Gamification im Recruiting - Recruiting Games

Gamification im Recruiting – wie wirksam sind Recruiting Games? Eine Studie liefert Antworten

„Spielerisch zum Traumjob“ oder „Daddeln für die Karriere“ – Schlagzeilen wie diese begegnen einem immer häufiger. Dahinter steckt ein interessanter Trend: Der Einsatz von Spieltechniken im Kontext der Personalgewinnung. Der Fachbegriff für den Einsatz von spielerischen Methoden in einem Kontext, der selbst kein Spiel ist, lautet Gamification. Experte dafür ist Joachim Diercks, wie er mit diesem Gastbeitrag mal wieder zeigt.

Gamification im Recruitingkontext

Konkret bezogen auf den Einsatzbereich der Personalgewinnung hat sich in den letzten Jahren der Begriff „Recrutainment“ etabliert, sowohl in der unternehmerischen Praxis als auch in der akademischen Forschung. Jansen et. al. definieren Recrutainment folgerichtig als „Gamification in Employer Branding, Personalmarketing und Personalauswahl“.

Neu ist Recrutainment dabei nicht – bereits um die Jahrtausendwende gab es etwa mit der Karrierejagd durchs Netz oder Challenge Unlimited erste Web-Applikationen, über die sich Firmen wie Siemens, Unilever, Beiersdorf oder PwC auf Bewerbersuche begaben, aber erst in den letzten Jahren hat das Thema so richtig Fahrt aufgenommen.

Infografik Online-Recruitainment
Quelle: Cyquest aus dem Fachbuch Recrutainment (#AmazonAffiliate)

Auf der einen Seite gibt es hierbei Verfahren, die primär dem Bereich der sog. Fremdselektion zuzuordnen sind, d.h. der Personalauswahl durch die rekrutierenden Unternehmen. In diesem Bereich geht es also oftmals um Testverfahren, die in unterschiedlichem Ausmaß und mit variierenden Methoden spielerisch angereichert sind.

Demgegenüber gibt es Applikationen, die vor allem der Verbesserung der Selbstselektion durch potenzielle Bewerbende dienen. Diese Tools sind daher meist anonym nutzbar und dienen dazu, eine verbesserte Orientierung hinsichtlich potenziell in Frage kommender Arbeitgeber bzw. konkreter Berufsbilder oder offener Stellen zu bekommen.

Das Ziel dieser sog. „Self-Assessments“ ist also, dass sich mehr passende und weniger unpassende Personen bewerben. Eine dadurch verbesserte „Grundquote“ resultiert dann nämlich automatisch in einer höheren Trefferquote im Recruiting.

Recruiting Games als virtuelle Kurz-Praktika

Eine im doppelten Wortsinn „Spielart“ von Self-Assessments sind sog. Recruiting Games.

Recruiting Games sind digitale Simulationen, die im Rahmen eines Spiels bestimmte Aspekte einer beruflichen Tätigkeit mit ihren spezifischen Anforderungen „erlebbar“ machen wollen. In spielerisch-simulativer Weise werden Interessierten hierbei Aufgaben zur Bearbeitung vorgesetzt, die in vereinfachter und reduzierter, aber anforderungsbezogener Form Inhalte eines Jobs abbilden.

Zwar erhalten User hierbei oft auch eine Rückmeldung, etwa dazu wie gut die entsprechenden Aufgaben „gelöst“ wurden, jedoch liegt der Fokus weniger auf dieser Rückmeldung als auf der im Spiel selbst abgebildeten realistischen Tätigkeitsvorschau. Es handelt sich um Berufsorientierungsspiele, um Kurzzeitpraktika, welche zur Selbstreflexion anregen wollen. Anhand dieses Einblicks soll möglichst viel über die Stelle und das Unternehmen gelernt werden.

Interessierte sollen auf Basis des Gelernten eine fundierte Entscheidung für oder gegen eine Bewerbung beim betreffenden Unternehmen bzw. auf die betreffende Tätigkeit fällen können und auf diese Weise befähigt werden, selbst entscheiden zu können, ob sie zum Unternehmen passen und die Tätigkeit gerne ausüben möchten.

Beispiele für Recruiting Games von Porsche bis EDEKA

Es gibt mittlerweile zahlreiche Beispiele für Recruiting Games von Arbeitgebern wie beispielsweise Porsche Berufserkundung, Commerzbank Probier-Dich-aus, Deloitte Online-Praktika, TenneT Berufsinsider oder Start Learning der Freien Hansestadt Hamburg. Das Spektrum abgebildeter Berufsbilder reicht von Blue Collar Jobs wie etwa Kfz-Mechatroniker:in für System- und Hochvolltechnik oder Elektroniker für Betriebstechnik bis zu White Collar Tätigkeiten wie etwa Wirtschaftsprüfer*in oder Verwaltungsfachangestellte.

