Immer mehr Beschäftigte ziehen innerlich die Handbremse. Statt voller Energie und neuer Ideen machen sie das Nötigste. Dienst nach Vorschrift ist längst kein Ausnahmefall mehr, sondern vielerorts Realität. Für Unternehmen ist das brandgefährlich: Während der Fachkräftemangel wächst und der Innovationsdruck steigt, droht die Motivation in den Teams zu erodieren. Die entscheidende Frage lautet: Wie lässt sich diese Lethargie durchbrechen? Und was können Arbeitgeber tun, um Motivation und Leistungsbereitschaft zurückzuholen? Ein Gastartikel von Philipp Riedel.
Pflicht statt Extrameile: Loyalität ohne Leistung
Wie ernst die Lage ist, zeigt die Arbeitszufriedenheits-Studie 2025 von YER Deutschland. Mehr als die Hälfte der Befragten (52%) ist der Ansicht, dass ihre Kolleg:innen überwiegend oder ausschließlich Dienst nach Vorschrift machen. Besonders interessant ist der Blick auf Branchenunterschiede: Während Beschäftigte in der IT ihre Kolleg:innen vergleichsweise seltener als „Dienst nach Vorschrift“-Mitarbeitende einschätzen (32%), liegt dieser Wert in Zukunftsbranchen wie Energie (65%) und Mobilität (45%) deutlich höher.
Ein Grund: Unternehmen der IT-Branche zeichnen sich meist durch flexible und moderne Strukturen aus. Im Gegensatz dazu, unterliegen historisch gewachsene Unternehmen aus traditionellen Branchen eher starren, konzernartigen Strukturen sowie behördenähnlichen Abläufen, wo sich Dienst nach Vorschrift leichter einschleicht.
Gerade dort, wo Transformation und Innovationsdruck besonders groß sind, wird die Zurückhaltung im Arbeitsalltag als deutlich spürbar wahrgenommen. Gleichzeitig fühlt sich die große Mehrheit zufrieden im Job und plant keinen Arbeitgeberwechsel. Ein paradoxes Bild: Loyalität ist da, Leistung aber nicht.
Warum Purpose an Grenzen stößt
Über Jahre galt Purpose als vermeintliches Wundermittel gegen Demotivation. Leitbilder und Sinnkampagnen sollten Begeisterung entfachen. Doch die Realität zeigt: Purpose allein reicht nicht. Beschäftigte erwarten Anerkennung, klare Führung und Strukturen, die tatsächlich gelebt werden.
Leistung entsteht nicht allein durch große Worte, sondern durch Klarheit, Verlässlichkeit und eine Unternehmenskultur, die Orientierung gibt. Motivation wächst weniger aus Visionen, sondern aus konkreten Alltagserfahrungen, geprägt von Fairness und offener Kommunikation. Wer dauerhaft engagiert bleiben soll, braucht ein Umfeld, das Sicherheit vermittelt und erbrachte Leistung wertschätzt.
Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels zeigt sich, dass Hochglanz-Botschaften allein nicht ausreichen. Wenn Mitarbeitende erleben, dass ihre Arbeit zählt und Anerkennung findet, wächst auch ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Fehlt diese Erfahrung, verliert Purpose seine Wirkung und bleibt eine leere Hülle.
Alarmsignale für mangelnden Einsatz
Dass immer mehr Beschäftigte Dienst nach Vorschrift machen, ist das Ergebnis mehrerer Entwicklungen:
- Überlastung durch Fachkräftemangel: Viele Teams arbeiten seit Jahren am Limit. Projekte, die eigentlich zusätzliche Ressourcen bräuchten, werden intern „irgendwie gestemmt“. Wer dauerhaft überfordert ist, zieht sich irgendwann zurück – nicht aus Faulheit, sondern als persönliche Schutzstrategie.
- Wertewandel: Besonders die jüngeren Generationen legen mehr Wert auf Work-Life-Balance. Karriere und Statussymbole verlieren an Bedeutung, während Selbstbestimmung, Sinn und Freizeit wichtiger werden. Das bedeutet nicht, dass sie weniger engagiert sind – aber sie investieren Energie gezielter und nicht mehr automatisch ins Unternehmen.
- Enttäuschung durch Führung: Viele Organisationen haben in den letzten Jahren Transformationen und „New Work“-Programme ausgerufen. In der Praxis erleben Mitarbeitende jedoch oft das Gegenteil: fehlende Kommunikation, widersprüchliche Signale oder mangelnde Wertschätzung. Die Folgen sind Distanz, Resignation und im schlimmsten Fall innere Kündigung.
Das Resultat: eine Belegschaft, die loyal bleibt, aber keinen zusätzlichen Einsatz zeigt. Unternehmen dürfen das nicht als Normalzustand akzeptieren – sie müssen Antworten finden. Denn wo Ursachen übersehen werden, zeigen sich bald die Konsequenzen im Geschäftserfolg.
Konsequenzen – Wenn Unternehmen Tempo verlieren
Wenn Beschäftigte nur noch ihre Pflicht anstatt auch einmal die Extrameile leisten, bleiben Folgen nicht aus:
- Weniger Innovation: Wer nur das Minimum erfüllt, entwickelt keine neuen Ideen.
- Sinkende Produktivität: Projekte ziehen sich, Qualitätssprünge bleiben aus.
