Warum die eigene Führungskraft kein guter Coach ist

Warum die eigene Führungskraft nicht der beste Coach ist

Coaching ist in. Das Coaching von den eigenen Führungskräften durchführen zu lassen ist „inner“. An vermeintlich guten Gründen mangelt es nicht, sei es, dass Personen selbst erstmalig in eine Rolle mit mehr Verantwortung kommen, dass die Leistungen von Mitarbeitenden nicht angemessen steigen oder diese sogar abnehmen. Warum aber die eigene Führungskraft nicht der beste Coach sein kann, zeigt Gastautor Jakob Schulz von ZALVUS.

„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust.“

Der Gedanke, gemeinsam mit dieser Person ein Coaching als Unterstützungsmöglichkeit zu identifizieren ist zunächst gut. Warum also nicht gleich die Führungskraft als Teilzeitcoach einspannen. Das spart Zeit und Geld. Immerhin kennt die Führungskraft ja bereits den Kontext und genießt bis zu einem gewissen Maße das Vertrauen der Mitarbeitenden.

Womöglich hat die Führungskraft sogar eine entsprechende Coaching-Ausbildung genossen. Aber selbst wenn dies nicht der Fall ist, gilt: Coaching ist kein geschützter Begriff, folglich darf sich prinzipiell jede Person „Coach“ schimpfen ohne dass dem widersprochen werden kann.

Warum es schon an den Rahmenbedingungen scheitern kann

Viele Coaching-Verbände haben Rahmenbedingungen und Prinzipien manifestiert, die für ein gutes Coaching-Setting gelten sollten, dies sind unter anderem:

  • Die Freiwilligkeit der Teilnahme durch den Coachee (und in diesem Fall auch der Führungskraft in ihrer anderen Rolle als Coach) sowie die Möglichkeit, jederzeit den Coaching-Prozess zu verlassen
  • Es werden konkrete Coaching-Ziele definiert
  • Es besteht absolute Vertraulichkeit
  • Coaching ist anlassbezogen und zeitlich begrenzt

Die coachende Führungskraft ist allerdings zwangsläufig ein „Diener zweier Herren“. Zum einen ist sie per Arbeitsvertrag dem Unternehmen verpflichtet. Zum anderen geht mit der expliziten Rolle als Coach auch eine Verantwortung gegenüber dem Coachee einher. Diese Verantwortung geht auch über die Zeit des Coachings hinaus und wird insbesondere dann relevant, wenn im Coaching kontextbedingt auch private oder gesundheitliche Themen aufkamen oder wenn es um die die regelmäßige Mitarbeiterbewertung geht.

Für Coachees ist es immer mit extremer Unsicherheit verbunden, inwiefern die besprochenen Inhalte, Unsicherheiten und Probleme auch außerhalb des Coachings von der Führungskraft und von Dritten kommuniziert oder gar missbraucht werden. Gleichzeitig gestaltet sich die Rollen-Trennung im Arbeitsalltag für die Führungskraft als schwierig. Inwiefern kann/darf/soll eine Führungskraft die im Coachinggespräch erhaltenen Einblicke in die Gedankenwelt der Mitarbeitenden auch außerhalb dieses Settings adressieren und damit partiell die Coach-Rolle wahrnehmen?

Für die Mitarbeitenden ist bereits dann keine Freiwilligkeit gegeben, wenn das Coaching unternehmensseitig „verordnet“ wurde und nicht einmal die Wahlmöglichkeit zwischen einem externen Coach oder einer coachenden Führungskraft besteht.

Insbesondere wenn die eigene Führungskraft coacht, ist es schwer vorstellbar, dass im Laufe des Coachings ein Abbruch erfolgt, der letztlich den Misserfolg der Maßnahme darstellt. Coach und Coachee müssen befürchten, danach unternehmensintern in einem schlechten Licht dazustehen und der Coaching-Anlass (das „Problem“) wäre schlimmstenfalls nach wie vor existent.

Wessen Ziele macht sich der Diener zweier Herren zu eigen?

Coaching-Ziele werden typischerweise zu Beginn des Coachings erarbeitet, wobei es den Coachees obliegt zu entscheiden, welche Ziele gut und angemessen sind. In unserem Setting resultieren die Ziele aus dem Coaching-Anlass und werden implizit von Seiten des Unternehmens definiert.

Für die Führungskraft beginnt der Spagat, potenziell auseinanderliegende Interessen und Ziele in Einklang zu bringen. Auf der einen Seite die Interessen des Arbeitgebers auf der anderen Seite die oft noch zu ergründenden Ziele der Coachees/Mitarbeitenden. Da die Führungskraft mit dem arbeitsbezogenen Kontext grundsätzlich vertraut ist, wird es für sie zunehmend schwerer, eine neutrale und unvoreingenommene Perspektive einzunehmen und dem Coachee weitere Handlungs- und Entscheidungswege zu ermöglichen. Für ein gutes und erfolgreiches Coaching ist diese Neutralität jedoch unerlässlich. Nur so können Coachees aus sich selbst heraus entscheidungsfähig werden.

