Artikel auf unserem HR-Portal bewegen. So hat sich die Autorin Anne Schüller durch einen sehr kritischen Beitrag von mir zum Thema „Wie sich HR mit People & Culture selbst aus dem Spiel nimmt“ veranlasst gefühlt, eine Lanze für eine sinnstiften Umbenennung zu brechen. Hier ihre Gegenargumentation.
Fortschritt und Veränderung
Eine Zukunft, in der wir gerne leben, wird von Menschen gemacht, denen eine gute Zukunft am Herzen liegt. Einen maßgeblichen Beitrag erhoffe ich mir dabei von den HR-Bereichen, die sich zunehmend in „People & Culture (P&C)“ umbenennen. Ein solches Umlabeln, das nie nur pro forma erfolgen darf, kann ein entscheidender Auslöser dafür sein, dass sich das gesamte Unternehmen beherzt auf den Weg in die Zukunft macht.
Die komplette Wirtschaft befindet sich in einer fundamentalen Umbruchphase, das ist inzwischen wohl jedem klar. Vor uns liegen „Hochgeschwindigkeitswildwasserzeiten“, die alles bislang Gesehene in den Schatten stellen. Ungewissheiten lauern an jeder Ecke. Präzisionsplanung ist zwecklos. Die Grenzen des technologisch Machbaren werden quasi täglich verschoben. Dies erfordert maximale Adaptionskompetenz.
Das betrifft im Unternehmen natürlich auch den HR-Bereich. Mit dem Voranschreiten des Fortschritts und dem Aufstieg junger, forscher, agiler Unternehmen entstehen gänzlich neue Geschäftsmodelle, neue Organisationsdesigns, neue Berufsbilder und neue Formen der Arbeit. So wird mehr oder weniger die gesamte Personaladministration in naher Zukunft automatisiert und von Künstlichen Intelligenzen gesteuert.
Neben dem demografischen Wandel zeichnet sich in der nachrückenden Generation ein deutlich wahrnehmbarer Wertewandel ab. Das Arbeitsverhältnis soll sinnerfüllend sein, es muss von Anfang an eine Menge Mitgestaltungsoptionen bieten und bei hoher Flexibilität mehr Selbstbestimmung, mehr Freiheit und mehr Auszeiten möglich machen. Der Job soll sich dem Leben anpassen – und nicht, wie früher, umgekehrt.
Neue Arbeitswelten brauchen neues Denken und Handeln
Zudem werden die Arbeitgeber in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt. Dabei geht es um eine Vereinbarkeit von Gewinnstreben, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit, also um die Balance von Profit, People und Planet. Bereits 1994 hat der britische Autor John Elkington den Begriff der „Triple Bottom Line“ geprägt, wonach ein Unternehmen neben der ökonomischen auch eine ökologische und eine soziale Bilanz vorlegen soll.
Nicht nur das Zahlenwerk, auch die moralische Bilanz muss nun stimmen, um zukunftsfähig zu sein. Wer die Lebensqualität der Menschen verbessert, dem Wohl des Planeten dient und die Welt ernsthaft zu einem besseren Ort machen will, den unterstützen ambitionierte Talente gern. Solche Anbieter sind in der Lage, die Besten für sich zu gewinnen und eine hochqualifizierte Gefolgschaft um sich zu scharen.
In einer Stepstone-Studie aus dem Jahr 2023 sagten mehr als drei Viertel der 12.000 Befragten in Deutschland, dass das Thema Nachhaltigkeit für sie einen hohen Stellenwert bei der Arbeitgeberwahl hat. Und nicht nur das. Unter dem Begriff „Climate quitting“ nimmt ein neues Phänomen Fahrt auf: Beschäftigte kündigen ihren Job, weil ihrer Ansicht nach ihr Unternehmen nicht genug für den Klimaschutz tut.
Die Herausforderungen an das Personalwesen der Zukunft
All diese Entwicklungen werden ganz neue Anforderungen an den HR-Bereich stellen. Sie determinieren die Herausforderungen an das Personalwesen der Zukunft, nämlich eine durch und durch agile Unternehmenskultur zu entwickeln, die die Menschen in den Vordergrund rückt und ihren individuellen Bedürfnissen entgegenkommt.
Um dies zu realisieren, muss sich das Selbstverständnis von HR grundlegend wandeln: weg von einer reaktiven Verwaltung, hin zur proaktiven Gestaltung.
Der zum ausklingenden Industriezeitalter gehörende Begriff „Human Resources“ wird in der unternehmerischen Praxis nun zunehmend abgelöst von einem moderneren Konzept namens „People & Culture“. Während HR traditionell auf administrative Aufgaben fokussiert war, legt P&C den Schwerpunkt auf die Potenziale der Menschen.
Was „People & Culture“ glücklicherweise hinter sich lässt
People & Culture verabschiedet sich von der defizitorientierten Haltung, die dem alten HR innewohnte. Die Belegschaft wird nicht länger als „abbaubare“ Ressource gesehen, die man optimieren muss, damit man sie in der Produktion einsetzen kann. Statt der ehemals prozessgebundenen „Abarbeiter“ werden nun mitdenkende Akteure gefördert, die, eingebettet in psychologische Sicherheit, ihre Organisation maßgeblich bereichern.
Dabei geht es nicht nur um ihre bloße Tatkraft, sondern insbesondere auch um ihre kreativen Impulse, die sie interdisziplinär einbringen sollen und dürfen. Der Fokus liegt auch nicht länger auf den potenziellen Verweigerern, die durch „ein Tal der Tränen“ geführt werden müssen, damit Change-Maßnahmen gelingen. Der Fokus liegt vielmehr auf multioptionale Persönlichkeiten, die bereitwillig mit in die Zukunft gehen wollen.
