Fertility Benefits - Kinderwunsch und Arbeitgeberattraktivität

Fertility Benefits – Kinderwunsch und Arbeitgeberattraktivität

Unerfüllte Kinderwünsche können Mitarbeitende massiv belasten. Arbeitgeber, die sogenannte Fertility Benefits anbieten, zeigen deutlich Flagge und stärken ihre Arbeitgeberattraktivität. Der Einstieg kann bereits sehr niedrigschwellig und kostengünstig gestaltet werden, sagt Dr. Julia Reichert, Gründerin von Onuava.

Arbeitswelt und Privates verschwimmen immer mehr

Die Zeiten, in denen Privates und Berufliches strikt voneinander getrennt wurden, sind vorbei. Spätestens seit Corona verschwimmen die Grenzen immer mehr und die Auswirkungen, die das Private auch auf die Arbeitswelt hat, sind offensichtlicher geworden. Moderne Arbeitgeber realisieren die zunehmende Bedeutung von Vereinbarkeit für ihre Mitarbeitenden, wobei sich Vereinbarkeitsbedürfnisse dabei auf alle Lebensphasen ihrer Mitarbeitenden beziehen können.

Dies gilt auch für die Phase der Familiengründung, insbesondere dann, wenn der Weg zum Wunschkind kein einfacher ist. Die Unterstützung von Mitarbeitenden in dieser schwierigen Lebenshase zahlt sich durch bessere Zufriedenheit und Loyalität von Mitarbeitenden aus und kann auch im Employer Branding eine wichtige Rolle spielen, denn nichts signalisiert Familienfreundlichkeit so sehr wie bereits die Familiengründung der Mitarbeitenden zu unterstützen.

(Unerfüllter) Kinderwunsch betrifft die Arbeitswelt

Ungewollte Kinderlosigkeit ist keine Seltenheit. Gemäß einer Studie des Bundesministeriums für Familie Senioren Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus dem Jahr 2020 sind 32% aller Kinderlosen ungewollt kinderlos. Jede und jeder Siebte ist von Infertilität oder Subfertilität betroffen – Frauen und Männer gleichermaßen. Und dies betrifft Mitarbeitende nicht nur im Privaten, sondern eben auch bei der Arbeit.

Ungewollte Kinderlosigkeit und eine möglicherweise notwendige Kinderwunschbehandlung belasten viele Mitarbeitende emotional. Ganze Lebensentwürfe werden in Frage gestellt, was bei Betroffenen zu starkem Stress und mitunter Depressionen führen kann.

Zur emotionalen Belastung kommen die zeitliche Belastung (Zeit für Recherche, Termine im Kinderwunschzentrum), die physische Belastung einer Behandlung sowie die finanzielle Belastung hinzu. Auch wenn die gesetzliche Krankenkasse 50% der Basiskosten für bis zu drei Behandlungsversuche übernimmt, bleiben immer noch Selbstkosten. Diese können bei vielen Paaren schnell in die Zehntausende gehen.

Eine 2022 von Fertility Matters at Work in Großbritannien durchgeführte Studie ergab, dass 12% der Frauen, die eine Kinderwunschbehandlung unternehmen, ihren Job kündigten – aufgrund fehlender Vereinbarkeit der Behandlung mit den beruflichen Belastungen. Weitere 14% reduzierten ihre Arbeitszeit.

Fehlende Unterstützung durch den Arbeitgeber in dieser schwierigen Lebenssituation hat einen Preis.

Fertility Benefits – Ein Konzept aus den USA kommt nach Europa

In den USA ist es nicht ungewöhnlich, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden auf dem Weg zum Wunschkind durch entsprechende Benefits unterstützen. Einer Studie von Mercer aus dem Jahr 2021 zufolge, unterstützen 42% aller US-Unternehmen mit mehr als 20.000 Mitarbeitende diese durch Fertility Benefits. Bei kleineren Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden sind es 27% der Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden unterstützen.

Die Unterstützung umfasst dabei zum einen die vollständige oder teilweise Übernahme der Behandlungskosten von Kinderwunschbehandlungen, sowie meist auch begleitende Beratungs- und Coachingleistungen.

