Unternehmensnachfolge

Warum Nachfolge mehr als ein Übergabeakt ist

In kaum einem anderen Transformationsprozess zeigt sich so klar, wie eng wirtschaftlicher Erfolg mit menschlichen Faktoren verknüpft ist – wie bei der Unternehmensnachfolge. Und doch bleibt dieser Aspekt in vielen klassischen Beratungsansätzen unterbelichtet, sagt Gastautor Timo Segglemann, Oak Horizon.

Nachfolge und Unternehmensübergabe

Wenn Unternehmen in der Übergabephase ins Wanken geraten oder gar scheitern, sind es selten mangelnde Strategien, fehlendes Kapital oder lückenhafte Verträge, die dafür ausschlaggebend sind.

Viel häufiger sind es emotionale Spannungen, unausgesprochene Erwartungen oder schwelende persönliche Konflikte, die einen geordneten Nachfolgeprozess verhindern.

Mittelstand: Wenn Unternehmeridentität und Unternehmensidentität verschmelzen

Besonders im Mittelstand ist der Übergabeprozess nicht einfach ein Akt der Betriebswirtschaft. Häufig ist die Identität des Unternehmens untrennbar mit der Persönlichkeit der Inhaber:innen verwoben. Das Unternehmen ist nicht nur Arbeitsplatz und Vermögenswert, sondern Lebenswerk, Familiengeschichte, Herzensangelegenheit.

Ein Beispiel aus der Praxis: ein mittelständisches Unternehmen mit rund 300 Mitarbeitenden aus der Maschinenbau-Branche stand vor der Herausforderung, dass der langjährige Geschäftsführer und Inhaber sich aus dem operativen Geschäft zurückziehen wollte.

Da innerhalb der Familie kein direkter Nachfolger zur Verfügung stand, entschied sich er sich für eine externe Nachfolgelösung. Er fand einen geeigneten Kandidaten, der die Unternehmensphilosophie teilte und bereit war, die Verantwortung zu übernehmen.​

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Gegenseitiges Kennenlernen und Vertrauen essentiell

Die Nachfolge gestaltete sich jedoch nicht allein durch die formale Übergabe. Vielmehr war es ein Prozess des gegenseitigen Kennenlernens und des Aufbaus von Vertrauen. Beide Parteien legten Wert darauf, dass die Übergabe nicht nur rechtlich, sondern auch kulturell und emotional gelingt.

Durch offene Gespräche und eine schrittweise Einführung in die Unternehmensführung konnte der nachfolgende Geschäftsführer die Werte und die Kultur des Unternehmens verinnerlichen, während der ausscheidende CEO lernte, loszulassen und dem neuen Geschäftsführer Raum für eigene Impulse zu geben.​

Dieses Beispiel zeigt, dass erfolgreiche Unternehmensnachfolgen im Mittelstand nicht nur von finanziellen und rechtlichen Aspekten abhängen, sondern maßgeblich von der Bereitschaft zur offenen Kommunikation und dem gegenseitigen Verständnis für die jeweilige Rolle und Verantwortung.

Die emotionale Realität der Nachfolge

Denn Nachfolge ist ein hoch emotionaler Prozess. Für die abgebende Generation steht vieles auf dem Spiel: die operative Kontrolle, der gesellschaftliche Status, aber vor allem das Lebenswerk. Loslassen ist schwer, besonders wenn Verantwortung über Jahrzehnte zur Identität geworden ist.

Für die Nachfolgenden ist der Prozess nicht minder herausfordernd. Sie stehen oft unter Druck – wirtschaftlich, familiär, kulturell. Sie übernehmen Verantwortung und müssen gleichzeitig neue Impulse setzen, ohne die Vergangenheit zu entwerten. Das erzeugt innere Spannungen, die sich nicht selten im Führungsteam, in der Belegschaft oder im familiären Umfeld widerspiegeln.

Hohe Anzahl an Nachfolgen zu erwarten

Und die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Laut dem KfW-Nachfolge-Monitoring Mittelstand 2024 planen bis 2028 jährlich rund 106.000 Inhaber:innen kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), ihr Unternehmen abzugeben​. Gleichzeitig finden viele von ihnen keine geeigneten Nachfolger:innen – besonders in strukturschwächeren Regionen.

Laut dem Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn wird es bis 2026 in rund 190.000 Unternehmen zu einer geplanten Nachfolge kommen​. Die Herausforderungen sind groß: Fast 40% der Unternehmen haben laut IfM noch keine klar definierte Nachfolgestrategie.

Der Fachkräftemangel, der demografische Wandel und zunehmende Komplexität bei rechtlichen und steuerlichen Fragen verstärken den Druck zusätzlich.

Die Lücke im klassischen Beratungsmodell

Traditionelle Nachfolgeberatung fokussiert sich bisher stark auf die technischen Aspekte: Verträge, steuerliche Konstrukte, Bewertung und Transaktionsplanung. Diese sind zweifellos wichtig – greifen aber zu kurz. Denn kein Vertrag kann Vertrauen aufbauen. Und keine Exit-Strategie ersetzt ein tragfähiges Beziehungsgeflecht.

