Messung der Arbeitgeberattraktivität

Messung der Arbeitgeberattraktivität: Grundlage zielgruppenorientierten Employer Brandings

Unternehmen steigen zunehmend in das Thema Employer Branding ein. Die eigene Arbeitgebermarke zu definieren, aufzubauen und dann über Personalmarketing-Maßnahmen zu vermarkten, ist die eine Seite. Die andere Seite ist die Frage nach der tatsächlichen Messung der Arbeitgeberattraktivität. Gastautor Prof. Dr. Andreas Zimber zeigt auf, wie diese Lücke geschlossen werden kann.

Fachkräftebedarf zwingt zu Employer Branding Maßnahmen

Viele Unternehmen berichten von großen Schwierigkeiten, ihren Fachkräftebedarf zu decken. Qualifizierte Mitarbeitende in genügender Menge sind aber entscheidend für den ökonomischen Erfolg. Um geeignete Personen zu finden und diese langfristig zu binden, muss sich ein Unternehmen durch Employer Branding als attraktiver Arbeitgeber positionieren. Ob solche Maßnahmen tatsächlich zum Erfolg führen, hängt allerdings davon ab, ob sich das Unternehmen ausreichend mit den Bewertungen seiner Beschäftigten auseinandergesetzt hat.

Studie zur Messung der Arbeitgeberattraktivität schließt Praxislücke

Eine Messung der Arbeitgeberattraktivität kann genau das leisten. Sie ist allerdings nur dann aussagekräftig, wenn ein standardisiertes, objektives, zuverlässiges und valides Messinstrument zugrunde gelegt wird. Solche Instrumente sind aber bisher Mangelware. Die wenigen Verfahren, die im deutschsprachigen Gebiet verfügbar sind, wenden sich zum Teil an andere Zielgruppen, beispielsweise Studierende oder Berufseinsteigende. Manche Verfahren sind zudem für den praktischen Bedarf in Unternehmen nur begrenzt geeignet. Zum Beispiel weil sie zu umfangreich sind oder nur die Erwartungen, nicht aber die Wahrnehmungen der aktuellen Arbeitssituation erfassen. Eine aktuell an der Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM) durchgeführte Studie versucht, diese Lücke zu schließen. Die Employer Attractiveness Scale (EAS), ein international verbreitetes und vielfach bewährtes Messinstrument, wurde dort für die Anwendung in deutschen Unternehmen weiterentwickelt. An sechs branchenübergreifenden Untersuchungen mit der „EAS_D2“ beteiligten sich bisher insgesamt 917 Beschäftigte. Darunter sind 865 Personen mit weitgehend vollständigen Datensätzen. Alle Wirtschaftssektoren sind in der Stichprobe vertreten. Durch die umfangreiche Datenbasis, die künftig noch weiter ausgebaut werden soll, liegen erste Kennzahlen für ein Benchmarking zur Arbeitgeberattraktivität vor. Auf dieser Grundlage können Messergebnisse eindeutig interpretiert sowie Unternehmens- und Branchenvergleiche durchgeführt werden.

Inhalte des Employer Attractiveness Scale (EAS_D2)

Mit der EAS_D2 lassen sich die Erwartungen, die Wahrnehmungen der aktuellen Arbeitssituation sowie Abweichungen zwischen diesen erfassen. Das Instrument enthält 21 Items, mit der sich wie im amerikanischen Original fünf Attraktivitätsfaktoren messen lassen:
  • Anreize zur sozialen Interaktion (social value), z.B. ein gutes Verhältnis zu Kollegen bzw. Vorgesetzten zu haben; ein Arbeitsumfeld zu haben, in dem es Freude macht zu arbeiten
  • Inhaltlicher Anspruch (interest value), z.B. bei einem innovativen bzw. kundenorientierten Arbeitgeber zu arbeiten, der hochwertige Produkte und Dienstleistungen anbietet
  • Gesellschaftlicher Nutzen/ Anwendbarkeit (application value), z.B. bei einem Arbeitgeber zu arbeiten, der sich für die Umwelt bzw. für die Gesellschaft engagiert und zur Verbesserung der Lebensbedingungen beiträgt
  • Anreize zur persönlichen Entwicklung (developmental value), z.B. eine Tätigkeit zu haben, die eine Perspektive für zukünftige Beschäftigung bietet; Erfahrungen zu machen, die die eigene Qualifikation verbessern
  • Ökonomischer Nutzen (economic value), d.h. ein überdurchschnittliches Grundgehalt und ein attraktives Gesamtgehalt zu haben
Zusätzlich werden Fragen zum Alter, zum Geschlecht, zum Beschäftigungsumfang, zur Beschäftigungsdauer, zur Betriebsgröße und zur Branchenzugehörigkeit gestellt. Das ist notwendig, um Employer Branding-Maßnahmen nach bestimmten Zielgruppen ausrichten zu können. Neun Fragen zur Arbeitszufriedenheit, zur emotionalen Bindung an das Unternehmen und zur Bleibemotivation runden die Befragung ab. Sie ermöglichen es, Auswirkungen der Arbeitgeberattraktivität sichtbar zu machen. Der Zeitaufwand für die (online-) Befragung beträgt weniger als 10 Minuten pro teilnehmender Person.

