Talent Sharing – ein neuer Begriff erobert die HR-Welt. Was genau verbirgt sich hinter den Möglichkeiten, die das von der Sharing Economy inspirierte Konzept mit sich bringt? Einblicke von Anika Schmidt und Lena Pieper von FeeMOM in einem Gastbeitrag.
Sharing Economy ist eine Antwort auf neue Arbeitsrealitäten
Die Arbeitswelt verändert sich rasant. Mitarbeitende suchen nach mehr Flexibilität und Vereinbarkeit, sinnstiftender Arbeit und Entwicklungsmöglichkeiten. Und das, wo die individuelle Bindung an den Arbeitgeber bei Mitarbeitenden laut den jährlichen Gallup-Engagement-Index kontinuierlich sinkt. Nur 14% der Befragten gaben 2023 an, eine hohe Bindung zum eigenen Arbeitgeber zu haben.
Doch nicht nur die Erwartungen der Mitarbeitenden wandeln sich, sondern auch die Anforderungen an Jobs und den Aufgaben. Laut LinkedIn haben sich die geforderten Fähigkeiten seit 2015 um 25 Prozent verändert – bis 2030 werden es voraussichtlich 65% sein, laut LinkedIn „Most In-Demand Skills” 2024.
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Immer mehr Rollen erfordern spezialisierte Kompetenzen, wodurch skillbasierte Ansätze im Recruiting und der Personalentwicklung immer mehr an Bedeutung gewinnen. Mitarbeitende an das Unternehmen zu binden, diese gleichzeitig zukünftsfähig zu entwickeln und dabei vor allem das volle Potenzial der einzelnen Menschen auszunutzen ist das A und O in Zeiten von Fachkräftemangel. In Summe stellen Studien wie von Accenture fest, dass Unternehmen in Deutschland jährlich 118 Milliarden Euro durch ungenutztes Potenzial und den falschen Einsatz von Mitarbeitenden verlieren.
Talent Sharing zur Potenzial-Nutzung
Aber wie können Unternehmen das vorhandene Potenzial ihrer Mitarbeitenden zielgerichtet nutzen? – Talent Sharing ist eine Antwort!
Während die Sharing Economy in vielen Branchen längst etabliert ist, hält sie auch im HR-Bereich immer weiter Einzug. Konzepte wie Jobsharing, Top-Sharing und Talent Sharing sind moderne Antworten auf den Wandel der Arbeitswelt. Sie ermöglichen es Unternehmen, Fachkräftemangel zu überbrücken, interne Potenziale gezielter zu nutzen und gleichzeitig die Mobilität und Entwicklungsmöglichkeiten der Mitarbeitenden zu fördern.
Wie funktioniert die Idee von Talent Sharing?
Talent Sharing heißt, dass eine Organisation Mitarbeitende und deren Fähigkeiten über verschiedene Teams, Abteilungen oder sogar mit anderen Organisationen teilt. Das übergeordnete Ziel ist es, Ressourcen skillbasiert in Zeiten knapper Fachkräfte besser zu nutzen, die Zusammenarbeit und Innovation innerhalb und zwischen Organisationen zu fördern.
Talent Sharing fördert die interne Mobilität, hilft dabei, Fachkräftemangel zu überbrücken, und erweitert damit automatisch den verfügbaren Talentpool.
Formen von Talent Sharing in der Praxis
Internes Talent Sharing
Beim internen Talent Sharing wechseln Mitarbeitende vorübergehend zwischen Abteilungen, um mit einem Teil oder ihrer gesamten Arbeitszeit in anderen Teams bei abgrenzbaren Projekten, so genannten „Gigs“ zu unterstützen. Unternehmen wie Unilever, Shell und PwC haben bereits Erfahrungen mit dem Aufbau eigener interner Marktplätze und interner Gig Economy gesammelt. Und immer mehr Unternehmen sehen die Vorteile in der Einführung interner Talent Sharing Marktplätze.
So auch die NÜRNBERGER Versicherung, die für ihr Talent Sharing eine simple Plattform im Intranet nutzt. Darüber können zeitlich und kapazitativ begrenzte Projekteinsätze veröffentlicht werden, auf die sich Interessierte direkt melden können.
Interorganisationales Talent Sharing
Daneben geht es beim interorganisationalen Talent Sharing darum, Mitarbeitende über Unternehmensgrenzen hinweg zu teilen. Ein Modell, das sicher strategisch eher noch in den Kinderschuhen steckt, aber praktisch bereits während der Corona-Pandemie Anwendung fand.
Das bekannteste Beispiel war hier wohl die Kooperation zwischen Aldi und McDonald’s. Mitarbeitende von McDonald’s, deren Filialen geschlossen waren, arbeiteten vorübergehend in Aldi-Filialen und halfen dort Personalengpässe zu überbrücken. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten, ist es ein Ansatz für Unternehmen, systematisch über regionale Sharing-Modelle dieser Form nachzudenken, um Kapazitäten auszugleichen.