In der Vergangenheit bestand die Aufgabe eines Managers vornehmlich darin, alle Abweichungen einer Normierung zu eliminieren und für eine Gleichschaltung der Mitarbeiter:innen zu sorgen. Andersdenkende haben da nur gestört. Doch Konformismus führt ins Mittelmaß – und dann ins Aus.
Heute ist es somit die wichtigste Aufgabe einer Führungskraft, Vorwärtsdenkern und Übermorgengestaltern ein hohes Maß an Spielraum zu geben, damit das notwendige Neue im Unternehmen entsteht.
Die Umbenennung darf nie nur ein Pro-forma-Akt sein
Das Re-Labeln ist eine hervorragende Chance für die jetzigen HR-Bereiche, einen Schnitt zu machen und sich grundlegend zu transformieren. Eine Umbenennung macht man selbstverständlich nicht einfach so, weil es gerade chic ist. Nur den Namen zu wechseln, ansonsten aber alles beim Alten zu lassen, das ist natürlich Unsinn. Durch reines Pseudo-Handeln würden Glaubwürdigkeit und Vertrauen komplett verspielt.
Eine Umbenennung macht nur dann Sinn, wenn man sich vorher folgende und weitere Fragen stellt – und gute Antworten findet:
- Weshalb sollten wir uns umbenennen – und was sind die Ziele?
- Was bedeutet die Umbenennung für unsere künftige Arbeit?
- Was kommt im Denken und Handeln weg, weil es veraltet ist?
- Was kommt an neuen, zukunftsrelevanten Handlungsfeldern hinzu?
- Wie können wir uns von veraltetem Vorgehen konstruktiv lösen?
- Auf welche Weise bringen wir die neuen Handlungsfelder voran?
- Welchen Nutzen haben Mitarbeitende und Unternehmen davon?
- Woran merken wir, dass wir die anvisierten Ziele erreichen konnten?
So wird die Umpositionierung mit einem neuen Selbstverständnis verbunden, sie entwirft und umschreibt das Zukunftsbild eine neuen, frischen Personalwesens.
People & Culture ist zugleich menschen- und kulturzentriert
P&C verfolgt einen durch und durch mitarbeiterzentrierten, crossfunktional vernetzten, niedrighierarchischen Ansatz. Viele veraltete Tools, die HR aus dem letzten Jahrhundert mitgeschleppt hat, kommen dabei auf den Prüfstand, bspw. überholte organisationale Strukturen, gestrige Jahreszielplanprozesse, falsch aufgesetzte Change-Maßnahmen, verfehlte Anreizprogramme sowie überkommene Kontroll- und Feedbacksysteme.
Dies und noch viel mehr wird durch Vorgehensweisen ersetzt, die auf eine gute Zukunftsbewältigung zielen. So macht P&C das Unternehmen zu einer starken Arbeitgebermarke und begünstigt die Gewinnung von Top-Talenten. Gerade die Integration des Begriffes Kultur ist dabei entscheidend.
Mit jedem einzelnen Rekrutierungserfolg, mit jedem Einsatz einer von HR initiierten Maßnahme und mit jedem Weiterentwicklungsprogramm wirkt HR sowieso auf die Unternehmenskultur ein. „Verantwortlich“ (in Sinne einer Silodenke, die längst überwunden sein sollte) für die Unternehmenskultur ist HR damit natürlich nicht, mitverantwortlich dafür, dass sie gut ist, ist jede und jeder Einzelne im Unternehmen.
Doch letztlich ist das Verhalten der Menschen die Folgeerscheinung eines Systems. Ändert sich das System, dann ändern sich auch die Menschen – und damit ändert sich schließlich die Unternehmenskultur. Und den systemischen Rahmen, etwa in Bezug auf Strukturen, Prozesse und Hierarchien, den gestaltet P&C entscheidend mit.
P&C wird nicht nur digitaler, sondern auch „grüner“
People & Culture wird bei all dem nicht nur digitaler, sondern auch „grüner“. Eine ambitionierte Nachhaltigkeitsstrategie sehe ich insofern in den erweiterten P&C-Bereich integriert. Der Fokus liegt dabei auf dem Wohlergehen der Menschen im kompletten Verantwortungsbereich des Unternehmens, also auch in den Lieferketten. Zu den vielfältigen Aspekten der Unternehmenskultur gehören ja immer auch Ethik und Werte.
Insofern sind Greenwashing-Kampagnen, das Erzeugen von Externalitäten sowie bewusst umwelt- und klimaschädigende Aktivitäten zugunsten der Profitmaximierung inakzeptabel. Hier soll P&C konsequent Stellung beziehen – über die gesetzlichen Regularien weit hinaus. Sämtliche Führungsebenen müssen dazu verpflichtet werden, ein regeneratives Wirtschaften in die Zielvereinbarungen aufzunehmen. Und damit dies nicht nur hehres Wunschdenken bleibt, wird dies explizit in jedes Jobprofil integriert.
Insgesamt wird sich People & Culture – über die derzeitigen Handlungsfelder weit hinaus – intensiv mit der Zukunft des Unternehmens befassen. Aus einer ehemals reaktiven und vornehmlich administrativ geprägten Verwalterfunktion gelangt es in die Rolle des vorausblickenden Gestalters – und kann als Treiber der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens endlich zu einem strategischen Partner der Geschäftsleitung werden.
>> Link zum Ursprungsartikel / Auslöser für diese „Gegenrede“