Selten waren die fordernden Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen so ausführlich und dauerhaft auf der gesellschaftlichen Agenda wie seit Beginn der Pandemie. Nach über zwei Jahren hoher Arbeitsbelastung wird vielfach ein Pflexit befürchtet, also dass viele Pflegekräfte erschöpft ihren Beruf aufgeben.
In einer umfassenden Daten-Analyse hat die Jobseite Indeed im Februar 2022 die Bewegung auf dem Stellenmarkt für Pflegekräfte erfasst. In bestimmten Regionen ist der Pflexit und damit ein Mangel an Pflegekräften bereits Realität. Doch wie ist es nun tatsächlich um die Motivation der Pflegekräfte bestellt? Möchten sie den Job wechseln und ihren Beruf womöglich ganz aufgeben? Zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut YouGov hat Indeed 500 Beschäftigte aus dem Gesundheitssektor nach ihrer persönlichen Einschätzung der Arbeitsbedingungen, der Bereitschaft zu einem Jobwechsel und ihrer Haltung zur umstrittenen einrichtungsbezogenen Impfpflicht befragt.
80% der examinierten Kräfte mit Zusatzqualifikation denken übers Aufhören nach
Die Unzufriedenheit unter den Befragten ist tatsächlich groß. Viele tragen sich mit dem Gedanken, ihre Arbeit im Gesundheitswesen aufzugeben: 33% der Befragten denken oft ans Aufhören, 36% haben diese Gedanken manchmal. Also über zwei Drittel der Befragten können sich vorstellen, ihren Beruf ganz aufzugeben.
Bei examinierten Kräften mit Zusatzqualifikation – das sind die Pflegekräfte, die die notwendige Ausbildung für den Einsatz auf Intensivstationen besitzen – ziehen mit 80% die meisten der Befragten die Aufgabe ihres Jobs in der Pflege in Erwägung: 42% oft, 38% manchmal.
Besonders viele junge Arbeitskräfte wenden sich von der Pflege ab
Alarmierend ist, dass es bei über einem Viertel der Befragten nicht dabei bleibt, übers Aufhören nachzudenken. Sie lassen Taten folgen: 28% aller Befragten sind aktuell sogar auf Jobsuche außerhalb der Pflege – 12% wollen im Gesundheitssektor bleiben, 16% dem medizinischen Bereich ganz den Rücken kehren. Diese Zahl ist bei jüngeren Beschäftigten noch einmal deutlich höher. Von den 18- bis 34-Jährigen sind es gut ein Drittel (34%), die konkret die Pflege verlassen wollen und aktiv auf Stellensuche sind. Also die Altersgruppe, die eigentlich die kommenden Jahrzehnte die Pflegeversorgung im Land sichern sollte.
Geringere Wechselbereitschaft bei Pflegehelfer*innen
Gemessen an ihrer überdurchschnittlichen Frustration sind examinierte Kräfte mit Zusatzqualifikation nicht häufiger auf Jobsuche als der Durchschnitt. Von ihnen suchen aktuell 29% einen neuen Job außerhalb der Pflege, im Gegensatz zu den examinierten Pflegekräften ohne Zusatzqualifikation, von denen 32% nach einer anderen Arbeit suchen. Bei den Pflegehelfer*innen ist die Wechselbereitschaft am niedrigsten – hier sind nur 23% auf Jobsuche.
Arbeitsbelastung und Gehalt sorgen für Frust in der Pflege
Nach den Gründen für eine mögliche Kündigung gefragt, gibt fast die Hälfte (49%) aller Befragten die Arbeitsbelastung an, 39% das Gehalt. Für ein Viertel der Befragten sind die Arbeitszeiten Grund dafür, den Job zu wechseln. 23% belastet zu wenig Personal, 19% stört die fehlende Anerkennung, 15% kritisiert, dass zu wenig Zeit für die Patient*innen ist.
Nur 5% nennt die pandemiebedingten Arbeitsbedingungen als Grund für eine mögliche Jobaufgabe – dazu zählt in der Umfrage auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Grundsätzlich ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht also ein eher marginaler Grund dafür, den Job aufzugeben im Vergleich zur Arbeitsbelastung oder der Bezahlung für Pflegekräfte.
