieren, die mit Metallica-T-Shirt, kurzen Hosen und Flip Flops auf Personalmessen kommen. Gerne wiederhole ich dann nochmal die Frage, wer sich hier auf wen stärker einstellen sollte.
Abschließend betrachtet geht es sogar um die grundlegende Akzeptanz der Vielfältigkeit von Menschen – womit wir wieder beim Kerngedanken von Diversity angelangt sind. Wenn wir nicht hier anfangen, wirken mit viel Aufwand implementierte Diversity-Maßnahmen regelrecht aufgesetzt. So versuchen wir das Kind wieder aus dem Brunnen zu retten, in den wir es vorher mit Schmackes reingeworfen haben…