„Veränderung ist das, was die Leute am meisten fürchten“ hat der Schriftsteller Fjodor Dostojewski geschrieben. Und doch lebt Erfolg davon, dass Menschen ihre Komfortzone verlassen, das Scheitern riskieren und sich Herausforderungen stellen, an denen sie wachsen. Das gilt nirgends derart stark wie beim Aufbau von Führungskräften. Baha Meier-Arian begleitet deren Entwicklungsprozesse mit gezielten Business-, Charakter- und Mindset-Coachings. Das sind ihre Tipps.
Selbst die Größten scheitern – und lernen daraus!
Schnelle Entscheidungen und die Anpassung an neue Herausforderungen sind heute zentrale Voraussetzungen für den unternehmerischen Erfolg. Wie die Praxis zeigt, können sich selbst Gründer:innen eine goldene Nase verdienen, wenn sie auf eine Veränderung der Lebenswirklichkeit mit der passenden Lösung reagieren oder in eine neue Nische vorpreschen und diese für sich erobern. Wer Neuland betritt, geht damit aber ein Risiko ein. Selbst die tollsten Ideen können scheitern und in vielen Fällen tragen Führungskräfte nicht die Schuld dafür. Sogar die Erfolgreichsten haben mit herben Rückschlägen zu kämpfen.
Bevor Bill Gates zum Kopf von Microsoft wurde, gründete er eine Firma mit dem Namen „Traf-o-Data„. Das Statistikunternehmen ist heute den wenigsten Menschen noch ein Begriff. Der Firma selbst war kein Erfolg beschieden. Und doch dürften die unternehmerischen Erfahrungen, die Gates über diese Phase machte, enorm nützlich für die Gründung des späteren Firmen-Imperiums gewesen sein.
Wie Sie die Dostojewski-Falle vermeiden
Furcht vor Veränderung ist der denkbar schlechteste Ratgeber für persönliche Entwicklung. Wer persönlich oder wirtschaftlich wachsen will, darf sich von Rückschlägen auf dem Weg nicht entmutigen lassen. Der Clou: In vielen Fällen bieten Fehler sogar die bessere Voraussetzung für persönliche Lernprozesse. Sobald starke Emotionen und wirtschaftliche Verluste eintreten, fällt es den Menschen allerdings enorm schwer, diese Situation als einen Gewinn zu betrachten.
Die meisten setzen auf Verdrängung oder ziehen sich auf altbewährte Bereiche zurück. Wenn Sie innovative Lösungen wollen und persönlich wachsen möchten, ist dieser Rückzug eine Bewegung in die falsche Richtung. Ein anderer Umgang mit Verunsicherungen, Risiken und Scheitern ist notwendig. Aber wie kann das Coaching diesen fördern? Wie schaffen Führungskräfte die Balance zwischen Sicherheit und Innovation? Wie schaffen Führungskräfte günstige Voraussetzungen für persönliches Wachstum? Die innere Einstellung beim Umgang mit der täglichen Unsicherheit spielt eine entscheidende Rolle.
Sie wollen nicht allein einen kurzfristigen Erfolg erzielen, sondern streben nachhaltige Entwicklungsprozesse an? Es gibt einige Konzepte aus der Psychologie, die Ihnen helfen können, Entwicklungschancen und Entwicklungshürden in Veränderungsprozessen zu begreifen. Diese Grundkonzepte liegen unzähligen Studien zu Grunde und sind auf der wissenschaftlichen Ebene bedeutsam. Vor allem lässt sich mit Hilfe dieser Begriffe das richtige Mindset für ein persönliches Wachstum aufbauen.
Deshalb verwende ich die Konzepte seit Jahren in meinen Coachings. Das erste Konzept ist das vom Verlassen der persönlichen „Komfortzone„. Es wurde von Judith M. Bardwick entwickelt und in ihrem 1995 erschienenen Buch „Danger in the Comfort Zone“ vorgestellt. Seither ist es derart beliebt, dass sich ein sprichwörtliches Schlagwort daraus entwickelt hat, das auch im Leistungssport verwendet wird.
Der Schritt aus der persönlichen Komfortzone
Die Komfortzone beschreibt jenen Bereich des Lebens, in dem der Mensch nach gewohnten Routinen handeln kann, ohne dass er ein Scheitern befürchten muss. Dadurch ergibt sich ein angstfreier Raum. Wer diese gewohnten Routinen verlässt, muss mit Herausforderungen rechnen, an denen der Einzelne scheitern kann. Wie von Dostojewski formuliert, vermeiden die meisten Menschen das. Scheitern möchte schließlich niemand. Das Problem: nur Herausforderungen, die den Menschen fordern, erlauben einen wirklichen Wachstumsprozess. Wer Erfolg haben möchte, darf sich nicht von der Angst vor Verunsicherung leiten lassen. Er oder sie muss vielmehr lernen, die Unsicherheit zu lieben. Sie bietet Probiersteine für persönliches Wachstum.
