Mit Quiet Firing nehme ich mir heute einen weiteren Begriff vor, der aktuell medial in der HR-Welt diskutiert wird. Was bedeutet er, in welchem Verhältnis steht er zum sogenannten Bossing, also dem Mobbing durch Führungskräfte und was kann HR dagegen tun?
Was bedeutet Quiet Firing?
Im Gegensetz zum Quiet Quitting, bei dem Arbeitnehmende eine „stille Kündigung“ vornehmen, handelt es sich bei „Quiet Firing“ um eine „stille Arbeitgeberkündigung“. Dabei kündigen Führungskräfte nicht offiziell und formal, sondern versuchen durch passives oder gar aktives Verhalten, Mitarbeitende zu vergraulen.
Die Grenzen zum Bossing, also dem Mobbing von Mitarbeitenden durch Führungskräfte, sind dabei fließend. Allerdings hat Quiet Firing eine Kündigung zum Ziel. Beim klassischen Bossing muss dies nicht zwangsläufig der Fall sein.
Wie macht sich Quiet Firing bemerkbar?
Mögliche Maßnahmen, um Mitarbeitende aus dem Unternehmen zu vergraulen sind vielfältig. Häufig geht es um eine Kombination aus dem folgenden Verhalten:
Mangelnde Förderung von Karriere und Wachstum
Führungskräfte übergehen dabei bewusst die betroffenen Mitarbeitenden beim Thema Karriere oder Wachstum. Die Betroffenen haben keine Chance im Rahmen von Potentialauswahlverfahren wahrgenommen zu werden. Auch bei Gehaltserhöhungen außerhalb kollektiver Verfahren (zum Beispiel aufgrund eines Tarifvertrags oder einer unternehmenseigenen Betriebsvereinbarung) gehen sie leer aus.
Gleiches gilt für Weiterbildungswünsche. Diese werden stets abgelehnt oder Führungskräfte flüchten sich in Ausreden.
Sinnlose Beschäftigung
Bei der Vergabe von Aufgaben, macht sich das Quiet Firing Phänomen dadurch bemerkbar, dass die betroffenen Mitarbeitenden von ihren Führungskräften wenig sinnstiftende Aufgaben erhalten und bewusst von Themen ferngehalten werden, die von zentraler Bedeutung sind oder hohe Management-Attention ermöglichen.
Häufig werden dabei sogar Scheinprojekte erfunden oder anderweitige Beschäftigungen, die wenig zur Wertschöpfung beitragen oder bekanntermaßen sehr unbeliebt sind.
Einseitige Erhöhung der Leistungserwartung
Mindestens genauso schlimm, wenn nicht gar schlimmer, ist ein Verhalten, bei dem die Führungskraft einseitig die von den betroffenen Beschäftigten erwartete Arbeitsleistung deutlich nach oben schraubt. Im Rahmen der Weisungsbefugnis ermöglichen Arbeitsverträge in der Regel eine Zuweisung gewisser anderer Tätigkeiten. Im negativen Fall würden hier aber die Grenzen deutlich überschritten, da die Aufgaben nicht mit den vereinbarten übereinstimmen oder ihnen ähnlich sind.
Alternativ wird durch Führungskräfte die Anzahl der Aufgaben innerhalb einer vereinbarten Tätigkeit deutlich erhöht.
Dieses Verhalten kann – auf die Spitze getrieben – in einen Burnout oder einen ähnlich gesundheitlich negativen Zustand führen. Mentale Gesundheit ist ein sensibles Gut – auch und gerade in und für Unternehmen. Ein Grund, warum viele HR-Abteilungen dem Thema gerade hohe Aufmerksamkeit widmen.
Verweigerung von Wertschätzung
Wertschätzende Führung ist für viele Mitarbeitenden eine wesentliche extrinsische Motivation. Sie unterstützt im umgekehrten Fall eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit und kann an den Arbeitgeber bindend wirken. Insofern wird beim Quiet Firing das bewusste Verweigern von Wertschätzung gezielt eingesetzt, um eben jene Bindung an das Unternehmen zu verringern.
Auffällig wird dies, wenn deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Teammitgliedern erkennbar werden, die objektiv nicht gerechtfertigt sind oder sich nicht nachvollziehen lassen.
