Heutzutage sind Personaler und Personalerinnen weit mehr als nur Verwalter von Personalakten und Organisatoren von Vorstellungsgesprächen. Sie sind nicht nur für die Verwaltung von Personalangelegenheiten zuständig, sondern spielen auch eine strategische Rolle bei der Förderung der Unternehmensziele durch effektives Personalmanagement. Als zentrales Bindeglied zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden tragen sie wesentlich zum Erfolg des Unternehmens bei, sagt Dr. Gerhard Helm in seinem Gastartikel.
Menschen sind keine Maschinen
Personalverantwortliche sind oft die ersten Ansprechpartner, wenn das Management oder die Belegschaft Rat suchen. Dies ist häufig der Fall, wenn es in der Zusammenarbeit knirscht – beispielsweise, wenn Mitarbeitende Probleme mit ihren Vorgesetzten haben oder umgekehrt, wenn Führungskräfte nicht mehr weiterwissen, wie sie mit einem schwierigen Mitarbeitenden umgehen sollen. Oft geht es dabei um Themen wie Mobbing, persönliche Angriffe oder mangelnde Leistungsbereitschaft.
Doch nicht immer handelt es sich um Konflikte zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften. Führungskräfte können sich auch in den undurchsichtigen Personal- und Machtstrukturen des Unternehmens verheddern. Sie sind oft direkt gefordert, wenn es darum geht, die gestiegenen und oft kaum realisierbaren Ansprüche ihrer Vorgesetzten zu erfüllen. Gleichzeitig müssen sie in ihren Teams ein gutes Arbeitsklima fördern, obwohl Einzelinteressen oft verdeckt verfolgt werden und die Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden ständig neu angefacht werden muss.
In vielen Teams gibt es zudem Konflikte, die auf unterschiedliche Persönlichkeitsstrukturen, Werte und Leistungsbereitschaft zurückzuführen sind. Oft spielen auch persönliche Machtspiele eine Rolle. Überall dort, wo Menschen über mehrere Hierarchieebenen hinweg komplexe Herausforderungen bewältigen müssen, entstehen zwangsläufig Spannungen – schließlich sind Menschen keine Maschinen. Immer dann, wenn jemand in der Organisation mit anderen nicht weiterkommt, wendet er sich an die Personalabteilung, die als Experte für menschliches Verhalten und Arbeitsdynamiken gilt.
Personaler als Anlaufstelle
Hierbei ist nicht nur fundiertes Fachwissen in rechtlichen und organisatorischen Belangen gefragt, sondern auch ein ausgeprägtes Gespür für zwischenmenschliche Themen und individuelle Herausforderungen. Im Laufe der Zeit haben sich viele Personaler:innen – neben ihrem Fachwissen zu Personalwirtschaft, Arbeits- und Betriebsrecht und der Organisation von Personalentwicklungsmaßnahmen – auch eine beträchtliche Portion Menschenkenntnis angeeignet. Von ihnen wird oft erwartet, dass sie mit einem klugen Ratschlag das Problem ein für alle Mal lösen können.
Allerdings sind die Fälle, mit denen Personaler und Personalerinnen konfrontiert werden, meist sehr komplex. Sie berühren oft nicht nur rechtliche und organisatorische Themen, sondern haben häufig eine psychologische oder ethische Dimension – manchmal sogar an der Grenze zur klinischen Psychologie oder Psychotherapie.
Persönliche oder familiäre Schwierigkeiten werden dabei oft nicht ausgeklammert. So sehen sich Personaler:innen im vertraulichen Gespräch plötzlich mit Fragestellungen und Problemen konfrontiert, für die sie nie ausgebildet wurden. Oft wird HR dann zur Anlaufstelle, bei der ungelöste Themen und Konflikte abgeladen werden, nur um frustriert festzustellen, dass auch die Verantwortlichen dort nicht weiterhelfen können. Dies führt letztlich zu Frustration auf beiden Seiten.
Probleme ohne eindeutig Lösung
Es ist wichtig zu erkennen, dass es aufgrund der Vielschichtigkeit und Komplexität der persönlichen und zwischenmenschlichen Herausforderungen keine eindeutigen Lösungen geben kann. Anders als bei klar definierten rechtlichen Fragen, wie beispielsweise der Anzahl der gesetzlich zustehenden Urlaubstage, gibt es bei der Frage, wie mit einem schwierigen Mitarbeitenden oder einer herausfordernden Situation umzugehen ist, keine richtige oder falsche Antwort. Um in solchen Fällen wirklich helfen zu können, braucht es mehr als nur Fachwissen und Menschenkenntnis.
Solche Probleme lassen sich nicht einfach „fixen“. Sie erfordern ein Vorgehen, das als Coaching bezeichnet wird und darauf abzielt, dem Gesprächspartner oder der Gesprächspartnerin dabei zu helfen, seine eigene Lage in strukturierter Weise zu reflektieren und Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln, die genau auf seine individuelle Situation zugeschnitten sind. Viele Personaler:innen entscheiden sich daher für eine qualifizierte Ausbildung zum Business Coach.
Meist nicht, um tatsächlich als Business Coach tätig zu werden, sondern um sich die nötigen Fähigkeiten und Techniken anzueignen, die es ihnen ermöglichen, die coachingnahen Gespräche, zu denen sie im Arbeitsalltag ständig eingeladen werden, professionell zu führen.
