mentale Gesundheit ist ein großes volkswirtschaftliches Thema

Mentale Gesundheit – persönliches Thema mit volkswirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Relevanz  

Mentale Gesundheit ist einerseits ein sehr persönliches Thema. Gleichzeitig skalieren die Kosten dafür in einen Bereich, der neben betriebswirtschaftlicher Relevanz auch gesamte Volkswirtschaften betrifft.  Eine umfassende Zusammenstellung rund um den Aufwand und die Kosten von „mental health“ erhalten Sie von Dr. Sandra Zimmermann, Forschungsfeldleiterin für internationale Sozialpolitik beim WifOR Institute, in diesem Gastartikel.

Starker Anstieg psychischer Erkrankungen

Die Krankheitstage aufgrund psychischer Erkrankungen haben laut eines DAK-Reports seit 2010 um 56% zugenommen, während die Wartezeiten für Therapieplätze auf durchschnittlich fünf Monate gestiegen sind. Gleichzeitig verbringen Menschen mehr und mehr Zeit im Homeoffice, sodass es für Unternehmen und Führungskräfte immer schwieriger wird, die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu unterstützen. Während Erkältungen oder ein gebrochenes Bein für Außenstehende gut sichtbar sind, lassen sich psychische Erkrankungen schwerer greifen. Wie Unternehmen die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden unterstützen können und dabei auch Menschen erreichen, die für das Thema zunächst wenig empfänglich sind, erfahren Sie von Dr. Sandra Zimmermann.

Definition mentale Gesundheit

Laut WHO ist

psychische Gesundheit ein Zustand des persönlichen Wohlergehens. In diesem Zustand sind Personen in der Lage, ihr Potenzial auszuschöpfen, mit Rückschlägen umzugehen, produktiv zu arbeiten und einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten.

Neben individuellen Merkmalen beeinflussen soziale Umstände sowie das direkte Umfeld die mentale Gesundheit von Menschen. Der Arbeitgeber, Kolleginnen und Kollegen sowie Führungskräfte zählen zu diesem direkten Umfeld. Hier können beispielsweise eine zu hohe Arbeitsintensität, zwischenmenschliche Konflikte oder Arbeitsplatzunsicherheit das Risiko psychischer Erkrankungen drastisch erhöhen.

Der Schutz der mentalen Gesundheit im Beruf ist daher gesetzlich verankert.

Die Bedeutung mentaler Gesundheit für die Gesellschaft

Das zunächst sehr persönlich anmutende Thema mentale Gesundheit hat reale volks- und betriebswirtschaftliche Folgen, die klar messbar sind. Vor der Pandemie waren laut KKH zwischen 16% und 17% der Fehlzeiten psychisch bedingt. 2020 stieg der Anteil auf rund 18% und im ersten Halbjahr 2021 auf 19%. Laut einer Studie, die 2020 in The Lancet Global Health erschienen ist, kostet der Produktivitätsverlust aufgrund psychischer Erkrankungen die Weltwirtschaft 2.5 Billionen US-Dollar pro Jahr.

In Deutschland gehören psychische Störungen laut der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung mit über 44 Mrd. Euro direkten Kosten jährlich zu den zweitteuersten Erkrankungen. Gleichzeitig zeigen Studien, dass sich Maßnahmen zur Förderung der mentalen Gesundheit auszahlen. So führt nach Berechnungen der WHO jeder in Prävention investierte US-Dollar durch erhöhte Produktivität zu einem gesellschaftlichen Return-on-Investment von 4 US-Dollar.

Mentale Gesundheit als Aufgabe für Unternehmen

Neben der moralischen Verantwortung von Unternehmen gibt es somit auch ökonomische Argumente dafür, die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden zu schützen. Da während der COVID-19-Pandemie die Fehlzeiten aufgrund psychischer Störungen anstiegen und es durch die Verbreitung von Homeoffice zudem schwieriger geworden ist, das Wohlbefinden der Mitarbeitenden einzuschätzen, gewinnt die mentale Gesundheit im betrieblichen Gesundheitsmanagement seither an Aufmerksamkeit.

Auch der klar spürbare Fachkräftemangel trägt dazu bei, dass das Thema zunehmend in den Unternehmensfokus rückt. Zum einen wird es durch die angespannte Arbeitsmarktsituation schwerer neue Mitarbeitende zu finden. Zum anderen legen Menschen bei der Arbeitgeberwahl zunehmend Wert darauf, in einem Umfeld zu arbeiten, das ihre mentale Gesundheit unterstützt.

So erreichen Sie Ihre Mitarbeitenden

In den meisten Unternehmen erfolgt die Maßnahmeninitiierung über Mitarbeitenden-Feedbacks (Bottom-up). Jedoch bedarf es der Unterstützung des (Top-)Managements, um eine langfristige Strategie zu implementieren, Ressourcen aufzustocken und die Themen mit Nachdruck dauerhaft zu platzieren (Top-Down).

Dabei gibt es verschiedene Verantwortungsebenen:

  • Unternehmens-Ebene
  • Management-Ebene
  • Individuelle Ebene

Welche Maßnahmen gibt es auf Unternehmensebene?

Auf Unternehmensebene ist mentale Gesundheit häufig ein tabuisiertes Thema, über das selten offen gesprochen wird. Aufgrund der Stigmatisierung psychischer Störungen erfolgen Unterstützungsmaßnahmen meist erst in Eskalationsfällen zur Symptombekämpfung. Gleichzeitig zeigen Studien, dass Präventionsmaßnahmen deutlich effektiver sind – sowohl für Betroffene als auch für die Unternehmen.

