In den letzten Jahren hat sich die Arbeitskultur nicht zuletzt durch die Coronapandemie spürbar verändert. Dezentrale Teams und Remote-Work sind zur neuen Normalität geworden, während eine verpflichtende Rückkehr zur Präsenzarbeit gleichzeitig kontrovers diskutiert wird. Um Inklusion zu fördern, sollten Arbeitgeber Individualität und Flexibilität ermöglichen, meint Donald Knight.
DE&I-Strategien & RTO-Policies
Vor wenigen Jahren bedeutete die durch COVID erzwungene Umstellung auf Remote-Work für viele Unternehmen und ihre Mitarbeitenden eine große Herausforderung. Doch inzwischen haben sich viele nicht nur gut mit der neuen Flexibilität in der Arbeitsplatzwahl arrangiert, sondern möchten überhaupt nicht mehr ins Büro zurückkehren – zumindest nicht an fünf Tagen pro Woche für acht Stunden.
Laut einer EZB-Studie wünschen sich etwa 30% der Beschäftigten die Möglichkeit, häufiger im Homeoffice zu arbeiten. Zudem ergab der 2023 veröffentlichte Candidate Experience Report des Einstellungssoftware-Anbieters Greenhouse, dass 53% der Befragten sogar ernsthaft einen Jobwechsel erwägen, wenn ihre Arbeitgeber keine flexible Remote-Arbeit anbieten.
Büropflicht als Kündigungsgrund
Nichtsdestotrotz implementieren viele Unternehmen aktuell sogenannte Return-to-Office (RTO) Regelungen, durch die ihre Mitarbeitenden zumindest größtenteils wieder für zwei, drei oder sogar fünf Tage im Büro arbeiten sollen. Beispielsweise müssen Mitarbeitende der Deutschen Bank nun wieder drei und Managing Directors sogar vier Tage im Büro präsent sein, während der Softwarekonzern SAP seine RTO-Policy ab April einführen will.
Abgesehen davon, dass sich die meisten Arbeitnehmer:innen in der Regel keine Präsenzpflicht wünschen und manche darin sogar einen Kündigungsgrund sehen, sollten Unternehmen ihre strikten Richtlinien auch unter einem anderen Gesichtspunkt überdenken: Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion.
So belegt der oben erwähnte Candidate Experience Report, dass sich die Erwartungen von Beschäftigten seit der Pandemie verändert haben und flexible Arbeitszeiten inzwischen als wichtiger Faktor zur Unterstützung von DE&I vorausgesetzt werden.
DE&I-Strategien in Unternehmen
Gleichstellung ist zu einem wichtigen Bestandteil der Strategie und Arbeitgebermarke vieler Unternehmen geworden. Durch DE&I-Konzepte (Diversity, Equity and Inclusion) verpflichten sie sich den Werten der Vielfalt, Gleichheit und Inklusion. Arbeitgeber profitieren davon durch eine Vergrößerung ihres Talentpools und eine stärkere Bindung der bestehenden Mitarbeitenden an das Unternehmen. Umgekehrt bietet die Arbeit von zu Hause Mitarbeitenden mehr Flexibilität in ihrer persönlichen Lebensgestaltung und fördert Inklusion dadurch aktiv.
Dennoch ist es wichtig zu bedenken, dass die Vor- und Nachteile personenabhängig sind und es daher nicht ein Modell gibt, das für alle Mitarbeitenden passend ist. Deshalb sollte eine ganzheitliche DE&I-Strategie vor allem eines bieten: Wahlmöglichkeiten. Flexibilität ist hier der Schlüssel.
Flexible Arbeitsplatzwahl fördert auch Inklusion von Frauen
Das Beispiel der Elternschaft zeigt, wie individuell sich verschiedene Arbeitsbedingungen auf Mitarbeitende auswirken. Frauen verbringen laut Angaben des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend jeden Tag durchschnittlich 52,4% mehr Zeit mit Care-Arbeit, zu der auch die Kinderbetreuung gehört.
