Viel zu selten gehören künstlerische Strategien zum Repertoire von Wirtschaftsunternehmen. Dabei erfüllen gerade sie vieles von dem, was modernes Führen und konstruktives, kreatives Miteinander erfordern und öffnen so für Transformation, sagt Ernst Demmel, Gründer cucocu und Organisator des 24butterfly Festivals in Linz.
Kunst im Fokus
Kunst schenkt Wahrnehmungsoptionen. Sie bietet neue, interessante Blickwinkel. Sie lotet Grenzen aus, spielt mit ihnen. Erregt Aufmerksamkeit, polarisiert. Greift voraus, stößt Veränderungen an. Kunst macht sinnlich erfahrbar, emotionalisiert, nährt die Intuition. Kurz: Kunst gibt wertvolle Impulse. Die Auseinandersetzung mit ihr fördert unsere konstruktive Entwicklung als Persönlichkeiten und – wesentlich für Unternehmenskultur – als Gemeinschaften.
Häufig begegnen Kunst und Wirtschaft einander in skeptischer Distanz und Abhängigkeit. Während Künstler:innen gerne freies Denken und moralisches Handeln auf ihrer Seite wähnen, verfügen Manager:innen über beneidenswert viel Einfluss und Mittel, um die Welt tatsächlich zu gestalten. Künstler:innen gelten als zu unkontrollierbar, Wirtschaftstreibende als zu erfolgsorientiert und pragmatisch, um taugliche Partner:innen zu sein.
Sieht man genauer hin, lässt sich kaum eines dieser Stereotype eindeutig zuordnen und am Ende aufrechterhalten. Zwar funktionieren die meisten Bereiche der Wirtschaft zweckrational, gewinnorientiert, auf Wettbewerb, Planungssicherheit und Messbarkeit ausgerichtet. Doch gerade durch ihre Andersartigkeit zeichnet sich die Kunst als taugliche Sparringspartnerin aus.
Neue Felder ante portas
Und längst erodiert auch innerhalb des Kunstbetriebs das Dogma „L’art pour l’art“ („Kunst um der Kunst willen“). Es wird eine neue Durchlässigkeit zu anderen Disziplinen – zur Wissenschaft, zur Politik, zum Gemeinwesen und eben zur Wirtschaft – sichtbar, die unmittelbar von den Kulturschaffenden ausgeht. Im deutschsprachigen Raum sind es – neben zahlreichen einzelnen Akteur:innen – Kollektive wie das Zentrum für politische Schönheit, Rimini Protokoll, die Radikalen Töchter (alle Berlin), die Story Dealer (Heidelberg/Berlin), das Atelier für Sonderaufgaben (St. Gallen) oder Die Fabrikanten (Linz), die mit ihren Interventionen ins Geschehen eingreifen und ihre Fragen anhand von Erfahrungsräumen aufwerfen, die sie mit ästhetischen Mitteln schaffen und inszenieren.
Kunst als soziales Handeln – und nicht als Spiegel der Wahrheit.
Der Prozess als Werk. Es geht um Begegnungen, Empathie, Bewusstsein, Motive.
Die Universität für Angewandte Kunst Wien etwa hat, diesem Handlungsfeld folgend, zuletzt die Studiengänge „Cross-Disciplinary Strategies – Applied Studies in Art, Science, Philosophy and Global Changes“, „Transformation Studies. Art x Science“ und „Social Design – Art as Urban Innovation“ etabliert. Und das gemeinnützige Beratungs- und Forschungsnetzwerk Age of Artists aus Dresden setzt sich aus Künstler:innen, Manager:innen, Psycholog:innen, Designer:innen, Architekt:innen, Ingenieur:innen, Physiker:innen und Entwickler:innen zusammen und transferiert künstlerische Ansätze in andere Disziplinen.
Kreative Impulse für Organisationskulturen
Warum also dieses kritisch-experimentelle Potenzial nicht auch in klassischen Wirtschaftsbetrieben besser nutzen? Viele Unternehmen lechzen geradezu nach Impulsen, die Bewusstsein und Strukturen für die anstehenden Herausforderungen öffnen. Wandel benötigt positive Störfaktoren und Kreativressourcen. Kund:innen, Mitarbeiter:innen und Talente suchen Werte, Erfahrungen, Beziehungen. “Nicht mehr Kunstförderung von Seiten der Wirtschaft, sondern Wirtschaftsförderung von Seiten der Kunst ist die Perspektive”, schrieb Wolfang Ullrich bereits 2003 in seiner Polemik “Tiefer hängen: Über den Umgang mit Kunst”.
Wie können sie nun tatsächlich und konkret von künstlerischen Strategien profitieren? Energie schöpfen im Sinne von Zug- und Schubkraft, Agilität, Ausdauer, Motivation, Kreativität, Resilienz und Ausstrahlung?
Damit setzt sich das 24butterfly Corporate Karisma Festival auseinander, das von 2. bis 4. Mai 2024 im österreichischen Linz über die Bühne gehen wird. Veranstalter sind cucocu.com, das Ministerium für Neugier und Zukunftslust und Die Fabrikanten. Das Festival beleuchtet das erfolgskritische Phänomen „Corporate Culture“ aus unterschiedlichsten Perspektiven, führt Organisationsentwicklung, Leadership und kreative Gestaltung zusammen, um den Weg zu einem ganzheitlichen, interdisziplinären Employee Experience Design zu ebnen.
