KI-Herausforderungen für HR größer als gedacht

KI stellt HR vor größere Herausforderungen als gedacht

Eines der nahezu alle HR-Medien und HR-Events beherrschende Thema ist die Künstliche Intelligenz (KI). Der Einsatz sowohl im Personalwesen als auch im gesamten Unternehmen, dürfte mit ganz neuen Herausforderungen einhergehen als bisher gedacht. Aktuell kratzen wir aus meiner Sicht extrem an der Oberfläche und versuchen uns vor allem mit positiven Szenarien die neue Technologie „schönzureden“. Aber haben wir da wirklich mal in die Tiefe gedacht, abseits von Marktschreierei und vertrieblichen Interessen? – Ein paar sehr nachdenkliche Gedanken von mir dazu.

Systematisch über die Zukunft nachdenken und sie gestalten

Wir verkürzen die Auswirkungen des Einsatzes künstlicher Intelligenz aktuell gedanklich stark. Im Vordergrund stehen eher operative Überlegungen, mit welchen Use Cases diese zukunftsbestimmende Technologie in unseren HR-Alltag integriert werden kann und wo sie uns konkret unterstützt.

Alle machen sich Gedanken über Datenschutz, Lizenzkosten, den Weg, die Menschen in den Organisationen auf KI vorzubereiten, sie heranzuführen und zu befähigen, künstliche Intelligenz zu nutzen. Wir prompten und erkennen die Mehrwerte von ersten Automatisierungen.

Dabei sprechen wir über Produktivität, Effizienz und die große Vision, dass wir uns endlich mit den Aufgaben beschäftigen können, für die wir heute zu wenig Zeit haben. Weil Digitalisierung und Automatisierung mit KI uns diesen Freiraum verschaffen werden.

Das alles klingt erst einmal verheißungsvoll und erstrebenswert. Ist es vermutlich auch. Aber hinter all diesen Themen lauern ganz neue Herausforderungen für uns im HR.

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KI und Kommunikation: Freud und Leid

In den sozialen Medien wird es bereits deutlich: generative Künstliche Intelligenz ist eine sehr mächtige Technologie, um Kommunikation zu beschleunigen. Mit dem richtigen Prompt erhalten wir blitzschnell nicht nur Postings für LinkedIn und Co.

Im Rahmen von Custom GPTs unter Beachtung von relevanten Datenschutzregelungen ist es zunehmend auch möglich, unternehmensinterne Kommunikation sowie Kommunikation mit Kundinnen und Kunden zu automatisieren. Marketing-Agenturen wittern hier bereits goldene Zeiten. Selbsternannte KI-Gurus versprechen vollmundig 500% Umsatzwachstum durch die Nutzung von KI in der Kommunikation.

Recruiting-Kommunikation automatisiert

Auch im Recruiting kann generative Künstliche Intelligenz den wichtigen Schritt in Richtung Individualisierung leisten und Kommunikation mit Bewerbenden beschleunigen, intensivieren und vermutlich auch sympathischer gestalten als automatisierte Standard-Texte aus aktuellen Bewerbermanagementsystemen.

Wird also alles besser?

Ich frage mich das deshalb, weil auf Plattformen wie kununu immer wieder in negativen Bewertungen von Bewerbenden zu lesen ist, dass das Versenden einer (immer gleichen) Standard-Absage bei mehrfachen Bewerbungen eine grottige Candidate Experience darstelle.

Aber Hand aufs Herz: Wird das Erleben von Bewerbenden tatsächlich besser, wenn zukünftig eine KI vermeintlich freundlichere und hochindividuelle Texte automatisch generiert? Fühlen wir uns als Menschen dann stärker wertgeschätzt?

Vielleicht. Aber ich habe trotzdem Zweifel.

Wenn Bots mit Bots kommunizieren

Im Grunde geht der Trend dahin, dass der gesamte Recruitingprozess heute schon beidseitig komplett automatisierbar ist. Von der automatischen Erstellung der Bewerbung auf der einen Seite (inkl. herausragenden Möglichkeiten zur Deep-Fake Bewerbung), bis hin zur automatisierten Prüfung und KI-gestützten Kommunikation auf der anderen Seite des Tisches.

Sinkt der Aufwand für Recruitingprozesse damit zukünftig auf null? Lehnen sich alle zurück und schauen, was bei der Kommunikation von Bot zu Bot rauskommt?

Ist also die vermeintlich individuellere Behandlung von Bewerbungen durch die Auslagerung an Algorithmen und KI nicht letztlich reiner Selbstbetrug?

