Der Arbeitsmarkt ist im ständigen Wandel und mit ihm das Verhalten der Bewerberinnen und Bewerber. Viele Unternehmen glauben, dass ein attraktives Gehalt oder andere Benefits ausreichen, um Talente zu überzeugen. Jedoch zeigen wissenschaftliche Erkenntnisse, dass die Entscheidung für oder gegen eine Bewerbung vor allem emotional geprägt ist und auf Psychologie beruht, sagt Wirtschaftspsychologe Alexander Wiemann.
Emotionen im Bewerbungsprozess: Fakten werden überbewertet
Berufliche Entscheidungen werden häufig emotional getroffen und erst im Nachhinein rational begründet. Diese Erkenntnis eröffnet neue Perspektiven für Unternehmen, die qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber gewinnen möchten.
Eine Studie von Softgarden aus dem Jahr 2023 unterstreicht die Bedeutung von Emotionen im Bewerbungsprozess eindrucksvoll. Demnach erleben knapp zwei Drittel der Befragten starke emotionale Verbindungen zu ihren Bewerbungen.
Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass Unternehmen, die es verstehen, Emotionen gezielt anzusprechen, einen entscheidenden Vorteil im Wettbewerb um Talente haben können. Um Bewerberinnen und Bewerber wirklich zu erreichen, müssen Unternehmen daher über die bloße Präsentation von Fakten hinausgehen.
Stattdessen sollten sie sich darauf konzentrieren, Vertrauen aufzubauen, die Identifikation mit dem Unternehmen zu fördern und das Gefühl zu vermitteln, dass der angebotene Job eine sinnvolle und erfüllende Wahl darstellt.
Bei der Gestaltung ihrer Recruiting-Strategie sollten Unternehmen zwei wesentliche Faktoren berücksichtigen:
Balance zwischen Sicherheit und Herausforderung
Die Präferenzen von Bewerbern variieren je nach Persönlichkeitstyp. Während einige nach Stabilität und einem sicheren Arbeitsumfeld suchen, streben andere nach Herausforderungen und Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung.
Um ein breites Spektrum an Talenten anzusprechen, ist es ratsam, in Stellenausschreibungen sowohl Aspekte der Jobsicherheit als auch Potenziale für berufliches Wachstum zu betonen. Dies ermöglicht es Bewerbern, sich mit der Position zu identifizieren, die am besten zu ihren individuellen Bedürfnissen passt.
Transparenz in der Kommunikation
Klare und offene Kommunikation ist ein Schlüsselfaktor für den Erfolg im Recruiting-Prozess. Unklare Informationen oder fehlende Transparenz können bei potenziellen Bewerbern Unsicherheit hervorrufen und sie davon abhalten, sich zu bewerben.
Eine Umfrage aus dem Jahr 2019 mit rund 4.100 Teilnehmenden ergab, dass ein Drittel der Befragten bereits in der Stellenausschreibung über die Höhe des Gehalts informiert werden möchte. Bei Teilnehmenden mit akademischem Abschluss stieg dieser Wunsch sogar auf über 40 %.
Unternehmen sollten daher in allen Phasen des Bewerbungsprozesses, also von der Stellenausschreibung bis zum Vorstellungsgespräch, auf präzise und verständliche Informationen setzen. Dies schafft Vertrauen und ermöglicht es Bewerbern, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Praxisnahe Tipps zur Umsetzung
Problem | Lösung | Ergebnis |
Bewerber sind unsicher, ob der Job zu ihnen passt. | In der Stellenanzeige sowohl Sicherheit (z. B. fester Arbeitsplatz) als auch Entwicklungsmöglichkeiten (z. B. Karrierechancen) erwähnen. | Mehr Bewerber fühlen sich angesprochen und passen besser zum Job. |
Der Bewerbungsprozess ist unklar. | Klare Informationen zu Gehalt, Aufgaben und dem Ablauf geben. Nach der Bewerbung regelmäßig Updates senden. | Weniger Unsicherheit, mehr Bewerber ziehen den Prozess durch. |
Wenn Unternehmen diese emotionalen und praktischen Aspekte in ihre Recruiting-Strategie integrieren, können sie nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Bewerbungen signifikant steigern.
Ein ganzheitlicher Ansatz, der sowohl die rationalen als auch die emotionalen Bedürfnisse der Bewerber berücksichtigt, bildet die Grundlage für erfolgreiche und nachhaltige Einstellungen.
