„Die meisten Personaler:innen sind inkompetent und unprofessionell, denn sie wissen nicht, was sie tun und vor allem warum.“ – Chris Pyak, Managing Director at Immigrant Spirit OUe, zeigt Ihnen in seinem Artikel eindrucksvoll auf, woher sein schlechtes Bild von HR stammt. Und warum so viele Unternehmen bei der internationalen Rekrutierung als Weg aus dem Fachkräftemangel tatsächlich scheitern.
Mein Recruiting-Experiment
Sommer 2013. Gespannt schauten meine Kommilitonen auf die Fotos der beiden Männer, die ich an die Leinwand projiziert hatte. Für eine Hausarbeit sollte ich ein Kurzreferat vorbereiten. Ich entschied mich stattdessen für ein kleines Experiment.
Ich erklärte meinen Mitstudierenden die Aufgabe: „Ihr sollt einen Kandidaten für die Position des Finanzdirektors zum Vorstellungsgespräch einladen. Ihr dürft aber nur einen der Beiden auswählen. Welchen ladet ihr ein und warum?”
Drei Viertel meiner Kommilitonen entschieden sich für den Herrn mit weißen Haaren – und weißer Haut. Nur ein Viertel für den Mann mit schwarzen Haaren und “südländischem Teint”.
Der Mann mit der dunklen Haut war Carlos Slim, damals der reichste Mann der Welt. Der weiße Mann war der Milliardenbetrüger Bernard L. Madoff.
Die passende Basis für Personalauswahl
Zeigt sich hier unbewusster Rassismus? Ja, klar. Darum geht es mir jetzt aber noch nicht. Zeigt sich hier ein trauriger Mangel an Allgemeinbildung? Ja, ebenfalls. Keiner meiner Kommilitonen erkannte die beiden Herren. Aber auch das ist hier nicht relevant.
Mir geht es zuerst um einen anderen Punkt. Fällt er Ihnen auf?
Nicht ein einziger meiner Kommilitonen stellte die Basis dieses Experiments in Frage. Fotos sind kein geeignetes Auswahlkriterium für eine Personalentscheidung. Trotzdem sagte niemand: “So kann ich keine Entscheidung treffen – welche weiteren Informationen kannst Du mir geben?”
Mangelhafte Qualität der Personalarbeit macht wütend
Und genau dieser Mangel an fehlendem Anspruch an die Qualität der eigenen Arbeit macht mich so wütend auf Personaler. Seit elf Jahren bezahlen mich hochqualifizierte internationale Fachkräfte dafür, dass ich Ihnen helfe, in Deutschland Arbeit zu finden. Zu meinen Klienten gehören sogar Absolventen von Ivy League Universitäten.
Diese Menschen geben mir Geld, weil Sie als Personaler:in inkompetent sind.
Und das ist eine Schande.
Mir wäre es lieber, ich wäre arbeitslos, weil Sie Ihren Job endlich richtig machen. Ich kann immer eine neue Aufgabe finden.
Inkompetentes Verhalten von HR-Verantwortlichen
Schon die Symptome dieser Inkompetenz lösen bei mir Fremdschämen aus: Personaler:innen, die auf acht Jahre Erfahrung in einer Software pochen, die erst seit drei Jahren auf dem Markt ist. Karriereseiten nicht-so-kleiner Unternehmen, in denen sämtliche Positionen vom Buchhalter bis zum Sales Manager die genau gleichen Requirements enthalten.
Die Leiterin einer Personalabteilung, die meine Klientin mit den Worten ablehnt: “Diesen ausländischen Bildungsabschluss kann ich nicht bewerten” – meine Klientin hatte einen Masterabschluss der Universität Cambridge. Personaler:innen, die meinen Klienten mit den Worten zum Vorstellungsgespräch empfangen: “Wir haben keine Absicht, jemanden einzustellen. Wir wollten Sie nur mal kennenlernen.” Und dafür ist mein Klient acht Stunden Zug gefahren.
Und auch immer noch: Die Personalleiterin einer großen Wohnungsbaugenossenschaft, die mir beim Glas Wein erzählt, dass sie schon am Bewerbungsfoto erkennt, wen sie einlädt und wen nicht.
Zu viele unprofessionelle Personaler:innen
Ich muss Ihnen das nicht erzählen. Sie kennen selbst genügend Beispiele unprofessionellen Verhaltens. Manche von Ihnen müssen nur ihre letzte gesendete E-Mail öffnen, um ein weiteres Beispiel zu finden.
Sie merken: Ich mag Personaler:innen nicht. Genauer: Ich mag nur unprofessionelle Personaler nicht, aber leider erlebe ich kaum andere.
Ich möchte mit Ihnen darüber sprechen, wie Personaler:innen bessere Entscheidungen treffen können, dabei fairer gegenüber qualifizierten Kandidat:innen werden und gleichzeitig ihre eigene Karriere mit neuem Leben füllen.
Es gibt eine gemeinsame Wurzel für all’ die oben genannten Peinlichkeiten:
Personaler:innen wissen nicht, warum sie etwas tun.
Die Frage nach den zu erreichenden Ergebnissen
Über die Jahre habe ich mit weit über tausend Personaler:innen gesprochen. Nur eine Handvoll konnte mir diese einfachen Fragen beantworten:
In jeder Position gibt es eine ganze Reihe von Ergebnissen, die erreicht werden müssen. Aber nicht alle sind gleich wichtig.
- Was ist das wichtigste Ergebnis, dass eine neue Mitarbeiterin in dieser Position erreichen muss?