Mal abgesehen von gesetzgeberischen Restriktionen in der Personalauswahl, die heute noch bestehen – wollen wir das tatsächlich?

Falls nein, wo ziehen wir die Grenze?

Wissensaufnahme und Wissensverarbeitung durch KI

Ein weiteres Szenario im Unternehmen weist mich auf die nächste Herausforderung für HR hin, ebenfalls ausgelöst durch Künstliche Intelligenz:

Bereits heute ist es technisch möglich, durch die Anbindung von Datenquellen wie E-Mail-Software, Kommunikationssoftware, Intranet-Technologien und Datenbanken, den Prozess der Wissensaufnahme deutlich zu vereinfachen.

Bin ich beispielsweise für drei Wochen im Urlaub oder steht gar ein Sabbatical mit einer Abwesenheit von drei Monaten an, so kann ich in einem solchen Fall die KI darum bitten, alle genannten Kanäle zu prüfen, und mir eine kurze Zusammenstellung zu liefern, was ich in der Zeit meiner Abwesenheit versäumt habe und was ich jetzt wissen muss, um „up-to-date“ zu sein.

Technisch eine Antwort zu erhalten, die im fachlichen Sinne vermutlich sogar korrekt ist, ist keine Rocket Science mehr, sondern wird Alltag werden.

Aber bedeutet das am Ende tatsächlich, dass ich inhaltlich, fachlich auf dem neusten Stand bin, wenn ich mit der Zusammenfassung durch bin? Vermutlich nicht.

Aber es bedarf einer bewussten Willensentscheidung, sich dennoch jetzt vertieft mit einzelnen Themen und Kanälen zu beschäftigen und es nicht aus Bequemlichkeit oder vermeintlichen Effizienzgründen dabei zu belassen und direkt in die neuen Themen einzusteigen.

Sind wir darauf vorbereitet? – Ich habe Zweifel.

Snackable Wissen als gefährliche Verlockung

Der Trend ist längst gesetzt. Selbstoptimierung ist eines der Themen, die auf Social Media tagtäglich als Heilsbringer gepriesen werden. Dabei muss man sich heute scheinbar gar nicht mehr anstrengen und ganze Bücher lesen. Zahlreiche Apps wie Get Abstract oder Headway ermöglichen es uns, Fachbücher in einer kurzen Zusammenfassung zu lesen oder auch zu hören.

Alle wichtigen Thesen aufbereitet, strukturiert und kurz erklärt. Das Gehirn freut sich: Neues Wissen, in leicht verdaulicher Form als „Lern-Nugget“.

Aber sind wir hinterher WIRKLICH klüger?

Die Verlockung eine Vielzahl von solchen Fachbüchern oberflächlich quer zu lesen und das Wissen abzuspeichern, ist groß. Aber mein monatelanger Selbstversuch mit den beiden genannten Apps zeigt: Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ich nur die aneinandergereihten Thesen eines Fachbuches konsumiere oder das Buch tatsächlich lese: Den Kontext verstehen, die teils eindringlichen Beispiele nachvollziehen und sogar nachfühlen können. Der Dramaturgie zu folgen und mich hineinziehen zu lassen in die fachliche Welt.

Als erfahrene Nutzer:innen dieser Apps werden Sie jetzt zurecht einwenden, dass diese lediglich als eine Art Screening-Vorgang dienen, um zu entscheiden, welches Buch Sie tatsächlich lesen sollten. Ja. Aber wie viele Menschen tun das? Wie viele verbleiben auf dem oberflächlichen Level?

Auch hier braucht es eine bewusste Entscheidung – und die Zeit! – ein gesamtes Buch tatsächlich zu lesen. Während uns via Social Media „vorgegaukelt“ wird, dass andere in dieser Zeit bereits Inhalte von fünf weiteren Büchern aufgenommen haben.

Halten wir diesem sozialen Druck auf Dauer Stand – und mit welchem Energieeinsatz?

Wenn plötzlich alle Expert:innen sind

Der Schwenk in die Arbeitswelt liegt auf der Hand: Wenn wir angebunden an alle internen und vielleicht auch externen Quellen zukünftig mit diesen Daten chatten können, wer braucht dann noch echte Expertise?

Konkret meine ich das Szenario, dass wir vergleichbar einer „Googlesuche auf Stereoiden“ zukünftig unsere Fragen direkt als Chat mittels natürlicher Sprache ins System geben und auf Basis aller angebundenen Datenquellen eine Antwort erhalten werden. Das gesamte Expert:innen-Wissen ist für alle jederzeit verfügbar.

