Online-Bewerbungsgespräche ziehen Betrüger an

Online-Bewerbungsgespräche: Remote Jobs ziehen Betrüger an

Die Zeiten langer Anreisen zu Bewerbungsgesprächen sind vorbei. Spätestens seit Corona wissen wir, dass Online-Bewerbungsgespräche gerade bei Remote Jobs gute Dienste leisten. Den vielfältigen Vorteilen von digital only stehen aber auch handfeste Risiken gegenüber. Eine grundlegende Betrachtung.

Online-Bewerbungsgespräche sind häufig bei Remote Work

Vor allem durch die Corona-Pandemie hat digitale Zusammenarbeit in Form von Remote Work massiv zugenommen. Recruiting-Verantwortliche haben schnell erkannt, dass Online-Bewerbungsgespräche zwar nicht alle Optionen eines Vor-Ort-Gesprächs aufweisen. Allerdings bieten sie bei professioneller Ausgestaltung dennoch die Möglichkeit, die Passung zwischen Bewerbenden und Job sowie Unternehmen zu prüfen.

Auch der Einsatz von Testverfahren im Bereich Eignungsdiagnostik ist virtuell gleichermaßen möglich. Zumindest generell. Dazu gleich mehr.

Dritt-Support bei Online-Bewerbungsgesprächen

Dort wo seit vielen Jahren bereits Karriereberater:innen Jobsuchende auf Recruitingverfahren und insbesondere Bewerbungsgespräche vorbereiten und trainieren, bieten Online-Bewerbungsgespräche nunmehr neue Möglichkeiten. So ist es zum Beispiel für Bewerbende vergleichsweise einfach geworden, via Lautsprecher Dritte an einem Zweitgerät digital am Vorstellungsgespräch teilnehmen zu lassen.

Und mehr noch: Dort kann sogar während des Gesprächs eine parallele Kommunikation stattfinden: Eine Art Live-Coaching im Bewerbungsgespräch. Dies geht von Botschaften zum korrekten Verhalten, möglicherweise angebrachten Rückfragen bis hin zur Vorgabe ganzer Antworten, die dann auf dem Second Screen von Bewerbenden abzulesen sind.

Die Tatsache, dass aufgrund der meist oben auf dem Laptop-Deckel oder Monitor angebrachten Webcam, der Augenkontakt mit dem virtuellen Gegenüber im Online-Bewerbungsgespräch sowieso nicht dauerhaft stattfindet, erleichtert das Wahrnehmen von Eingaben heimlicher Dritt-Teilnehmer:innen.

ChatGPT und weitere Instant-Kommunikations KIs

Mit dem kometenhaften Anstieg der Nutzungszahlen von ChatGPT und alternativen Bots wie Jasper Chat, Chatsonic oder Perplexity kommt seit einigen Wochen eine weitere Variante hinzu, um beim Online-Bewerbungsgespräch unerwünschte Hilfestellungen zu nutzen.

Während bereits ChatGPT Version 3 die Massen begeistert, auch ohne einen direkten Zugriff auf aktuelle Daten aus dem Netz zu haben, sind andere Bots (und erstrecht ChatGPT 4) in der Lage, auf das gesamte Netz zuzugreifen. Damit steigt auch die Anzahl der potenziell beim Online-Bewerbungsgespräch hinzugezogenen Helfer deutlich an.

Testverfahren und sonstige Leistungsnachweise

Hier setzt schon der nächste Gedanke an: Auch Interviewfragen oder einfache Testverfahren, die online stattfinden -ob live im Gespräch oder asynchron- müssen zukünftig vor dem Hintergrund betrachtet werden, ob die sich bewerbende Person tatsächlich die Testverfahren selbst durchlaufen hat. Oder ob sie sich von Menschen oder einer KI helfen ließ, die vielleicht sogar optimal auf das Durchlaufen dieser Art von Testverfahren angepasst und ausgerichtet wurde.

Natürlich gab es schon immer (aus Sicht der Personalverantwortlichen) die „Gefahr“, dass Menschen sich bei der Erstellung der Bewerbungsunterlagen unterstützen lassen oder beides gar komplett in fremde Hände geben. Auch Zertifikate oder Zeugnisse lassen sich seit der Dauerverfügbarkeit von Bildbearbeitungssoftware schon lange selbst erstellen und fälschen.

Die Risiko-Situation nimmt aber deutlich stärker zu – und das nunmehr auch bei Live-Kontakten wie dem Online-Bewerbungsgespräch.

Die nächste Stufe: Identitäts-Betrug

Remote Work und reine Online-Bewerbungsverfahren haben aber noch weitreichendere Risiken, insbesondere wenn es um sogenannte Remote Only Jobs geht. Denn mit einer nochmals gesteigerten Skrupellosigkeit auf Seiten der Bewerbenden lassen sich auch leicht Szenarien skizzieren, bei denen die komplette Identität betrügerisch vorgetäuscht wird.

