Konflikte am Arbeitsplatz

„Du bist zu blöd den Wasserkocher anzumachen!“

Konflikte am Arbeitsplatz haben vielfältige Ursachen und Auswirkungen. In dieser mehrteiligen Artikel-Serie gibt Wirtschafts- und Organisationspsychologin Carina Bayerlein Einblicke, welche Konflikt-Typen es gibt, wie Konflikte erkannt werden und was Sie dagegen tun können, auch wenn Sie keine Führungskraft sind.

Es gibt bei uns eigentlich keine Konflikte

„Es gibt bei uns eigentlich keine Konflikte.“ Sagt Elisa, 28 Jahre als Kinderpflegerin. Diese Aussage überraschte mich. Gehören Gerüchte und Tuscheleien nicht zu den Hauptkommunikationskanälen in einer überwiegend zickigen, weiblichen Belegschaft? Ist der Personalmangel nicht bereits so oft angesprochen worden, dass aus Überdruss schon gar niemand mehr darüber spricht? Und betrifft die Corona-Pandemie das Berufsfeld der Erziehenden und Kinderpflegenden nicht mindestens mit ähnlich zynisch machenden staatlichen Auflagen wie das der Krankenpflegenden?

Nein. Dann einmal anders gefragt: Was war der schlimmste Satz, den du von deiner Chefin jemals gehört hast? „Du bist zu blöd den Wasserkocher anzumachen.“

Meist brodelt Wasser unbemerkt, bis es irgendwann überkocht. Genauso verhält es sich mit Konflikten. Selten entstehen sie am Arbeitsplatz offensichtlich. In manchen Berufsfeldern werden sie dann offen und lautstark ausgetragen, doch gerade im akademischen Kontext fällt es uns manchmal schwer, Konflikte frühzeitig zu erkennen.

Wie erkennen Sie einen Konflikt am Arbeitsplatz?

Konflikte haben viele Gesichter. Sie entstehen, wo Menschen zusammenkommen. Eine österreichische Studie befragte über 1000 Arbeitnehmende, ob sie aktuell in einen Streit verwickelt sind. Etwa drei Viertel von ihnen behaupten „Nein“. Bei der Frage, wie häufig sie grundsätzlich in einen Konflikt verwickelt sind, gaben fast 84% von ihnen jedoch in derselben Studie aus 2019 an, dass sie gelegentlich bis hin zu mehrmals pro Woche mit Konflikten verschiedenster Art konfrontiert sind.

Bemerken wir viele Konflikte also gar nicht?

Wir erkennen einen Konflikt an der Reaktion eines Menschen auf eine Interaktion mit einem anderen Menschen. Selbstverständlich reagieren wir alle individuell und nicht immer auf die gleiche Art und Weise. Manchmal neigen wir jedoch dazu, ein bestimmtes Verhalten vorzuziehen. Um uns gegenseitig besser zu verstehen und andere Konfliktmuster in unseren Kollegen besser erkennen zu können, können wir Konfliktreaktionen angelehnt an das ROCI (Rahim Organizational Conflict Inventory) in fünf Typen teilen.

Die Wissenschaft unterscheidet 5 Konflikt-Typen am Arbeitsplatz

Wettbewerbstyp

Selbst bei geschlossenen Türen hört man jedes Wort. Mit der neuen Mitarbeiterin ist einfach kein normales Gespräch möglich. Sie ist erst zwei Monate dabei und weiß bereits sämtliche Prozesse zu kritisieren, hält sich für erfahrener als ihre Vorgesetzten und wird deshalb sofort laut, wenn Kollegen sie auf einen Fehler ansprechen.

Sie ist vom Typ 1: dem Wettbewerbstyp. Konflikte löst sie aufbrausend, wütend, verteidigend oder sogar angreifend. Jeden Versuch, eine Aufgabe mit ihr gemeinsam weiterzuentwickeln, deutet sie als einen persönlichen Angriff ihrer bisherigen Leistung. Hier können negative Vorerfahrungen, die sich zum Beispiel am vorherigen Arbeitsplatz der Kollegin entwickelt und nun zu Ängsten verfestigt haben, ein Grund für die offene Feindseligkeit sein. Feindseligkeit beschreibt eine Persönlichkeitseigenschaft, in Interaktionen mit anderen tendenziell eine Gefahr oder einen Nachteil für sich zu sehen und mit Abwehr zu reagieren.