Aus diesem Grund sollten auf Unternehmensebene präventive Strukturen und Räume geschaffen werden, die Vertrauen fördern, frühzeitig über mentale Belastungen sprechen zu können. Zudem ist es wichtig, das Thema mentale Gesundheit an prominenten Stellen in der Unternehmenskommunikation zu platzieren und mit wiederkehrenden Kampagnen dazu aufzuklären.

Beispiele von Maßnahmen zur Förderung der mentalen Gesundheit sind:

  • „Mental Health First Aider“: erste Hilfe für psychische Gesundheit
  • Gesundheits-Apps mit integriertem Angebot (Bewegung, Ernährung, Achtsamkeit)
  • Employee-Assistance-Programme, in denen Mitarbeitende sich mit ihren Sorgen an eine Hotline wenden können und von Coaches beraten werden
  • Webinar-Angebote: Fortbildungen zu Themen aus dem Work-Life-Kontext
  • (Digitale) Gesundheitsaktionen: Impulsvorträge zu gesundheitlichen Themen
  • Personal Coaches: Förderung der (körperlichen) Gesundheit

Die Management-Ebene – eine Sache des Vertrauens

Eine besondere Herausforderung bei entsprechenden Programmen ist es, diejenigen zu erreichen, die unterstützende Maßnahmen besonders benötigen. Da sich Mitarbeitende häufig an ihren Vorgesetzten orientieren, hat die Kommunikation auf Managementebene einen großen Hebel. Hier besteht jedoch die Problematik, dass in einigen Unternehmen – häufig auch zurecht – die Sorge besteht, vor Führungskräften Schwäche zu zeigen. So tendieren Menschen dazu, sich selbst als performante Mitarbeitende zu präsentieren, anstatt belastende Themen zu kommunizieren.

Vorgesetzte sollten daher einen sicheren Rahmen schaffen, in dem Mitarbeitende offen über das Thema mentale Gesundheit sprechen können. Dies erfordert Trainings für Führungskräfte, die diese dazu befähigen, Themen adressatengerecht anzusprechen. Zudem können interne Beratungs- und Anlaufstellen die Hürden für Mitarbeitende senken, sich bei Problemen Hilfe zu suchen. Doch auch hier fehlt häufig das Vertrauen trotz garantierter Anonymität. Daher setzen einige Firmen auf externe Lösungen und kooperieren mit unabhängigen Organisationen.

Förderung des Selbstmanagements

Unternehmen können ebenfalls die individuelle Ebene, sprich die Eigenverantwortung und das Selbstmanagement der Mitarbeitenden unterstützten. Beispielsweise können sie Fortbildungen zum Schutz der mentalen Gesundheit ebenso anbieten wie zu Compliance oder Brandschutzthemen. Durch Testimonials, die offen über psychische Gesundheit sprechen, ist es zudem möglich eine breitere Gruppe zu erreichen. Außerdem kann es helfen, die Themen durch arbeitsrechtliche Aufklärung zu entemotionalisieren.

Zusammenfassung zum Thema mentale Gesundheit

Die Arbeitsbedingungen können das Risiko an psychischen Störungen zu erkranken stark beeinflussen. Es gibt zudem volks- und betriebswirtschaftliche Argumente dafür, dass Unternehmen die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden schützen. Daraus ergibt sich eine gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen.

Prävention ist hier deutlich rentabler als das Bekämpfen von Symptomen. Hierfür ist die Unterstützung des Managements ein entscheidender Erfolgsfaktor. Schulungen, Aufklärungsarbeit und regelmäßige Kommunikation können helfen, einen Rahmen für den Schutz der psychischen Gesundheit auf Unternehmens-, Management- und individueller Ebene zu schaffen.

Gemeinsam sollten wir daher daran arbeiten, dass das Thema entstigmatisiert und mentale Gesundheit als ebenso schützenswert angesehen wird wie körperliches Wohlbefinden. Es sollte unser Ziel sein, psychische Erkrankungen durch Präventionsmaßnahmen zu reduzieren, anstatt Menschen mit Symptomen als nicht belastbar anzusehen. Davon würde nicht nur jeder Einzelne profitieren – die betriebs- und volkswirtschaftlichen Effekte würden auch den Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt zugutekommen.

Wenn Sie an einer psychischen Erkrankung leiden

Die TelefonSeelsorge bietet unter den Rufnummern 0800-1110111 und 0800-1110222 Soforthilfe für Erkrankte und Angehörige. Die Hotline ist täglich 24 Stunden erreichbar, anonym und kostenlos. Sie bietet auch Mail-, Chat- und Vor-Ort-Beratungen an.

Podcast zum Thema mentale Gesundheit

Dr. Sandra Zimmermann und Stefan Scheller unterhalten sich über das Thema mentale Gesundheit und geben Tipps und Hinweise, was Organisationen tun können, um Vorsorge zu treffen – inklusive des Themas Gefährdungsbeurteilung.

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Sandra Zimmermann

Dr. Sandra Hofmann vom WifOR Institute

 

Dr. Sandra Zimmermann ist Autorin, Dozentin, Expertin für Arbeitsmarktforschung und Gesundheitswirtschaft. Sie leitet den Forschungsbereich Internationale Sozialpolitik des Wirtschaftsforschungsinstituts WifOR mit dem Anspruch, wissenschaftliche Erkenntnisse in konkrete Handlungsempfehlungen für die Praxis zu übersetzen. Ihr Fokus liegt auf der makroökonomischen Arbeitsmarktforschung, sozialpolitischen Analysen, der Gesundheits- und Pflegewirtschaft sowie der Analyse von Auswirkungen der Digitalisierung auf die Volkswirtschaft.

>> zum Profil von Dr. Sandra Zimmermann

 

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