Was also ist echte Expertise noch wert und vor allem, wie wird sie erkannt? Oder anders ausgedrückt: Welchen massiven Impact künstliche Intelligenz, Vernetzung und Automatisierung auf unsere Jobs und das täglich Doing, unsere Jobbeschreibungen und letztlich unsere Performancebewertungen haben wird, haben wir noch nicht annähernd umrissen.

Werden wir es schaffen, Expertise für das Training von Künstlicher Intelligenz so zu nutzen, dass diese für alle gleichermaßen verfügbar wird – also das tatsächliche Ende von Vorbehaltswissen einläuten? Und wollen wir das? Können wir im Unternehmen damit leben, wenn Menschen ihre Identifikation mit ihrem Knowhow und Erfahrungswissen komplett verlieren?

Und nein, nicht nur explizites Wissen wird zukünftig verfügbar sein und vernetzt werden. Auch implizites Wissen wird mittelfristig davon betroffen sein.

Es wird keine biasfreie KI geben

Zuletzt möchte ich noch ein paar Gedanken in Richtung biasfreie KI loswerden. Der Gedanke ist zu verlockend: Künstliche Intelligenz nach ethischen Gesichtspunkten zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass Biases, die unser menschliches Verhalten bestimmen, aus der Technologie fernbleiben.

Technisch möglich ist das bereits heute. Die große Frage, die sich aufdrängt, ist aber, ob die Technologie-Konzerne aufgrund wirtschaftlicher Interessen in gleichem Maße solche Maßstäbe anlegen werden. Beispiel: Das KI-Modell DeepSeek aus China. Vom ersten Tag an entstand ein großer Hype auch auf LinkedIn um die Nutzung des vermeintlich revolutionären Tools. Die Begeisterung schlugt hohe Wellen.

Der genauere Blick offenbarte allerdings bereits deutlich, dass insbesondere unter ethischen Gesichtspunkten die Lösung alles andere als biasfrei ist. Nicht viel anders dürfte die Entwicklung bei amerikanischen Lösungen ausfallen, die einem zunehmenden politischen Druck der neuen Trump-Regierung unterliegen.

Und selbst bei möglicherweise unter den Maßgaben des AI Acts entstehenden neuen europäischen KI-Lösungen, wird es immer Interessensgruppen geben, die Einfluss auf Ergebnisse nehmen möchten und werden.

Unabhängig davon, dürfte ein flächendeckender Einsatz solcher Lösungen im Unternehmenskontext, in dem heute Microsoft vom Betriebssystem über die Kommunikations- und Kollaborationslösungen bis hin zu Datenbanken und KI-Piloten auf dem Weg zum unangefochtenen Monopol ist, eh sehr schwierig werden.

Wie also gehen wir als HR zukünftig mit unseren so wichtigen Bestrebungen rund um biasfreie Algorithmen, Diversity und Inclusion um?

Ich bin in Sorge.
Nicht nur aufgrund der rasanten technologischen Entwicklungen.

Mein Fazit

Auch wenn uns Künstliche Intelligenz gerade ein maximal großes Leistungsversprechen unterbreitet, sollten wir uns als HR-Verantwortlich heute schon damit befassen, welche Auswirkungen dies kurz- und mittelfristig (langfristig lässt sich die Veränderungsdynamik meiner Ansicht nach eh nicht realistisch einschätzen) auf die Arbeit in unseren Unternehmen haben wird.

Die wenigen beispielhaft in diesem Artikel genannten Themen

  • „blutleere“ Pseudo-Kommunikation
  • oberflächliches Wissen
  • Verlust an Expertisen
  • „gefärbte“ Algorithmen und Technologien

alleine, sollten uns bereits ins Nachdenken bringen.

Nicht zu Unrecht gehört Empathie zu den besonders gehypten Future Skills. Aber all die Empathie wird uns nicht nutzen, wenn wir systematisch im Unternehmen den vermeintlichen Verlockungen Künstlicher Intelligenz unterliegen. KI Literacy wird uns im HR stärker betreffen, als wir es jetzt schon wahrhaben wollen.

Unsere klassische HR-Devise „Irgendwas mit Menschen“ verschiebt sich schleichend, aber unaufhaltsam weiter in Richtung „Irgendwas mit viel Technologie“.

Gestalten wir die Veränderung also von Anfang an mit und tauschen uns dazu aus!
Kommunikation ist so viel mehr als nur Information.

Stefan Scheller

Stefan Scheller - Buchautor, Keynote Speaker, HR-Influencer auf PERSOBLOGGER.DEMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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