Radikal Arbeiten und HR

Radikal Arbeiten und HR: ein Zukunftsversuch

Radikal Arbeiten als notwendige neue Arbeitsphilosophie? Gastautor Markus Väth hat seine Wurzel in der New Work Bewegung. Der Begründer der New Work Charta stellt nunmehr das Konzept „Radikales Arbeiten“ daneben. Und auch für HR sieht er weitreichenden Veränderungsbedarf – mit einer kräftigen Prise kompletten Neudenkens der Professionen sowie der Verlagerung einer Vielzahl von Aufgaben in die Linienfunktion. Hier sein radikales Denkangebot.

Radikales Arbeiten – was ist das?

Was bedeutet Radikal Arbeiten?

Das Radikale besteht hier nicht, wie man meinen könnte, in der Revolution, sondern im Gegenteil in der Rückführung des Gegenstands auf seinen Kern, auf seine Essenz. Radikal kommt nicht umsonst vom lat. „radix“ („Wurzel“). In diesem Sinne soll hier versucht. werden, den Gedanken des Radikalen Arbeitens auf HR und die Personalfunktion anzuwenden.

Es ist ein Denkangebot, um Verhältnisse in Frage zu stellen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

HR: Anwalt von Output und Kultur?

Was wäre ein Selbstverständnis von HR im Zeitalter des Radikalen Arbeitens? Wäre es Zuarbeiter, „Business Partner“, ein Menschen-Entwickler? Wenn man die drei Wertschöpfungsformen einer Organisation (Output, Kultur, Bilanz) heranzieht, sollte sich HR als ein Anwalt des Was (Output) und des Wie (Kultur) verstehen. Im Grunde stellt die Bilanz bzw. das was geldtechnisch „hinten rauskommt“, keine eigene Wertschöpfung dar.

Die Bilanz, der Gewinn, der Umsatz ist das zwangsweise Ergebnis einer höchst individuellen Kombination von Was und Wie, von Output und Kultur. Jede Organisation hat ihren eigenen Stempel, ihre eigene Signatur aus Output und Kultur. Adidas und Puma machen beispielsweise beide Sportartikel. Nur unterscheiden sich die beiden Organisationen eben nicht nur in der Produktgestaltung, sondern auch in der Firmenphilosophie, in den Formen der Team-Zusammenarbeit, in der Personalentwicklung etc.

HR wird somit zum Anwalt der firmenspezifischen Kombination aus Output und Kultur. Man könnte das als eine Art Neudefinition des Begriffs Business Partner begreifen, nur klarer und weniger unterwürfig. Denn in der Praxis hatte die Funktion des Business Partners oft etwas Heuchlerisches.

„Business“ und HR begegneten sich zu oft eben nicht auf Augenhöhe, sondern eher als Dienstanweiser und Ausführender.

Einschränkend sei hier gesagt, dass es nur den Anteil von Output anwaltlich vertritt, der mit menschlicher Arbeit zu tun hat: Führung, Zusammenarbeit, inhaltliche und charakterliche Fähigkeiten, Organisationsentwicklung. Entscheidungen über Verpackungsmaterial sind nicht seine Domäne, Entscheidungen über Einstellungsverfahren natürlich schon.

HR Management ohne Management?

Schlägt man ein beliebiges Glossar zum HR Management auf, ähneln sich die Aufgaben, die HR zu seinen alltäglichen Pflichten zählt: Employer Branding, Recruiting, Learning & Development, Performance Management, Change Management, Organisationsentwicklung, Compensation & Benefits sowie Health & Wellbeing.

All diese Aufgaben enthalten bis heute einen starken administrativen Anteil; man denke nur an das Managen von Bewerber-Unterlagen, an die Dokumentation von Mitarbeitergesprächen, an das immer komplexere Thema Zeitarbeitsmodelle und Zeiterfassung und so weiter und so fort.

In einem radikalen Sinne könnte man HR Management in zweierlei Hinsicht von dieser Art Management befreien: durch Übertrag in die Linien einerseits und eine konsequente Digitalisierung inklusive KI-Unterstützung andererseits. Beide Impulse bedingen einander; sie sind nur gemeinsam denk- und umsetzbar. So sollte man einen Teil des HR-Managements komplett in die Linien übertragen, namentlich Recruiting, Vergütung, Performance Management und in Teilen Learning & Development. Abteilungen und Teams sollten selbständig über Einstellungen entscheiden, über Vergütung, über Fähigkeiten und günstige Lernpfade und was Performance in ihrem konkreten Fall eigentlich bedeutet.