Daran scheitert übrigens meist auch der küchenpsychologisch gut gemeinte Rat unter Freunden. Die Voreingenommenheit der Führungskraft und das Verfolgen ihrer eigenen Ziele und Zielvorgaben führen letztlich nur zu der Erreichung von Zielen, die nicht aus den (Selbst-)Erkenntnissen der Coachees resultieren und diese kaum in ihrer Selbstwirksamkeit bestärken können. Das Erreichen dieser Ziele ist womöglich dem Unternehmen dienlich, hilft jedoch nicht nachhaltig den Coachees.

Was wenn Coachees keinen guten Draht zur Führungskraft haben?

Der Spruch „People don´t quit jobs, they quit bosses.” kommt nicht von ungefähr, sondern stammt von Simon Sinek. Er adressiert dabei ein Thema, das auch in Deutschland wohlbekannt ist, und doch totgeschwiegen wird: Die innere Kündigung vieler Mitarbeitender als Umstand, der meist (auch) auf schlechter Führung basiert. Die Zahlen des Gallup Engagement Index 2020 zeigen seit Beginn der Corona-Pandemie einen weiteren Anstieg auf den Höchststand von 5,7 Millionen Mitarbeitenden auf, die innerlich gekündigt haben. Sie fühlen sich dem Arbeitgeber, respektive der Führungskraft nicht mehr verbunden.

Wie absurd wird es dann, wenn diese Führungskräfte die eigenen Mitarbeitenden coachen sollen?

Stellen wir uns einmal vor, dass eine Mitarbeiterin, der es ähnlich geht wie den 5,7 Millionen Menschen, privat entscheidet, ein Coaching in Anspruch zu nehmen. Nach einigen Sitzungen reift die Entscheidung, sich vom Arbeitgeber (und der Führungskraft) zu trennen, weil sich das Arbeitsumfeld immer weiter verschlechtert hat und sich auch negativ auf das Privatleben ausgewirkt hat.

Können wir annehmen, dass ein Coaching durch die Führungskraft zu einem ähnlichen Ergebnis geführt hätte?

Plakativ gesprochen müsste eine coachende Führungskraft die Bereitschaft mitbringen, die Coachees uneingeschränkt zu unterstützen. Wenn also aus dem Coaching die Erkenntnis erwächst, dass beispielsweise ein Abteilungswechsel oder sogar ein Ausscheiden aus dem Betrieb (für den Coachee) zielführend ist, dann bedarf es auch in dieser Richtung der Unterstützung und die notwendige Distanz.

Es muss ja nicht gleich Coaching sein

Wenngleich die eigene Führungskraft besser nicht die Rolle als Coach einnehmen sollte, spricht nichts dagegen, sich alltagstaugliche Coaching-Methoden anzueignen und eine entsprechende Haltung zu verinnerlichen. Nicht mit dem Ziel, tagein tagaus aus dem Stegreif coachen zu können. Sondern um sich stärker einer Banalität wie dem konzentrierten und wertschätzenden Zuhören zu widmen.

Wenn ich als Führungskraft (nicht als Coach) an meiner Empathie arbeite und bereit bin, auch mal Fragen zu stellen, deren Antworten mir nicht gefallen werden, dann ermögliche ich es mir, meine Teammitglieder besser zu verstehen. Und für mich zu reflektieren, welchen Beitrag ich leisten kann und möchte, um den Arbeitskontext für die betroffenen Personen nachhaltig zu verbessern.

>> Lesen Sie auch den Artikel von Elton Schwerzel zum „Overcoaching“

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Jakob Schulz

Jakob Schulz von Zalvus - Gastautor auf PERSOBLOGGER.DE

 

Jakob Schulz ist Corporate Consultant HR bei ZALVUS. Das Unternehmen unterstützt Arbeitgeber bei der Besetzung von schwierigen Positionen mittels Performance-Marketing-Methoden.

Bereits in seiner Zeit als Jugendgruppenleiter machte er sich mit verschiedenen Coaching-Instrumenten vertraut, absolvierte 2015 in Wien die Ausbildung zum Integrationscoach. Im Sinne des lebenslangen Lernens schloss der vierfache Vater 2021 seinen Master an der TU Braunschweig im Studiengang „Organisation, Governance und Bildung“ ab. In Zusammenarbeit mit BEST RECRUITERS forschte er im Rahmen der Masterarbeit zur Recruiting-Qualität niedersächsischer Unternehmen während der Corona-Pandemie.

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