Rollenwechsel einer Führungskraft

Vom Aufstieg zum Absturz? Warum der Rollenwechsel zur Führungskraft oft scheitert

Viele Unternehmen befördern ihre besten Fachkräfte in Führungsrollen und erleben anschließend eine stille Krise. Denn nicht selten folgt auf die Beförderung eine innere Überforderung. Die neue Rolle bringt mehr Verantwortung, aber wenig Orientierung. Die Folge: Unsicherheit, Identitätsbrüche und im schlimmsten Fall ein Rückzug aus der Führungsrolle. Was auf dem Papier wie eine Erfolgsgeschichte aussieht, wird in der Realität schnell zum Belastungstest, sagt Violeta Nicolic in ihrem neuerlichen Gastartikel rund um die Herausforderungen für Führungskräfte.

Der Rollenwechsel hat es in sich

Als Coach für Leadership und Persönlichkeitsentwicklung begegne ich in meiner Arbeit seit über fünfzehn Jahren immer wieder demselben Muster: Der Aufstieg in die erste Führungsrolle klingt nach Karriereerfolg und endet doch oft in Ernüchterung. Denn wer vom Top-Fachprofi zur Führungskraft befördert wird, stolpert weniger über fehlendes Wissen als über eine ungeklärte Identität.

Alte Kolleginnen und Kollegen werden plötzlich zu Mitarbeitenden, Erwartungen sind widersprüchlich, klassische Führungsbilder veraltet. Genau hier braucht es mehr als Training, es braucht sichere Reflexionsräume, in denen neue Führungskräfte ihr Rollenverständnis entwickeln können.

Nicht der Mangel an Fachwissen bringt neue Führungskräfte ins Straucheln, sondern der blinde Fleck in der Identitätsarbeit.

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Learning by Burning: Die Kosten der fehlenden Vorbereitung

Der Begriff „Learning by Burning“ ist eine zugespitzte Abwandlung von „Learning by Doing“. Gemeint ist, dass neue Führungskräfte in ihre Rolle katapultiert werden, ohne echte Vorbereitung, ohne Begleitung, ohne klaren Rahmen. Statt in einem geschützten Umfeld Erfahrungen zu sammeln, verbrennen sie sich die Finger in der Realität. Das passiert durch Überforderung im Spannungsfeld Team und Management, durch Konflikte mit ehemaligen Kolleginnen oder Kollegen sowie durch fehlendes Feedback und mangelnde Orientierung.

Das „Burning“ steht für den Preis, den sie und oft auch das Unternehmen zahlen: Frust, Fluktuation und tiefgreifende Identitätskrisen. Die Unternehmen verlassen sich darauf, dass die fachliche Brillanz automatisch zu Führungswirksamkeit führt.

Doch was fehlt, ist nicht Know how, sondern Klarheit. Neue Führungskräfte müssen plötzlich nicht mehr Aufgaben lösen, sondern Menschen führen, Beziehungen managen und Strategie von Operativem trennen. Sie erhalten jedoch selten den Raum, diese fundamentale Veränderung bewusst zu reflektieren. Stattdessen werden sie zwischen Team und Top-Management zerrieben, kämpfen mit Loyalitätskonflikten und erleben diffuse Erwartungen, die sich täglich widersprechen.

Führung wird zur Gratwanderung, ohne Karte, ohne Kompass, was die mentale Belastung massiv steigert. Die Gefahr liegt darin, dass diese Überforderung nicht sofort zu einem Ausfall führt, sondern in eine schleichende innere Distanzierung, die später als Quiet Quitting“ auf Führungsebene sichtbar wird.

Gründe für das Scheitern: Identitätsbruch und Rollenkonflikt

Der Übergang in eine Führungsrolle ist eine der kritischsten Übergangsphasen in der Karriere und wird von zentralen Herausforderungen bestimmt, die tief in der Identität und der organisationalen Struktur verwurzelt sind:

Der Identitätsbruch

Von der fachlich besten Person zur Person, die nicht mehr selbst die Arbeit macht, sondern andere befähigen muss. Das fühlt sich für viele wie Kompetenzverlust an. Die eigene Sicherheit, das eigene Selbstverständnis wird erschüttert. Die Expertin oder der Experte muss lernen, das Fachwissen loszulassen und es als Werkzeug zur Unterstützung, nicht zur Kontrolle, zu nutzen. Wer bisher über die individuelle Perfektion definiert wurde, muss nun lernen, über die Stärke des gesamten Teams zu wirken.