Einrichtungsbezogene Impfpflicht ist ein Grund für Jobaufgabe, aber nicht der wichtigste
Bei näherer Betrachtung der Antworten von den Befragten, die schon oft darüber nachgedacht haben, ihre Arbeit im Gesundheitssektor aufzugeben, hat die einrichtungsbezogene Impfpflicht als Frustfaktor durchaus Bedeutung: Hier geben 69% der Befragten an, dass die Impfpflicht für Pflegekräfte ein Grund für sie ist, den Job aufzugeben. Allerdings haben in der Gruppe der Unzufriedenen andere Aspekte ein größeres Gewicht – generelle Unzufriedenheit (88%), fehlende Entwicklungsmöglichkeiten (86%), allgemein schlechte Arbeitsbedingungen (75%) oder eine fehlende Work-Life-Balance (73%) werden häufiger genannt.
Bei den Unzufriedenen ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht ohne Zweifel ein Kündigungsgrund, aber nicht DER Grund. Vielmehr ist die Impfpflicht für die Beschäftigten im Gesundheitswesen ein zusätzlicher Punkt auf einer langen Liste von Kritikpunkten an ihren Arbeitsbedingungen – auf der das Gehalt von 59% der Unzufriedenen angegeben wird und damit eher im Mittelfeld der Mängelliste liegt.
Ungeimpfte mehr als doppelt so häufig auf Jobsuche
Die Auswirkungen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht müssen trotzdem mit Blick auf die Jobwechselbereitschaft der Pflegekräfte ernst genommen werden. Während bei den geimpften Beschäftigten im Gesundheitssektor 25% auf Jobsuche außerhalb der Pflege sind, sind es 60% bei den Ungeimpften. Hier ist die Wechselbereitschaft bzw. der Druck, seinen Job in der Pflege aufzugeben, also mehr als doppelt so hoch wie beim Durchschnitt.
Trotz hoher Impfquote keine Mehrheit für einrichtungsbezogene Impfpflicht
Allerdings sind Ungeimpfte eine kleine Minderheit. Von den Befragten geben 91% an, geimpft zu sein. Damit sind die Befragten aus dem Gesundheitsbereich deutlich häufiger geimpft als der deutsche Durchschnitt (geschätzt sind 86% der Erwachsenen über 18 in Deutschland mindestens einmal geimpft, Stand Februar 2022). Diese hohe Impfquote unter den Befragten führt allerdings nicht zu einer hohen Zustimmung zu einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Die befürworten nur 49%, 44% sind dagegen, 7% unentschlossen. Der Widerstand gegen eine einrichtungsbezogene Impfpflicht ist bei den Befragten, die noch in der Ausbildung sind, mit 58% am stärksten. Bei den Pflegehelfer*innen ist die Ablehnung am geringsten: hier sind nur 40% dagegen. In dieser Berufsgruppe ist die Impfquote mit 93% auch etwas höher als beim Durchschnitt der Befragten und bei den examinierten Kräften, von denen 89% geimpft sind.
Zu wenig Gehalt und die einrichtungsbezogene Impfpflicht sind durchaus Gründe für Pflegekräfte, ihre Arbeit aufzugeben, aber es sind nicht die Hauptgründe. Aus der Pflege werden die Beschäftigten durch solche Faktoren getrieben, die Menschen dauerhaft erschöpfen: Eine zu große Arbeitslast, schlechte Arbeitsbedingungen, zu wenig Anerkennung und unflexible Arbeitszeiten. Das bedeutet, dass es jetzt an den Betreibern von Kliniken und Einrichtungen liegt, ihre Arbeitsbedingungen und die Strukturen so zu verbessern, dass die Arbeitskräfte wieder ausreichend Energie schöpfen können und nicht ausbrennen. Wir sehen eine starke Dynamik bei den Stellenanzeigen in der Pflege und einen großen Personalbedarf, der perspektivisch noch steigen wird. Die Beschäftigten in der Pflege zu halten, wird mit Hinblick auf die dramatisch hohe Zahl von Pflegekräften, die aufhören wollen, eine große Herausforderung gegen den Fachkräftemangel in diesem Bereich.
Über die Umfrage
Die verwendeten Daten beruhen auf einer Online-Umfrage der YouGov Deutschland GmbH, an der 500 Personen aus dem Gesundheitssektor zwischen dem 09. und 18.02.2022 teilnahmen.
Quelle: Indeed