Aus-dem-Weg-Gehen und Ignorieren
Besonders perfide ist das zusätzliche Aus-dem-Weg-Gehen und Ignorieren von Mitarbeitenden im Rahmen einer Quiet-Firing-Strategie. Dabei werden betroffene Personen entweder erst gar nicht zu Terminen eingeladen oder Gesprächstermine fortlaufend verschoben beziehungsweise gecancelt. Gleiches gilt für E-Mails, die von Führungskräften ignoriert werden und unbeantwortet bleiben. Mitarbeitende laufen im sprichwörtlichen Sinne dabei „auf den Poller“.
Je systematischer Teammitglieder ignoriert werden, um so auffälliger gestaltet sich das Quiet Firing. Irgendwann ist das vermeintlich „stille“ sogar himmelschreiend deutlich auch für Außenstehende.
Die Zunahme von mobiler Arbeit und Homeoffice hat die Gefahrensituation vermutlich weiter verstärkt. Denn bei lediglich digitaler Führung (im Fall von fully remote) ist ein bewusstes Aus-dem-Weg-Gehen natürlich deutlich einfacher.
Genau hinsehen und offen ansprechen
Möglicherweise finden die einen oder anderen von Ihnen gerade Ansatzpunkte in Richtung Quiet Firing bei Ihrer eigenen Führungskraft. Bevor Sie vorschnell urteilen, sollten Sie unbedingt genau hinsehen und das Thema offen ansprechen gegenüber Ihrer Führungskraft oder auch Teamkolleginnen und -kollegen. Denn nicht jedes gezeigte Verhalten, das dem oben Beschriebenen entspricht, ist schon ein Beweis für Quiet Firing.
Häufig sind Führungskräfte einfach operativ überlastet. Oder in fachliche Aufgaben derart eingespannt, dass sie die nicht-fachliche Führung zu stark vernachlässigen. Das soll keine Entschuldigung sein und ist ebenfalls unangenehm. Aber der Weg hin zum Quiet Firing ist nochmal ein anderer.
Warum betreiben Führungskräfte Quiet Firing?
Nun stellt sich die Frage, wieso Führungskräfte beim Quiet Firing auf derart unlautere Verhaltensweisen zurückgreifen. Auch wenn es hier vermutlich weitere Gründe geben dürfte, spielen dabei folgende häufig eine große Rolle:
Konfliktscheue Führungskräfte
Einer der wesentlichen Antreiber in Richtung Quiet Firing dürfte die mangelnde Konfliktfähigkeit entsprechender Führungskräfte sein. Anstatt den Konflikt professionell zu lösen, setzen Führungskräfte dann auf subtile (oder irgendwann auch weniger subtile) Maßnahmen, um den Beschäftigten die Arbeit zu vermiesen.
Hierbei dürfte auch die im Unternehmen vorhandene Unternehmenskultur sowie das Führungsverständnis maßgeblich Einfluss auf das Verhalten haben.
- Wie geht man generell in der Organisation mit abweichenden Meinungen und Konflikten um?
- Welche Verhaltensweisen von Führungskräften werden als adäquat eingestuft, um Ziele zu erreichen?
- Inwiefern wird Konfliktfähigkeit als wesentliche Eigenschaft für Führung (wie für Teamarbeit eigentlich generell) anerkannt und gefördert beziehungsweise auch gefordert?
Kein legitimer Kündigungsgrund vorhanden
Ebenfalls in Betracht kommt das Fehlen eines zur Kündigung berechtigenden Grunds. Innerhalb des Geltungsbereichs der arbeitsrechtlichen Regelungen von Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder gesetzlicher Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch beziehungsweise in Spezialgesetzen sind die Kündigungsgründe fest definiert. Im Gegensatz zum angloamerikanischen Prinzip „Hire & Fire“ sollen in Deutschland willkürliche Kündigungen damit vermieden und in der Regel Kündigungsschutz gewährt werden.
Sollte ein formal gültiger Kündigungsgrund seitens des Arbeitgebers fehlen, könnten Führungskräfte geneigt sein, mittels Quiet Firing eine Arbeitnehmerkündigung zu provozieren.