Mittlerweile gibt es sogar Dienstleister im Netz, die für ihre Klient:innen Bewerbungsgespräch führen (offline und online) und Fachexperten für ein spezielles Thema sind. Virtuell eine solche Dienstleistung für zahlende Dritte zu übernehmen, ist sogar vergleichsweise risikoarm.

Dabei wird entweder auf Bewerbungsbilder komplett verzichtet, was im Sinne einer anonymen Bewerbung in den USA und anderen Ländern sowie bereits Standard ist. Oder skrupellose Bewerbende reichen mit den Bewerbungsunterlagen eben das Foto einer Person des Dienstleisters in der Outsourcing-Bewerbungsagentur ein, die dann online das Bewerbungsgespräch stellvertretend führend wird.

Natürlich können auch im Online-Bewerbungsgespräch technische Probleme an der Kamera vorgetäuscht werden oder Fake-Bewerber sich schlicht weigern, die Webcam anzuschalten. Vermutlich würden ausgerechnet im Bereich Diversity und Inclusion gut ausgebildete Personalverantwortliche hier keine Person zwingen wollen, sich zu zeigen. Immerhin soll ja Qualifikation und Job-Passung geprüft werden und nicht die Optik der Bewerbenden, um das Diskriminierungsrisiko zu minimieren.

Und damit gehen HR-Menschen auf einmal ein erhöhtes Risiko ein, obwohl sie es sogar besonders gut und wohlwollend meinen.

Identitätsprüfung bei virtuellen Bewerbungsgesprächen

Das führt mich gleich zum nächsten Punkt: Wie prüfen Sie die Identität Ihres virtuellen Gegenübers in einer Interview-Situation im Bewerbungsprozess? Würden Sie es im Sinne der Candidate Experience gar vermeiden, bei diesem Kontakt den Anschein von „Misstrauen“ auszustrahlen und deswegen kein gültiges Ausweisdokument sehen wollen?

Wobei es umgekehrt auch sehr wertgeschätzt werden kann, wenn Sie auf eine solche Prüfung bestehen.

Seien Sie dann jedoch ebenfalls darauf gefasst, dass Sie sich in gleicher Weise ausweisen müssen. Denn leider tummeln sich auch umgekehrt mittlerweile eine Reihe Fake-Arbeitgeber auf dem Markt. Diese versuchen mit Fake-Stellenausschreibungen Daten von Fachkräften einsammeln und über Online-Bewerbungsgespräche dann Bild- und Ton-Proben zu nehmen, für einen umfassenden Identitätsklau.

Der Fluch der fortgeschrittenen Algorithmen – Stichwort: Deepfake.

Von Kleinkriminellen und Wirtschaftsspionage

Szenarien, bei denen sich Fake-Bewerber:innen Jobs in Unternehmen erheischen, um diese auszuspionieren oder gar zu sabotieren, klangen bis vor einiger Zeit vermutlich eher komplett unrealistisch und übertrieben. Allerdings hilft ein Blick auf die geopolitischen, gekoppelt mit den technologischen Entwicklungen, um deutlich mehr Vorsicht walten zu lassen.

Der Gau: Sie lassen sich in einem Online-Bewerbungsgespräch bewusst auf´s Glatteis führen und stellen via Remote-Recruiting eine Person ein, die eine massive Schädigungsabsicht hat. Sie senden dieser eine Hardware in Form eines Laptops – mit vollem Zugriff auf Ihr Unternehmens-Netzwerk.

Ein bekanntes Risiko, das jedoch aktuell neu bewertet werden sollte.

Erhöhtes Risiko von Diskriminierungen

Gibt es also einen Grund im Recruiting leicht paranoid zu reagieren? Sicher nicht.

Auch sollten Sie die eben aufgezeigten Szenarien keinesfalls dazu verleiten, Menschen -beispielsweise aufgrund ihrer Herkunft- zu diskriminieren!

Aber sich als Recruiting- und Personalverantwortliche Personen zu diesem Thema einmal ausführlich Gedanken zu machen, schadet sicher nicht. Oder positiv ausgedrückt: Definieren Sie für sich als Arbeitgeber, wie Sie Online-Bewerbungsgespräche in einem solchen Umfeld führen können und wollen.

Denn eines dürfte sicher sein: Komplett und pauschal zurück in eine nicht-digitale Bewerbungssituation mit offline Bewerbungsgesprächen, oftmals langen Anreisezeiten und den wenig geliebten Formularen für die Auszahlung von Reisekosten zu Bewerbungsgesprächen, will vermutlich niemand.

Oder wie sehen Sie das Thema?

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Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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