Inzwischen wird im Handwerk fast jede vierte Lehrstelle von einer Frau besetzt – der Gesamtanteil ist aber immer noch gering. Das Handwerk gilt nach wie vor als typischer Männerberuf. Dabei kommt es nicht auf das Geschlecht an, sondern auf das Können – und das haben Frauen genauso wie ihre männlichen Kollegen.
„Der erste Fehler liegt meistens im Handwerksbetrieb selbst – bei der Personalsuche fühlen sich Frauen nicht angesprochen“, sagt Christian Keller, Kellerdigital. In diesem Artikel zeigt er acht Maßnahmen, die Betriebe umsetzen können, um mehr Frauen für das Handwerk zu begeistern.
Weibliche Team-Mitglieder in Stellenanzeigen zeigen
Bilder sagen mehr als tausend Worte. Und es hat sich längst herumgesprochen, dass effektives Online-Recruiting vom Bildmaterial lebt. Erst wenn Menschen sich von Bildern emotional angesprochen fühlen, bringen sie auch die Aufmerksamkeit auf, Texte zu lesen und weitere Informationen aufzunehmen. Im Recruiting gehört es daher heute zum Standard, Stellenanzeigen mit Fotos von Menschen bei der alltäglichen Arbeit zu illustrieren, um Interesse zu wecken und eine emotionale Basis zu schaffen. Doch genau dieser Standard ist ein Problem.
Im Handwerk zeigt die klassische „Business-Fotografie“ Männer. Frauen kommen höchstens als Randerscheinung vor, weil sie als Kundinnen beraten werden oder als Bürokraft mit dem Klemmbrett neben den tatkräftigen Männern stehen. Finden Frauen sich heute noch darin wieder? Nein! Frauen werden auf Unternehmen aufmerksam, wenn sie sehen, dass in der praktischen Arbeit weibliche Team-Mitglieder auf Augenhöhe und gleichberechtigt mitarbeiten – kompetent, aktiv und selbstbewusst.
Gerade auf Social Media performen tatsächlich Kampagnen, die Frauen als geschätzte Fachkräfte zeigen, am besten. Diese Fotos begeistern übrigens nicht nur Frauen, sondern auch männliche Bewerber. Es lohnt sich also wirklich, weibliche Team-Mitglieder für ein Shooting vor die Kamera zu holen.
Arbeitserleichterungsmaßnahmen kommunizieren
Es gibt viele Handwerksberufe, die in dem Ruf stehen, nicht für Frauen geeignet zu sein, weil sie große körperliche Kraft erfordern. Jedoch gibt es viele Möglichkeiten, die Arbeit zu erleichtern, was nicht nur für Frauen interessant ist, sondern auch die männlichen Kollegen aufatmen lässt. Als praktisches Beispiel: Ist ein Betrieb im Fensterbau tätig, müssen schwere Rahmen und Scheiben getragen werden, die mit großer Vorsicht behandelt werden müssen. In der Vergangenheit mussten Fenster von zwei bis drei Personen getragen werden.
Heute gibt es aber Hebe-Roboter, die diese Arbeit übernehmen. Das ist nicht nur für Frauen sehr interessant, es ist auch innovativ und spricht die junge Generation an. Ein Betrieb, der schon beim Recruiting zeigt, dass er Arbeitserleichterungsmaßnahmen einsetzt, positioniert sich automatisch als wertschätzender Arbeitgeber – und das zieht auch Frauen an.
Mehrere Varianten von Stellenanzeigen schreiben
Oft sind Stellenanzeigen so geschrieben, dass sie einen ganz bestimmten Persönlichkeitstypus ansprechen. In der Regel zielen sie auf Männer ab. Gerade für Frauen ist es aber besonders wichtig, sich in individuellen Stellenanzeigen wiederzufinden. Um verschiedene Persönlichkeitstypen zu begeistern, ist es daher gut, mehrere Stellenanzeigen zu veröffentlichen, die unterschiedliche Schwerpunkte haben.
Für Frauen gibt es in der Arbeitswelt Aspekte, die weit über die eigentliche Tätigkeit hinausgehen. Erfolgreiche Recruiting-Kampagnen setzen daher auf ganz andere Werte als „übertarifliche Bezahlung“ oder „Aufstiegsmöglichkeiten“. Gemeinschaft und Geselligkeit sind zum Beispiel ein großes Thema. Ist das Team nett und sympathisch, verbringen die Mitarbeitenden gern Zeit miteinander? Auch draußen zu sein, im Berufsalltag die Natur zu erleben, ist ein attraktiver Faktor.
Die Sicherheit ist ebenfalls ein großes Thema. Handwerk hat goldenen Boden und ist krisensicher, das kann ruhig auch betont werden. Mit Freiheitsbildern zu arbeiten, spricht auch sehr viele Frauen an. Freiheit in der Zeitgestaltung, selbstbestimmtes Arbeiten, finanzielle Freiheit durch ein langfristiges und sicheres Arbeitsverhältnis steht für viele Frauen ganz oben auf der Wunschliste. Verschiedene Stellenanzeigen mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu konzipieren, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich viele, verschiedene Bewerber angesprochen fühlen.