Das kann nur gelingen, wenn sich eine Organisation konsequent digitalisiert und die Chancen der Künstlichen Intelligenz nutzt – ohne Scheuklappen, mit genügend Budget und Phantasie. Digitalisierung wird noch zu häufig als Feature verstanden, als zubuchbare Option. Digitalisierung ist aber nicht wie eine Feldpflanze, die neben einer anderen Feldpflanze auf dem Acker wächst. Digitalisierung ist der Acker, auf dem die Abteilungen und Teams der Organisation ihre individuellen Pflanzen ziehen.

Im Endeffekt sollte man HR von den sie niederdrückenden administrativen Ketten befreien, um sie ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen: die kreative und professionelle Begleitung der Menschen, die in der Organisation arbeiten.

HR: Sammelbecken der Professionen?

Man stelle sich ein Krankenhaus vor. Im Stationszimmer wird gerade die Morgenbesprechung abgehalten; es ist ein bunter Professionsmix vornehmlich aus Ärzten, Pflegern und Psychologen. Jeder hat bestimmte Aufgaben, für die er nicht nur verantwortlich, sondern auch ausgebildet ist. Kein Psychologe würde einem Patienten eine Spritze setzen; kein Pfleger eine Herz-OP durchführen, kein Arzt eine psychologische Gruppentherapie.

Anders in einer HR-Abteilung. Dort gibt es mitunter Generalisten, die den ganzen Bauchladen der Aufgaben abdecken. Manchmal ist so etwas aus der Not geboren oder hat sich im Lauf der Jahre eingeschliffen. Der HR-Generalist ist so etwas wie das Ketchup der Personalfunktion: passt irgendwie zu allem, ist geschmacklich aber nicht gerade erste Wahl. Fachliche Tiefe geht hier notgedrungen auf Kosten der Breite.

Daneben gibt es natürlich auch die Spezialisten der weiter oben genannten HR-Management-Funktionen. Hier gewinnt man fachliche Tiefe qua Ausbildung; allerdings steht man hier auch vor unliebsamen Umbrüchen. Für Buchhaltung und Administration suchen manche Unternehmen bereits gezielt einen ausgebildeten Wirtschaftsinformatiker, auch die Ausbildung im Bereich Coaching und Facilitation wird immer besser. Letztlich stehen auch die Spezialisten vor einem Epochenbruch durch den Einfluss der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz.

In der HR braucht es daher nach Meinung des Autors eine radikale Neuausrichtung der Professionen, fußend unter anderem auf der Delegation bestimmter Aufgaben in die Linie und an die Künstliche Intelligenz.

Kern und Zukunft von HR sollten die Ausbildungslinien entlang der Informatik, der Psychologie, der Soziologie und der Organisationstheorie bilden. Diese Ausbildungslinien stützen die beiden eingangs ausgeführten Wertschöpfungsarten Output (im Sinne von menschlichem Wertbeitrag) und Kultur.

Fazit

HR kann in einer digitalisierten, komplexen Arbeitswelt nicht so bleiben, wie es ist. Die Daseinsberechtigung von HR muss lauten: Wahrung und Entwicklung der individuellen Signatur aus Output und Kultur und Unterstützung der organisatorischen Wertschöpfung.

Dafür sollte sich HR auf dreierlei Art verändern: Erstens muss man die Verlagerung von Funktionen an die Linien prüfen. Das gelingt aber – zweitens – nur, wenn man Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in der Organisation konsequent nutzt. Drittens schließlich braucht HR ein neues Profil der Professionen: weniger Administration, mehr Mensch. Weniger Generalist, mehr Spezialist unter Maßgabe der oben genannten Ausbildungslinien.

HR kann eine wichtige Rolle in der Zukunft von Organisationen spielen – wenn es sich selbst dem Gedanken des Radikalen Arbeitens öffnet.

Hinweis: Der Artikel wurde auf Wunsch des Autors nicht gegendert; es wird das generische Maskulinum verwendet.

Markus Väth

Gastautor Markus Väth auf PERSOBLOGGER.DE

 

Markus Väth ist Arbeitspsychologe und Schöpfer des Begriffs „Radikal Arbeiten“.

Er ist mehrfacher Buchautor, CAPITAL-Kolumnist, Co-Host des Podcasts „Der Radikale Salon“ und arbeitet unter anderem als Vortragsredner und Organisationscoach.

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