In der Praxis gelingt der Schritt aus der persönlichen Komfortzone erst, wenn ein Perspektivwechsel vollzogen wurde: Wer wachsen möchte, muss begreifen, dass nicht die ersten Leistungsergebnisse zählen, sondern der Lernprozess entscheidend ist. Dieser Prozess bildet den Schlüssel dafür, dass die Leistung qualitativ auf ein neues Niveau gehoben wird oder sich innovative Lösungen ergeben.
Falls Sie einen solchen Perspektivwechsel erreichen möchten, kommt es nicht nur darauf an, sich vereinzelt aus der Komfortzone herauszuwagen. Eine grundlegend andere Haltung zu Veränderungsprozessen, ein neues Mindset, ist gefragt.
Growth Mindset als Grundbedingung für Wachstumsprozesse
An dieser Stelle kommt ein zweites Schlüsselkonzept ins Spiel, das von der amerikanischen Psychologin Carol Dweck entwickelt wurde. In ihrem 2010 auf Deutsch erschienenen wissenschaftlichen Bestseller „Selbstbild – Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt“ ist es ausführlich nachzulesen. Dwecks Buch bewahrt Menschen vor der eingangs erwähnten „Dostojewski-Falle„. Es macht zwar verständlich, weshalb die meisten Leute Veränderungen scheuen. Auf der anderen Seite führt es eine Vielzahl von Gründen auf, weshalb wir diese nicht fürchten müssen. Der Schlüssel dazu liegt im Mindset. Ein Mindset umschreibt die Einstellung eines Menschen, die im Alltag und in Veränderungsprozessen zum Ausdruck kommt und seine Denkweise bestimmt. Dweck unterscheidet das „fixed mindset“ vom „Growth Mindset„.
Menschen mit einem „fixed mindset“ gehen von festen Eigenschaften aus und sind auf den Erfolg in Situationen konzentriert. Studien zeigen, dass eine solche Denkweise die Angst vor dem Scheitern fördert und bei Misserfolgen schnell einen Rückzug bewirkt. Das „Growth Mindset“ bildet die gegenteilige Geisteshaltung ab. Menschen mit dieser Haltung gehen nicht von festen Eigenschaften aus, sondern von Lernprozessen, in denen sie ihre Fähigkeiten ausbauen. In Unsicherheiten und Herausforderungen sehen sie nicht in erster Linie ein Risiko, sondern eine Chance für einen Entwicklungsprozess.
Eine solche Geisteshaltung ist die richtige Voraussetzung für langfristige Wachstumsprozesse. Sie gestattet den Menschen einen anderen Umgang mit Misserfolgen: Anders als beim „fixed mindset“ werden diese nicht als Mangel an Talent ausgelegt oder als persönliche Herabstellung empfunden. Sie können als Chance für einen Lernprozess genutzt werden, der einen positiven Blick in die Zukunft erlaubt.
Vorbild sein und Mitarbeitende zur Entwicklung ermutigen
An der Stelle kommt ein weiterer Faktor ins Spiel. Führungskräfte mit einem „Growth Mindset“ profitieren nicht nur selbst von ihrer mentalen Stärke. Ihr zuversichtlicher Blick auf das Gelingen von Veränderung und das Wachsen an Herausforderungen strahlt auf das Umfeld aus. Sie wirken als Vorbilder für die Beschäftigten. Ihr Blick auf Wachstumsprozesse statt auf einzelne Fehlschläge wirkt wie eine vertrauensbildende Maßnahme.
Schaffen Sie auf der Führungsebene das passende Umfeld und ängstliche Menschen werden ihre Furcht vor der Veränderung abstreifen. Dadurch ergeben sich zwei handfeste Praxisvorteile. Erstens bildet sich eine neue Offenheit für Veränderung. Sie sorgt dafür, dass innovative Ideen intern schneller vorgeschlagen werden und Change Management in kritischen Situationen von einer breiten Beteiligung getragen wird.
Fehlerkultur und offener Umgang mit Verletzlichkeit stärken den Menschen
Zweitens können Führungskräfte eine positive Fehlerkultur und einen offenen Umgang mit der eigenen Verletzlichkeit fördern. Sobald es auf das Wachstum eines gemeinsamen Projekts ankommt und die passende Atmosphäre entsteht, können Menschen Schwächen sowie Fehler eingestehen und sich in einem neuen Maß auch persönlich auf die Veränderung einlassen. Sie üben sich darin, sich Herausforderungen zu stellen und üben einen neuen Umgang mit Unsicherheit.
Warum ist ein solcher Umgang für Unternehmen wichtig?
Studien zeigen, dass offener Umgang mit Verletzlichkeit und authentisches Auftreten die Resilienz stärkt. Der Begriff Resilienz bedeutet, dass die Menschen darüber eine mentale Stärke erzielen, die ihnen eine höhere Widerstandsfähigkeit im Umgang mit Stress ermöglicht. Die amerikanische Beraterin Brené Brown hat ein viel beachtetes Buch darüber geschrieben, wie das gelingen kann. Der Titel des 2013 auf Deutsch erschienenen Bandes bietet modernen Führungskräften einen entscheidenden Hinweis, der als Credo verstanden werden darf. Er lautet: „Verletzlichkeit macht stark„.