Es besteht schon lange kein Zweifel mehr daran, dass der Fachkräftemangel in Deutschland ein relevantes Thema ist. Doch was bedeutet das für die Zukunft des Recruitings? Und wie entwickelt sich dieses in einer zunehmend globalisierten und schnelllebigen Welt? Patrick Lerner wirft einen Blick darauf, wie sich die Recruiting-Methoden im Laufe der Jahre entwickelt haben und wohin der Trend der Zukunft geht.
Papier war gestern
Die Zeiten von Stellenanzeigen in Magazinen, Jobmessen und gedruckten Bewerbungsunterlagen gehörender Vergangenheit an. Heute kaum vorstellbar, wurden damals Bewerbungen in der Regel noch entweder per Post verschickt oder persönlich auf Papier eingereicht. Standen früher noch persönliche Vorstellungsgespräche und manuelle Screenings im Vordergrund, geht der Trend heute eindeutig in Richtung digitalisierter Recruitingprozesse. Social Recruiting ist ein passendes Stichwort, das derzeit die Diskussionen in der Personalbeschaffung beeinflusst.
Wie der Begriff es schon vermuten lässt, geht es hierbei um die Anwerbung potenzieller Mitarbeitende durch digitale Medien sowie Online-Jobbörsen oder Social Media. Aber nicht nur die Bezugsquelle der Stellenausschreibungen hat sich geändert, auch die Art und Weise, wie der restliche Bewerbungsprozess abläuft, hat sich verschoben.
Da manuelle Aufgaben wie das Verfassen von Job-Anzeigen oder das Versenden von E-Mails Recruiter:innen durchschnittlich 11 Stunden pro Woche an Zeit kostet, geht der Shift hier mehr hin zu digitalisierten Screenings. Ressourcen wie Zeit, Personal und folglich auch Geld können so gespart oder effizienter eingesetzt werden.
Ganz konkret zeigt sich die Digitalisierung der Prozesse beispielsweise in automatisierten Screening-Algorithmen, die Bewerber:innen vorab selektieren oder Bewerbungsgesprächen, die ausschließlich per Video stattfinden. Laut einer Studie können KI-gestützte Screening-Tools die Zeit für das Überprüfen von Lebensläufen um bis zu 75% reduzieren.
180 Grad Wende des Recruitings
Hinzu kommt, dass Bewerber:innen heutzutage weniger aktiv auf Arbeitgeber zugehen, sondern vielmehr umgekehrt – Arbeitgeber bemühen sich gezielt darum, potenzielle Mitarbeitende anzusprechen. Dieser Ansatz wird auch als Active Sourcing bezeichnet. Bedingt wird dies unter anderem auch durch den Fachkräftemangel – rekrutierende Unternehmen stehen in einer größeren Konkurrenz um Nachwuchstalente und müssen dadurch auch ihre Prozesse kompetitiver gestalten.
Inzwischen geht es also nicht nur darum, was eine Bewerberin oder ein Bewerber „zu bieten” hat, sondern auch, was das Unternehmen versprechen kann. Hier versuchen sich Unternehmen teilweise durch immer mehr Benefits gegenseitig zu übertrumpfen. Das Jobrad ist inzwischen ebenso Standard wie der Gym-Pass.
Skill-based Hiring
Neben dem Active Sourcing kann auch das Skill-Based Hiring eine mögliche Antwort auf den Fachkräftemangel sein. Wie der Name es schon vermuten lässt, bedeutet das: weg vom klassischen Lebenslauf und mehr hin zu den Kompetenzen der Mitarbeitenden. Rund 80% der rekrutierenden Unternehmen wenden diesen Ansatz bereits an. Automatisierte Bewertungstools oder spezielle Skill-Matching-Algorithmen können hierbei im Recruiting Prozess unterstützen.
Beobachtet man diese Entwicklungen und Trends, so zeichnet sich deutlich ab, dass Recruiter:innen in der Zukunft noch mehr hin zu digitalen und KI-gesteuerten Tools steuern werden.
