Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz erhalten durch die Corona-Krise eine nie dagewesene Bedeutung. Mit dem langsamen Re-Boarding der Unternehmen und dem Rückkehren der Beschäftigten in die Büros und Betriebsstätten, werden eine Reihe von Themen akut. Bei deren Beachtung geht es nicht nur um die Arbeitsfähigkeit im „neuen Normal“ als vielmehr um die langfristige Sicherung der Arbeitsplätze. Gastautor Klaus Depner, Manager Health & Human Safety bei Randstad Deutschland, hat einen Leitfaden dafür entwickelt.
Die neue Normalität nach und mit Corona
Auch wenn das derzeit noch schwer vorstellbar scheint, er wird kommen: der neue Arbeitsalltag mit Corona. Diese neue „normale” Arbeitsrealität wird für eine lange Zeit von der Frage bestimmt werden, wie wir den gesundheitlichen Schutz der Arbeitenden sichern und eine neue Infektionswelle verhindern. Viele Unternehmen stehen nach dem Lockdown unter erheblichem wirtschaftlichen Zugzwang. Eine erneute Schließung aufgrund einer Ausbreitung des Virus stellt für sie eine unmittelbare existenzielle Bedrohung dar. Der erfolgreiche Gesundheitsschutz wird damit zur grundlegenden Voraussetzung für den erfolgreichen wirtschaftlichen Wiederanlauf und die weitere wirtschaftliche Entwicklung in der neuen Normalität mit Corona.
Gesundheitsschutz muss langfristig gesichert werden
Auf lange Sicht werden physische Distanz und andere strenge Regularien unseren Arbeitsalltag begleiten. Wie wir in dieser neuen Normalität produktiv arbeiten, hängt davon ab, welche Arbeitskonzepte und Sicherheitslösungen wir etablieren, um die Gesundheit und Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten. Die Corona-Krise lehrt uns auf nachhaltige Art und Weise, wie weitreichend die richtigen Maßnahmen sind, die Unternehmen ergreifen, um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen zu schützen. Die Randstad-CIVEY-Umfrage, die am Beginn der Pandemie durchgeführt wurde, veranschaulicht die große Bedeutung, die Arbeitnehmer der langfristigen Perspektive beim Gesundheitsschutz beimessen. Für sie steht die nachhaltige Sicherung der Gesundheit am Arbeitsplatz auf Platz drei der wichtigsten Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen.
Sicherung der Arbeitsplätze im Fokus
Überall stehen Unternehmen vor der großen Herausforderung, Arbeitsplätze dauerhaft sicher zu machen und damit die Voraussetzung für ein positives und produktives Arbeiten zu schaffen. Die Corona-Situation verlangt von Unternehmen und Beschäftigten ein Umdenken und Neudenken von bestehenden und bisher bewährten Prozessen, Arbeits- und Verhaltensweisen. Neue Anforderungen kommen hinzu, mit denen vorher keiner gerechnet hat.
Wie gestaltet man beispielsweise Abstandsregelungen in Fertigungsprozessen, in Kantinen und Büros? Oder wie kann Homeoffice schnell eingeführt werden, ohne die Mitarbeiter zu überfordern, betriebliche Abläufe zu stören und dabei gleichzeitig den Gesundheitsschutz sicherzustellen?
Das Arbeiten in der neuen Normalität umfasst drei zentrale Bereiche: die Mobilität im Büro, die Interaktion mit Mitarbeitern und die Kommunikation zwischen Führung und Belegschaft.
Die Kernbereiche der Infektionsvorsorge: 1. Die Mobilität
Anfahrt, Zugang und Aufenthalt regeln
Unternehmen, die gemeinsam mit ihren Mitarbeitern situationsgerechte Anfahrtsmöglichkeiten definieren, optimieren den Gesundheitsschutz schon außerhalb des eigenen Bürogebäudes. Alleine im eigenen Pkw oder auf dem Fahrrad kommt man ohne zusätzlichen Fremdkontakt ins Büro. Wer auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist, versucht nach Möglichkeit Stoßzeiten zu umgehen. Unternehmen, die Shuttle-Busse einrichten, sollten auf die Minimalbesetzung achten, um den Abstand zwischen den Mitfahrern zu wahren.