Klassisches Ingenieursdenken tritt in den Hintergrund
Erfahrungen aus der Auseinandersetzung mit Kunst und eine Annäherung an künstlerisches Denken eröffnen die Chance, in der strategischen Kulturentwicklung gewohnte Pfade, Bezugsrahmen und Handlungsmuster zu verlassen und in offeneren Systemen zu navigieren. Für diese Öffnung muss zunächst das klassische Ingenieursdenken – so sehr man ihm auch verpflichtet sein mag – in den Hintergrund treten.
Denn während zur Optimierung von Produkten oder Dienstleistungen Fähigkeiten vermittelt, Prozesse zerlegt, Materialien analysiert oder Konstruktionen verbessert werden können (und vieles mehr), basiert ein Kulturwandel auf einem weitaus weniger lösungsorientierten Ansatz, ist überwiegend ergebnisoffen. Die fünf (oder 50) Etappen, die geplant durchlaufen werden müssen, um von A nach B zu gelangen, findet man hier defacto nicht. Vielmehr gilt es, die richtigen Fragen zu formulieren und einen kulturellen Rahmen zu schaffen, der Spannung erzeugt, das Bewusstsein stärkt, Kreativität fördert und Freiraum lässt. Innerhalb dieses Rahmens kann dann durch kleine, mutige Einschnitte ins Bestehende („Culture Hacks“) die gelebte Kultur für Transformation gewonnen werden: Altes aufbrechen und Neues zulassen, Dinge in Schwung bringen.
Die Form mag variieren. Etabliert haben sich Strategien aus dem Theater, der Musik und der Bildenden Kunst. So setzt die Drogeriemarktkette DM seit vielen Jahren auf Theaterarbeit in der Lehrlingsausbildung. Neuere Impulse beziehen nun auch Herangehensweisen aus Tanz, Performance Art, Poetry oder Konzeptkunst mit ein. Schöne Beispiele liefern die Universitätsprofessorin für Betriebswirtschaftslehre an der HTW Berlin, Berit Sandberg, und der Künstler Martin Stiefermann, mit ihren Art Hacking-Projekten. Sie beziehen sich unter anderem auf die legendäre Choreografin Pina Bausch, die durch ihre unkonventionelle Arbeit mit dem Tanztheater Wuppertal das Genre revolutionierte.
Interventionen werden nicht bis ins Detail erklärt, sondern sind erlebbar, partizipativ (= Mitarbeiter:innen werden in die Gestaltung einbezogen), interaktiv (= Betrachter:innen können sich spielerisch mit der Intervention auseinandersetzen) und jedenfalls von besonderer Ästhetik. Gearbeitet wird mit Symbolen, Ritualen, Geschichten, Situationen, Materialien, Klängen, Räumen und Körpern.
Nicht alles spricht jeden an, manches provoziert oder lässt unberührt. Das stellt aber kein Problem dar, solange einzelne Erlebnisse ihre Spuren hinterlassen und unseren Blick auf die Welt oder auf uns selbst verändern.
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Das 24butterfly Corporate Karisma Festival 2024
Rund um die Themen Transformation, New Work, Nachhaltigkeit und Werte erwarten das Publikum zahlreiche Vorträge, Bühnengespräche und Workshops – unter anderem mit Reza Razavi (München), Pamela Rath (Wien), Simon Sagmeister (St. Gallen), Belina Raffy (Berlin), Rainer Peraus (Wien), Rosemarie und Bernd Thiedmann (München), Guido Fiolka (Berlin), Frank H. Sauer (Köln) und vielen anderen.
>> Infos und Karten für das 24butterfly Corporate Karisma Festival 2024
Werte-volle Ideen, um Unternehmenskultur zu befruchten
Das 24butterfly Corporate Karisma Festival hat auch bei seiner zweiten Auflage zahlreiche transdisziplinäre Grenzgänger:innen im Linzer Posthof zu Gast – viele wurden bereits erwähnt – mit großteils exklusiv für die Veranstaltung entwickelten künstlerischen Impulsen und Interventionen:
- Thomas Köplin, Thomas Richter und Annalena Maas (Age of Artists, Dresden)
- Berit Sandberg und Martin Stiefermann (Art Hacking, Berlin)
- Stefanos Pavlakis und Hans-Rudi Fischer (Story Dealer, Berlin/Heidelberg)
- Astrid Kirchhoff, Ana-Laura Lemke und Barbara Hunter (Hummingbirds Köln/Düsseldorf/Buchholz)
- Michael Auinger (Inovato, Wien)
- Thomas Zucali und Martin Hochreiter (mkrz, Linz)
- Thomas Duschlbauer (Linz)
- Fabian Faltin (Wien)
- Wolfgang Preisinger (Die Fabrikanten, Linz)
- sowie den Parteigründer und ehemaligen österreichischen Nationalratsabgeordneten Matthias Strolz in der Rolle als Musiker (Strolz&Razelli, Wien).
Teilprojekt des Festivals ist eine partizipative Unternehmenskultur-Ausstellung („karisma:exhib“) in der Tabakfabrik Linz, gestaltet vom Konzeptkünstler und Modedesigner Fred Kobayashi (2069, Wien) und dem Fotografen Wolfgang Lehner (Linz).