Die Arbeitswelt verändert sich rasant, doch bei internationalen Mitarbeitereinsätzen scheint oft noch die alte Realität zu regieren: unklare Prozesse, hoher Abstimmungsaufwand, rechtliche Grauzonen. Während Unternehmen mit Remote Work und globaler Rekrutierung neue Wege gehen, kämpfen HR-Teams im Alltag mit Formularen, Meldepflichten und unübersichtlichen Zuständigkeiten. Es ist Zeit, Global Mobility neu zu denken, als strategischen Erfolgsfaktor, nicht als Pflichtprogramm, sagt Dr. Julia-Sophie Fuchs.
Neue operative Normalität
Dabei geht es nicht um die Ausnahmefälle internationaler Top-Führungskräfte oder Langzeitentsandter in Konzernen, sondern um eine neue operative Normalität, die auch mittelständische Unternehmen, wachsende Tech-Firmen oder Organisationen mit Projektgeschäft betrifft. Mitarbeitende arbeiten für einige Wochen aus Spanien, nehmen an Trainings in Polen teil oder betreuen Projekte in der Schweiz.
Was harmlos klingt, kann haftungsrechtlich heikel sein.
Und genau das macht das Thema so drängend.
Entsendung heute: Komplexität mit Ansage
In vielen Unternehmen ist internationale Mobilität längst kein Ausnahmefall mehr, sondern Teil der operativen Realität. Ob Projektarbeit im Ausland, längerfristige Einsätze oder temporäre Remote-Phasen: Der Wunsch nach Flexibilität trifft auf ein Dickicht an Vorschriften. Jedes Land tickt anders – steuerlich, sozialversicherungsrechtlich, arbeitsrechtlich. Hinzu kommen Visa, Registrierungsfristen, A1-Bescheinigungen und lokale Anforderungen.
In der Praxis führt das zu vielen Problemen:
- Hoher Koordinationsaufwand mit mehreren Stakeholdern (HR, Legal, Payroll, externe Berater)
- Fehleranfällige Prozesse: Laut Expert:innen ist jeder zweite Entsendungsantrag bei Krankenkassen fehlerhaft
- Massive Risiken: Ohne gültige A1 kann ein Arbeitsunfall im Ausland zum Totalschaden werden, rechtlich wie menschlich
Fehler entstehen oft nicht aus Fahrlässigkeit, sondern aus Überforderung. Ein falsches Kreuz im Formular und vier Jahre später scheitert die Verlängerung einer Entsendung. Das ist keine Theorie, sondern gelebter Alltag in vielen HR-Abteilungen.
Selbst bei kurzfristigen Einsätzen, etwa einer zweitägigen Dienstreise zur Messe, gelten Meldepflichten und Sozialversicherungsnachweise. Wird das versäumt, drohen Bußgelder oder Zugangsbeschränkungen. Unternehmen berichten, dass Mitarbeitende an Werkstoren abgewiesen wurden, weil keine A1-Bescheinigung vorlag.
Für globale Teams, die flexibel agieren sollen, ist das ein echtes Risiko.
Mehr Regulierung, mehr Verantwortung
Seit der Reform der EU-Entsenderichtlinie 2020 ist der rechtliche Druck gestiegen. Unternehmen müssen entsandten Mitarbeitenden im Zielland gesetzlich vorgeschriebene Arbeitsbedingungen bieten – inklusive Mindestlöhnen, Unterkunftsstandards und Zulagen. Gleichzeitig wurden die A1-Pflichten verschärft: In Ländern wie Frankreich oder Österreich drohen pro fehlender Bescheinigung vierstellige Bußgelder für Mitarbeitende und Unternehmen.
Auch die neuen EU-Regelungen zur Telearbeit zeigen: Die Politik nimmt globale Arbeit ernst und schafft gleichzeitig neue Fallstricke. Wer nicht aktiv meldet, riskiert empfindliche Nachzahlungen, Arbeitsunterbrechungen oder im schlimmsten Fall die Aberkennung des Versicherungsschutzes.
Die Regulatorik zieht damit der Realität hinterher: Remote Work, Workation, Projektmobilität – all das ist gelebte Praxis. Doch die gesetzlichen Rahmenbedingungen zwingen Unternehmen zu hohem Aufwand, um auf der sicheren Seite zu stehen. Gleichzeitig wird auch auf EU-Ebene an Harmonisierung gearbeitet: etwa mit bilateralen Rahmenvereinbarungen zur grenzüberschreitenden Telearbeit.
