In der Welt der romantischen Beziehungen kommt es oft vor, dass eine Seite von einer Trennung weniger überrascht, ist als die andere. Ähnlich verhält es sich im Berufsleben, insbesondere wenn es um das heikle Thema Abmahnungen geht. Ein Unternehmen mit einem hohen Reifegrad in Führung und Personalmanagement sollte darauf hinarbeiten, dass eine Kündigung nie eine Überraschung darstellt – das ist der Standard für gute Praxis, meinen Jan Hauke Holste und Pascal Croset.
Radikale Offenheit – Die Basis für Klarheit
Radikale Offenheit, oder „Radical Candor“, ist ein Konzept, das von Kim Scott entwickelt wurde, um eine Kultur der direkten, respektvollen Kommunikation zu fördern. Es fordert Führungskräfte auf, sich um persönliche Beziehungen zu ihren Mitarbeitenden zu bemühen und gleichzeitig direkt und ehrlich in ihrem Feedback zu sein. Dieser Ansatz schafft ein Umfeld, in dem Mitarbeitende genau wissen, wo sie stehen, und was sie verbessern müssen. Bei richtigem Einsatz führt „Radical Candor“ dazu, dass Abmahnungen nicht als unerwartete Schläge empfunden werden, sondern als logische Schritte in einem transparenten und fairen Prozess.
Abmahnungen als Teil der Personalentwicklung
Abmahnungen sollten nicht als reines Disziplinarinstrument verstanden werden, sondern als Chance zur Entwicklung. Die Abmahnung stammt aus dem arbeitsrechtlichen Werkzeugkasten der Führung. Jeder Arbeitnehmende weiß, dass in dem Wort „Abmahnung“ das Wort „Kündigung“ mitschwingt.
Entscheidend ist, kommunikativ dafür zu sorgen, dass eben auch der Aspekt der Personalentwicklung mitschwingt: Abmahnungen bieten die Möglichkeit, Verhalten oder Leistungen zu korrigieren und in die richtigen Bahnen zu lenken. Sie durchbrechen als starker und deutlicher Kommunikationsimpuls auch die oftmals sehr anders (Selbstbild vs. Fremdbild) wahrgenommene Leistungsbeurteilung. Dabei ergibt sich die Stärke dieses Kommunikationsimpulses gerade auch daraus, dass die Abmahnung eben dem arbeitsrechtlichen Werkzeugkasten entspringt und intensive, unangenehme Konnotationen mit sich bringt.
Eine gut geführte Abmahnung kann einem Mitarbeitenden helfen, sein volles Potenzial zu erreichen, indem sie konstruktives Feedback und Klarheit bietet. Zielzustand ist an dieser Stelle, dass der Personaler dafür Sorge trägt, dass die ausgesprochene Abmahnung stets zwei Zielrichtungen parallel verfolgt: Sowohl wirksame Maßnahme des Arbeitsrechts als auch der Personalentwicklung. Die Abmahnung muss also gleichzeitig sowohl den Weg zur effektiven Fortführung des Arbeitsverhältnisses ebnen als auch zu dessen potenzieller Beendigung.
Der scheinbare Widerspruch der beiden Zielrichtungen verleiht dabei der Abmahnung ihre besondere Stärke. Denn dadurch, dass die Abmahnung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Alternative deutlich aufzeigt, kontrastiert sich auch die Alternative, nämlich die fruchtbare Fortsetzung.
Der Reifegrad von Personalmanagement
In einem reifen Personalmanagement-Prozess sind Abmahnungen eingebettet in eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung und des Lernens. Sie sind weder Tabu noch alltäglich, sondern ein wohlüberlegter Eskalationsschritt innerhalb der Klaviatur der Führung. Solche Unternehmen nutzen auch Tools wie 360-Grad-Feedback, Mitarbeiterumfragen und regelmäßige One-on-Ones, um den Puls des Unternehmens zu fühlen und Probleme frühzeitig zu erkennen. Mitarbeitende werden als Teil eines Teams begriffen, das ganzheitlich auf die Ziele des Unternehmens hin ausgerichtet wird anstatt sich als Familie zu bezeichnen. So erfüllt die Abmahnung von schlechter Leistung oder Verhalten eine wichtige systemische Komponente.