Arbeitgeberbewertungen zwischen Anspruch und Realität

Wie bisherige Auswertungen zeigen, haben Beschäftigte recht hohe Erwartungen an ihren Arbeitgeber. Besonders hoch fallen die Erwartungen bezüglich Anreizen zur sozialen Interaktion und zur persönlichen Entwicklung aus. Aber auch ökonomische Gesichtspunkte, zum Beispiel eine attraktive Gesamtvergütung zu erhalten, spielen für die Beschäftigten eine bedeutsame Rolle. Etwas weniger wichtig sind dagegen Erwartungen an den inhaltlichen Anspruch und den gesellschaftlichen Nutzen des Arbeitgebers. Wie nehmen die Beschäftigten die Arbeitssituation in ihren Unternehmen wahr? Gerade bei den hoch priorisierten Attraktivitätsfaktoren zeigen sich hier deutliche Lücken. Insbesondere die Erwartungen an eine angemessene Bezahlung, an eine gute Arbeitsatmosphäre und Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung werden in vielen Unternehmen frustriert. Die Studienergebnisse zeigen ebenso, welche unmittelbaren Folgen dies für das Unternehmen mit sich bringt: Die Arbeitszufriedenheit, die emotionale Identifikation mit dem Unternehmen und die Bleibemotivation lassen spürbar nach, wenn die Abweichung zwischen den Erwartungen und der wahrgenommenen Situation allzu groß ausfallen.

Mitarbeiterbindung: Ersten zwei Jahre sind entscheidend

Eine für das Unternehmen besonders gravierende Folge besteht darin, dass die Bleibemotivation der Mitarbeitenden gering ist oder nachlässt. Wird diese Entwicklung nicht rechtzeitig erkannt, kann sie in unumkehrbare Abwanderungsabsichten münden. Erhalten solche Beschäftigte ein entsprechendes Jobangebot, ist der Arbeitgeberwechsel besiegelt. Führungskräfte zeigen sich von solchen Entwicklungen häufig überrascht, nicht selten fallen sie „aus allen Wolken“, wenn die Beschäftigten ihre Kündigung einreichen. Grundsätzlich vermeiden lässt sich Fluktuation nicht. Gerade jüngere Mitarbeitende wechseln häufiger den Arbeitgeber als ältere. Für das Unternehmen problematisch wird es jedoch dann, wenn unerwartet viele Beschäftigte dem Unternehmen den Rücken kehren. Unternehmen aus Branchen mit starkem Fachkräftemangel erwischt es dann besonders hart, weil die Fluktuation nicht mehr durch Neueinstellungen kompensiert werden kann. Damit Ihnen das nicht passiert, sollten Sie sich fragen, wie Sie solche Tendenzen frühzeitig erkennen und einer Abwanderung wertvoller Fachkräfte begegnen können. Auswertungen von Befragungen zur Arbeitgeberattraktivität mit der EAS_D2 haben gezeigt, dass die Bleibemotivation mit dem Lebensalter und der Organisationsverweildauer der Beschäftigten ansteigt. Dieser Befund ist nicht neu. Allerdings zeigte sich dieser bereits bekannte Zusammenhang nur für Beschäftigte, die länger als zwei Jahre im Unternehmen tätig sind. Personen, die kürzer beschäftigt waren, hatten eine auffällig geringe Bleibemotivation, insbesondere solche, die zwischen 25 und 34 Jahre alt waren. Diese Beschäftigtengruppe wies zugleich die geringste emotionale Identifikation mit dem Unternehmen auf.

Jüngere Zielgruppen wollen durch Arbeitgeber überzeugt werden

Jüngere Mitarbeitende mit kurzer Verweildauer waren demnach häufig unentschieden, ob sie langfristig im Unternehmen verbleiben oder nicht. Mit anderen Worten: sie wollten von der Attraktivität ihrer Arbeitsstelle noch überzeugt werden. Ein tieferer Blick in die Daten deckt die möglichen Gründe für die unentschlossene Haltung auf: Kürzer als zwei Jahre Beschäftigte sahen in ihrem Unternehmen deutlich weniger Entwicklungsmöglichkeiten und ökonomische Anreize, als sie es persönlich erwarten. Manche Personaler mögen dies als eine unrealistische Anspruchshaltung der jungen Arbeitnehmergeneration abtun – es hilft ihnen aber nicht weiter.

Podcast-Folge Klartext HR #53 zur Generation Z

Um ihre wertvollen Personalressourcen zu erhalten, sollten sie sich z.B. in Mitarbeitergesprächen verstärkt um diese Zielgruppe kümmern und alles dafür tun, ihre Bindung an das Unternehmen zu stärken.

Welche konkreten Maßnahmen-Bündel aus Ausbildungs-, Fortbildung- und Weiterbildungsmöglichkeiten, aktive Beteiligung und regelmäßiges Feedback, mehr Freiheit, Flexibilität und Selbständigkeit bezüglich Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsaufgaben – dies leisten können, lässt sich erst abschätzen, wenn Personalerverantwortliche und Führungskräfte die Erwartungen ihrer Beschäftigten kennen.

Denn für den Erfolg von Employer Branding ist es entscheidend, dass Maßnahmen nicht „mit der Gießkanne“, sondern am konkreten Bedarf der Beschäftigten ausgerichtet werden. Mit der EAS_D liegt ein ökonomisches, zuverlässiges und valides Instrument vor, das mithilfe von geeigneten Kennzahlen die Grundlage hierfür bieten kann.

Andreas Zimber

Prof. Dr. Andreas Zimber

 

Prof. Dr. Andreas Zimber ist Diplom-Psychologe, M.A. Personalentwickler und Professor für Wirtschaftspsychologie. Er ist Autor mehrerer Fachbücher (u.a. „Multitasking“ mit T. Rigotti und „Führen und gesund bleiben“). Neben seiner Forschung und Lehre berät er Unternehmen zu verschiedenen Personalthemen, wie zu Gefährdungen durch psychische Belastungen, zu Betrieblichem Gesundheitsmanagement, gesundheitsfördernder Führung und Employer Branding.

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