In einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt ist es im HR-Management und bei der Entwicklung von Mitarbeitenden und Führungskräften unerlässlich, Angebote für die Entwicklung von Resilienz und Konfliktfähigkeit zu schaffen. Mindset und Haltung können ganz handfest angepackt werden, sagt Trainer und Coach Holger Heinze und liefert einige Gedankenanstöße.
Die VUCA-Welt verlangt unseren Mitarbeitenden viel ab
Die VUCA-Welt stellt uns und unsere Kolleginnen und Kollegen vor eine Vielzahl von Herausforderungen, die von instabilen Märkten und Konjunkturschwankungen bis hin zu sich schnell ändernden Arbeitsbedingungen reichen. Um diese Herausforderungen erfolgreich zu meistern, müssen Mitarbeitende lernen, flexibel und anpassungsfähig zu sein. Die Fähigkeit, schnell auf Veränderungen zu reagieren, ist von entscheidender Bedeutung, um in einer VUCA-Welt zu bestehen.
Was macht mich agil, anpassungsfähig und resilient?
Die WeQ Foundation (u.a. vom Hasso Plattner Institut gegründet) hat 2018 die OECD Future Skills um eigene WeQ Skills ergänzt. Die weithin akzeptierte Liste zeigt: Soft Skills dominieren die Schlüsselkompetenzen der Zukunft.
Danach brauchen wir im Unternehmen z.B.
- Resilienz
- Lernkompetenz
- Selbstwirksamkeit
- Achtsamkeit
- Bereitschaft zum Teilen
- Empathie
- und die Skills, auf Augenhöhe zu Handeln
um nur eine Auswahl zu nennen. Aber – woher kommen diese Kompetenzen?
Konfliktkompetenz entsteht nicht allein durch Online-Konfliktmanagement-Kurse. Vertrauen und ein Gefühl der Sicherheit entsteht nicht durch Poster, auf denen steht „wir lernen aus unseren Fehlern“.
Das Mindset macht den Unterschied
Die Basis für diese Kompetenzen und damit der wichtigsten Kompetenzen, die Mitarbeitende benötigen, um in einer VUCA-Welt erfolgreich zu sein, ist ein starkes und positives Mindset. Das Wort soll hier aber nicht als weicher Allgemeinplatz oder wabernder Platzhalter benutzt werden. Mindset bezieht sich hier ganz konkret auf die innere Haltung einer Person und darauf, wie sie ihre Umgebung und ihre Erfahrungen interpretiert.
Es ist der Schlüssel zur Selbstwirksamkeit und Resilienz, da es entscheidend ist, ob man sich als Opfer oder als Gestalter:in der eigenen Realität betrachtet. Eine positive Einstellung kann dazu beitragen, dass man Herausforderungen als Chancen betrachtet und positive Veränderungen vorantreibt, anstatt in der Opferrolle zu verharren. Bin ich in der Lage, mich als entscheidungsmächtig wahrzunehmen, dann habe ich eine Wahl.
Die Attraktivität der Opferrolle
Leider ist das hier beschriebene Mindset erstmal nicht natürlich.
Natürlich und menschlich ist stattdessen:
- Überleben
- Das Umfeld auf Gefahren untersuchen
- Muster im Umfeld identifizieren, die in der Vergangenheit schon weh getan haben
- Mit Kampf, Flucht oder Verstecken das eigene Überleben sicherstellen
Und all dies ist fest in unseren Gehirnen verdrahtet. Wir sind darauf konditioniert, Probleme zu bemerken und so auf sie zu reagieren, dass sie keine Bedrohung mehr darstellen. Ob das Problem nun ein hungriger Säbelzahntiger, ein Lieferengpass oder eine kritische E-Mail von einem Problemkunden ist.
Wir reagieren selbsterhaltend. Und das führt oft zu rein reaktivem Verhalten, das weder konstruktiv noch nachhaltig ist:
- Wir verscheuchen den Tiger, ohne uns zu fragen, wo er eigentlich herkam.
- Wir stellen klar, dass der Lieferengpass im Grunde höhere Gewalt ist und wir nicht bestraft werden dürfen, wenn wir nun selbst nichts mehr produzieren.
- Wir erklären, dass uns keine Schuld trifft, dass der Kunde unzufrieden ist.