Fertility Benefits sind in den USA eine ganz normale Mitarbeiterzusatzleistung, die sich in eine lebensphasenorientierte Personalpolitik und Unterstützung von Mitarbeitenden einreiht. Die Verflechtung von Arbeitswelt und Privatem, insbesondere auch mit Hinblick auf Gesundheits- und Benefit-Leistungen, ist in den USA traditionell wesentlich ausgeprägter als in Europa, nicht zuletzt aufgrund der fehlenden staatlichen Sozialsysteme.

Auch Großbritannien Vorreiter bei Fertility Benefits

Seit ein paar Jahren sind Fertility Benefits zunehmend auch in Großbritannien verbreitet. Zunächst waren es Anwaltskanzleien und Unternehmensberatungen. Doch inzwischen werben auch führende Energieanbieter und große Versicherungen mit Fertility Benefits. Interessanterweise bieten bereits einzelne größere deutsche Unternehmen in Großbritannien Fertility Benefits an. Sie werben dort damit, ein „Fertility Friendly“ Arbeitgeber zu sein.

In Deutschland sind Fertility Benefits mit der Ausnahme einzelner weniger deutscher Niederlassungen amerikanischer Firmen noch nicht weit verbreitet. Aber das Konzept wird zunehmend bekannter und in immer mehr Personalabteilungen werden die möglichen Vorteile und Kosten diskutiert.

Mögliche Unterstützung durch den Arbeitgeber

Was könne Arbeitgeber konkret tun? Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, mit denen Arbeitgeber ihre Mitarbeitende auf individuellen Weg zum Wunschkind unterstützen können. Diese müssen nicht teuer sein.

Bezahlte Freistellungen

Die bezahlte Freistellung von Mitarbeitenden für Termine im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung – sowohl für die Frau als auch deren Partner:in, ohne dass sich diese hierfür Urlaub nehmen müssen, ist eine ganz einfache Möglichkeit der Unterstützung. Entsprechende Richtlinien und Kommunikation können einen großen Unterschied für Betroffene machen.

Auch bei Fehlgeburten könnten Unternehmen recht einfach durch entsprechende Richtlinien unterstützen. Viele Arbeitgeber geben ihren Mitarbeitenden nach einem Trauerfall ein paar Tage Sonderurlaub. Diese Angebote sollten auf Fehlgeburten erweitert werden, so dass sich Betroffene im unmittelbaren Nachgang zu einer Fehlgeburt nicht Urlaub nehmen müssen, falls sie Zeit brauchen, bis sie wieder zur Arbeit zurückkehren können.

Klima der Offenheit als Voraussetzung: Fertility Policy

Voraussetzung für die Nutzung dieser Vorteile durch Mitarbeitende ist, dass ein entsprechendes Klima der Offenheit besteht, in welchem sich Mitarbeitende trauen über ihren (unerfüllten) Kinderwunsch zu sprechen ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Nur wenn sich insbesondere Frauen sicher fühlen, dass die Kommunikation des eigenen Kinderwunsches keine negativen beruflichen Konsequenzen für sie hat, werden Mitarbeitende die angebotene Unterstützung auch in vollem Umfang nutzen können.

Klare Richtlinien – auch Fertility Policy genannt – können helfen, Hemmungen abzubauen und als Arbeitgeber ein klares Zeichen der Unterstützung zu setzen. In der erwähnten britischen Studie gaben 52% der Frauen, die ihrem Arbeitgeber nichts von der Kinderwunschbehandlung erzählt hatten, an, dass sie dies frühzeitiger getan hätten, wenn es eine entsprechende Richtlinie (Fertility Policy) gegeben hätte.

Trainings für Führungskräfte

Die Entwicklung von internen Richtlinien sollte mit einem Training für Führungskräfte einhergehen, in welchem Führungskräfte über die Implikationen von unerfülltem Kinderwunsch auf den Arbeitsalltag aufgeklärt werden. Dies umfasst eine Sensibilisierung für die Belange von Betroffenen, aber auch Trainings zur angemessenen Kommunikation.

Beratung und Coaching für Mitarbeitende

Zudem kann ein Beratungs- und Coaching-Angebot, das allen Mitarbeitenden als Benefit zur Verfügung gestellt wird, einen bedeutenden Unterschied machen. Insbesondere wenn Mitarbeitende nicht offen mit dem Arbeitgeber über ihren (unerfüllten) Kinderwunsch sprechen möchten, können diese anonym nutzbaren Angebote ein niedrigschwelliges Unterstützungsangebot sein.