Kompromisstyp

Konflikte entstehen oft auch dort, wo Entscheidungen getroffen werden. Zwei leicht verwechselbare Arten der Entscheidungsfindung fungieren immer wieder als Konfliktursache: Wenn wir andere um Rat fragen und uns dann selbst entscheiden, dann ist das eine Konsultativentscheidung. Wenn wir darüber hinaus die Zustimmung aller zu einer gemeinsamen Entscheidung möchten, dann ist es eine Konsensentscheidung.

Und genau hier liegt das Problem: zu oft verwechseln wir Konsens- mit Konsultativentscheidungen. Nicht immer können alle Teamentscheidungen im Konsens getroffen werden. Je größer der Kreis der beteiligten Mitstreitenden, desto schwieriger ist es, eine Konsensentscheidung durch die Überzeugung aller herbeizuführen.

In großen Teams sind Kolleginnen und Kollegen vom Typ 2 oft der Grund für lange Abstimmungsrunden und überschrittene Deadlines, denn sie suchen akribisch nach dem größten gemeinsamen Nenner: Die Kompromisstypen. Sie agieren bodenständig verhandelnd, manchmal planvoll, manchmal enthusiastisch, aber oftmals resignierend – denn eine innovative Idee findet oft keinen gemeinsamen Nenner.

Nachgebender Typ

Häufig kann unser Gefühl am Ende eines Konflikts ein Hinweis auf unseren Konfliktstil sein: Ist Resignation ein gewohntes Gefühl am Ende aller Ihrer Auseinandersetzungen, dann gehören Sie vermutlich zu Typ 3, dem nachgebenden Typ. Im Unterschied zu Typ 2, dem Kompromisstypen, sind nachgebende Konflikttypen einseitige Verlierer. Wenn sie denn dazu kommen, ihre Meinung anzubringen, dann erzeugen sie recht schnell Einigkeit dadurch, dass sie nach kurzer Widerrede Ihres Gegenübers „na gut“, „hmm, ja stimmt“ sagen.

Prinzipiell kann das ein sehr weiser Schachzug sein, wenn Sie als nachgebender Typ erkennen, dass Sie tatsächlich im Unrecht waren oder Ihre Idee nicht realisierbar ist. Erkennen Sie jedoch ein Muster darin, dass Sie zunächst selbstbewusst gut durchdachte Konzepte vorstellen und bei der ersten kritischen Bemerkung einknicken, könnte es sein, dass Sie gelernt haben, Konflikte durch konsequente Rücksichtnahme zu lösen. Sie agieren wohlwollend und entschuldigen sich häufig, erscheinen in den Augen anderer jedoch auch oft traurig, bemitleidenswert und ängstlich.

Kollaborativer Typ

Zu den konfrontativen Konfliktstilen gehört noch ein weiterer Typus. Er erkennt frühzeitig, dass verschiedene Blickwinkel auf eine Problemstellung zum eigentlichen Problem werden können. Anders als für den Wettbewerbstypen, entwickelt sich hieraus für ihn keine offen ausgetragene, laute Kampfsituation, die er gewinnen möchte. Bevor er den Weg des geringsten konfrontativen Widerstands wählt und nach einem Kompromiss sucht, der alle Beteiligten zumindest zufriedenstellt, oder gar seinen Blickwinkel beschämt zurückzieht, wechselt er in den proaktiven Mehrwertmodus.

