Silver Ager, also Senior Talents, die bereits das Rentenalter erreicht haben, sind für das HR-Startup WisR die perfekte Mitarbeitende-Zielgruppe in Unternehmen. Mit ihrer Erfahrung und der über das Alter erworbenen „Weisheit“ können Silver Ager helfen, Unternehmen durch unruhige Zeiten zu manövrieren. Nicht nur aus dem Blickwinkel Diversity, sondern ebenso aus handfesten wirtschaftlichen Gründen. Davon ist Klaudia Bachinger, CEO von WisR überzeugt, wie sie mir im Interview verrät.
Das ist WisR, das HR-Startup für Silver Ager
Hallo Klaudia, stell Dich und Euer HR-Startup WisR doch bitte kurz einmal selbst vor?
Gern. Ich bin 34 Jahre alt, lebe in Wien und bin, gemeinsam mit Carina Roth, Gründerin von WisR. Unser Start-up hat sich der Idee verschrieben, ältere, motivierte Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und so auch Wertschöpfung zwischen den Generationen zu schaffen. Ursprünglich haben wir mit WisR die erste Recruiting-Plattform für Senior Talents, also ältere Experten im Ruhestand, geschaffen. Mittlerweile sind wir in Österreich und Deutschland aktiv und haben auch unsere Produkte weiterentwickelt.
Mit einer Alumni-Software können Unternehmen ihre pensionierten Mitarbeiter wertschätzend in den Ruhestand begleiten und mit ihnen für Mentoring, Projekt-, Wissensarbeit oder Vertretungen weiterhin in Kontakt bleiben. Mein persönlicher Beweggrund, mich in diesem Bereich selbstständig zu machen, entspringt meinen Erfahrungen in meiner Familie. Dort musste ich leider miterleben, wie bedrückend es sein kann, mit dem Eintritt in den Ruhestand auch die eigene Stellung in der Gesellschaft zu verlieren.
Nach meinem Romanistik- und Medienwissenschaften-Studium, als ich als Journalistin und Filmproduzentin gearbeitet habe, beschäftigten mich dann verstärkt Fragen rund um die Zukunft der Arbeitswelt. Mit WisR habe ich mit meinem Team jetzt die Chance, diese Zukunft mitzugestalten.
Das Besondere an WisR
Was genau macht Eure Geschäftsidee so besonders?
WisR verschreibt sich der Zusammenarbeit unter den Generationen. Wir glauben daran, dass man mit dem Alter weiser wird. Diese Weisheit gehört wertgeschätzt und genutzt. Ich habe das Gefühl, dass in Unternehmen – vorangetrieben durch den digitalen Wandel – vermeintlich digital-fittere Berufseinsteiger und junge Mitarbeiter mehr wertgeschätzt werden, als Menschen, die jahrelange Erfahrung und implizite Expertise in sich tragen.
Dabei sind gerade sie es, die geschäftsrelevante Social Skills haben und in stürmischen Zeiten, wie wir sie derzeit erleben, die Ruhe und die richtige Richtung im Blick behalten. Außerdem sind wir ein recht junges Team, das sich für Menschen im Ruhestand einsetzt. Das sieht man auch nicht alle Tage. *lacht*
Silver Ager in Unternehmen sind eher die Ausnahme
Warum haben es die Unternehmen in den letzten Jahrzehnten versäumt, die Vorteile der Silver Ager systematisch im Unternehmen zu nutzen?
Man muss ehrlicherweise sagen, dass die arbeits- und steuerrechtlichen Rahmenbedingungen sowohl in Österreich als auch in Deutschland nicht gerade so sind, dass es Unternehmen und Senior Talents einfach gemacht wird, zueinander zu finden. Kollektivverträge und das Senioritätsprinzip (ältere Menschen verdienen mehr, weil sie länger im Betrieb sind), sowie das Thema der Scheinselbstständigkeit schrecken so manches Unternehmen davon ab, auf die Expertise der Älteren zu setzen. Umfragen zeigen aber, dass beide Seiten sehr wohl zueinander finden möchten. Jeder zweite im Rentenalter möchte weiterhin arbeiten und Unternehmen suchen nach flexiblen und erfahrenen Arbeitskräften. Rund 90% der Betriebe sehen die größten Chancen in der Zusammenarbeit mit Senior Experts der Silver Ager übrigens im Wissensmanagement und -transfer.
Vorurteile gegenüber Silver Agern
Silver Ager müssen sich oft gegen Vorurteile wehren. Kürzlich hat eine Umfrage ergeben, dass es für agiles Arbeiten tatsächlich eine Altersgrenze geben soll, ab der es dann nur noch mäßig funktioniert. Wie siehst Du das?