Einbahnstraßen und Sperrzonen einrichten
Bereits am Büroeingang sichern Hygiene-Zonen, ausgestattet mit Desinfektionsmöglichkeiten, den Schutz aller Mitarbeiter. Denn regelmäßiges Desinfizieren ist ein Muss. „Kontaktpunkte” am und um den Arbeitsplatz sollten ebenfalls desinfiziert werden. Dazu zählen Türgriffe, Aufzugknöpfe, und andere Oberflächen. Generell sollte die gemeinsame Nutzung von Aufzügen, aber auch von Utensilien wie Kugelschreiber oder Telefone verzichtet werden.
Wo solche Schutzmaßnahmen nicht vollumfänglich eingehalten werden können, helfen Handschuhe. Dort, wo genügend Platz vorhanden ist, können „Routen” beziehungsweise „Einbahnstraßen” für die kontaktlose Fortbewegung von Mitarbeitern im Gebäude markiert werden. „Sperrzonen” markieren Bereiche im Büro, an denen sich Mitarbeiter nicht in Gruppen aufhalten dürfen. Dazu zählen vor allem Bereiche, die nicht ausreichend oder gar keiner Frischluftzufuhr haben. Hier droht die Übertragung des Virus durch Aerosole, also feinste Aerosol-Tröpfchen, die sich an Orten stauen, wo nicht oder nicht ausreichend gelüftet werden kann. Da sie nicht wie größere Tröpfchen auf den Boden sinken, reicht die Abstandsregelung von 1,5 Metern nicht.
Die Kernbereiche der Infektionsvorsorge: 2. Die Interaktion
Arbeitsplätze sicher gestalten
Am Arbeitsplatz muss physische Distanz eingehalten werden. Besonders in Büros, die nicht alleine genutzt werden, empfiehlt es sich, Arbeitsplätze zu separieren und Ein-Raum-Lösungen zu schaffen. Mitarbeitergruppen, die für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs essentiell sind, sollten identifiziert und im Unternehmen möglichst kontaktlos agieren.
Je weniger Menschen gemeinsam an einem Ort sind, desto mehr Platz haben sie, um sicher mit ausreichend Abstand zueinander zu arbeiten. Das gilt besonders für Kantinen und Aufenthaltsräume. Auch hier muss der Platz neu aufgeteilt und der Sicherheitsabstand eingehalten werden. Abstands-Markierungen auf dem Boden sowie Schutzscheiben aus Plexiglas für das Kantinenpersonal schaffen Sicherheit.
Arbeitszeiten sinnvoll einteilen
Für freie Wege zur Arbeitsstätte und reduzierte Kontakte am Arbeitsplatz eignet sich die Arbeit in Schichten. Unterschiedliche Pausenzeiten unterstützen die Maßnahmen. Überall dort, wo keine physische Präsenz am Arbeitsplatz gefordert ist, bieten Homeoffice-Regelungen eine sinnvolle Alternative. Klären Sie Ihre Mitarbeiter mit Webinaren oder anderem Infomaterial über bewährte Vorgehensweisen im Homeoffice und zur Mitarbeiterführung aus der Ferne auf.
Hoffnungsträger Homeoffice? Dauereinsatz birgt Risiken
Arbeitnehmer, die für einen längeren Zeitraum im Homeoffice arbeiten, haben häufig Schwierigkeiten, reguläre Arbeitszeiten und Pausen einzuhalten. Wenn das Arbeitsleben das Privatleben mehr und mehr verdrängt, führt das zu ungesunden Belastungssituationen.