Gerade in einer komplexen Welt voller Stress, Verstrickungen und Abhängigkeiten ist es für das eigene Überleben und die psychische Hygiene oft sehr attraktiv, sich in die Opferrolle zu bewegen.
Wie wir an konkreten Beispielen sehen, hilft das aber weder der Produktion noch dem Kunden.
Problemorientierung: Das toxische Drama-Dreieck
Das Drama-Dreieck, nach seinem Erfinder Stephen Karpman auch Karpman-Dreieck genannt, beschreibt eine dynamische Interaktion zwischen drei Rollen: Opfer, Retter:in und Schurk:in. Es geht auf die Transaktionsanalyse von Eric Berne („Spiele der Erwachsenen“) und Thomas A. Harris („Ich bin OK, Du bist OK“) zurück.
Das Drama-Dreieck entsteht, wenn ein Mensch sich (meist unbewusst) dafür entscheidet, sich die Opferrolle als Reaktion auf eine Herausforderung zu nehmen. Dabei wird auf das Problem geschaut, weshalb wir diese Dynamik auch die „Problemorientierung“ nennen.
- Das Opfer fühlt sich hilflos und ohnmächtig, zieht sich darauf zurück, dass es machtlos ist und ihm Rettung zusteht. Als Spielball ist das Opfer dem Schurken ausgeliefert und leidet, ist aber ohne Alternativen, Optionen und Verantwortung.
- Retter:innen sind mächtige Helden oder vermeintlich empathische Ausredequellen, die das System am Laufen halten aber eigentlich auf die Ohnmacht und den Stillstand einzahlen. Sie verhindern (oft unfreiwillig) Entwicklung und Wachstum. Retter:innen können Personen sein oder auch z.B. Drogen oder ungerechtfertigte Hoffnung.
- Komplettiert wird das Dreieck durch die Schurk:innen, die verurteilen und Schuld verteilen, anklagen und in Schubladen stecken. Unter ihnen leidet das Opfer. Schurk:innen können Personen sein oder auch Situationen, Krisen, Beschränkungen.
Da die Rollen im Drama-Dreieck vornehmlich mit dem eigenen Überleben, der eigenen Reputation und dem Verteilen von Schuld und Scham beschäftigt sind, wird hier selten nachhaltig etwas gelöst. Stattdessen tritt man auf der Stelle und es fühlt sich an wie eine Berg- und Talbahn, auf der man ständig dieselben 7-10 Probleme „managt“.
Die ergebnisorientierte Alternative: TED* (*The Empowerment Dynamic)
2009 hat David Emerald die Empowerment Dynamic als Gegenentwurf zum Drama-Dreieck entwickelt. Drei alternative Rollen ersetzen die toxisch-ohnmächtige Grundhaltung des Drama-Dreiecks durch souveräne Entscheidungen und Gestaltung:
- Aus dem Opfer wird die Rolle der Gestalter:innen, die bewusst im Rahmen ihrer Möglichkeiten Entscheidungen treffen und auf ihr Ergebnis hinarbeiten.
- Aus den Schurk:innen werden Herausforderer:innen, die sich statt „wer ist schuld, dass es nicht klappt“ nun auseinandersetzen mit „wer muss was lernen, damit es klappt“.
- Aus den übergriffigen Retter:innen werden distanzierte Coaches, die Gestalter:innen an ihre Gestaltungsmacht (und -verantwortung) erinnern, statt Opfer in Schutz zu nehmen und damit ihre Entwicklung verhindern.
Natürlich gibt es auch indirekte Shifts. Diese ermöglichen z.B. einer Führungskraft, die sich in der Retter:innen-Rolle findet, direkt in die verbindliche Herausforderer:innen-Rolle zu wechseln. So kann eine verbindliche aber empowernde Challenge an Gestalter:innen gesendet werden, statt dass die Führungskraft sich in einer vermeintlich machtlosen (und auch nicht ganz aufrichtigen) Coach-Rolle wiederfindet, in der sie so lange fragt, bis sie die eine Antwort hört, die sie hören muss.
Empowerment ist die Basis für Resilienz
Wie eingangs erwähnt brauchen Resilienz und Agilität eine gewisse Haltung. Unvorhergesehene Krisen und bedrohliche Situationen aktivieren reaktive Muster in Menschen, die nur allzu oft ins Drama-Dreieck mit seinen Rollen führen.
