Leadership, Führung, KI

Die letzte Manager-Generation, die noch Menschen führt

Unternehmen setzen immer mehr HR-Tools ein, um Mitarbeitende und deren Arbeit zu verwalten, zu managen und über Kennzahlen zu steuern. Allerdings laufen sie Gefahr, Führung ebenfalls als reine Tools und Methoden zu betrachten, die ebenfalls automatisiert werden könnten. Sie verkennen dabei etwas ganz Wesentliches, wie Gastautor Slatco Sterzenbach in seinem Artikel sehr eindrucksvoll darstellt.

Die Illusion vom modernen Management

Moderne Managementansätze versprechen Effizienz, Skalierbarkeit und Kontrolle. Tools, Dashboards und KPIs liefern in Echtzeit Auskunft über Produktivität, Performance und Zielerreichung. Führungskräfte sollen mehr messen als mitfühlen, mehr organisieren als orientieren. Was auf dem Papier hervorragend funktioniert, zeigt in der Praxis jedoch gravierende Schwächen, vor allem dort, wo Menschen keine Zahlen sind.

Viele Unternehmen setzen mittlerweile auf vollautomatisierte Prozesse im Personalmanagement. Onboarding per E-Learning-Modul, Jahresgespräche mit Bewertungsmatrix, digitale Mitarbeiterbefragungen mit Auswertungsalgorithmus. Das spart Zeit, senkt Kosten, aber auch den Kontakt. Der Mensch wird zum Datenpunkt, seine Entwicklung zur Kennzahl. Es entsteht der Irrglaube, dass Kultur, Bindung und Motivation plan- und messbar sind.

Werden Mitarbeitende gesehen oder nur verwaltet?

Dabei spüren gerade Mitarbeitende sehr genau, ob sie gesehen oder nur verwaltet werden. Sie merken, ob sich eine Vorgesetzte wirklich für ihre Entwicklung interessiert, oder lediglich eine HR-Routine abspult. In der Konsequenz reagieren sie mit Rückzug, Dienst nach Vorschrift oder innerer Kündigung. Die Kündigung auf dem Papier ist dann oft nur eine Frage der Zeit.

Wirkliche Führung bedeutet, Entscheidungen zu treffen, die nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern menschlich tragfähig sind. Es bedeutet, zuzuhören, Unsicherheiten auszuhalten, Konflikte aktiv anzugehen und Verantwortung zu übernehmen, gerade dann, wenn es unbequem wird. Diese Art der Führung lässt sich nicht delegieren. Sie braucht Präsenz, Haltung und den Mut, sich wirklich mit Menschen zu beschäftigen.

Moderne Managementsysteme können vieles leisten, aber sie können keine Werte vermitteln, keine Loyalität erzeugen und keine Bindung aufbauen. Wer glaubt, Kultur ließe sich in Software gießen, verkennt die Realität. Kultur entsteht im täglichen Umgang, im Gespräch, im gemeinsamen Lösen von Herausforderungen. Sie ist das Ergebnis von Führung, nicht von Steuerung.

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Wenn Erfahrung auf Strukturen trifft – der Umgang mit Bestandsmitarbeitern

In Zeiten des viel zitierten „War for Talents“ liegt der Blick vieler Führungskräfte fast ausschließlich auf Recruiting. Es wird nach neuen Talenten gesucht, nach digitalen High Potentials, nach jungen, flexiblen und innovationsfreudigen Köpfen. Was dabei häufig übersehen wird: Die wertvollsten Ressourcen sitzen oft bereits im eigenen Haus und werden stillschweigend ignoriert oder gar demotiviert.

Bestandsmitarbeiter, insbesondere jene mit vielen Jahren Unternehmenszugehörigkeit, sind mehr als nur Rädchen im Getriebe. Sie sind Wissensspeicher, Kulturbotschafter, Netzwerkerinnen und oftmals die stillen Leistungsträger im Hintergrund. Doch statt diese Menschen gezielt zu halten und weiterzuentwickeln, geschieht häufig das Gegenteil: Sie werden mit starren Strukturen, lieblosen Standardgesprächen oder fehlender Wertschätzung ausgebremst.