Noch vor ein paar Jahren war der Begriff „Work-Life-Balance“ in aller Munde: Klare Grenzen setzen zwischen Freizeit und Arbeitsleben. Die Arbeit auf feste Zeitfenster beschränken, die Freizeit voll und ganz der Erholung widmen. Aktuell arbeiten mehr Arbeitnehmer als je zuvor von zu Hause aus – und stellen fest, dass dieser Ansatz nicht mehr funktioniert.
Statt „Work-Life-Balance“ herrscht jetzt „Work-Life-Blending“ – die totale Vermischung von Arbeit und Freizeit. Diese Vermischung, die auch vor der Corona-Krise für viele Arbeitnehmer bereits Realität war, muss durch die Arbeitgeber sanft und sozialverträglich gestaltet werden. Unternehmen müssen aufpassen, nicht zu viel von den Mitarbeitern zu verlangen, sondern positive Angebote zur Flexibilität der Arbeit zu machen. Diese müssen auf die Bedürfnisse des jeweiligen Mitarbeiters zugeschnitten sein.
Einen fließenden Übergang von Arbeits- und Privatleben zu schaffen, das muss das Ziel für jeden Mitarbeiter im Homeoffice sein. Schließlich darf der Arbeitsschutz unter der neuen Flexibilität nicht leiden. Pausenzeiten beispielsweise müssen auch bei hoher Flexibilität garantiert sein. Visuelle Gedächtnisstützen, wie zum Beispiel bedruckte Post-its oder Aufstellkarten mit entsprechenden Hinweisen im Sichtbereich des Arbeitsplatzes helfen, an regelmäßige Pausen oder den Feierabend zu erinnern. Arbeitgeber können Mitarbeiter mit passend gestalteten Bildern zum Ausdrucken unterstützen oder zu freien Zeiten automatisierte Memos schreiben.
Die Kernbereiche der Infektionsvorsorge: 3. Die Kommunikation
Kontrollmechanismen etablieren, Notfallpläne entwickeln
Die umfassende Umsetzung der Maßnahmen in allen Abteilungen sollte stichprobenartig überprüft werden. Eine ausgewogene Strategie für den Umgang mit Notfallsituationen muss jedes Unternehmen individuell entwickeln. Anregungen für Kontrollmechanismen und Eindämmungsstrategien bietet beispielsweise die Pyramide des US-amerikanischen National Institute für Occupational Safety and Health (NIOSH). In fünf Stufen unterscheidet sie zwischen Maßnahmen mit geringem Schutz und minimaler wirtschaftlicher Beeinträchtigung bis hin zur Stilllegung des Geschäftsbetriebs mit maximalen wirtschaftlichen Auswirkungen. Kollegen mit Symptomen, die sich freiwillig in Quarantäne begeben, verhindern eine mögliche weitere Ausbreitung des Virus. Sollte im Unternehmen ein Covid-19-Fall auftreten, muss er unverzüglich an zuständige Gesundheitsbehörden gemeldet werden.
Neuregelungen transparent kommunizieren
Verändern sich geltende Regelungen, sollte das regelmäßig an die Mitarbeiter kommuniziert werden. Benennen Sie eine verantwortliche Person, um Mitarbeiter bei der Eingewöhnung an die neue Arbeitswelt zu unterstützen. Sie stattet Personal bei Bedarf mit den nötigen Materialien aus und erinnert sie regelmäßig an wichtige Hygiene- und Schutzmaßnahmen. Um das Personalmanagement oder auch die Arbeit im Team möglichst kontaktfrei zu meistern, aber dennoch einen persönlichen Austausch zu ermöglichen, gewinnen digitale Lösungen wie Video-Chats, Apps und Messenger-Dienste an Relevanz.