Stellenanzeigen bewusst in der weiblichen Form schreiben
Wir alle sind daran gewöhnt, dass Stellenanzeigen in der männlichen Form geschrieben werden, Frauen können sich ja angeblich inkludiert fühlen. Praktisch tun sie das aber in den wenigsten Fällen. Wer zum Beispiel gezielt nach einer Schreinerin sucht, sollte das auch ganz klar kommunizieren. Eine Stellenanzeige mit dem Titel „Wir suchen eine Schreinerin (w/m/d)„ inkludiert ebenfalls alle Geschlechter, erregt aber Aufmerksamkeit und spricht Frauen direkt und spontan an.
Gezielt Vorteile aufzeigen
Es gibt wohl keine Frau, die im Berufsleben nicht schon mit Vorurteilen oder Rollenklischees konfrontiert wurde. Diese Vorurteile sind eine Tatsache, die Betriebe auch mutig ansprechen können. Keine Frau möchte heute noch gegen Klischees kämpfen, die ihre Kompetenzen infrage stellen.
Frauen wollen ins Handwerk, um Dinge zu bewegen, um ihren Beitrag zu leisten, um abends das befriedigende Gefühl zu haben, etwas Reelles erschaffen zu haben. Was sie nicht wollen, sind Vorurteile aufgrund ihres Geschlechts. Der große Vorteil im Handwerk besteht darin, dass hier das Können und die Leistung zählen. Für Frauen bedeutet das, anerkannt zu werden.
Wäscheservice anbieten
Einige Betriebe bieten einen Wäsche-Service an. Was klingt banal, ist aber für viele Frauen ein schlagkräftiges Argument. Häufig wird die Arbeitskleidung gestellt, aber selten kümmert der Arbeitgeber sich auch darum, dass sie gewaschen wird. Für viele Frauen gehört es zum Lebensalltag, dass nach ihrer Erwerbsarbeit die unbezahlte Hausarbeit auf sie wartet. Ein Arbeitgeber, der mitdenkt und den Mitarbeitenden diese Arbeit abnimmt, zeigt Wertschätzung, von der Frauen sich gern verwöhnen lassen. Das Thema Wäsche-Service zählt also zur Kategorie: „Kleinigkeit mit großer Wirkung!“
Über die Kollegen sprechen
Alte Hasen, die kurz vor der Rente stehen, strahlen mit Sicherheit Kompetenz und Erfahrung aus. Um junge Frauen für eine Ausbildung im Handwerk zu begeistern, sind sie aber nicht die beste Wahl. Junge Frauen wollen auch mit jungen Kollegen in einem Team arbeiten, das ihrem Freundeskreis ähnlicher sieht als einer Familienfeier mit ihren Großeltern.
Im Recruiting zu zeigen, dass die angehenden Kolleginnen und Kollegen ein „fröhlicher bunter Haufen“ sind, wirkt sehr anziehend, denn damit können sich junge Frauen auf der Suche nach einer Zukunftsperspektive sehr gut identifizieren.
Umgang und Tonalität
Oft verlassen Frauen Betriebe, weil sie immer wieder mit Sexismus konfrontiert werden. Aber: Sexismus ist ein schwieriges Thema, das vielen Menschen im Alltag nicht bewusst ist. Der Begriff geistert seit Jahren durch die Medien, doch viele männliche Mitarbeiter haben sich einfach noch nicht ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt. Das führt dazu, dass Frauen im Handwerk immer wieder bewusstem, aber auch unbewusstem Sexismus ausgesetzt sind.
Zum Beispiel ist es keineswegs selbstverständlich, dass die weibliche Auszubildende den Kaffee für das gesamte Team kocht, weil sie eine Frau ist. Auch der sogenannte benevolente Sexismus birgt Fallstricke. Die Bemerkung, dass eine Mitarbeiterin etwas gut gemacht hat, obwohl sie eine Frau ist, mag auf den ersten Blick nach einem Kompliment klingen, ist aber bei genauerer Betrachtung eine Bewertung aufgrund des Geschlechts und fällt damit schon in den Bereich des Sexismus.
Umso wichtiger ist es, die gesamte Belegschaft eines Betriebs für das Thema zu sensibilisieren. Hier kann schon ein einfacher Halbtags-Workshop helfen, ein Bewusstsein für und gegen Sexismus zu schaffen. Das Thema „Umgang mit Kolleginnen“ auf der Baustelle betrifft schließlich nicht nur intern das Team eines Unternehmens, sondern auch andere Mitarbeiterinnen, die auf derselben Baustelle sind.
Ein Team, das sich geschlossen und unabhängig vom Geschlecht der einzelnen Mitarbeitenden gegen Sexismus ausspricht, setzt ein Zeichen, das weit über den eigenen Betrieb hinausgeht.
Fazit: Das Bauhandwerk kann und muss nicht auf qualifizierte Frauen verzichten
Dem Fachkräftemangel zu begegnen, ist derzeit die wichtigste Herausforderung für handwerkliche Betriebe. Das Baugewerbe kann es sich nicht leisten, auf motivierte und qualifizierte Mitarbeitende zu verzichten. Auf der anderen Seite stehen zahlreiche Frauen, die Selbstverwirklichung in spannenden, anspruchsvollen Berufen suchen.
Ein gezielt auf die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen abgestimmtes Recruiting bringt beide Seiten zusammen. Ein Arbeitsklima zu fördern, in dem Menschen unabhängig vom Geschlecht Wertschätzung für ihre Leistung und ihr Know-how erfahren, ist eine spannende Aufgabe für jeden handwerklichen Betrieb.
Diese Aufgabe beginnt mit einer Mitarbeitergewinnung, die Frauen sagt: „Sei schlau, geh zum Bau, besonders als Frau.“