Zukunftsfähig werden und bleiben, liegt im Interesse aller Unternehmen. Was aber bedeutet das genau? Und was erfordert es im Denken und Handeln schon heute – von der Geschäftsleitung, aber auch von HR? Speakerin und Autorin Anne Schüller hat Erklärungen und Praxistipps parat.
Kognitive Zukunftskurzsichtigkeit
„Am Ende wird die Zukunft so sein, wie wir sie heute gestalten“, sagt die Futurologin Amy Webb. Bevor wir jedoch proaktiv tätig werden, müssen wir zunächst verstehen, wie die Welt sich verändert und überlegen, wie mögliche Zukünfte aussehen können. Hierbei kann HR ein maßgeblicher Treiber sein.
Viele Unternehmen plagt kognitive Zukunftskurzsichtigkeit. Für sie klingt Zukunft nach irgendwann. „Dafür haben wir jetzt keine Zeit“, heißt es zum Beispiel, „das nächste Quartal steht vor der Tür, und die Zukunft läuft uns ja nicht davon.“ Reaktiv befasst man sich beinahe nur noch mit dem, was gerade ansteht, arbeitet immer am Anschlag und neuartige Innovationen ziehen an einem vorbei.
Wie kann das sein?
Überraschung statt Voraussicht
Man war doch mal blendend aufgestellt! Doch „auf einmal“ ist es – Überraschung – zu spät. Zukunftstechnologien kommen „plötzlich“, nun fehlen „unerwarteterweise“ die nötigen Fachkräfte und Weiterbildungskonzepte. Irgendwie ist man immer hintendran. Die Adaptionsspanne sinkt, und der Stress steigt. Während draußen alles immer schneller läuft, laufen die Unternehmen allem immer mehr hinterher.
Besser wäre es wohl, Bedrohungen zu erkennen, wenn sie noch klein sind, und Chancen zu nutzen, solange sie groß und von anderen noch nicht entdeckt worden sind. Der Erfolg von gestern sagt rein gar nichts über den Erfolg von morgen. Und „später“ ist meistens zu spät. Nur durch kontinuierliches, wildes, kühnes, proaktives Weiterdenken schafft es ein Unternehmen, sich fit für die Zukunft zu machen.
Wie das gelingt? Indem wir uns frühzeitig mit Zukunftsthemen befassen.
Hierbei kann und sollte HR eine tragende Rolle spielen. Die Tatsache, dass HR sich zunehmend People & Culture nennt, was ich ausdrücklich begrüße, schafft eine perfekte Basis, die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens voranzutreiben, um so zu einem strategischen Partner der Führungsspitze zu werden.
Liebe Zukunft, was hast du also für uns parat?
Die erste Frage, wenn es darum geht, eine zukunftsfähige Geschäftsstrategie zu entwickeln, ist die, wie wir in Zukunft leben und arbeiten werden. Indem wir frühzeitig Hypothesen erstellen für eine Zeit, die noch nicht da ist, kann es glücken, Szenarien zu erkennen, die für uns maßgeblich werden. Erst dann können wir heute beginnen, uns darauf vorzubereiten und in diese Zukunft steuern.
Szenarien sind keine Prognosen, sondern spekulative Zukunftsbilder. Mit ihrer Hilfe können wir gefahrlos Ausflüge in die Zukunft simulieren. Sie sind keine Utopien, sondern wollen plausible Wege vom Heute ins Übermorgen aufzeigen. Solange Szenarien noch Zukünfte sind, können wir uns darauf einstimmen, potenzielle Chancen früh ergreifen, etwaige Risiken antizipieren und über wünschenswerte Varianten vorausschauend debattieren.
Indem wir uns intensiv mit Zukunftsthemen befassen, springen wir raus aus der Filterblase subjektiver Wahrnehmungen und erkennen Gesamtzusammenhänge. So kann es uns gelingen, auf unsere Zukunft Einfluss zu nehmen und ihren Lauf schöpferisch mitzugestalten. Zudem hat man so Optionen zur Hand, um im Ernstfall sehr zügig ins Handeln zu kommen, während andere noch in Schockstarre sind.
Schlusslicht oder First Mover, wer wollen Sie sein?
Viele Unternehmen versuchen krampfhaft, zu schützen, was sie besitzen – und genau das macht sie verwundbar. So treffe ich regelmäßig bei meinen Vortragsreisen auf Verantwortliche, die mir Vorgaben machen wollen, was ich alles nicht ansprechen soll, „weil der CEO das nicht hören will.“ Führungskräfte berichten mir, dass ihre Loyalität infrage gestellt wird, wenn sie vor kritischen Entwicklungen oder möglichen Disruptoren von außen warnen.
Ein Vertriebsleiter erzählte mir, dass er um ein Haar gefeuert worden wäre, weil er vor globalen Lieferengpässen warnte und deshalb die Umsatzzielzahlen revidieren wollte. Seitdem ist er still und macht Dienst nach Vorschrift, um seine Karriere zu retten.
Ein anderer wollte mich anheuern, um die Verkäufer zu Höchstleistungen anzuspornen. Das veraltete Produkt hingegen, das sie verkaufen sollten, das aber am Markt längst nicht mehr ankam, wurde nicht auf den Prüfstand gestellt, „weil der Chef es noch immer für gut befand“. Kritik an seiner Denke betrachtete man dort als Sakrileg.