Für HR bedeutet das: die Anforderungen steigen, das System ist in Bewegung, aber Rechtssicherheit ist nicht optional.
Kurz gesagt: Die Verantwortung für compliant internationale Einsätze liegt heute stärker denn je bei den Unternehmen. Und sie beginnt in der HR-Abteilung.
Warum internationale Mobilität trotzdem strategisch ist
Bei all der Komplexität ist es verlockend, auf globale Einsätze zu verzichten. Doch das wäre fatal. Denn globale Mobilität ist nicht nur operatives Risiko, sie ist strategischer Hebel:
- Fachkräftemangel: Unternehmen brauchen neue Wege, um Talente zu finden – und müssen bereit sein, sie dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden.
- Mitarbeiterbindung & Employer Branding: Millennials und Gen Z erwarten Flexibilität, internationale Erfahrung und persönliche Entwicklung. Wer das bietet, punktet im „War for Talent“.
- Organisationale Entwicklung: Entsendungen bringen Know-how, fördern interkulturelle Kompetenzen und stärken Innovationsfähigkeit.
- Marktchancen: Auslandseinsätze ermöglichen es, neue Märkte zu erschließen, Kundennähe aufzubauen und globale Teams zu vernetzen.
Die Zukunft der Arbeit ist global. Wer jetzt Strukturen schafft, um internationale Einsätze sicher und effizient zu ermöglichen, gewinnt.
Hinzu kommt: In vielen Branchen –von Tech bis Bau– sind internationale Projekte längst Realität. Ob es um den Roll-out eines Produkts in einem anderen Markt geht oder um den Einsatz von Spezialist:innen vor Ort. Globale Mobilität ist oft keine Kür, sondern Bedingung für den Geschäftserfolg.
Und wer Talente aus dem Ausland ins Unternehmen holt, muss auch sicherstellen, dass deren internationale Einsätze rechtlich abgesichert sind, sonst riskiert man Frust, Abbruch oder sogar rechtliche Konsequenzen.
Was HR jetzt braucht
Damit Global Mobility nicht zum Bremsklotz wird, braucht es einen Kulturwandel, aber auch die richtigen Werkzeuge. HR muss befähigt werden, rechtliche Anforderungen zu verstehen und umzusetzen, ohne zur halben Rechtsabteilung zu werden. Prozesse müssen schlanker, transparenter und digitaler werden.
Gefragt sind Lösungen, die im Alltag funktionieren. Der Mittelstand braucht keine Consulting-Großoffensive, sondern Werkzeuge, die den tatsächlichen Workflow unterstützen: pragmatisch, verständlich, prozessintegriert.
Und er braucht Klarheit:
- Welche Einsatzart erfordert welche Genehmigung?
- Wann muss eine Ausnahmevereinbarung her?
- Wie lassen sich alle Beteiligten (HR, Payroll, Legal) auf dem Laufenden halten?
Mittelstand stößt schnell an Grenzen
Gerade im Mittelstand, wo spezialisiertes Wissen oder eigene Global-Mobility-Abteilungen oft fehlen, stoßen HR-Teams schnell an ihre Grenzen. An dieser Stelle braucht es nicht nur technologische Lösungen, sondern auch ein Verständnis dafür, wie Mittelständler operativ und strategisch ticken. Jasper Roll, Geschäftsführer von Haufe Group Ventures, bringt genau diese Perspektive mit: Als Investor mit Schwerpunkt auf Mittelstandstransformation und als Venture Builder beschäftigt er sich intensiv mit den realen Herausforderungen, die mittelständische Unternehmen heute im Alltag umtreiben
„Wir sehen bei vielen Unternehmen den Wunsch nach internationaler Beweglichkeit und gleichzeitig eine enorme Unsicherheit auf operativer Ebene. Wer hier skalierbare Strukturen schafft, leistet mehr als Effizienzsteigerung. Es geht um rechtliche Absicherung, Talentbindung und strategische Wettbewerbsfähigkeit.“
Rolls Einschätzung zeigt, wie wichtig es ist, die Lücke zwischen regulatorischem Anspruch und unternehmerischer Realität zu schließen. Denn globale Mobilität ist längst mehr als ein administrativer Prozess. Sie ist ein strategisches Thema und wer sie als solches behandelt, kann sie zum echten Standortvorteil machen.








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