Teure Fluktuation

Das Resultat ist fatal, nicht nur emotional, sondern auch ökonomisch. Denn die Fluktuation erfahrener Mitarbeitender kommt Unternehmen teuer zu stehen. Nicht nur wegen der offenen Stellen, die schwer nachzubesetzen sind, sondern auch wegen des immensen Know-how-Verlustes und der entstehenden kulturellen Lücken im Team. In einer Zeit, in der Unternehmenskultur zum echten Wettbewerbsfaktor wird, ist das ein Risiko, das sich kein Betrieb leisten sollte.

Eine moderne und zugleich menschliche Personalpolitik muss genau hier ansetzen. Sie fragt nicht nur, wie Leistung zu messen ist, sondern wie Potenziale zu erhalten sind. Sie sucht nicht nach immer neuen „Performern“, sondern erkennt die Kraft langfristiger Bindung. Und sie versteht, dass Loyalität nicht erkauft, sondern verdient wird. Dies geschieht durch respektvolle Kommunikation, Beteiligung und Entwicklungsperspektiven.

Wirklich kluge Führungskräfte nehmen sich bewusst Zeit, um zuzuhören:

  • Was brauchen unsere langjährigen Mitarbeitenden?
  • Was blockiert sie?
  • Was motiviert sie?

Sie erkennen, dass nicht jeder Widerstand gegen Veränderung ein Zeichen von Verweigerung ist, sondern oft ein Signal für fehlende Einbindung oder unklare Kommunikation.

Recruiting ohne Seele – warum es nicht funktioniert

Nie war es einfacher, Stellenanzeigen zu schalten. Nie war es technisch ausgefeilter, Kandidatenprofile zu filtern, Matching-Algorithmen zu nutzen oder Bewerbungsgespräche per Videocall zu führen. Und dennoch: Viele Unternehmen kämpfen verzweifelt mit unbesetzten Stellen, fehlender Passung und hoher Frühfluktuation.

Warum? Weil Recruiting heute häufig zwar effizient, aber nicht menschlich ist.

Was ursprünglich als Professionalisierung gedacht war, ist vielerorts zur seelenlosen Mechanik verkommen. Lebensläufe werden nach Keywords gescannt, Bewerber im Minutentakt durch standardisierte Prozesse geschleust. Der Mensch hinter dem Lebenslauf? Oft zweitrangig. Dabei entscheiden gerade zwischenmenschliche Nuancen über Passung, Identifikation und langfristige Bindung.

Talente suchen mehr als nur einen Job

Führungskräfte und HR-Abteilungen übersehen dabei einen entscheidenden Punkt: Talente suchen längst nicht mehr nur einen Job. Sie suchen Sinn, Zugehörigkeit und Wertschätzung. Sie wollen wissen, wofür ein Unternehmen steht, wie es mit Menschen umgeht, wie es Konflikte löst und Erfolge teilt. Und sie erkennen sehr genau, ob all das im Bewerbungsgespräch gelebt wird oder ob es sich lediglich um gut formuliertes Employer Branding handelt.

Ein Vorstellungsgespräch ist heute keine Einbahnstraße mehr. Es ist ein beidseitiges Auswahlverfahren. Unternehmen, die dabei Distanz, Arroganz oder bloße Effizienz ausstrahlen, verlieren die Talente, die sie am dringendsten bräuchten, nämlich jene mit Rückgrat, Haltung und Persönlichkeit.

Es braucht deshalb mehr als nur ein gutes Jobangebot. Es braucht echte Begegnung. Gespräche auf Augenhöhe. Ein echtes Interesse am Menschen, nicht nur an seinen Fähigkeiten. Und es braucht eine Führungskultur, die schon im Recruiting spürbar ist. Wer dort nur standardisiert, kontrolliert und bewertet, setzt den Ton für alles Weitere. Genau das spüren Bewerbende oft schon beim ersten Kontakt.