Hier liegt die größte Leerstelle: Das klassische Modell blendet den emotionalen und kulturellen Kontext aus – mit teils gravierenden Folgen. Übergaben werden verzögert, Schlüsselpersonen wandern ab, informelles Wissen geht verloren, das Betriebsklima leidet.

Am Ende kann ein Unternehmen durch eine technisch „saubere“, aber kulturell verkorkste Nachfolge mehr Schaden nehmen als durch ein Jahr Umsatzrückgang.

Die entscheidende Rolle von HR

Hier kommt Human Resources (HR) ins Spiel. Dieser Bereich wird in der Nachfolge oft unterschätzt – dabei ist HR das Bindeglied zwischen Struktur und Kultur, zwischen Organisation und Mensch. HR kennt die Belegschaft, erkennt kulturelle Spannungen frühzeitig und ist in der Lage, emotionale und kommunikative Prozesse professionell zu begleiten.

Ein professionelles HR-Management kann:

  • Schlüsselpersonen frühzeitig einbinden, um Ängste zu mindern und Vertrauen aufzubauen
  • Rollenmodelle und Verantwortlichkeiten klar definieren, sodass alte und neue Führung akzeptiert werden
  • Coachingformate und Peer-Dialoge initiieren, die den individuellen emotionalen Wandel unterstützen
  • Implizites Erfahrungswissen durch strukturierten Wissenstransfer sichern
  • Veränderungskommunikation gestalten, die Sicherheit gibt und Perspektiven eröffnet

Nachfolge ist auch immer ein kultureller Übergang. Es geht nicht nur darum, wer entscheidet – sondern wie entschieden wird. Welche Werte bleiben? Welche Rituale haben Bedeutung? Was darf sich verändern?

HR kann diese Fragen frühzeitig adressieren. Zum Beispiel durch

  • Kulturarbeit: Welche Werte prägen das Unternehmen heute?
  • Dialogformate: Was ist „nicht verhandelbar“, was darf sich entwickeln?
  • Integration von Alt und Neu: Wie werden bewährte Strukturen mit neuen Impulsen verbunden?

Psychologische Sicherheit als Erfolgsfaktor

Ein zentraler Faktor für erfolgreiche Nachfolge ist die sogenannte „psychologische Sicherheit“. Sie beschreibt das Vertrauen, dass man sich im Unternehmen ohne Angst vor negativen Konsequenzen äußern kann.

Studien (z. B. Amy Edmondson, Harvard Business School) zeigen: Teams mit hoher psychologischer Sicherheit sind innovativer, resilienter und erfolgreicher.

Gerade im Nachfolgeprozess ist das essenziell: Denn oft brodelt es unter der Oberfläche. Loyalitätskonflikte, unausgesprochene Zweifel, verdeckte Konkurrenz. Ein offener Raum, in dem solche Themen bearbeitet werden können, ist kein Luxus – sondern eine Notwendigkeit.

Nachfolge als strategische Chance

Richtig gestaltet, kann Nachfolge ein enormer Hebel für Weiterentwicklung sein – sowohl für Menschen als auch für Organisationen. Sie bietet die Chance, Führung neu zu denken, Talente zu fördern und eine zukunftsfähige Organisation zu bauen.

Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels (laut IAB fehlen in Deutschland aktuell rund 1,8 Millionen qualifizierte Arbeitskräfte) wird deutlich: Unternehmen, die kulturell stark aufgestellt sind, haben die besseren Karten – nicht nur bei der Nachfolge, sondern auch bei der Bindung und Gewinnung neuer Mitarbeitender.

Wer Unternehmensnachfolge richtig denkt, denkt sie aus der Mitarbeiterperspektive und versteht, wie wichtig die Menschen sind! Es geht um mehr als Verträge. Es geht um Identitäten, um Verantwortung, um Beziehungen. Es geht darum, was bleibt – und was sich wandeln darf.

Nachfolge ist kein Verwaltungsakt. Sie ist ein Mensch-zu-Mensch-Geschehen. Und sie entscheidet nicht nur über die Zukunft eines Unternehmens – sondern über den Erhalt von Unternehmertum als Lebensform.

Je früher dieser Prozess beginnt, desto größer die Chance, dass er gelingt. Und je bewusster er gestaltet wird, desto nachhaltiger die Wirkung – auf Menschen, Teams, Kulturen und Organisationen.

Timo Seggelmann

Timo Seggelmann

Timo Seggelmann ist Mitgründer und Geschäftsführer von Oak Horizon, einer Unternehmensberatung mit Fokus auf Unternehmensnachfolge im Mittelstand.

Zuvor war er Mitgründer und langjähriger Geschäftsführer des Softwareunternehmens slashwhy, das er erfolgreich in neue Hände übergeben hat.

Mit seiner Erfahrung als Unternehmer, Investor und Beirat begleitet er heute mittelständische Unternehmen dabei, stabile Nachfolgelösungen zu entwickeln und langfristige Zukunftsfähigkeit zu sichern.

>> LinkedIn-Profil von Timo Seggelmann

>> Website Oak Horizon

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