Gesundheitsschutz ist eine Alltagsfrage
Ob diese Maßnahmen greifen, hängt von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ab. Unabhängig von Krisenzeiten steht der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter stets an erster Stelle. Dabei müssen nicht nur Unternehmen die richtigen Voraussetzungen schaffen, indem sie wirkungsvolle nachhaltige Maßnahmen im Arbeits- und Gesundheitsschutz einführen. Es liegt auch an den Mitarbeitern, diese Maßnahmen eigenverantwortlich und gewissenhaft umzusetzen.
Um das Bewusstsein der Mitarbeiter für Sicherheit und Gesundheit im Alltag zu schärfen, ist eine zielgruppengerechte und klare Kommunikation wichtig. Dabei helfen analoge Tools wie Infoflyer und Poster mit nützlichen Tipps ebenso, wie die Kommunikation über Apps oder Social Media oder das Intranet. Sich Notfallnummern einzuprägen, Hygienemaßnahmen zu beachten, ausreichend Wasser zu trinken sowie regelmäßig Entlastungs- und Ausgleichsbewegungen auszuüben, oder einfach den Bürostuhl richtig einstellen ist immer sinnvoll.
Mentale Gesundheit: Mitarbeiter-Resilienz als Führungsfrage
Vor der Corona-Krise gaben 40% der weltweiten Erwerbstätigen an, unter gesundheitlichen Problemen durch arbeitsbedingten Stress zu leiden (Randstad Studie Sustainability@Work 2020). In der neuen Arbeitsrealität mit Corona ist davon auszugehen, dass der Druck auf Arbeitnehmer steigen wird. Ein produktives und positives Arbeitsklima zu fördern funktioniert dann erfolgreich, wenn Arbeitgeber ein offenes Ohr und Herz für die Bedenken und Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter haben.
Wenn die Motivation der Mitarbeiter und die Bindung der aktuellen Belegschaft an das Unternehmen wichtiger wird, können gesundheitliche Vorteile entscheidend sein. Arbeitnehmer, die Mitarbeiter in ihrer gesundheitlichen Vorsorge und in ihren sportlichen Aktivitäten fördern, sorgen für eine allgemein bessere Fitness und Gesundheit der Belegschaft. Sport steigert zudem die mentale Ausdauer der Arbeitnehmer. Das Stresslevel sinkt; Auseinandersetzungen unter Kollegen wird so indirekt vorgebeugt. Da, wo sie im Einklang mit den gebotenen Sicherheitsregelungen stehen, fördern gemeinsame sportliche Aktivitäten den Gesundheitsschutz gleich doppelt.
Die wichtigste Voraussetzung für das psychische Wohlbefinden der Mitarbeiter ist jedoch das Arbeitsklima als solches und damit die Führungskultur. Führungskräfte sind in ihrem sozialen Gespür und empathischen Einfühlungsvermögen besonders gefordert, die Stimmung in der Belegschaft zu verstehen und gezielt den Austausch mit Mitarbeitern zu suchen, Hilfestellungen anzubieten. Das „Wir-Gefühl” trumpft die rationale Einsicht, dass der eigene Arbeitsplatz am Unternehmenserfolg hängt.
Vor welchen Herausforderungen Unternehmen künftig stehen
All diese Maßnahmen greifen jedoch nur dann, wenn Sie kontinuierlich prüfen und Maßnahmen neu an die Anforderungen im Unternehmen anpassen. Denn wenn sich grundlegende Veränderungen in der Arbeitswelt und am Arbeitsplatz durchsetzen, verändern sich auch die Herausforderungen, vor denen Arbeitnehmer stehen, und die Anforderungen, die sie an ihren Beruf haben. Vor allem die von der Digitalisierung angetriebene und begünstigte Entwicklung hin zu ortsunabhängigen Arbeitsmodellen, sogenannter „remote work“, hat dazu beigetragen, dass Gesundheit im Beruf keine Frage der stationären Vorsorge und Sicherheit ist. Gerade im Homeoffice gibt es Sicherheits- und Gesundheitschutz-Aspekte zu beachten, die häufig unterschätzt werden.