Recruiting ist deshalb nicht nur Aufgabe der HR, sondern eine Führungsaufgabe. Eine, die Haltung, Präsenz und emotionale Intelligenz verlangt.

Warum Führung kein Auslaufmodell ist, sondern ein Wettbewerbsvorteil

Viele Führungskräfte glauben, gute Mitarbeiterführung sei eine Frage der richtigen Tools, der passenden KPIs oder der cleversten Meetingsysteme. Doch wahre Führung beginnt nicht mit Methoden, sie beginnt mit Haltung.

Verwalten bedeutet: Prozesse kontrollieren, Ressourcen zuteilen, Ziele messen. Führen bedeutet: Menschen verstehen, Potenziale entfalten, Verantwortung übernehmen. Wer führt, schafft Beziehung. Wer verwaltet, erzeugt Distanz.

Wer heute führen will, muss sich selbst gut führen können. Das heißt: Sich der eigenen Werte bewusst sein, die eigenen Trigger erkennen, mit Unsicherheit umgehen können und emotionale Spannungen aushalten. Das lässt sich nicht über Excel-Tabellen oder OKR-Dashboards abbilden.

Selbstführung als wichtiger Baustein

Es geht um Selbstführung und darum, Menschen nicht nur durch ihre Aufgaben, sondern durch ihre Menschlichkeit zu begleiten. Das bedeutet auch: zuzuhören, Konflikte anzusprechen, Entscheidungen zu tragen und Fehler zuzugeben.

Führung ist unbequem. Sie verlangt Rückgrat statt Regelwerk, Klarheit statt Konsens. Und genau das fehlt in vielen Organisationen. Nicht aus bösem Willen, sondern weil Führung über Jahre hinweg auf Effizienz und Kontrolle reduziert wurde.

Vor allem geht es um Eigenverantwortung. Um Eigenverantwortung und Eigenführung. Und damit beginnt man immer bei sich selbst. Nicht mit Methoden, sondern mit Fragen:

  • Wer bin ich als Mensch in meiner Führungsrolle?
  • Welche Haltung vertrete ich, auch wenn es unbequem wird?
  • Was ist mir wichtiger: Kontrolle oder Vertrauen?

Diese Reflexion ist keine Schwäche, sie ist ein Ausdruck von Stärke. Denn nur wer sich selbst kennt, kann andere aufrichtig führen.

Fazit: Führung bleibt – alles andere ist austauschbar

Vielleicht erleben wir gerade die letzte Manager-Generation, die noch Menschen führt, weil sie es gelernt hat, bevor Tools das Denken übernommen haben. Doch diese Fähigkeit ist keine Frage des Alters. Sie ist eine bewusste Entscheidung. Wer heute Personalpolitik betreibt, die auf Menschlichkeit, Klarheit und Verantwortung basiert, baut mehr als ein Unternehmen. Er baut eine Gemeinschaft, die tragen kann. Vor allem in Zeiten von Wandel, Fachkräftemangel und Unsicherheit.

Die zentrale Frage lautet nicht: Wie effizient sind unsere Prozesse? Sondern: Wie führen wir eigentlich unsere Menschen? Wie begegnen wir ihnen im Alltag, im Wandel, im Wachstum?

Wenn Sie bereit sind, diese Fragen ehrlich zu beantworten, haben Sie die Chance, mehr als nur Arbeitsplätze zu schaffen. Sie bauen ein Umfeld, in dem Menschen ihr Potenzial entfalten und langfristig bleiben. Nicht, weil sie müssen, sondern weil sie wollen.

Slatco Sterzenbach

Slatco Sterzenbach

 

Slatco Sterzenbach ist Experte für mentale und physische Performance für Führungskräfte. Vorstände, Geschäftsführer und auch Weltmeister lassen sich von ihm coachen.

>> LinkedIn Profil von Slatco Sterzenbach

>> Website von iron mind

 

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