Der Rollenkonflikt

Alte Kolleginnen und Kollegen werden plötzlich zu Mitarbeitenden. Loyalitäten, Nähe und Distanz geraten ins Wanken. Viele neue Führungskräfte reagieren mit Rückzug, um die neue Distanz zu betonen, oder sie versuchen es mit Harmonie, um die alte Nähe zu bewahren. Beides geht auf Kosten der Führungswirksamkeit. Die Notwendigkeit, nun klare Entscheidungen treffen und gegebenenfalls unangenehme Gespräche führen zu müssen, kollidiert mit dem Wunsch nach Harmonie aus der Zeit der Kollegialität.

Die Herausforderung unklarer Erwartungen

Diffuse Erwartungen und widersprüchliche Signale

Die Anweisung lautet oft: „Führen Sie mal!“, aber was genau gemeint ist, bleibt oft unklar. Die Organisation sendet widersprüchliche Signale zwischen Kontrolle und Empowerment. Ein Vorgesetzter verlangt strikte Kontrolle über die Abläufe, während das Team agile, selbstorganisierte Arbeitsweisen erwartet. Diese Ziel- und Erwartungskonflikte sind ein wesentlicher Treiber des „Learning by Burning“, da sie es der neuen Führungskraft unmöglich machen, eine konsistente Rolle einzunehmen. HR und die Geschäftsleitung sind hier gefordert, einen klaren Rahmen zu definieren.

Hierarchien im Wandel

Klassische Führungsbilder, die auf Durchsetzen, Entscheiden und Kontrollieren basieren, passen nicht mehr in die Realität von agilen, selbstorganisierten Teams. Dennoch fehlen oft klare, neue Vorbilder, an denen sich Berufsanfänger in der Führung orientieren können. Die neue Führungskraft fühlt sich gefangen zwischen veralteten Vorstellungen aus der Unternehmenskultur und den Anforderungen der modernen Arbeitswelt. Dieser Mangel an klaren Referenzpunkten verstärkt die Unsicherheit und die Tendenz, in alte, fachlich geprägte Muster zurückzufallen.

Typische Stolperfallen in der Anfangsphase

Die Unsicherheit in der neuen Rolle manifestiert sich im Führungsalltag häufig in bestimmten, schädlichen Verhaltensmustern:

Micromanagement: Die Führungskraft definiert sich über Fachwissen und greift auf das zurück, was sie kann. Sie kontrolliert Abläufe bis ins Detail und verhindert damit Eigenverantwortung, was das Team in Passivität drängt.

Harmoniesucht: Um den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen nicht vor den Kopf zu stoßen, werden klare Ansagen vermieden. Die Folge sind fehlende Richtungsweisung und eine unklare Linie.

Überforderung: Die Führungskraft versucht, zwischen Top-Management und Team zu navigieren und alles selbst zu leisten. Ohne die Fähigkeit zur Delegation führt dies schnell zur mentalen Erschöpfung.

Selbstzweifel: Wenn der eigene Führungsanspruch nicht mit der harten Realität übereinstimmt, gerät das Selbstbild ins Wanken.

Diese Dynamiken sind weder überraschend noch Ausdruck persönlicher Schwäche. Sie zeigen: Der Übergang in Führung ist kein linearer Prozess, sondern ein komplexer Rollenwechsel mit emotionalem und kognitivem Tiefgang, der proaktive Begleitung erfordert.

Die Architektur der Begleitung: Was den Rollenwechsel erfolgreich macht

Damit neue Führung nicht im „Burning-Modus“ endet, braucht es gezielte Unterstützung, die den Übergang strukturiert und stabilisiert. Aus meiner Erfahrung als Coachin und Leadership-Begleiterin lassen sich folgende Faktoren benennen, die den Übergang stabilisieren:

Reflexionsräume statt nur Tools und Methoden

Trainings allein reichen nicht aus. Neue Führungskräfte brauchen geschützte Räume, in denen sie ihr Rollenverständnis, ihre Werte und ihr Führungsverständnis klären können. Fragen wie „Welche Werte treiben meinen Führungsstil?“ oder „Wie viel Nähe oder Autorität ist in meinem Stil stimmig?“ erfordern Zeit, psychologische Sicherheit und Struktur. Nur durch gezielte Selbstreflexion kann die Führungskraft ihre eigene Haltung definieren und festigen.