Das Unternehmen möchte keine Abfindung zahlen
Auch wenn es für die meisten meiner Leserinnen und Leser vermutlich (hoffentlich) weit außerhalb der eigenen Lebensrealität liegt, gibt es Führungskulturen, bei denen Quiet Firing bewusst eingesetzt wird, um beispielsweise Abfindungen zu vermeiden. Denn wenn die von Quiet Firing betroffenen Beschäftigten von sich aus kündigen, gibt es keinen Abfindungsanspruch.
Insofern wären die Führungskräfte, die auf derartige Methoden setzen, nicht wirklich konfliktscheu. Sie würden sich stattdessen sogar „systemclever“ verhalten – die Organisation arbeitgeberseitig entsprechendes Verhalten gutheißen und vermutlich sogar belohnen.
Auswirkung von Quiet Firing auf Quiet Quitting
Ob die Maßnahmen einer Führungskraft im Sinne von Quiet Firing erfolgreich sind, hängt auch davon ab, wie viel Resilienz die betroffenen Beschäftigten aufweisen. Es kann beispielsweise passieren, dass sich letztere bewusst auf die Situation einstellen und „in ihrer zugewiesenen Nische bequem machen“. Denn wenn die eigene Führungskraft kein Auge mehr auf die eigene Person wirft, beziehungsweise keine Leistung mehr erwartet, könnte damit eine Gegenreaktion des Quiet Quitting erfolgen.
So oder so entsteht eine wahrlich toxische Arbeitsatmosphäre, die nicht selten auf andere -vermeintlich Unbeteiligte- übergreift.
Was kann HR gegen Quiet Firing tun?
Das Herausfordernde am Quiet Firing ist die Tatsache, dass dieses Führungsverhalten oft gar nicht transparent wird. Denn vieles spielt sich im Verborgenen ab, beziehungsweise ist bewusste Passivität (also eine Art „Nicht-Verhalten“).
Selbstverständlich dürften die meisten von Ihnen wissen, wie Sie bei einem bekannt gewordenen nicht gewünschten Verhalten von Führungskräften agieren und welche arbeitsrechtlichen Mittel Ihnen zur Verfügung stehen. Daher lege ich den Schwerpunkt hier bewusst auf den Fall, bei dem das schädliche Verhalten nicht – oder nur gerüchteweise – bekannt wird.
Rahmenbedingungen für Transparenz im Unternehmen schaffen
Letztlich beschränkt sich der Einfluss von HR in diesem Fall auf das Schaffen von allgemeinen Rahmenbedingungen, die Transparenz über die Vorgänge im Unternehmen ermöglichen. Dazu gehören unter anderem
- Enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebspartner (Betriebsrat)
- Etablierung einer offenen Feedback-Kultur
- Schaffung von Schutzräumen für das Äußern von Kritik
- Bereitstellung von Beratungsangeboten seitens HR zum Thema Mobbing, Bossing oder Quiet Firing
- Entwicklung der Organisation in Richtung Social Communication, bei der sich alle gleichermaßen beteiligen können
- Integration des Themas in die Auswahlprozesse und Guidelines für Führungskräfte
- Abschluss einer Betriebsvereinbarung, die Antworten auf die Thematik liefert (wer kann wo, wann, auf wen zugehen, um Unterstützung zu erhalten)
- Externe Kooperationspartner einbinden
Mein Fazit zu Quiet Firing
Das Phänomen des Quiet Firing ist keinesfalls neu. Es gewinnt allerdings durch die andauernden Krisen und die bereits von zahlreichen Unternehmen angekündigten Entlassungen weiter an Gewicht. Auch verstärkt der Trend zu mobiler Arbeit die Gefahrenlage, da ein toxisches Verhalten von Führungskräften dadurch erleichtert wird.
In Unternehmen mit einer gesunden und mitarbeiterorientierten Unternehmenskultur dürfte es sich vermutlich nur um Einzelfälle handeln, bei denen Ansätze eines solchen Verhaltens gezeigt werden. Das hilft allerdings den Betroffenen wenig, denn diese leiden unter ihren Führungskräften beim Quiet Firing im Stillen.
Was es in jedem Fall braucht, ist auch ein klares Bekenntnis aller Führungskräfte einer Organisation, dass ein solches Verhalten nicht geduldet wird und dem gewollten Miteinander widerspricht.
Übrigens, beim Top-Management fängt es an – Stichwort: Vorleben.