Um ein inklusives Umfeld für Frauen zu schaffen und Modelle jenseits der klassischen Rollenverteilung zu ermöglichen, sollten Unternehmen Eltern Flexibilität in der Wahl von Arbeitszeiten und -orten anbieten. So kann ein selbstbestimmtes Zeitmanagement im Homeoffice Eltern dabei unterstützen, familiäre Verpflichtungen aufzuteilen und ihre beruflichen Aufgaben besser mit der Kindererziehung zu vereinbaren. Demgegenüber würde eine Präsenzpflicht im Büro die traditionelle Aufgabenteilung begünstigen und die Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt einschränken.
Allerdings bringt ausschließliches Arbeiten im Homeoffice auch Herausforderungen mit sich. Wenn beispielsweise Kinder von einer Drittperson zu Hause betreut werden sollen, kann ein externer Arbeitsort Eltern entlasten.
Individuelle Lebensumstände erfordern individuelle Modelle
Nicht nur Eltern profitieren von mehr Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsplatzes und einer individuellen Zeitgestaltung. Für Menschen, die Angehörige pflegen oder selbst von körperlichen Einschränkungen und chronischen Erkrankungen betroffen sind, ist das Arbeiten von zu Hause aus häufig die einzige Möglichkeit, vollständig am Arbeitsleben teilzuhaben. Hier können sie unkompliziert auf Hilfsmittel und Medikamente zugreifen, ihren Arbeitstag mit notwendigen Pausen für Behandlungen gestalten und zudem auf einen anstrengenden Arbeitsweg verzichten.
Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass die Arbeit im Homeoffice nicht für alle eine Erleichterung darstellt. Stattdessen gibt es auch Mitarbeitende, die es präferieren, außerhalb des Hauses zu arbeiten und ein gut ausgestattetes Büro als Teil einer inklusiven Arbeitskultur ansehen. Zudem gilt es als gesundheitlich förderlich, Wohn- und Arbeitsumgebungen zu trennen. Und nicht zuletzt kann gemeinsames Arbeiten in Präsenz die Kreativität und das Teamgefühl stärken, weshalb viele Mitarbeitende gerne zwischen Homeoffice und Büro wechseln.
Homeoffice verbessert Produktivität & Work-Life-Balance
Laut einer Umfrage der TU Darmstadt unter Wissensarbeitenden punktet das Homeoffice sowohl mit Blick auf die Produktivität als auch auf die Zufriedenheit von Arbeitnehmer:innen. Demnach steigt die Quantität der von zu Hause aus erledigten Aufgaben, während die Qualität der Ergebnisse gleichzeitig von 62% der Befragten als höher eingeschätzt wird. Laut den Verantwortlichen der Studie hat sich dieser Wert im Vergleich zur ersten Erhebung im Jahr 2021 deutlich erhöht, weil Arbeitnehmende die für sie ideale Arbeitsumgebung inzwischen flexibler wählen können.
Darüber hinaus scheint die Arbeit im Homeoffice die Zufriedenheit von Arbeitnehmer:innen zu verbessern und die Burnout-Gefahr zu senken. So gaben 81% an, mit ihrer Remote-Arbeit zufrieden zu sein, während dies nur für 57% der im Büro Arbeitenden galt. Primär dafür verantwortlich scheint die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu sein, die durch ein Arbeiten im Homeoffice möglich wird – für eine Mehrheit von 72% stellte dies den Hauptgrund für ihren Wunsch nach Remote-Work dar.
Strikte Richtlinien gefährden DE&I
Diese individuellen Bedürfnisse zeigen: Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsplatzes ist ein wichtiger Bestandteil einer inklusiven Unternehmenskultur. Arbeitgeber, die wettbewerbsfähig bleiben wollen, sollten aktiv daran arbeiten, die unterschiedlichen Lebensstile ihrer Mitarbeiter anzuerkennen und in ihrer DE&I-Strategie zu berücksichtigen. Somit liegt die Lösung weder in einer Präsenzpflicht noch in einer 100%igen Remote-Work-Praxis.
Stattdessen funktioniert die Förderung von Diversität am besten über individuelle Modelle. Arbeitsorte und -zeiten sollten möglichst auf die Lebensstile und -situationen der Mitarbeitenden zugeschnitten sein und gleichzeitig im Einklang mit der Unternehmenskultur stehen. Personalverantwortliche können dies praktisch umsetzen, indem sie ein offenes Ohr für die Lebensumstände der Mitarbeitenden haben und sich für ein Arbeitsumfeld einsetzen, in dem ihre Anliegen Raum haben.