Aufgrund der Kontaktbeschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie arbeiten viele Beschäftigte im Homeoffice. Auf Distanz sind die Herausforderungen für Führungsverantwortliche, um eine psychische Belastung in ihren Teams zu erkennen, nochmals höher als in krisenfreien Zeiten. Wie es dennoch gelingt, stark belastete oder bereits erkrankte Beschäftigte zu erkennen und das Beobachtete richtig anzusprechen, verrät der Psychologe Daniel Fodor in diesem Artikel.
Mentale Mehrbelastung früh erkennen – Handlungsempfehlung
Die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz ist immer noch ein mit zahlreichen Tabus belegtes Themenfeld. Jedoch ist die Auseinandersetzung damit für jede Führungskraft unerlässlich. Denn Führung bedeutet auch, sich um die Entwicklung seiner Belegschaft zu kümmern. Nur gesunde Teams sind im Stande innovative Ideen zu entwickeln und produktiv zu sein.
Doch gerade Führungskräften im mittleren Management wird oftmals das Knowhow, psychische Belastung sowie erkrankte Beschäftigte zu erkennen und Unterstützung einzuleiten, nicht vermittelt. Die Herausforderung für Vorgesetzte ist daher immens und die Berührungsängste groß:
Wie erkenne ich psychische Belastung frühzeitig? Wie reagiere ich umsichtig und was kann ich konkret unternehmen?
Ich empfehle in diesen drei Schritten vorzugehen:
- Hinsehen
- Ansprechen
- Hilfe organisieren
Schritt 1: Hinsehen
Verabreden Sie sich regelmäßig mit jedem Teammitglied zu einem arbeitsbezogenen 1:1 Video-Call. Achten Sie dabei auf eine ungestörte Gesprächssituation. Versuchen Sie im Gespräch gezielt auf folgende Veränderungen des Beschäftigten zu achten:
- Reagiert die Person auf Sie und andere mit Klagen, Resignation oder Rückzug?
- Ist die Kommunikation deutlich sarkastischer, aggressiver oder destruktiver als Sie es sonst von der Person kennen?
- Wirkt sie häufiger müde als sonst?
- Stellen Sie eine veränderte Stimmlage fest (unsichere Stimme oftmals ein Zeichen für Überforderung, Unentschlossenheit)?
- Beobachten Sie einen deutlichen Stimmungsabfall bei der Person, zum Beispiel mehr Gereiztheit statt Ausgeglichenheit?
- Ist die Videokamera häufig ausgeschaltet?
- Unterlaufen der Person mehr Fehler als sonst, wirkt sie unkonzentriert, abwesend?
Fallen Ihnen diese Warnsignale über einen längeren Zeitraum auf und sehen Sie hier negative Veränderungen, können das Anzeichen für eine starke psychische Belastung sein.
Schritt 2: Ansprechen
Sollten Sie solche Auffälligkeiten beobachtet haben, sollten Sie diese möglichen Warnzeichen bald ansprechen. Das ist auch für Geübte immer wieder ein Drahtseilakt. Deshalb: Ignorieren Sie Ihr Gefühl nicht, trauen Sie sich, Ihre Beobachtungen mit der betroffenen Person zu teilen.
Das Gute ist, Sie können während des Gesprächs in Ihrer Rolle als Führungskraft bleiben. Ungeübte Führungskräfte lassen sich oftmals dazu verleiten, diese Position zu verlassen. Achten Sie darauf, dass Ihnen das nicht passiert. Das heißt konkret: fallen Sie während des Gesprächs weder in die Rolle der besten Freundin oder des besten Freundes, noch in die der Therapeutin oder des Therapeuten.
Beachten Sie in der Gesprächsführung folgendes:
- Sprechen Sie nur über konkretes Verhalten und konkrete Wahrnehmungen.
- Hören Sie aufmerksam zu und versuchen Sie das Gehörte in eigenen Worten zusammenzufassen.
- Versuchen Sie zu verstehen, zum Beispiel durch das Stellen von einfachen, offenen und nicht-wertenden Fragen.
- Es kann auch entlasten, wenn Sie von vornherein zu erkennen geben: „Dieses Gespräch führe ich gerade mit allen Beschäftigten, nicht nur mit Ihnen.“
Es empfiehlt sich dagegen nicht:
- Interpretationen, Verallgemeinerungen und Beurteilungen.
- Gut gemeinte “Hobby-Diagnosen”, medizinische oder psychologische Erklärungen.
- Annahmen über Ursachen oder Erklärungen von Problemen oder Beschwerden.
- Drängen zu einem Gespräch über persönliche Anliegen.
- Und: Geben Sie nicht sofort Ratschläge!
Schritt 3: Hilfe organisieren
Öffnet sich das Team-Mitglied und es bestätigt sich, dass eine erhöhte psychische Belastung gegeben ist, können Sie folgendes tun:
- Fragen Sie, wie Sie unterstützen können.
- Wenn die Person Hilfe annehmen möchte, können Sie gemeinsam konkrete Schritte abstimmen, wie beispielsweise einen Termin bei einer internen oder externen Beratungsstelle.
- Es kann sein, dass die angesprochene Person keine Hilfe annehmen möchte oder andere Vorschläge hat. Vereinbaren Sie einen Zeitraum, in dem das Team-Mitglied die eigenen und die vorgeschlagenen Unterstützungsleistungen überdenken kann.
- Bei komplexeren Sachverhalten kann betriebliche fachliche Unterstützung einbezogen werden, zum Beispiel die Personalabteilung, betriebsärztlicher Dienst, Sozialberatung oder ein Mitarbeiterunterstützungsprogramm (EAP).
Achten Sie als Führungskraft auch auf sich selbst
Einfaches Nachfragen und eine gute Beobachtung helfen also, eine psychische Belastung in Ihren Teams frühzeitig zu erkennen. Jedoch dürfen Führungskräfte sich selbst nicht ausnehmen. Fragen Sie sich daher: Wie steht es um meine eigene Arbeitsintensität? Ist diese noch im zumutbaren Bereich oder bin ich – Hand aufs Herz – selbst seit Wochen überlastet? Was beruhigt mich und verschafft mir Zuversicht? Hinterfragen Sie auch die eigene Erwartungshaltung: Was muss ich unbedingt noch heute machen, was kann vertagt werden?
Gesunde Führung beginnt immer bei der eigenen Person. Deshalb ist es wichtig, die Selbstwahrnehmung immer wieder auf die Probe zu stellen. Vergessen Sie nicht: Sich selbst gesund zu führen, bedeutet, tägliche Belastungen zu erkennen und geeignete Wege für den Umgang damit zu finden, sowohl im privaten als auch im Arbeitskontext.
Schließlich müssen Sie für sich selbst sorgen und sind ebenso Teil der Belegschaft wie Ihr Team.