Unternehmen, in denen man vor unliebsamen Themen einfach die Augen verschließt, gibt es viele. Spricht man sie auf ihre veralteten Technologien an, kontern sie mit dem Verlust von Arbeitsplätzen. Dass sie wegen überholter Geschäftsmodelle, Strukturen und Prozesse komplett vom Markt verschwinden können, wird tabuisiert. Damit Sie kein solches Schicksal erleiden, starten wir eine Zukunftswerkstatt, Ihr Future Lab.
Zukunftsfit? Starten Sie Ihr eigenes Future Lab!
Wer sich frühzeitig auf eine Zukunft vorbereitet, die kommen kann, ist besser gerüstet für die, die dann tatsächlich kommt. Simulierte Reisen in die Zukunft und wieder zurück ermöglichen frühzeitige Einsichten in weit vorausliegende Entwicklungen im Umfeld des Unternehmens und seines Geschäftszwecks.
Die Verantwortlichen bekommen auf Basis potenzieller Begebenheiten ein besseres Gefühl für Chancen und Risiken, können rechtzeitig Anpassungen vornehmen, mit Bedacht Weichen stellen und müssen seltener auf unerwartete Ereignisse reagieren. Stehen Entscheidungen an, können sie auf Vorgedachtes zurückgreifen sowie schneller und umsichtiger handeln.
Ganz am Anfang stehen also Fragen wie diese:
- Wie können wir den Zukunftsblick offenhalten und das Unerwartete, das die Zukunft bringt, als Chance betrachten und für uns nutzen?
- Wie können wir unsere Zukunftsintuition trainieren und unsere Weitsicht stärken, indem wir lernen, ungewöhnliche Verbindungen herzustellen?
- Wie können wir unsere Blickwinkel ändern sowie Annahmen und Überzeugungen hinterfragen, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen?
- Wie können wir uns der Gefahrenseite der Zukunft widmen, um Risiken zu antizipieren und uns frühzeitig darauf vorzubereiten?
- Was können wir entdecken, worüber wir vorher noch nie nachgedacht haben? Und was hindert uns daran, dies zu tun?
Das kraftvolle Bild einer brillanten Zukunft zieht die besten Talente wie magisch an. Diese sind engagierter und produktiver in ihrem Job. Zudem werden sie als Corporate Influencer aktiv, weil sie sich mit dem Zukunftszielbild des Unternehmens identifizieren und dies auch nach draußen tragen. Und das wiederum macht Firmen nicht nur für Top-Bewerber, sondern auch für interessante Kunden hochattraktiv.
HR als Treiber für Szenarien und Zukunftsbilder
Die Suche nach zukünftigen Wachstumsfeldern kann gar nicht früh genug beginnen und sollte von People & Culture federführend begleitet werden, um das gesamte Unternehmen und auch den eigenen Bereich proaktiv für die Zukunft zu rüsten. Ein systematisches Vorgehen umfasst vor allem für größere Unternehmen folgende Schritte:
- Definieren Sie die Innovationsfelder, die für die Firma relevant sein können.
- Installieren Sie ein Trendmonitoring beziehungsweise ein Chancen-Radar.
- Bauen Sie ein Zukunftsexpertenteam auf, integrieren Sie auch externe Hilfe.
Externe sind exzellente Sparringspartner. Sie kennen keine Skrupel. Sie brauchen auf Animositäten keine Rücksicht zu nehmen. Sie müssen nicht mit Repressalien rechnen. Bei Beharrungstendenzen bieten sie knallhart Paroli. So werden die anwesenden Manager – denen man in ihren Betrieben eher selten glasklar widerspricht – nun inhaltlich herausgefordert von Menschen, die komplett andere Sichtweisen haben und sich auf völlig unterschiedliche Art an eine Aufgabe machen.
Dies sorgt für Horizonterweiterung, für eine Frischzellenkur, für Blutauffrischung und Überkreuzbefruchtung – und führt schließlich zu neuen Handlungsoptionen. Und genau das macht Wettbewerbsvorsprünge dann sehr wahrscheinlich.
HR und die 10 Schritte einer Szenarioplanung
Wer eine Future Journey, die Reise in die Zukunft des Unternehmens entwickelt und passende Zukunftsstrategien daraus ableiten will, wählt die Szenarioplanung. Die eine Langzeitstrategie, die früher aufgestellt und von allerlei Wunschdenken begleitet war, ist in sich permanent wandelnden, komplexen Zeiten mit exponentieller Entwicklung nicht länger brauchbar. Deshalb ist es besser, Prognosen für verschiedene mögliche Zukünfte anzustellen und auf dieser Basis mehrere Szenarien zu entwerfen.
Ziel der Szenarioplanung ist es nicht, exakte Vorhersagen für die Zukunft zu machen. Man verknüpft vielmehr bereits bekannte Trends mit mutmaßlichen Einflussfaktoren in Bezug auf Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Technologie, Umwelt, Politik, Gesellschaft und Kundenverhalten. Im Ergebnis geht es um eine differenzierte Sicht auf mögliche Zukünfte sowie um die Handlungsfelder, die das Unternehmen daraus ableiten will und kann. Das bringt HR als Mitinitiator dazu, frühzeitig zu planen und vornedran zu sein.
Um ein Future Lab in Gang zu bringen, empfehle ich folgende Schritte:
- Future Team zusammenstellen
- Eine Ausgangsfrage formulieren
- Die Zielzeitachse bestimmen
- Maßgebliche Trends erforschen
- Veränderungskräfte identifizieren
- Mögliche Szenarien entwickeln
- Future Personas konzipieren
- Passende Handlungsfelder fixieren
- Die Zukunftsstrategie definieren
- Umsetzungspläne initiieren
Wie all das ganz genau funktioniert, steht zum Beispiel in meinem neuen Buch „Zukunft meistern“.