Um die Wirksamkeit von Recruiting Games in Bezug auf die genannten Zielsetzungen zu untersuchen, wurde eine Studie an der Hamburger Fern-Hochschule unter der Leitung von Prof. Lars Jansen durchgeführt. Gegenstand der Untersuchung waren hierbei durch EDEKA Südwest eingesetzte Recruiting Games, die drei vom Unternehmen angebotene Ausbildungsberufe spielerisch erlebbar machen und so die Berufsorientierung verbessern sollen.

Bei den sog. EDEKA Einstiegs-Checks stehen drei konkrete Berufe im Mittelpunkt:

  • Fachverkäufer für Lebensmittelhandwerk – Schwerpunkt Fleischerei (w/m/d) (nachfolgend FFVK),
  • Verkäufer / Kaufmann im Einzelhandel (w/m/d) und
  • Kaufmann im Groß- und Außenhandel (w/m/d).

Für jeden der drei Berufe wird den Nutzenden ein virtuelles Kurzpraktikum angeboten.

Azubi Gamification bei Edeka

Im Spiel für die Azubis FFVK durchlaufen die Nutzenden innerhalb von 10-15 Minuten 11 Aufgaben. Die erste Aufgabe beginnt mit einer Einschätzung zu den dringlichsten Tagesaufgaben, die in der Frühschicht anstehen und von den Nutzenden entsprechend richtig ausgewählt werden müssen (vgl. folgende Abbildung, Mitte).

Dabei wird versucht, über eine sogenannte „Wusstest du schon?“– Box (vgl. folgende Abbildung, rechts) Vorurteile rund um den dargestellten Beruf zu entkräften. So erfahren die Nutzenden, dass anders als häufig gedacht die Arbeit als FFVK keine blutige Angelegenheit ist, da alle Fleischwaren bereits fertig zerlegt im Markt ankommen.

Solche Zusatzinformationen in sogenannten „Wusstest du schon?“-Boxen durchziehen das gesamte Recruiting Game.

ffvk 02
Quelle: Cyquest

Anschließend werden weitere Aufgaben präsentiert, die jeden Morgen zu erledigen sind. Dazu zählt z.B. das Bestücken der Fleischtheke gemäß des Thekenbelegungsplans (vgl. linker Teil von folgender Abbildung). Die Nutzenden lernen überdies, dass im Alltag auch Kreativität gefragt ist, da sowohl Fleisch- und Wurstwaren als auch diverse Salate ansprechend angerichtet und zubereitet werden müssen.

Die Nutzenden stellen fest, dass sie Raum für Kreativität haben und alles kombiniert werden kann, was die Kundschaft ansprechen könnte (vgl. rechter Teil von folgender Abbildung).

Edeka Check 03
Quelle: Cyquest

In einer weiteren Aufgabe erfahren die Nutzenden, dass es nicht nur um die handwerkliche Auseinandersetzung mit den Produkten geht, sondern auch um Kommunikation und Interaktion im Rahmen der Kundenberatung.

Wie dem mittleren Teil der folgenden Abbildung zu entnehmen ist, wird von den Nutzenden erwartet, dass sie den gezeigten Kundentypen passende Reaktionen zuordnen oder Fingerspitzengefühl beim Beratungsgespräch zeigen können.

Wie der rechte Teil der Abbildung zeigt, wird den Nutzenden klar gemacht, dass auch Hintergrundwissen erwartet wird, da man als Fachexpertin bzw. -experte wahrgenommen wird und dies in Kundengesprächen gezielt einsetzen kann.

Edeka Einstiegs-Check
Quelle: Cyquest

Nach jeder Aufgabe erhalten die Nutzenden eine Rückmeldung mit einem kurzen Erklärungstext. Die Nutzenden sammeln über alle Aufgaben hinweg Punkte, die schließlich summiert und als Gesamt-Feedback ausgegeben werden.

Auf der Abschlussseite befinden sich darüber hinaus noch Links, hinter denen sich weitere Informationen zum Berufsbild verbergen oder die den Nutzenden direkt eine Bewerbung ermöglichen.

Edeka Einstiegs-Check 2
Quelle: Cyquest

Wie wirksam sind Recruiting Games? Interessante Studienergebnisse

Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Lars Jansen von der Hamburger Fern-Hochschule (HFH) wurde im Zeitraum zwischen 31.01. und 01.07.24 eine quantitative Erhebung zur Wirksamkeit von Recruiting Games, konkret anhand der EDEKA Einstiegs-Checks durchgeführt. Hierbei wurden Nutzende der Recruiting Games am Ende der Spiele, also nach Durchlauf, gebeten an der anonymen Befragung teilzunehmen.

Bei den in die Betrachtung eingeflossenen Fragebögen handelt es sich also um „reale Nutzer“, d.h. Personen, die die Recruiting Games zu Zwecken ihrer beruflichen Orientierung genutzt haben.

Forschungsfragen

Es standen folgende Forschungsfragen im Raum:

  1. Unterstützen Recruiting Games bei der Berufswahl?
  2. Werden Recruiting Games von potenziellen Bewerbenden akzeptiert?
  3. Verbessern Recruiting Games die Bewertung der Arbeitgebermarke?
  4. Sind diese Ergebnisse unabhängig von Alter, Geschlecht und Videospielerfahrung und -nutzung ?