Dabei steht Mitarbeitenden für alle Fragen rund um den (unerfüllten) Kinderwunsch – von Social Freezing bis hin zum Abschied vom Kinderwunsch, im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung oder bei einer Fehlgeburt – ein kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung.

Für Mitarbeitende kann diese Beratung einen unglaublichen Unterschied machen. Denn oft fehlen qualifizierte, leicht zugängliche und verständliche Informationen. Und die richtige Ansprechperson ist aufgrund der immer noch bestehenden Tabuisierung nicht einfach zu finden. Kompetente Beratung und Information hilft bei schwierigen Entscheidungen im Kinderwunsch und kann den Weg zum Wunschkind erleichtern.

Finanzielle Unterstützung für Mitarbeitende

Die finanzielle Unterstützung in Form der vollständigen oder teilweisen Übernahme des Selbstbehalts von Behandlungskosten ist die ausgeprägteste Form der Arbeitgeberunterstützung. Arbeitgeber können dabei den Selbstbehalt beispielsweise bis zu einem gewissen Maximalbetrag oder bis zu einer gewissen Anzahl Behandlungen tragen.

Insbesondere Mitarbeitende, die schon eine lange Kinderwunschreise mit vielen Versuchen hinter sich haben, ältere Paare (Frauen über 40), alleinstehende Frauen und Mitglieder der LGBTQ+ Community profitieren von dieser Benefit-Leistung. Denn sie sind diejenigen, die meist hohe Selbstkosten zu tragen haben.

Vorteile in der Mitarbeiterbindung und im Employer Branding

Der ein oder die andere mag sich jetzt fragen, warum Unternehmen ihre Mitarbeitenden bei der Erfüllung des eigenen Kinderwunsches unterstützen sollten? Ganz einfach, weil es in ihrem eigenen Interesse ist.

Die vereinzelt noch verbreitete Vorstellung, dass man weibliche Fach- und Führungskräfte länger im Unternehmen hält, indem man ihnen die Familiengründung erschwert, ist falsch. Zudem wäre es falsch zu glauben, dass das Nicht-Unterstützen keinen Preis hat. Beides ist klar widerlegt.

Im Gegenteil: Die Unterstützung von Mitarbeitenden in der schwierigen Lebensphase eines unerfüllten Kinderwunsches wirkt sich positiv auf die Mitarbeiterbindung aus. Eine Studie von FertilityIQ hat gezeigt, dass Mitarbeitende, die von Fertility Benefits profitierten, dankbarer (42%) und loyaler und motivierter (62%) sind. Sie blieben im Durchschnitt länger im Unternehmen (55%) und ein größerer Anteil der Frauen kehrte auch nach der Elternzeit wieder zum Arbeitgeber zurück.

In Zeiten in denen Familienfreundlichkeit immer wichtiger wird, können Fertility Benefits auch im Employer Branding eine sehr starke Signalwirkung haben. Nichts signalisiert so klar und deutlich „Familienfreundlichkeit“ wie wenn ein Unternehmen seine Mitarbeitenden schon auf dem Weg zum Wunschkind unterstützt.

Podcast-Folge zu Fertility Benefits

Hören Sie die passende Folge des Podcasts Klartext HR mit Dr. Julia Reichert zum Thema Fertility Benefits.

Dr. Julia Reichert

Dr. Julia Reichert, Gründerin von Onuava

Dr. Julia Reichert ist Gründerin und Geschäftsführerin von Onuava, einem auf den deutschsprachigen Raum fokussierten Fertility Benefits Unternehmen. Sie hat viele Jahre in der Unternehmensberatung und der Finanzdienstleistungsindustrie in Deutschland und Großbritannien gearbeitet, bevor sie sich 2022 entschlossen hat, Onuava zu gründen.

Julia hat selbst Erfahrungen mit Unfruchtbarkeit und ungewollter Kinderlosigkeit gemacht. Sie hat selbst erlebt, was es heißt eine Kinderwunschbehandlung parallel zu einem anspruchsvollen Job zu managen und ist heute – Dank dieser Behandlung – Mutter von drei Kindern.

>> LinkedIn-Profil von Dr. Julia Reichert

>> Website von Onuava

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