Psychologische Prinzipien, die den Bewerbungsprozess verbessern
Im Folgenden werden wissenschaftlich untersuchte Einflussfaktoren auf den Bewerbungsprozess beschrieben und Praxistipps für eine direkte Umsetzung vorgestellt.
Soziale Bewährtheit durch authentische Erfahrungen
Das Prinzip der sozialen Bewährtheit als einflussreicher psychologischer Mechanismus im Recruiting wird durch eine Studie der Universität Bamberg belegt.
In der Untersuchung „Social Recruiting und Active Sourcing“ wurde die Bedeutung von sozialen Medien und professionellen Netzwerken im Rekrutierungsprozess hervorgehoben.
Menschen orientieren sich bei Entscheidungen stark an den Erfahrungen anderer, insbesondere wenn es um wichtige Lebensentscheidungen wie einen Jobwechsel geht. Unternehmen, die dieses Prinzip geschickt nutzen, können ihre Attraktivität als Arbeitgeber signifikant steigern.
Konkret bedeutet dies, dass Arbeitgeber, die authentische Stimmen und Erfahrungsberichte ihrer Mitarbeiter in den Recruitingprozess integrieren, bei potenziellen Bewerbern besonders punkten können. Untersuchungen zeigen zudem, dass sich Menschen viel besser an positive Geschichten als an reine Fakten erinnern.
Diese Strategie vermittelt nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern gibt Bewerbern auch wertvolle Einblicke in die Unternehmenskultur und das Arbeitsumfeld.
Beispielsweise können Sie kununu-Bewertungen oder andere authentische Erfahrungsberichte teilen, um potenzielle Bewerber anzusprechen und einen realistischen Einblick in Ihr Unternehmen zu gewähren.
Reziprozität: Wertschätzung im Bewerbungsprozess
Das Prinzip der Reziprozität und seine Bedeutung im Recruiting wird in einer Studie der Hochschule Luzern thematisiert. Der Studienbericht „Employing the New Generation“ erwähnt, dass Vertrauen und Reziprozität wichtige Faktoren im Recruiting, in der Gestaltung von Führung und im Employer Branding sind.
Wenn Unternehmen Bewerber von Beginn an mit Respekt und Wertschätzung behandeln, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit auf eine Zusage deutlich. Auch wenn konkurrierende Angebote vorliegen.
Diese positive Dynamik kann den entscheidenden Unterschied ausmachen, insbesondere in einem Arbeitsmarkt, in dem qualifizierte Kandidaten oft mehrere Optionen haben. Ein wertschätzender Umgang signalisiert nicht nur professionelles Verhalten, sondern gibt auch einen Vorgeschmack auf die Unternehmenskultur.
Praxistipps für eine verbesserte Candidate Experience:
- Reagieren Sie zeitnah auf Bewerbungen und Anfragen, um Interesse und Effizienz zu demonstrieren.
- Setzen Sie auf persönliche Ansprache statt auf standardisierte Massenkommunikation, um eine individuelle Verbindung aufzubauen.
- Kommunizieren Sie transparent über den gesamten Bewerbungsprozess und informieren Sie proaktiv über nächste Schritte, um Unsicherheiten zu minimieren.
Kognitive Leichtigkeit generiert mehr Bewerbungen
Die Psychologie sagt: Was beim Verkauf von Produkten gilt, trifft auch auf den Bewerbungsprozess zu: Je komplizierter und aufwendiger etwas ist, desto schneller verlieren Menschen das Interesse.
Viele potenzielle Bewerber springen ab, wenn der Prozess zu lang, zu komplex oder nicht intuitiv gestaltet ist. In einer Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne sinkt und digitale Nutzerfreundlichkeit selbstverständlich ist, kann ein einfacher und klarer Bewerbungsprozess den entscheidenden Unterschied machen.
So machen Sie es Bewerbern leichter:
- One-Click-Bewerbungen ermöglichen, die Hürden zu senken.
- Stellenanzeigen prägnant und verständlich formulieren. Keine überflüssigen Anforderungen, die abschreckend wirken.
- Den gesamten Bewerbungsprozess für mobile Geräte optimieren, da viele Jobsuchende sich per Smartphone bewerben.
Unternehmen, die diese Prinzipien umsetzen, erhalten nicht nur mehr Bewerbungen, sondern auch qualitativ bessere Kandidaten, weil weniger Bewerber durch unnötige Hürden abgeschreckt werden.
Psychologie in Stellenanzeigen: So vermeiden Sie Abschreckung
Die Sprache in einer Stellenanzeige ist ein weiterer wichtiger Faktor dafür, ob sich potenzielle Bewerber angesprochen fühlen oder ob sie sich gegen eine Bewerbung entscheiden.