Klärung von Erwartungen

Ein häufiges Scheitern resultiert aus unklaren oder widersprüchlichen Erwartungen. Es ist essenziell, dass die Führungskraft die Erwartungen mit Vorgesetzten, der Personalabteilung und sich selbst klärt. Was wird konkret gebraucht, was wird nicht gebraucht? Strukturierte Gespräche zur Rollenklarheit verhindern Enttäuschungen und die typische Orientierungslosigkeit in den ersten Monaten. HR spielt hier eine entscheidende Rolle, indem es diesen Klärungsprozess initiiert und moderiert.

Gezielte Unterstützung und Kompetenzentwicklung

Begleitung durch Transition Coaching

Ein erfahrener Sparringspartner ermöglicht es, alte Muster zu erkennen und neue, wirksame Perspektiven zu entwickeln. Transition Coaching ist eine Form der Unterstützung, die gezielt in der Orientierungsphase hilft, neue Rollenbilder zu entwickeln, statt alte Muster krampfhaft fortzuschreiben. Solche Begleitung dient dazu, die mentale Last zu reduzieren, die mit dem „Learning by Burning“ einhergeht.

Kompetenzen neu gewichten

Die Kompetenzanforderung verschiebt sich: Weg vom „bester Fachprofi“ hin zum „Architekt für Energie, Richtung und Zusammenarbeit“. Die neue Währung ist nicht mehr Fachwissen, sondern Kommunikation, Selbstregulation und Haltung. Führung bedeutet heute, Energie im Team zu lenken, Räume für Zusammenarbeit zu gestalten und Richtung zu geben. Wer das verinnerlicht, entwickelt nicht nur Sicherheit, sondern auch nachhaltige Wirksamkeit.

Etablierung einer Feedbackkultur

Konstruktives Feedback ist eine zentrale Ressource in der Führungsentwicklung. Es hilft, blinde Flecken zu erkennen und Selbstbild und Fremdwahrnehmung zu synchronisieren. Entscheidend ist, dass Feedback früh, ehrlich und dialogisch erfolgt, um die Lernkurve zu beschleunigen und Unsicherheiten abzubauen. Eine kontinuierliche Feedbackschleife ist der beste Schutz vor dem Gefühl der Orientierungslosigkeit.

Übergänge gestalten statt überfordern

Führung ist keine Position, die man einfach einnimmt, sondern ein komplexer Entwicklungsprozess. Und dieser Prozess beginnt genau dort, wo viele Organisationen noch zu wenig hinschauen: im Übergang. Wer Menschen befördert, übernimmt eine essenzielle Verantwortung, nicht nur für den Unternehmenserfolg, sondern für die Entwicklung einer gesunden und wirksamen Führungspersönlichkeit.

Es geht nicht darum, Tools zu vermitteln, sondern um Haltung. Nicht um Methoden, sondern um Menschlichkeit und Klarheit. Der Rollenwechsel zur Führungskraft ist kein reines Karrieresprungbrett. Er ist ein Entwicklungsraum. Unternehmen, die diesen Raum aktiv gestalten, die dem „Learning by Burning“ ein gezieltes Transition Management entgegensetzen, gewinnen nicht nur leistungsfähige Führungskräfte. Sie gewinnen Orientierung, stärken ihre Kultur und sichern ihre Zukunftsfähigkeit.

Violeta Nikolic

Violeta Nikolic

Violeta Nikolic ist Gründerin von MindShape Coaching – Leadership Development und begleitet als zertifizierter systemischer Coach seit über 15 Jahren Fach- und Führungskräfte durch berufliche Veränderungsprozesse.

Ihr Schwerpunkt liegt auf der Schnittstelle von Leadership, mentaler Gesundheit und Kulturwandel. In ihrer Arbeit verbindet sie psychologische Tiefenschärfe mit strategischer Klarheit, basierend auf ihrer eigens entwickelten ITI-Methode (Information-Transformation-Integration).

>> LinkedIn Profil von Violeta Nikolic

>>  Website von mindshape

 

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