Vorurteile sind tatsächlich ein großes Thema. Wir fragen uns: Warum gibt es sie immer noch? Die Menschen werden heute immer älter, bleiben dabei aber geistig und körperlich länger fit. Wieso sie also so früh aus dem Arbeitsleben exkludieren, wenn sie es selbst nicht möchten? Grundsätzlich wird Menschen über 60 seitens der Unternehmen eine gute Leistungsfähigkeit zugeschrieben. Begriffe, wie Rentner oder Pensionist, sind aber stark stigmatisierend für Menschen, die im Alter auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung sind. Sobald über 60-Jährige angeben, sie seien bereits im Ruhestand, trauen ihnen Betriebe schlagartig weniger zu.
Gleichzeitig sagen 9 von 10 Unternehmen, dass Arbeiten im Alter ein Zukunftstrend ist. Das ist schon sehr widersprüchlich! Wir hoffen jedenfalls, mit Geschichten über Best-Practice-Beispiele und einem neuen Podcast-Format, bei dem unter anderem CEOs von Weltkonzernen, genauso wie Demografie-Experten und Politiker und auch betroffene Senior Experts zu Wort kommen, Klarheit in das Thema zu bringen.
Arbeiten als Silver Ager und der Rentenanspruch
Lässt sich der Einsatz von Silver Agern so einfach gestalten? Müssen die Vermittelten dabei mit Renteneinbußen rechnen?
Das Wichtigste ist hier die Art des Rentenbezugs bei einem persönlich. Bei der regulären Altersrente, die in Deutschland mit 67 Jahren beginnt, kann man neben seinen Rentenbezügen unbegrenzt dazuverdienen. Allerdings müssen die Silver Ager dieses zusätzliche Einkommen versteuern. Bezieht man vor Erreichen der Regelaltersgrenze bereits Rente, muss man die Höhe seiner Einkünfte genau im Auge behalten. Diese dürfen dann pro Jahr 6.300 Euro nicht überschreiten. Sonst vermindert sich dadurch die monatliche Rente. Ein Gespräch mit dem Rentenversicherungsträger, um sich vor der Jobsuche über den individuellen Status klar zu werden, empfehlen wir daher jedem.
Silver Ager Onboarden – wo liegen die Herausforderungen?
Wo liegen die größten Herausforderungen beim Onboarding und der Integration von Silver Agern in (neue) Unternehmen?
Unternehmen, die sich für die Einstellung von Älteren entscheiden, tun das im Idealfall ganz bewusst. Sie leben Diversität, meist auch Interkulturalität und Pluralität. Was ihre Integration ins Unternehmen vielleicht am stärksten von jüngeren Mitarbeitern unterscheidet, ist, dass sie flexibel und selbstständig arbeiten möchten. In der Regel suchen die meisten keine Vollzeitjobs mehr. Stattdessen bevorzugen sie Projekte und KMU-Unternehmen, in denen sie mit ihrer Erfahrung etwas bewirken können. Dabei sind ihre größten drei Wünsche:
- die Vereinbarkeit mit dem neuen Lebensabschnitt des Ruhestandes
- die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit und
- die Möglichkeit, selbstbestimmt zu arbeiten.
Damit sind die jungen Silver Ager eigentlich die perfekten Freelancer!
Den demografischen Wandel im Blick behalten
Welche Botschaft hast Du noch für meine Leserinnen und Leser?
Mir gefällt, dass Dein Blog kritisch den Status im Personalwesen hinterfragt. Kritisch zu beäugen ist in dieser Hinsicht jedenfalls, dass viele Personalabteilungen nicht auf den demografischen Wandel vorbereitet sind. In großen Unternehmen mit vielen Babyboomern werden in den kommenden Jahren ganze Abteilungen in den Ruhestand treten. In den USA erwartet man deshalb den sogenannten „Silver Tsunami”.
Wie man Erfahrung unter den Generationen teilt und Zugriff auf geschäftsrelevantes Unternehmenswissen behält, dafür fehlt vielen der Plan. Meine Botschaft an Deine Leser ist daher:
Respektiert die Erfahrung Eurer ältesten Mitarbeiter und macht ihnen bereits vor ihrem Ruhestand ein gutes Angebot. Damit sie dieses Wissen auch weiterhin mit eurem Unternehmen teilen möchten. Es könnte, was die Wettbewerbsfähigkeit betrifft, gerade in Zeiten wie diesen, das Zünglein an der Waage sein.
Vielen Dank für die spannenden Antworten und weiterhin viel Erfolg mit Eurem HR-Startup WisR!
Über die Interviewte
Klaudia Bachinger (34) ist Gründerin und CEO von WisR, einem österreichischen HR-Tech-Startup, das sich der Idee verschrieben hat, Unternehmen dabei zu unterstützen effektive Maßnahmen im Angesicht des demografischen Wandel zu setzen.
Mit einer Alumni-Software können Firmen Mitarbeiter wertschätzend in den Ruhestand begleiten, in Kontakt bleiben und sie für Mentoring, Projekt-, Wissensarbeit zurückholen.
Bevor sie Unternehmerin wurde, arbeitete die Romanistin und Medienwissenschaftlerin als Redakteurin und Cutterin.