In Zeiten von Budgetkürzungen senken viele Unternehmen Investitionen in DEIAB (Diversity, Equity, Inclusion, Accessibility & Belonging). Dabei ist guter Rat zu Inklusionsthemen wichtiger denn je, zum Beispiel, um Bewerbungsgespräche inklusiv zu gestalten!
Zu Zeiten des Fachkräftemangels bedeutet das für Unternehmen, dass sie strategisch handeln müssen, um passende Spezialist:innen für die offenen Stellen zu gewinnen. Standardvorgehensweisen reichen nicht mehr. Zudem tun Unternehmen einfach das Richtige, wenn sie alle ansprechen – statt unbewusst nur eine dominante Gruppe. Vielfalt bereichert das Unternehmen und damit das Business, sagt Gastautorin Franziska Hauck und gibt wertvolle Praxistipps.
Warum sollten Manager:innen den Bewerbungsprozess inklusiv gestalten?
Eine Möglichkeit, inklusiver zu werden, ist die Umgestaltung des Bewerbungsprozesses. Hier lernen Bewerbende das Unternehmen und ihre zukünftigen Manager:innen kennen. Der erste Eindruck zählt, und das nicht nur bei Menschen, die später einen Job im Unternehmen antreten. Kandidat:innen, die abgelehnt wurden, sprechen mit anderen über das Unternehmen. Hier ist also viel Einflussmöglichkeit über den Einzelkontakt hinaus vorhanden.
Die gute Nachricht ist: Selbst kleine Schritte haben eine große Wirkung. Für einen inklusiven Prozess braucht es weniger Änderung als man denkt.
Zugehörigkeitsgefühl trumpft Inklusion
Zuallererst ist es wichtig, die eigene Perspektive zu hinterfragen. In Bewerbungsprozessen herrscht ein Machtgefälle. Unternehmen sitzen, auch wenn Fachkräftemangel das stellenweise anders vorgibt, am längeren Hebel. Umso relevanter ist es, in den Interaktionen immer Menschlichkeit und Respekt voranzustellen.
Als Pi-mal-Daumen-Regeln gilt: Ein Gefühl der Zugehörigkeit trumpft Inklusion. Wenn ich mich als Bewerber:innen in allen Phasen gut informiert, abgeholt, respektiert und wertgeschätzt fühle, und meine Bedürfnisse im Zentrum stehen, entscheide ich mich eher für das Unternehmen.
Eine Firma, die stattdessen das Gefühl vermittelt, dass Bedürfnisse ein “Extra” sind, das inkludiert werden muss, hinterlässt einen schlechteren Eindruck.
Was konkret tun, um eine offene Stelle zu besetzen?
Wissen einholen
Nicht alle Manager:innen haben die notwendige Expertise zur Gestaltung eines inklusiven Prozesses. Wie eingangs erwähnt, helfen interne und externe Spezialist:innen. Das kann der / die Inklusionsbeauftrage sein, das Diversity-Team, die Schwerbehindertenvertretung oder eine externe Beratung.
Offen bleiben, Zuhören und Dazulernen gehören in jeden Werkzeugkasten für Management. Bei der inklusiven Gestaltung von Bewerbungsprozessen helfen diese Fähigkeiten insbesondere.
Standardmäßig schlagen Expert:innen eine Revision der bestehenden Stellenanzeigen vor. Die meisten Stellenanzeigen sind auf eine bestimmte dominante Gruppe ausgerichtet. Durch bestimmte Modifikationen lassen sich Ausschreibungen beispielsweise besser auf Frauen und nicht-binäre Menschen zuschneiden.
Dazu kommt, dass viele Unternehmen die Möglichkeit, ihre eigenen Errungenschaften anzupreisen, nicht wirklich nutzen. Oftmals bestehen in Unternehmen schon hilfreiche Prozesse oder Benefits für unterrepräsentierte Gruppen. Von außen ist das allerdings schwer zu erkennen. In der Beschreibung nicht bescheiden – und doch realistisch – zu sein, sendet die richtigen Signale.
Als weiteren Punkt in der Verbesserung des Bewerbungsprozesses werden Expert:innen Anti-Bias-Trainings und Sensibilisierungen für Manager:innen vorschlagen. Auch wenn diese in der Praxis nicht immer so greifen, wie es ideal wäre, legen Sie einen ersten Grundstein für das Bewusstsein von inklusiven Prozessen.
Accommodations / Anpassungen als selbstverständlich ansehen
Fragen Bewerbende nach Anpassungen, sind sie selbstverständlich zu gewähren. Das können beispielsweise Tools sein wie Screenreader, die Kandidat:innen zur Beantwortung von Aufgaben nutzen.
Manche Bewerbende erkundigen sich danach, die Fragen im Vorfeld zu erhalten. Im Gegensatz zur allgemeinen Meinung, dass das Teilen der Fragen einen Vorteil verschaffen würde, helfen die Fragen einfach nur den Kontext zu setzen.
Gerade für Menschen, die schlecht hören oder mehr Kontext im Allgemeinen benötigen, ändert diese Anpassung alles zum Positiven.
Die Einstellung zu sogenannten Accommodations sollte Bewerbenden gegenüber immer offen und neugierig sein. Gerade Menschen mit Behinderungen sind Expert:innen für sich selbst und wissen am besten, was funktioniert.