Umgekehrt kann die Empowerment Dynamik mit ihrer gestaltenden Grundhaltung das Fundament bieten, auf dem Fähigkeiten und Konzepte wie Agilität, Vertrauen, Fehlerkultur, gutes Feedback und funktionierende New Work-Ansätze wachsen.
Wenn wir nur einen Weg hätten, den Mindset-Switch verlässlich und konkret im Alltag zu verankern.
Ein alltagstaugliches Framework: 3 Vital Questions
3VQ (3 Vital Questions) ist eine einfache Methode, um
- Drama-Rollen im Alltag zu bemerken,
- den Switch in wirksame Rollen zu vollziehen,
- Nachhaltig ergebnisorientierte Maßnahmen zu ergreifen.
Die drei Fragen lauten:
Worauf richten Sie Ihre Aufmerksamkeit?
Fokussieren Sie sich auf Probleme oder auf nachhaltige Ergebnisse, die Ihnen wirklich etwas bedeuten? Hier wird trainiert zwischen den reaktiven Verteidigungsmustern und ergebnisorientiertem Denken zu unterscheiden und zu wechseln.
Wie treten Sie in Beziehung?
Welche Rollen nehmen Sie in Beziehungen mit anderen, sich selbst und ihren Erlebnissen ein? Sind es Rollen, die Drama verursachen und befeuern oder Rollen, die Sie und andere kreativ, entscheidungsmächtig und unabhängig machen? Hier switchen Sie aus Drama-Rollen in wirksamere Rollen aus der Empowerment-Dynamik.
Welche Maßnahmen ergreifen Sie?
Reagieren Sie nur im Moment auf Probleme oder ergreifen Sie kreative, dauerhaft wirkende Maßnahmen, die Probleme wirklich lösen? Mit einem ergebnisorientierten Maßnahmenplanungstool kann sichergestellt werden, dass nach einem Rollenswitch auch wirklich Aktionen folgen.
Resilienz und Konfliktfähigkeit greift um sich
Wenn Mitarbeitende die drei Vital Questions erlernen und anwenden und im Folgenden die Empowerment Dynamik leben, wird die Organisation als Ganzes resilienter. Durch eine verbesserte Kommunikation und Zusammenarbeit in Teams, eine bessere Führung und Selbstführung sowie einen neuen Umgang mit Verantwortung und Stressreduzierung wird eine Kultur und ein Mindset für Agile und Digitalisierung geschaffen.
Wir beobachten in Organisationen, dass Mikromanagement-Spiralen aufgelöst werden, da Führungskraft und Mitarbeitende nicht mehr Opfer voneinander sind bzw. eine gemeinsame Sprache erlernen. Eine Sprache, mit der sie ohne Scham und Schande gemeinsam die Situation reflektieren können. Fluktuation nimmt ab, da Konflikte konstruktiv ausgetragen werden können und es zwischen gespielter Harmonie und persönlichen Angriffen plötzlich alternative, verbindliche Lösungswege gibt. Uralte Blockaden und Abhängigkeiten („die Personalabteilung müsste im Recruiting mal …“ und „die IT macht immer…“) werden verbindlich gelöst.
Realistische und langfristige Angebote machen
Es hat sich bewährt, den Mitarbeitenden verschiedene Formate und Kanäle zum Erlernen und Trainieren der Methode anzubieten. Unsere Erfahrung zeigt, dass es unabhängig von Format und Kanal die folgenden Erfolgskriterien gibt:
- Das Thema wird angeboten und angeteasert (über z.B. Lunch & Learn, Impuls bei Führungskräfteveranstaltungen)
- Führungskräfte beginnen (aus Gründen der Vertraulichkeit auch in Kleingruppen oder 1:1 Coachings)
- Es werden dauerhafte Lerngruppen geformt (die ganz nebenbei prima Silogrenzen einreißen können, wenn sie entsprechend zusammengesetzt werden)
Sobald in einem Team mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden „Praktizierende“ sind, ist die kritische Masse erreicht und die Empowerment Fragen und Rollen entwickeln ein Eigenleben.
Drama und Opferrolle haben es dann sehr schwer, sich durchzusetzen.