Agilität ist eines der Management-Modeworte der Gegenwart – kommt aber nur bei einer Minderheit der Unternehmen in Deutschland in der Realität an. Das zeigen die Ergebnisse einer Studie mit weltweit insgesamt 655 Unternehmen durch die Hochschule Karlsruhe im Rahmen der BMBF-geförderten Wirtschafts- und Wissenschaftsinitiative „AgilHybrid“.
Deutschland eher negativer Standort für Agilität
Mit dieser Datenbasis konnte es gemessen werden, dass der Unternehmensstandort Deutschland sich negativ auf den Einsatz moderner agiler Methoden auswirkt.
Dazu haben die Wissenschaftler unterschiedliche Unternehmenscharakteristika, unter anderem Beschäftigtenzahl, Branche, Produktkomplexität, Seriengrößen der Produktion und den Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung einer multiplen Regressionsanalyse hinsichtlich ihres Zusammenhang mit dem Einsatz agiler Methoden unterzogen.
Und hier ist aufgefallen, dass vor allem die deutschen Unternehmen dazu neigen, seltener agile Methoden für die Weiterentwicklung ihrer Produkte, Services und Geschäftsmodelle einzusetzen. Damit lässt sich der Schluss ziehen, dass der Standort Deutschland bis heute eine Tendenz dazu hat, viel über Agilität zu sprechen. Wenn es aber zur faktischen Umsetzung kommt, dann wendet nur eine Minderheit der Unternehmen Tools wie Scrum, Kanban und Crystal an. Ähnliches gilt für die Unternehmen in Kanada, Frankreich, Polen und Schweden.
Agile-Methoden-Index: China und Indien führen, Deutschland ist Schlusslicht
Die Forscher der Hochschule Karlsruhe haben einen Index für den Methodeneinsatz berechnet, um mit ihm beschreiben zu können, wie intensiv die Unternehmen der jeweiligen Länder agile Methoden einsetzen.
Ganz vorn sind China und Indien gelandet. 88% der chinesischen Unternehmen nutzen agile Entwicklungsmethoden (Indien: 82%; Deutschland: 45%), 93% design-orientierte Entwicklungsmethoden wie „Design Thinking“ (Indien: 98%; Deutschland: 51%). 91% arbeiten mit internen digitalen Innovationsplattformen, auf denen internes Wissen zur Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen, Produkten und Dienstleistungen vernetzt, aggregiert und ausgewertet wird (Indien: 94%; Deutschland: 63%). Neun von zehn (92%) der chinesischen Unternehmen nutzen offene Plattformen, bei denen also auch Externe eingeladen werden, an Entwicklungsprozessen zu partizipieren (Indien: 90%; Deutschland: 51%).
Deutschland bildet das absolute Schlusslicht, was den Einsatz agiler Methoden angeht. Kein Land hat einen geringeren Index-Wert erhalten (Deutschland: 0,52; Indien: 0,91; China: 0,91). Insgesamt teilen sich die 16 untersuchen Länder in drei Blöcke: Vorweg gehen die Schwellenländer, im Mittelfeld finden sich Technologie- und Innovationsorientierte Industrieländer wie Japan und die USA (Platz acht und neun), ganz am Ende der Skala liegen Frankreich, Schweden, Kanada und Deutschland.
Deutsche Unternehmen geringster Umsatzanteil bei digitalen Dienstleistungen und Geschäftsmodellen
Auf dem letzten Platz ist Deutschland in der Untersuchung der Hochschule Karlsruhe auch bei der Selbsteinschätzung gelandet, wie groß der heutige Umsatzanteil mit digitalen Dienstleistungen und Geschäftsmodellen ist. Dieser Anteil macht gerade einmal 24% aus (Vergleich Spitzenreiter Kanada: 52%; China: 44%).
Durch Regressionsanalyse wurde ermittelt, wie sich der Einsatz agiler Methoden auf den Umsatzanteil auswirkt. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Die Unternehmen, die verstärkt auf agile Methoden setzen, erzielen einen signifikant höheren Anteil ihres Umsatzes mit digitalen Dienstleistungen und Geschäftsmodellen. Dies verdeutlicht die Relevanz moderner Management- und Entwicklungsmethoden für die Fähigkeit, im digitalen Zeitalter Schritt zu halten.
Dass vor allem die Schwellenländer darauf setzen, zeigt auch, dass es kein jahreslanges Know-how braucht, um agiles Management anzuwenden. Es gilt jetzt über das Neue nicht nur zu sprechen, sondern es auch wirklich umzusetzen. Auch in Deutschland gibt es heute exzellente Beispiele für die Umsetzung digitaler Geschäftsmodelle. Aber die große Mehrheit muss hier aktiver werden als bislang, um die Attraktivität unseres Standorts langfristig zu erhalten zu können.
Über die Untersuchung
Die Untersuchung wurde durch das Institut für Lernen und Innovation in Netzwerken (ILIN) der Hochschule Karlsruhe durchgeführt, im Rahmen der durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Wirtschafts- und Wissenschaftsinitiative „AgilHybrid“.
Ziel der Initiative ist die Erforschung wesentlicher Hürden des Wandels von klassischen hin zu digitalen Geschäftsmodellen sowie die Vermittlung von Wissen und Methoden zum Umgang mit diesen Herausforderungen – gemeinsam erarbeitet aus einem Konsortium aus Wissenschaft und Praxis.
Weltweit wurden Geschäftsführer und Führungskräfte aus der Produktion von 655 Unternehmen aus 16 Industrie- und Schwellenländern im verarbeitenden Gewerbe befragt: Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Indien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Polen, Russland, Schweden, Spanen, Südkorea, USA und Vereinigtes Königreich. Die Stichprobe ist ausgewogen zwischen kleinen (KMU, Quote: 40%), mittleren (Quote: 24%) und großen (Quote: 36%) Unternehmen sowie über die 16 Länder verteilt.
Quelle: Agil Hybrid