Gegenseitige Vorstellungsrunde
Zu Beginn des Interviews sollte es immer eine Möglichkeit zur gegenseitigen Vorstellungsrunde geben. So simpel diese Vorgehensweise scheinen mag, bietet sie doch die Bühne für ein gegenseitiges Kennenlernen und die Möglichkeit, notwendige Anpassungen, Wünsche oder Bedürfnisse gleich am Anfang zu teilen.
Hier ist es immens nützlich, die eigenen Pronomen zu teilen. So signalisieren Manager:innen den Bewerbenden gegenüber, dass sie nicht einfach Annahmen treffen. Stattdessen berücksichtigen die Lebensrealität des Gegenübers.
Strukturiertes Interview
Die meisten Bewerbungsgespräche, auch im Jahre 2024, haben keine Struktur. Das ist ein großer Fehler. Wer ohne Struktur interviewt, der vertraut dem sogenannten Bauchgefühl oder besser gesagt der Sympathie für Bewerbende.
Manager:innen kommen also in ein Dilemma, dass sie eher Kandidatinnen einstellen, die ihnen ähnlich sind als solche, die kompetent für den Job sind.
Strukturierte Interviews ändern das zumindest zu einem gewissen Teil Punkt. Sie sind kein Allheilmittel. Aber sie helfen, Bewerbende nicht untereinander oder anhand der Sympathie zu beurteilen, sondern basierend auf einem zuvor festgelegten Standard.
Der Standard kann beispielsweise eine zuvor definierte Jobbeschreibung oder eine Senioritätsleiter sein. Daraus lässt sich ein Fragenkatalog ableiten, der immer wieder eingesetzt werden kann.
Sprache und Etikettierung
Eine der unbewussten Hebel, die Manager:innen haben, ist der Einsatz von Sprache. Inklusive Sprache bedeutet, dass Interviewer:innen zum einen keinerlei Wertung an die Bewerber:innen weitergeben.
Diese Art des Interviews erfordert hohe Disziplin. Denn als Menschen sind wir dazu geneigt, unsere Zustimmung oder Ablehnung zu bestimmten Dingen ausdrücken zu wollen. Das kann in eine positive und in eine negative Richtung gehen. Wenn eine Bewerberin im gesamten Interview hört, dass ihre Expertise so wertvoll sei, könnte sie darauf schließen, dass sie den Job bekommt. Kommt dann allerdings die Absage, ist die Enttäuschung und damit die Erklärungsnot groß.
Zum anderen bedeutet inklusive Sprache, dass sich Interviewer:innen an den Bedürfnissen und der Selbstbeschreibung der Bewerbenden orientieren. Falls die Interviewerin beispielsweise ständig die falschen Pronomen verwendet, überlegen sich Bewerbende natürlich genau, ob das Unternehmen das Richtige für sie ist. Hier sind Manager:innen in der Pflicht.
Gegenseitig shadowen
Bisher ist die gegenseitige Beobachtung in Bewerbungsgesprächen kein Standardinstrumentarium in den meisten Unternehmen. Damit verpassen Firmen viele Chancen, die eigenen Prozesse zu verbessern und Interviewer:innen besser auszubilden.
Egal, ob es sich bei den Interviewer:innen um Manager:innen oder Teammitglieder handelt, profitieren alle von gegenseitigem, ermöglichendem Feedback.
Wer beobachtet wird, muss Rechenschaft leisten. Führung verändert immer, oft zum Negativen. Macht spielt immer eine Rolle. Shadowing kann hier einwirken, um eine eigene Überhöhung zu verhindern und einen Kontrollmechanismus zu etablieren.
Im besten Fall entsteht so eine kontinuierliche, positiv besetzte Lernerfahrung. Und das zahlt wiederum auch in die Arbeit mit Teammitgliedern, die Tag für Tag anfällt, ein.
Fragen und Folgefragen von Bewerbenden
In jedem Interview sollte ein ausreichendes Zeitfenster für die Fragen von Bewerbenden reserviert sein. Das kann stellenweise bedeuten, dass die eigenen Fragen etwas kürzer treten müssen. Aber auch hier gilt: wenn Manager:innen den Bewerbenden signalisieren, dass Ihre Fragen genauso relevant sind wie die eigenen Fragen, zeugt das von hoher Wertschätzung und Respekt.
Alle Fragen sind mit Geduld, Ruhe und ohne Mikroaggressionen zu beantworten. Selbst wenn eine Frage scheinbar nicht sinnvoll erscheint, ist sie trotzdem so zu handhaben.
Können Fragen in der verbleibenden Zeit nicht beantwortet werden oder kommen nach dem Interview noch Fragen auf, so sollte den Bewerbenden signalisiert werden, dass Sie die Fragen im Nachgang noch einreichen können.
Bonus: vor dem Gespräch mit eigenen Vorurteilen auseinandersetzen
Das bewusste Hinterfragen von Vorurteilen hilft paradoxerweise dabei, Vorurteile abzubauen. Das ist für Interviewer:innen ein schmerzhafter, aber nützlicher Prozess.
Fazit
Selbstverständlich gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Dinge, die Verantwortliche im Unternehmen tun können, um Bewerbungsprozesse inklusiv zu gestalten.
Hauptsache ist, dass sie einen Anfang machen. Bewerbende sollen sich willkommen und angenommen fühlen. Das kann in Zeiten von Fachkräftemangel eine der wichtigsten Säulen zur schnellen und effektiven Besetzung von offenen Stellen sein.