Freelancing und Experten-Sharing
Ein weiteres etabliertes Beispiel ist Freelancing und Expert:innen-Sharing, das in vielen Unternehmen bereits genutzt wird. Unternehmen profitieren dabei von der schnellen Verfügbarkeit hochqualifizierter Fachkräfte, während Freelancer wertvolle Erfahrungen aus unterschiedlichen Projekten mitbringen und Unternehmen mit frischen Perspektiven und ihrer spezifischen Expertise bereichern.
Prognosen gehen sogar davon aus, in zehn Jahren könnte jeder zweite Job in Deutschland laut XING ein Freelancing-Job sein. Ein Zukunftsmodell für Organisationen, die ihre Workforce flexibel und skillbasiert aufstellen möchten.
Welche Vorteile bringt Talent Sharing?
Talent Sharing bietet Unternehmen und HR-Teams eine Reihe praktischer Vorteile:
- Höhere Mitarbeiterzufriedenheit: Mitarbeitende erhalten durch internes Talent Sharing mehr Entwicklungsmöglichkeiten, was ihre Motivation und langfristige Bindung stärkt. Laut der Personio-Studie „HR Insights Report 2024“ überlegen 50% der Mitarbeitenden einen Jobwechsel, wenn sie in den nächsten 6-12 Monaten keine Perspektiven für Weiterentwicklung sehen.
- Flexibilität und Effizienz: Unternehmen können punktuell Expertise genau dort einsetzen oder hinzuholen, wo sie aktuell gebraucht werden, anstatt langwierige Neueinstellungen vorzunehmen.
- Kostenreduktion: Durch eine bessere Nutzung interner Ressourcen können Unternehmen Kosten für Recruiting, Einarbeitung und Fehlbesetzungen erheblich reduzieren.
- Mehr Innovationskraft: Mitarbeitende, die regelmäßig neue Impulse und Erfahrungen sammeln, bringen frische Ideen in ihre Teams und sind agiler.
- Wettbewerbsvorteil: Unternehmen, die auf Talent Sharing setzen, können schneller auf Marktveränderungen reagieren und agiler arbeiten.
Wie kann Talent Sharing in der Praxis umgesetzt werden?
Es lohnt sich also für Unternehmen, sich mit Ansätzen zur Flexibilisierung der Workforce zu beschäftigen. Eine grundlegende Voraussetzung dafür ist, dass Unternehmen den Fokus von starren Stellen und Jobtiteln mehr auf Projekte, Skills und Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden verlagern. Hier können moderne Software-Lösungen unterstützen, die Transparenz über vorhandene Skills zu schaffen und interne Talentmarktplätze pragmatisch und datenschutzkonform umzusetzen.
Entscheidend für den Erfolg von Talent Sharing ist jedoch vor allem ein Mindset-Shift weg vom „Talent Hoarding“. In vielen Unternehmen dominiert noch immer die Denkweise, Talente innerhalb einer Abteilung „festzuhalten“, anstatt sie dort einzusetzen, wo sie am meisten bewirken können. Damit dieser Wandel gelingt, braucht es klare Regelungen und Anreize für Führungskräfte, die Talent Sharing aktiv unterstützen. Hierzu gehören transparente Verrechnungsmodelle zwischen Abteilungen sowie Mechanismen, um geteilte Talente nicht als „Verlust“, sondern als Ressource für das gesamte Unternehmen zu begreifen.
Die größte Hürde ist es oftmals, dass die Führungskräfte sich öffnen und ihre Talents ausleihen. Um Erfahrungen zu sammeln, sollten Unternehmen pragmatisch mit kleineren Pilotprojekten beginnen. Dazu gehören:
- Projektbezogene Einsätze in anderen Teams
- Gezielter Einsatz externer Expert:innen für spezifische Aufgaben
- Interne Talentmarktplätze, die Mobilität innerhalb der Organisation fördern
Besonders im White-Collar-Bereich lässt sich Talent Sharing oft zum Start einfacher umsetzen.
Fazit: Talent Sharing als strategische Chance
Talent Sharing ist keine theoretische Zukunftsvision, sondern eine pragmatische Lösung für moderne Organisationen. Es ermöglicht Unternehmen, das Potenzial ihrer Mitarbeitenden effizient zu nutzen, Fachkräftemangel zu überbrücken und Mitarbeitende durch flexible Entwicklungsmöglichkeiten langfristig zu halten.
Wer heute damit beginnt, interne und externe Talentpools strategisch zu verknüpfen, sichert sich langfristig einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. HR-Teams, die Talent Sharing in ihre Recruiting-Strategie integrieren, gestalten die Zukunft der Arbeit aktiv mit.