- Warum ist genau dieses Ergebnis so wichtig?
- Wieviel Prozent (geschätzt) trägt dieses Ergebnis zum Gesamterfolg bei?
- Was ist das wichtigste Problem, dass die neue Kollegin/der Kollege für Sie lösen soll?
- Warum ist dieses Problem so wichtig?
Wenn Sie einmal zurückdenken an Kolleg:innen, die früher in dieser Position gearbeitet haben: Wer von denen war die Beste oder der Beste in dieser Position? Was hat die Person anders gemacht als die anderen? Sie muss etwas anders gemacht haben, sonst wäre sie nicht die Beste.
Stufenweise Personalauswahl
Diese Fragen sind grundlegend. Erst wenn diese beantwortet sind, lohnt es sich, über Qualifikationen, Erfahrungslevel und Ähnliches nachzudenken. Welches Ziel will die Abteilungsleitung mit dieser Position erreichen?
Wer diese Fragen beantwortet der erkennt meist ein paar einfache Wahrheiten:
- Erstens: 80% des Erfolgs entscheidet sich an nur zwei, drei wesentlichen Punkten.
- Zweitens: Die Fähigkeit, diese konkreten Erfolge zu erreichen, hängt von Skills ab, die sich auch in anderen Berufen oder Industrien finden lassen.
- Drittens: Die restlichen 20% kommen von Fähigkeiten, die sich entweder kompensieren lassen oder auf die man zur Not verzichten kann. Kein Kandidat ist jemals “perfekt”. Irgendwo muss man immer Abstriche machen.
Mit diesem Wissen um die konkreten Ergebnisse können Sie ganz anders nach Kandidaten suchen. Erklären Sie Kandidaten doch einfach, was genau das Ziel ist und warum es wichtig ist. Und überlassen Sie es den Kandidat:innen, darzustellen, wie genau sie/er ein solches Ziel in der Vergangenheit für andere Arbeitgeber erreicht hat.
Tipps zur Gesprächsführung im Recruiting
Bestehen Sie darauf, dass Kandidat:innen konkret beschreiben, wie sie diese Ergebnisse erreicht haben. Sie werden bald merken: Bullshitter entlarven sich ruckzuck durch vage Formulierungen und Allgemeinplätze. Profis beschreiben konkret und spezifisch. Dann werden Sie die schöne Erfahrung machen, dass Ihr Kandidatenpool viel größer ist, als Sie zunächst dachten.
Menschen aus anderen Industrien, junge Leute, Ältere oder (Gott bewahre!) Frauen im gebärfähigen Alter beweisen durch ihre konkreten beruflichen Erlebnisse, dass sie in der Lage sind, die gewünschten Ergebnisse zu liefern. Die Ergebnisse, die 80% des Erfolgs ausmachen.
Und ja: Sie können auch Kandidaten auf Englisch zum Vorstellungsgespräch einladen, wenn diese plausibel erklären, wie sie die zwei, drei wichtigsten Ziele erreichen, während sie Deutsch lernen.
Oft ist nicht klar, was genau gesucht wird
Diesen Punkt möchte ich Ihnen ins Gehirn hämmern: Zwei, drei Punkte machen 80 Prozent des Erfolgs aus. Das ist bei praktisch jeder Position so. Wenn eine Kandidatin diese Ziele erreichen kann, dann lohnt es sich ein Vorstellungsgespräch zu machen.
Und dann erlebe ich hoffentlich nicht mehr, dass eine Personalleiterin meinen französischen B2B-Sales Profi mit der Begründung ablehnt, es wäre fließend Deutsch notwendig, um in “cold calls” Reifen an Unternehmen in Frankreich zu verkaufen. Die Firma, in der diese Dame die Personalabteilung leitete, ist später übrigens bankrott gegangen.
Leider findet dieser wichtige erste Schritt nicht statt. Sie wissen gar nicht, wonach Sie suchen. Weil Sie aber trotzdem entscheiden müssen, wer zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird und wer nicht, versuchen Sie stattdessen einen Klon der letzten Person einzustellen, die diese Position innehatte. Und das war im Zweifel ein weißer deutscher Mann Mitte 30.
Sind Sie Fachkraft oder Handlanger?
Und ja: Ich kenne die Ausreden. Sie haben 30 oder 40 Stellen zu besetzen. Die Abteilungsleiter:innen wollen keine Zeit investieren und wimmeln Sie ständig ab.
Darf ich Ihnen zwei Fragen stellen:
- Wie sehen Sie Ihre eigene Position?
- Sind Sie eine Fachkraft – oder ein Handlanger?
Eine Fachkraft analysiert das geforderte Ergebnis und wählt dann aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung die passenden Mittel, um das gewünschte Ziel sicher und effizient zu erreichen. Eine Fachkraft weiß genau, welche Ressourcen dafür notwendig sind. Und wenn sie diese nicht erhält, dann macht sie Krach. Dabei riskiert sie auch die Konfrontation mit anderen, wo es notwendig ist. Denn Ihr guter Ruf hängt an der Qualität ihrer Arbeit.
Dann gibt es eine andere Gruppe Arbeitnehmer. Jene, die einfach tun, was man ihnen sagt. Denen ist egal, ob der Job gut, schlecht oder überhaupt geleistet ist. Sie denken darüber nicht einmal nach. Das sind Leute, die auf dem Bau die Steine schleppen. Die Handlanger.
Was wollen Sie sein? – Ein Handlanger oder eine Fachkraft?