Coaches sind weder Mülleimer noch Richter
Diese Coaching-Skills ermöglichen es ihnen, die Situation umfassend zu reflektieren, ohne sich in der Frage zu verlieren, was die eigentliche Ursache der widrigen Umstände des Gesprächspartners ist oder wer daran Schuld hat. Dies ist besonders wichtig, da viele dieser Gespräche oft darauf abzielen, bei HR „Dampf abzulassen“, über vermeintliche Fehler anderer zu klagen oder jemanden „anzuschwärzen“.
In einem Coaching-Gespräch geht es jedoch nicht um Schuldzuweisungen – der Coach ist weder Mülleimer noch Richter –, sondern darum, gemeinsam mit dem Gesprächspartner konkrete Lösungsansätze zu entwickeln. Dabei bleibt stets im Fokus, was der Coachee aktiv tun kann, um seine Situation zu verändern. Der Coach vermeidet es, in die „Ratschlagfalle“ zu tappen, bei der der Ratschlaggebende versucht, einen aus der eigenen Lebenserfahrung abgeleiteten Ratschlag zu geben, während der Ratsuchende oft nur bemüht ist, zu zeigen, dass diese gut gemeinten Ratschläge in seiner speziellen Situation nicht weiterhelfen.
Der Coach bezieht keine Stellung, sondern betrachtet die Situation mit seinem Gesprächspartner aus einer „Helikopterperspektive“. Mit geeigneten Fragen lädt er dazu ein, Annahmen zu hinterfragen, neue Perspektiven einzunehmen, mögliche Handlungsalternativen abzuwägen und konkrete nächste Schritte festzulegen. All dies geschieht idealerweise in einem vertraulichen und ergebnisoffenen Gesprächsrahmen.
Auch wenn der Personaler sich nicht explizit als Coach versteht und diese Gespräche nicht als Coaching deklariert sind, kann er so Ratsuchende professionell unterstützen, ohne sich im Dilemma zwischen „Frustabladestation“ und abgelehnten Ratschlägen wiederzufinden.
Ist internes Coaching möglich?
Eine häufige Frage ist, ob Personaler und Personalerinnen als interne Coaches für Mitarbeitende ihres eigenen Unternehmens fungieren können, ohne dass es zu einer Rollenkonfusion kommt. Immerhin sind mittlerweile über 6% aller qualifizierten Coaches als interne Coaches tätig – Tendenz steigend. Für Unternehmen ergeben sich daraus klare Vorteile: Die Kosten für interne Coaches sind, abgesehen von der qualifizierten Ausbildung, nahezu vernachlässigbar.
Interne Coaches sind oft leichter verfügbar und können flexibler auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen, da sie vor Ort sind. Es gibt keine aufwendigen Auswahlprozesse, keine schwierige Terminsuche und keine langen Anfahrtszeiten. Zudem kennt der interne Coach das Unternehmen mit all seinen expliziten und impliziten Normen und Prozessen sehr gut und ist möglicherweise mit allen Akteuren eines „Falles“ persönlich vertraut. Diese Nähe kann jedoch auch zu einer ungünstigen Voreingenommenheit führen.
Im internen Coaching gibt es zudem Themen, die eher tabuisiert sind, wie sehr persönliche, familiäre oder arbeitsrechtliche Angelegenheiten. Da diese Themen jedoch oft in deutlicher Wechselwirkung mit den Herausforderungen des Coachees stehen, können sich hier Verzerrungen und blinde Flecken bei der Lösungsfindung ergeben.
Zwischen Loyalität und Neutralität
Ethische Dilemmata können entstehen, wenn interne Coaches in einem Spannungsfeld zwischen ihrer Loyalität gegenüber dem Unternehmen und der Notwendigkeit, neutral gegenüber den Coachees zu bleiben, agieren. Wie geht der Coach damit um, wenn er in einem vertraulichen Gespräch Dinge erfährt, die arbeitsrechtliche Entscheidungen beeinflussen könnten? Wie kann er den Coachee dabei unterstützen, in dessen Sache erfolgreich zu sein, wenn dies gleichzeitig bedeutet, dass die Interessen des Unternehmens darunter leiden?
Interne Coaches können vor allem in größeren Unternehmen sinnvoll eingesetzt werden, wo sie möglicherweise ausschließlich in der Rolle des Coaches agieren und organisatorisch so weit von ihren Klienten und Klientinnen entfernt sind, dass fast ähnliche Bedingungen wie bei externen Coaches gegeben sind. Besonders in kleineren Unternehmen, in denen Personaler dem Coachee regelmäßig in verschiedenen Rollen begegnen, könnte dies jedoch zu unangenehmen Situationen für beide Seiten führen.
Brauchen Personaler Coaching-Skills?
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein gutes Coachingverständnis und gut geübte Coaching-Skills für Personaler und Personalerinnen in einer zunehmend komplexer werdenden Arbeitswelt unerlässlich sind, um den Menschen in ihrer Organisation als unterstützender Reflexions- und Sparringspartner zur Verfügung zu stehen. Gutes Fachwissen ist zwar notwendig, aber ebenso wenig ausreichend wie gute Menschenkenntnis. Eine qualifizierte Coachingausbildung sowie regelmäßige Fortbildung sind für Personaler daher heute unverzichtbar.
Wenn Personaler und Personalerinnen explizit die Rolle eines Coaches im Unternehmen einnehmen wollen, sollten sie sich der möglichen Rollenkonflikte bewusst sein und diese gegebenenfalls mit dem Coachee ansprechen und entsprechende Vereinbarungen treffen.
Ob es für ein Unternehmen hilfreich ist, explizit die Rolle des internen Coaches aufzubauen, sollte im Einzelfall genau abgewogen werden.