Eine unter Beachtung aller arbeitsrechtlich vorgegebenen Förmlichkeiten ausgesprochene Abmahnung führt stets auch eine gewisse Förmlichkeit in die Beziehung ein. Sie hebt hervor, dass für beide Seiten sehr konkrete Spielregeln gelten, welche bei Nichtbeachtung auch mit unangenehmen Konsequenzen verbunden sein können.
Entscheidend ist, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden erstens hierauf ausdrücklich hinweist und zweitens sich die Option offenhält, später diese Konsequenz auch praktisch wirksam umzusetzen. Eine ohne vorangegangene, wirksame Abmahnung ausgesprochene verhaltensbedingte Kündigung wäre unwirksam, das Wissen auch Arbeitnehmende.
Kommunikation und Dokumentation
Eine effektive Kommunikation ist entscheidend, um sicherzustellen, dass Abmahnungen fair und verständlich sind. Der Prozess muss dokumentiert werden, um Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten. Dies beinhaltet, dass sowohl die Gründe für die Abmahnung als auch die erwarteten Verhaltensänderungen klar formuliert werden. Diese Erwägungen spiegelt auch das Arbeitsrecht wider: Das Bundesarbeitsgericht verlangt in ständiger Rechtsprechung, dass die Abmahnung insofern eine sogenannte Dokumentationsfunktion erfüllt.
Dies bedeutet, dass die Abmahnung einen ganz konkreten, zeitlich und örtlich individualisierbaren Vorwurf enthalten muss. Allgemein gehaltene Vorwürfe sind das klassische Merkmal einer unwirksamen Abmahnung. Zudem muss die Abmahnung aus arbeitsrechtlicher Sicht auch die sogenannte Hinweisfunktion erfüllen: Dem Arbeitnehmenden muss unmissverständlich vor Augen geführt werden, gegen welche konkrete Pflicht aus seinem Arbeitsvertrag verstoßen wurde und insbesondere worin genau der Pflichtverstoß besteht.
Aufzeigen rechtmäßiges Alternativverhalten
Optimalerweise wird dem Arbeitnehmenden auch ergänzend klar gesagt, wie er sich richtig verhalten hätte (sogenanntes rechtmäßiges Alternativverhalten). Sich muss die Abmahnung auch der Warnfunktion genügen: Der Arbeitnehmende muss mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden, welche konkrete Konsequenz für den Fall einer Wiederholung des Verstoßes droht. Als Konsequenz steht hier ein breites Spektrum zur Verfügung, welches von konkreten Maßnahmen (Z.B. Widerruf Homeoffice, Entzug des Dienstwagens) über die ordentliche Kündigung bis hin zur fristlosen Kündigung reicht.
Sowohl unter Gesichtspunkten der Personalentwicklung als auch unter Gesichtspunkten des Arbeitsverhältnisses muss die Abmahnung stets klar definieren, worin genau der Vertragsverstoß liegt und welche konkreten Konsequenzen im Falle der Wiederholung drohen. So hat es der Arbeitnehmende in der Hand, selbst zu steuern welchen Weg er geht: Den Weg der Entwicklung oder den Weg der Trennung.
Fazit
Abmahnungen sind ein notwendiger, wenn auch unerfreulicher Teil des Personalmanagements. Doch wie in jeder starken Beziehung, ob im Privaten oder im Berufsleben, sollte keine schlechte Nachricht eine vollständige Überraschung sein. Ein Unternehmen, das in seine Führungs- und Personalprozesse investiert, schafft eine Umgebung, in der jeder Schritt, auch eine Abmahnung, Teil eines klaren, fairen und konstruktiven Dialogs ist.
Die beste Praxis ist es, eine Unternehmenskultur zu etablieren, in der offene Kommunikation und kontinuierliche Entwicklung die Norm sind und nicht die Ausnahme. Insbesondere für die Mitarbeitenden, die bleiben, sollte es zu einer Trennung kommen, ist es wichtig, dass diese fair und transparent verlaufen ist. Dafür erfüllt die Abmahnung eine wichtige Signalwirkung.
So wie in einer Partnerschaft Vertrauen und Verständnis die Grundpfeiler sind, sollten sie es auch in einem Unternehmen sein, das nach Exzellenz in der Mitarbeiterführung strebt.