Einzug von Technik ins Recruiting
Virtuelle Karrieremessen, KI-basierte Matching-Algorithmen und Predictive Analytics sind hier die relevanten Begriffe. Active Sourcing bleibt nicht nur weiterhin relevant, sondern wird auch zunehmend an Bedeutung gewinnen. Hinzu kommt, dass in Zukunft potenzielle Bewerber:innen aktiv über Social Media Recruiting angesprochen werden, selbst wenn sie nicht aktiv nach Jobs suchen.
Dieses sogenannte E-Recruiting findet nicht nur auf Plattformen wie LinkedIn statt, sondern auch auf Instagram, TikTok, X und Co. Durch gezieltes Targeting können rekrutierende Unternehmen ihre Anzeigen bestimmten demografischen Gruppen, Standorten oder Interessen entsprechend ausrichten, um die gewünschte Zielgruppe so noch deutlich spezifischer als bei generischen Jobanzeigen erreichen.
Indem sie Mitarbeitergeschichten, Einblicke in die Unternehmenskultur, Veranstaltungen und Projekte teilen, erhalten die potenziellen Bewerber einen direkten Einblick in das Arbeitsumfeld und die Werte des Unternehmens. Es ist davon auszugehen, dass externe Personalberatungen in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. Ihr Tätigkeitsfeld wird sich vor allem im Bereich der Fachkräfte verstärken.
Data Analytics und Predictive Analytics werden zukünftig helfen, den Recruiting-Erfolg zu messen und vorauszusagen. Um Metriken wie Reichweite, Engagement-Rate, Klicks auf Stellenanzeigen und Konversionsrate kommen dabei zunehmend zum Einsatz. Auch wenn viele Menschen KI im Allgemeinen mit Besorgnis betrachten, bietet sie zumindest für den Einstellungsprozess die Möglichkeit einer diskriminierungsfreien Rekrutierung. In der Tat ist Ethik ein zentrales und unverzichtbares Thema in der Arbeitswelt.
Das Menschliche nicht verlieren
Auch wenn Bewerber:innen durch Social Media einen besseren Einblick in die Arbeitswelt der Unternehmen erhalten können, ist es in einer Welt, die zunehmend von Digitalisierung und automatisierten Prozessen im Recruiting geprägt ist, zunehmend wichtig, den Menschen hinter der Bewerbung nicht aus den Augen zu verlieren und einen persönlichen Austausch zu ermöglichen.
Während digitale Plattformen und KI-gesteuerte Auswahlverfahren zweifellos effizient sind, können sie die menschliche Dimension des Recruiting-Prozesses vernachlässigen. Die Fähigkeit, subtile Nuancen in der Kommunikation wie Tonfall, Körpersprache und emotionale Signale zu erfassen, können in rein digitalen Kommunikationsformen fehlen. Eine Evaluierung des Mindsets ist auch nur bedingt möglich.
Job Dating Events
Eine Möglichkeit, den Menschen hinter dem CV wieder in den Vordergrund zu stellen, ist das sogenannte Job-Dating. Hierbei handelt es sich nicht um ein romantisches Treffen, sondern vielmehr um ein gründliches Kennenlernen auf beruflicher Ebene. Durch Job-Dating-Veranstaltungen in Präsenz erhalten Bewerber:innen die Möglichkeit, sich persönlich mit potenziellen Arbeitgebern auszutauschen, ihre Fähigkeiten zu präsentieren und die Unternehmenskultur kennenzulernen.
Job-Dating schafft eine Atmosphäre des persönlichen Engagements und der Authentizität, die in der zunehmend digitalisierten Recruiting-Landschaft oft fehlt. Es ist ein Weg, um die Menschlichkeit im Recruiting-Prozess zu bewahren und gleichzeitig effektive Kandidaten zu identifizieren, die zur Unternehmenskultur passen.
Es bleibt spannend, wie es den rekrutierenden Unternehmen gelingen wird, diesen schmalen Grat zwischen digitalisierter Effizienz und menschlichem Engagement zu halten.