Eine unklare oder unpersönliche Wortwahl kann abschreckend wirken, während eine wertschätzende und motivierende Sprache Interesse weckt und Vertrauen schafft. Viele Unternehmen machen den Fehler, ihre Stellenanzeigen zu generisch oder zu anspruchsvoll zu formulieren.
Sätze wie „Wir suchen den perfekten Kandidaten mit einem außergewöhnlichen Profil“ oder „Sie müssen flexibel, belastbar und stressresistent sein“ setzen Bewerber unnötig unter Druck.
Solche Formulierungen können abschreckend wirken, weil sie entweder unrealistische Erwartungen wecken oder einen besonders stressigen Arbeitsalltag suggerieren.
Vermeiden Sie unpersönliche, überhöhte Anforderungen wie „Wir suchen den perfekten Kandidaten mit einem außergewöhnlichen Profil.“ Diese Aussage klingt elitär und vermittelt den Eindruck, dass nur Bewerber mit einer makellosen Karriere oder herausragenden Fähigkeiten eine Chance haben. Das kann potenzielle Talente verunsichern, die zwar fachlich geeignet wären, sich aber nicht als „perfekt“ empfinden.
„Sie müssen flexibel, belastbar und stressresistent sein.“ Diese Formulierung deutet darauf hin, dass der Job besonders anstrengend sein könnte. Sie kann die Befürchtung auslösen, dass die Arbeitsbelastung hoch ist und wenig Rücksicht auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden genommen wird.
Nutzen Sie eine motivierende, positive Sprache
„Sie bringen Ihre eigenen Ideen ein und gestalten mit uns die Zukunft.“ Diese Formulierung zeigt Wertschätzung für Eigeninitiative und Kreativität. Bewerber fühlen sich eingeladen, ihre Stärken einzubringen und einen aktiven Beitrag zum Unternehmen zu leisten.
„Wir legen Wert auf eine gesunde Work-Life-Balance.“ Dies signalisiert, dass das Unternehmen das Wohlbefinden seiner Mitarbeitenden ernst nimmt. In Zeiten, in denen eine ausgewogene Work-Life-Balance für viele Arbeitnehmer eine hohe Priorität hat, kann eine solche Aussage besonders attraktiv wirken.
Warum ist die Wortwahl psychologisch so wichtig?
Die Art und Weise, wie eine Stellenanzeige formuliert ist, hat großen Einfluss darauf, wie das Unternehmen wahrgenommen wird. Eine einladende und wertschätzende Sprache schafft eine positive Arbeitgebermarke und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich qualifizierte Bewerber angesprochen fühlen.
Unternehmen, die eine klare, motivierende und realistische Sprache verwenden, zeigen, dass sie die Bedürfnisse ihrer zukünftigen Mitarbeitenden ernst nehmen. Eine Stellenanzeige sollte nicht nur die Anforderungen an den Bewerber vermitteln, sondern auch die Werte und Vorteile des Unternehmens authentisch präsentieren.
Fazit: Optimieren Sie mit diesem Wissen Ihren Recruitingprozess
Wie Sie sehen, geht Recruiting weit über die bloße Vermittlung von Fakten hinaus. Emotionen spielen eine entscheidende Rolle bei der Jobwahl, und Unternehmen, die dies gezielt berücksichtigen, haben einen klaren Wettbewerbsvorteil.
Durch den Einsatz psychologischer Prinzipien (von sozialer Bewährtheit über Reziprozität bis hin zu einer klaren und wertschätzenden Kommunikation) können Arbeitgeber nicht nur mehr, sondern auch vor allem die passenden Bewerber ansprechen.
Besonders wichtig sind dabei Transparenz im Bewerbungsprozess, authentische Einblicke in die Unternehmenskultur und eine Sprache, die Kandidaten motiviert, anstatt sie abzuschrecken. Wer es schafft, Vertrauen aufzubauen und Bewerber durch einen einfachen, intuitiven Bewerbungsprozess zu führen, verbessert nicht nur die Candidate Experience, sondern auch die langfristige Mitarbeiterbindung.
Für Unternehmen bedeutet das: Weg von standardisierten Stellenanzeigen und intransparenten Abläufen, hin zu einem Recruiting, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Wenden Sie diese Erkenntnisse der Psychologie konsequent an und gewinnen Sie dadurch nicht nur erfolgreich Talente gewinnen, sondern positionieren Sie sich auch als attraktiver Arbeitgeber.