Sein Motto lautet: Wer etwas zu einem Arbeitsfortschritt beitragen kann, tut es, und wer nicht, der eben nicht. Pragmatisch und zielorientiert wird nur daran mit nur denen gearbeitet, die objektiv gesehen das Arbeitsziel voranbringen. Der 4. Typ ist kollaborativer Natur. Er ist offen, zielstrebig, kreativ, meist rational und gemeinwohlorientiert. Gute Netzwerke innerhalb eines Unternehmens sind Voraussetzung für eine kollaborative Konfliktlösung, welche sich oftmals als produktivste unter den konfrontativen Stilen erweist.

Vermeidungstyp

Wenn in direkten Netzwerken plötzlich indirekte Umwege gegangen werden, zeichnet sich eine andere Art des Konfliktumgangs ab: Während der Kollege aus dem Nachbarteam schon gar nicht mehr an Ihrem Büro vorbeilaufen möchte, haben Sie noch nicht einmal gemerkt, dass etwas im Argen liegt. Naheliegend wäre der Gedanke, „Na, dann läuft er eben nicht mehr bei mir vorbei und alles ist gut.“ – Doch so einfach ist dieser unbemerkte Konflikt nicht gelöst. Vermeidung ist in der Tat die einzig nicht-konfrontative Variante, mit Konflikten umzugehen.

Sie ist die teuerste, die ein Unternehmen zu tragen hat. Vermeidung führt zu geringerer Produktivität durch sogenanntes „Shirking“-Verhalten. Dazu zählt beispielsweise der großen Bogen, den der Kollege aus dem Nachbarteam einschlägt, um nicht am Tisch der Kollegin vorbeigehen zu müssen, bevor er sich dann doch krankmeldet, weil der Druck durch die vermiedene Konfrontation zu groß wurde.

Wenn wir Informationen zurückhalten, die für andere nützlich sein könnten (sog. „Knowledge Hiding“), um voranzukommen, ist dies ein weiteres Indiz für Shirking. Aufgaben absichtlich langsamer zu erledigen oder Zeit abzusitzen, zählen als Arbeitsbummelei ebenso dazu (nicht zu verwechseln mit „Quiet Quitting“).

Hinter vermeidendem Konfliktverhalten können Ängste stecken. Eine unterschätzte, weit verbreitete Angst ist die des Nicht-Gebraucht-Werdens (1) oder Nein-Sagens (2). Dass die eigene Arbeitskraft nicht mehr benötigt wird, wenn die eigene Aufgabe zu schnell erledigt wird (1), kann ebenso angsteinflößend sein, wie die Befürchtung zu sagen, dass es zu viel Arbeit ist, die erledigt werden muss (2).

Daraus resultierende Krankmeldungen und alle Arten von Vermeidungsverhalten sind oft der einzige Ausweg aus dem Gedankenkarussell. Vermeidung kann also auch bedeuten, immer Ja zu sagen. „Ist alles in Ordnung?“„Ja“. „Schaffst du die Aufgabe bis morgen?“„Ja“. Typ 5: Der Vermeidungstyp. Er verschwindet unbemerkt, frisst Probleme in sich hinein und sagt lieber nichts, bevor die Gefahr bestünde, in einen offenen Streit verwickelt zu werden.

Freuen Sie sich auf Teil 2!

Im zweiten Teil dieser Artikel-Serie zu Konflikten im Berufsleben erfahren Sie, was Sie tun können, um mit Konflikten am Arbeitsplatz umzugehen, gerade wenn Sie keine Führungskraft sind.

Carina Bayerlein

Carina Bayerlein

Carina Bayerlein, M.Sc. Arbeitsmarkt und Personal, begeistert sich für Personaltechnologien, Psychologie und People Analytics ebenso wie Kommunikationsverhalten in Organisationen. Als TEDxSpeakerin referierte sie über den Wert spaltender Konfliktgespräche.

Sie ist zurzeit in der Geschäftsfeldentwicklung bei Kaspar Schmauser und im HR-Projektmanagement bei 8vance tätig.

In ihrer Freizeit ist sie als Tanzsporttrainerin und Standardtänzerin oder bei Koch- und Spieleabenden mit Freunden anzutreffen.

>> zum LinkedIn-Profil von Carina Bayerlein

 

Foto: HINTE Marketing

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