- Schwächere Arbeitgebermarke: Auch Leistungsträger:innen resignieren. Dieser Bindungsverlust wirkt sich negativ auf das Arbeitgeberimage aus.
- Höhere Kosten: Fluktuation, Krankheitsausfälle und Ineffizienzen nehmen zu.
Besonders problematisch: Auch High Potentials fühlen sich in solch einem Arbeitsumfeld kaum noch motiviert, über das Minimum hinauszugehen. Für sie zählt nicht mehr allein Gehalt oder Aufstieg, sondern eine Kultur, die Leistung fördert und zugleich Freiräume bietet.
Ohne Gegenmaßnahmen droht Unternehmen ein schleichender Verlust an Innovationskraft – ein Risiko, das gerade in Zukunftsbranchen gravierend ist.
Hybrid Workforce – Ein Hebel gegen Arbeitsminimalismus
Ein wirksamer Hebel, um Motivation und Leistungsbereitschaft zurückzuholen, ist eine Hybrid Workforce: die strategische Kombination aus festangestellten Mitarbeitenden und externen Expert:innen. Sie entlastet Teams, bringt Flexibilität und frisches Know-how und kann so verhindern, dass Beschäftigte in den Modus „Dienst nach Vorschrift“ abgleiten.
Ihre Vorteile im Überblick:
- Überlastung abbauen: Externe fangen Auftragsspitzen ab und verhindern Frustration.
- Flexibilität schaffen: Unternehmen reduzieren den strukturellen Overhead und reagieren schneller auf Veränderungen.
- Kompetenz einbinden: Spezialist:innen bringen Fachwissen ein, das intern fehlt und nicht dauerhaft im Unternehmen gebraucht wird.
- Motivation stärken: Teams konzentrieren sich auf Kernaufgaben, die Produktivität steigt.
- Fachkräftemangel entgegenwirken: Unternehmen erweitern ihren Talentpool, steigern ihre Attraktivität als Arbeitgeber oder binden neue Zielgruppen ein (Berufstätige Eltern, Quereinsteiger, etc.).
Die Praxis zeigt den Nutzen deutlich, wie folgende Branchenbeispiele demonstrieren:
- IT-Sektor: Freelancer beschleunigen komplexe Transformationsprojekte, die sonst das Stammpersonal überfordern würden.
- Mobilität: Externe Ingenieur:innen ergänzen Entwicklungsabteilungen bei hochspezialisierten Projekten, ohne das Kerngeschäft zu belasten.
- Energiebranche: Interim-Manager:innen übernehmen Verantwortung in großen Transformationsprogrammen, sodass interne Teams nicht ausbrennen.
Wenn Lasten fair verteilt sind, können Beschäftigte sich wieder auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren und erleben mehr Anerkennung und Motivation. Doch dafür braucht es mehr als externe Expertise. Es braucht Führung, die beides verbindet.
Integration entscheidet über Erfolg
Damit eine Hybrid Workforce ihr volles Potenzial entfalten kann, braucht es Führungskräfte, die beide Seiten verbinden. Manager:innen müssen interne und externe Kräfte zusammenbringen, gemeinsame Ziele definieren und für reibungslose Kommunikation sorgen. Nur so entsteht ein leistungsfähiges Miteinander, das über reines „Zusammenarbeiten“ hinausgeht.
Wichtig ist zudem, eine Hybrid Workforce nicht als Bedrohung, sondern als Unterstützung zu vermitteln. Wenn Stammteams erleben, dass externe Expert:innen sie entlasten, statt ihnen Arbeit wegzunehmen, steigt die Akzeptanz. Führungskräfte werden so zu Brückenbauern, die Vertrauen schaffen und die Stärken beider Seiten nutzbar machen.
Ein Hybrid Workforce-Modell ist nicht einfach „nur“ der Einsatz von Arbeitnehmerüberlassung oder Freelancing. Es geht nicht darum, kurzfristig Lücken zu stopfen, sondern eine zukunftsfähige Arbeitsorganisation zu schaffen, die es in einer globalen und dynamischen Wirtschaft braucht. Unternehmen steigern Tempo und Qualität, während das Team aus Festangestellten Entlastung spürt und neue Impulse erhält.
Klarheit statt Rückzug
Dienst nach Vorschrift ist ein Warnsignal. Unternehmen, die diesen Trend ignorieren, riskieren Stillstand und Wettbewerbsnachteile. Gefragt sind Führungskräfte, die weniger auf Purpose-Rhetorik setzen, sondern stärker auf Klarheit, Verlässlichkeit und gelebte Kultur.
Die Hybrid Workforce ist dabei kein Allheilmittel, aber ein entscheidender Baustein. Sie verteilt Lasten neu, bringt Fachwissen ins Haus und schafft Entlastung, die Motivation neu belebt. Wer diese Chance nutzt, sorgt dafür, dass Loyalität und Leistung wieder im Einklang sind und sichert so die Zukunftsfähigkeit seines Unternehmens.
Zur YouGov-Studie „Arbeitszufriedenheit 2025
Bereits seit 2016 führt YER Deutschland (ehemals AVANTGARDE Experts) die Umfrage zur „Arbeitszufriedenheit in Deutschland“ durch. Dafür befragte das Marktforschungsunternehmen YouGov im Befragungszeitraum März 2025 insgesamt 1.118 akademische Arbeitnehmer:innen online zu unterschiedlichen Aspekten von Jobzufriedenheit und der Arbeitswelt.