Recruiting ist gerade in Zeiten des „War of Talents“ ein anspruchsvoller und stressiger Job – oft auch ein undankbarer. Zwischen den Ansprüchen des Managements und der realen Lage am Arbeitsmarkt werden diejenigen zerrieben, die das optimale Personal finden und für die Firma begeistern sollen. „Recruiter-Burnout“ ist im englischsprachigen Raum bereits ein fester Begriff.
In Deutschland befürchtet laut einer aktuellen Pronova Studie jeder fünfte Beschäftigte sehr, durch Überlastung krank zu werden (Pronova 2023), unabhängig von der Branche. Im Recruiting dürfte die Zahl noch höher liegen. Aber wann wird aus zu viel Stress ein Burnout?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert das Burnout-Syndrom als berufsbedingtes Phänomen. Die Anzeichen: Mangel an Energie, Erschöpfung, innerer Abstand zur Arbeit, verbunden mit Negativismus oder auch Zynismus in Bezug auf den Job. Nachlassende berufliche Effizienz. Die WHO nennt Burnout „ein Syndrom, das als Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz konzipiert ist, der nicht erfolgreich bewältigt wurde“.
Stress reduzieren mit dem Tandem-Modell
Es gilt also, chronischen Stress im Job zu bewältigen oder am besten gar nicht erst entstehen zu lassen. Nicht so einfach in der Welt des Recruitings. Besonders groß sind Workload und Frustration, wenn die Personalbeschaffung eine One-Person-Show ist. Oft ist das in kleinen und mittleren Unternehmen und Start-ups der Fall. Ein paar Tage zu Hause bleiben, um die Grippe auszukurieren? Lieber nicht! Schließlich bleibt dann die Arbeit liegen und der Berg wird immer höher, der Druck wächst weiter.
Ist dann auch noch der Urlaub und damit die Zeit zum Aufladen der Batterien zu kurz – viele Startups gewähren nur das gesetzliche Minimum an Urlaubstagen – ist das Risiko für einen Burnout und eine lange Krankschreibung noch größer als ohnehin schon. Auch aus unternehmerischer Sicht ist eine derartige Sparpolitik ein Fehler. Ein Tandem-Modell kann hier Abhilfe schaffen.
Statt alle Arbeit und Verantwortung bei einer Person zu bündeln, wird im Team gearbeitet. Damit ist gegenseitiger Support gewährleistet und bei Abwesenheit kommt nicht die gesamte Arbeit zum Erliegen. Spitzenbelastungen sind leichter abzufedern. Voraussetzung für ein erfolgreiches Tandem sind aber Struktur und Planung.
Grundsätzlich ist der Druck im Recruiting-Tagesgeschäft massiv. Liegt eine Besetzung zeitkritischer Rollen an, steigt er noch. Viele Unternehmen konzentrieren sich stark auf neue Mitarbeitende – und vergessen dabei diejenigen, die schon da sind. Die Folge: Sie wandern ab. Und wieder sind neue Stellen zu besetzen.
Maßnahmen zur Bindung von Mitarbeitenden sowie langfristige Planung anstelle spontaner Talent-Suche können im Ergebnis viel Druck von den Recruiter:innen nehmen. Ideal ist eine jährliche Vorausplanung, aber auch ein Quartalskonzept ist schon hilfreich. Bessere Vorbereitung wird möglich und der Stress, der durch spontane Anforderungen entsteht, reduziert.
Recruiting gehört ins Management
Das nächste häufige Problem, das zum Burnout führen kann, ist die schwache Position von Recruiter:innen im Unternehmen, wenn sie nicht Teil des Managements sind. Und das sind sie selten. Umso häufiger haben sie mit Hiring-Manager:innen zu tun, die weder Erfahrung noch Wissen im Recruiting haben, dafür aber utopische Erwartungshaltungen und Anforderungen.
Ein Beispiel aus der Praxis: Nach vier Monaten harter und gründlicher Vorarbeit ist es der Recruiterin gelungen, drei geeignete Talente für eine Stelle zu finden. Alle drei erfüllen die Voraussetzungen, alle wollen den Job und sind jetzt in der Endrunde. Erleichterung pur, ein gutes Gefühl. Jetzt ist der Hiring Manager am Zug, in dessen Abteilung die Stelle zu besetzen ist. Die Recruiterin ist an den entscheidenden Gesprächen nicht beteiligt, er entscheidet allein. Wen von den dreien wird er auswählen?
Dann kommt die Nachricht: Keinen. Bitte das Ganze noch mal von vorn. Frust statt Erfolg, Missachtung anstelle von Wertschätzung.
Passiert so etwas häufiger, ist es nicht mehr weit bis zum Burnout. Recruiter:innen gehören ins Management. Sie müssen eine Stimme bekommen und an den Interviews beteiligt werden. Das bedeutet nicht nur Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Die Beteiligung mehrerer Personen an den Interviews führt auch zu mehr Input und verringert gleichzeitig die Gefahr der Recruiting Bias, die bei alleinigen Entscheidungen immer gegeben ist.
Mediation kann zudem die Zusammenarbeit von Recruiting und Führungskräften verbessern. Ebenso wichtig sind regelmäßige Feedback-Gespräche und ein gemeinsamer Rückblick auf abgeschlossene Projekte.
Die richtigen Tools für effizientes Recruiting
Häufig fehlt es außerdem an den notwendigen Ressourcen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Viele Unternehmen arbeiten noch mit ineffizienten Tools wie Excel, was den Prozess erschwert. Ein gutes ATS (Applicant Tracking System) und Tools wie der LinkedIn Recruiter Account können die Suche nach Talenten und den Recruiting-Prozess effizienter gestalten und für Übersicht sorgen. Dateien verwalten, Mails verschicken, Berichte generieren – dafür gibt es die Automatisierung. Künstliche Intelligenz kann zum Beispiel beim Schreiben von Stellenanzeigen eingesetzt werden oder Bewerbungsgespräche transkribieren und so zur Entlastung beitragen.
Weniger Workload, mehr Wertschätzung, partnerschaftliche Personalsuche – das sind die entscheidenden Punkte, mit denen Unternehmen helfen können, Recruiter-Burnout zu vermeiden. Darüber hinaus sollten sie Ressourcen für die mentale Gesundheit schaffen. Plattformen für Gesundheitsmanagement bieten psychologische Betreuung für Mitarbeitende an. In Workshops zu Mental Health kann Bewusstsein für die Gefahr geschärft werden.
So schützen sich Recruiter vor dem Burnout
Und die Recruiterinnen und Recruiter selbst? Was können sie tun, um sich vor dem Ausbrennen zu schützen? Sie können und müssen Überforderung deutlich ansprechen und Änderungen verlangen. Auch Austausch mit anderen hilft, zum Beispiel in einem Netzwerk mit anderen Recruiter:innen auf LinkedIn. Dabei geht es um mehr als den sachlichen Austausch von Erfahrungen und Problemlösungen.
Gerade diejenigen, die das Recruiting in ihrer Organisation als Einzelne bewältigen, profitieren von dem Gefühl, mit ihren Problemen nicht allein zu sein. In ihrem Netz von Kolleginnen und Kollegen werden sie gehört und gesehen.