Der Fragebogen umfasste insg. 21 Items, wobei sich 14 auf die Beurteilung der Recruiting Games bezogen und sieben der Erfassung demografischer Variablen dienten.

Die Ergebnisse wurden am 5. September 2024 auf dem (Aus)bildungskongress „Game-based Learning und Serious Gaming für eine starke Demokratie – Chancen und Grenzen“ der Bundeswehr in Hamburg sowie am 18. September 2024 auf dem 53sten DGPs-Kongress in Wien vorgestellt. Ferner wurde hierzu eine Publikation für die Schriftenreihe der AG-BFN des BIBB eingereicht.

Zentrale Ergebnisse der Recruiting Games Studie

Die zentralen Befunde sind nachfolgend kurz zusammengefasst:

82% der Befragten stimmten im Anschluss an die Nutzung eines Recruiting Games der Aussage, sich besser über das jeweilige Berufsbild informiert zu fühlen, mindestens tendenziell zu. 22% stimmten der Aussage sogar vollkommen zu.

Infografik Berufsorientierung
Quelle: Cyquest

74,6% der Befragten bewerteten das Recruiting Game insg. mit der Schulnote „Sehr gut“ oder „Gut“. Nur 2,5% vergaben ein „Mangelhaft“ oder „Ungenügend“. 86% stimmten der Aussage, bei der Bearbeitung des Recruiting Games Spaß empfunden zu haben, mindestens tendenziell zu. 42,9% stimmten dieser Aussage sogar vollkommen zu.

Akzeptanz Recruiting Game
Quelle: Cyquest
Spaß Recruiting Game
Quelle: Cyquest

Bei 78,2% der Befragten hat die Nutzung des Recruiting Game das Arbeitgeberimage von EDEKA mindestens tendenziell positiv beeinflusst. Bei 53,4% der Befragten sogar sehr stark oder stark.

Infografik Arbeitgebermarke
Quelle: Cyquest

Das heißt:

  • Recruiting Games wirken positiv auf die Berufsorientierung,
  • Recruiting Games sind hochakzeptiert,
  • Recruiting Games wirken positiv auf das Arbeitgeberimage.

Weitere Erkenntnisse

Bei den gefundenen Effekten zeigte sich kein Zusammenhang zum Alter oder Geschlecht der Nutzenden, auch war es egal, ob die Personen sich als erfahren im Umgang mit Computer- und Videospielen einschätzten. Lediglich zwischen dem Umfang der täglichen Bildschirmzeit und der Bewertung des Recruiting Games zeigte sich positiver, wenngleich sehr schwacher Zusammenhang.

Auswirkung Recruitainment auf die Arbeitgebermarke - Gamification im Recruiting
Quelle: Cyquest
Geschlechterspezifika Recruitainment
Quelle: Cyquest

Die positive Bewertung der Recruiting Games beschränkt sich also nicht auf spezielle Zielgruppen.

Fazit zur Studie Recruiting Games

Insgesamt zeigte die Studie sehr hohe Zustimmungswerte für den Einsatz von Recruiting Games und konnte zudem belegen, dass diese nicht primär der Unterhaltung dienen, sondern konkret auf kommunikative Ziele der Arbeitgeberkommunikation einzahlen.

Allerdings muss bzgl. der Befunde einschränkend festgehalten werden, dass sich diese konkret auf die der Befragung zugrundeliegenden Recruiting Games von EDEKA beziehen. Insbesonder der in diesen sehr stark herausgearbeitete Anforderungs- und Tätigkeitbezug der zu bearbeitenden Spielinhalte scheint hierbei sehr gut zu funktionieren.

Es kann dabei zwar als plausibel angenommen werden, dass sich die Befunde auch auf „in ihrer Machart ähnliche“ Berufsorientierungsspiele übertragen lassen, diese Wirksamkeits-Generalisierung ist aber auf Spiele, die sich in Darreichungsform und Umfang (deutlicher) unterscheiden nicht unbedingt zulässig.

Die ermunternden Forschungsresultate der HFH sollten mithin nicht als abschließend, sondern als Auftakt für weitere Untersuchungen verstanden werden.

Joachim Diercks

Joachim Diercks von Cyquest als Gastautor auf PERSOBLOGGER.DEJoachim Diercks ist CYQUEST Gründer und Geschäftsführer. CYQUEST ist spezialisiert auf die unternehmens- und hochschulspezifische Erstellung von Lösungen aus den Bereichen Eignungsdiagnostik (Online-Assessment) sowie Berufs- und Studienorientierung. Diercks ist Gastdozent an verschiedenen Hochschulen (u.a. HS Fresenius, Uni Innsbruck, TH Brandenburg), Herausgeber des Buchs „Recrutainment“, Autor zahlreicher Fachartikel zu verschiedenen E-Recruiting- und Employer Branding Themen sowie regelmäßiger Referent bei HR-Fachkongressen. Mit dem Recrutainment Blog zeichnet er für einen der meistgelesenen deutschsprachigen HR-Blogs verantwortlich.

>> Mehr über Joachim Diercks und CYQUEST

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