Human Design, Astrologie, Schädeldeutung, Persönlichkeitstypen und Videoanalysen im Recruiting - Humbug

Human Design, Persönlichkeitstypen, Astrologie & Videoanalyse im Recruiting

Human Design. Ein Begriff, der suggeriert, etwas Substantielles über Menschen auszusagen. Fast wie eine Anleitung zu den Bausteinen, ein Schlüssel zur Persönlichkeit von Menschen. Genau wie andere Methoden auf Basis von Persönlichkeitstypen, astrologische Verfahren, die an klassische Schädeldeutung erinnern, finden neuerdings auch noch fragwürdige Videoanalysen mittels künstlicher Intelligenz vermehrt im Recruiting Anwendung. Ein wissenschaftlicher Blick auf die Themen kategorisiert diese jedoch eher als „Personalauswahlverfahren aus der Hölle“ oder schlichtweg als Scharlatanerie und Humbug. Allerdings sind sie prima geeignet als Grundlage für fragwürdige Geschäftsmodelle.

Was ist Human Design?

Human Design ist eine Pseudowissenschaft, die auch „die neue Astrologie“ genannt wird. Sie kombiniert Elemente aus Astrologie, Yi Jing, Kabbala und den Chakren. Human Design gibt vor, eine Selbsthilfe zu sein beziehungsweise eine Methode, die keine religiöse Komponente enthält.

Human Design und Recruiting

Was um alles in der Welt soll nunmehr diese „neue Astrologie“ mit Recruiting zu tun haben? Nun, es kommt darauf an, wen Sie das fragen. In einer ganzen Reihe von Human Design Sessions auf Clubhouse werden vermeintliche Zusammenhänge mit der Personalauswahl erläutert.

Auf englischsprachigen Websites von HR-Anbietern, wird Human Design sogar unter der Überschrift „Verbessern Sie Ihre Recruiting-Strategie“ angepriesen als die „geheime Sauce“. Na wäre die Sauce mal lieber in der hoffentlich ebenso „geheimen Tube“ geblieben!

Warum aber schwappt Human Design gerade immer stärker auch in die deutsche HR-Welt hinüber?

Die Human Design Typeneinteilung auf Basis Geburtstag und Geburtsort

Das liegt daran, dass die Basiskomponente, die sogenannte Typeneinteilung, eine wunderbar einfache Zuordnung von Menschen in Persönlichkeitstypen ermöglicht. Im Human Design gibt es

  • Generatoren (70% der Bevölkerung), die vor allem als „Arbeitsbienen“ im Beruf auf Basis von (An)Reizen ihre Arbeit voranbringen
  • Projektoren (20%), die eher beobachten und beraten
  • Manifestatoren (9%), die auch als Innovatoren bezeichnet werden
  • Reflektoren (1%), die alles evaluieren müssen

Eine Einteilung der Human Design Typen erfolgt auf Basis des Geburtsdatums und des Geburtsorts. Damit wird ein sogenanntes Rave Chart, ein Körperdiagramm erstellt. Dieses berücksichtigt neben den Planetenpositionen auch den Einfluss der 88 Sonnengrade etwa drei Monate vor der jeweiligen Geburt. Denn nach der Human Design Theorie verbindet sich zu diesem Zeitpunkt der Körper des Fötus mit seinem Persönlichkeitsbewusstsein. Es ist der Eintritt der Seele. Während die Konstellationen zum Geburtszeitpunkt die bewussten Anteile der Persönlichkeit kennzeichnen, gibt die zweite astrologische Berechnung Hinweise auf das Unbewusste., lautet die Erläuterung auf einschlägigen Human Design Webseiten wie bei Factorial HR.

Was Human Design im Recruiting leisten kann

Vermutlich hätte ich die Überschrift besser als Frage formuliert „Was kann Human Design im Recruiting leisten?“. Dann wäre eine mögliche Antwort gewesen: „nichts“. Aber das wäre vorschnell. Denn tatsächlich kann das astrologische Verfahren etwas leisten: Ihre Personalauswahl deutlich vereinfachen. Denn immerhin müssen Sie dabei lediglich ein paar Basisdaten wissen – und können schon auf Basis einer Methode eine Personalauswahlentscheidung treffen.

Aber wie das mit Vereinfachungen auf Basis von zusätzlich extrem fragwürdigen Grunddaten so ist: Einer wissenschaftlichen Überprüfung hält ein solches Verfahren nicht stand. Allerdings muss ich zugeben, dass die meisten Religionsgemeinschaften, der überall auf der Welt Milliarden Menschen (zum Teil sogar fanatisch) anhängen, aus streng wissenschaftlicher Sicht auch eher weniger belastbar sind. Aber darum soll es hier heute nicht gehen.

Insofern wäre die Antwort auf die Ausgangsfrage: Human Design kann Ihnen die Einstellungsentscheidung im Recruiting zwar erleichtern, sie aber nicht besser machen, als wenn Sie würfeln würden (hop oder top).

Das Problem von Persönlichkeitstypen am Beispiel DISG®

Vielleicht erscheint Ihnen der Human Design dann doch ein wenig zu esoterisch angehaucht. Wechseln wir also mal etwas mehr in den bekannten Business-Kontext. Seltsamerweise arbeiten in Deutschland aber auch hier immer noch (zu) viele Personalabteilungen mit Typisierungsmodellen. Das kommerziell erfolgreichste davon ist das DISG®-Modell. Vermutlich kennen Sie die Einteilung in das Vierfarb-Raster bereits aus Ihrem XING- oder LinkedIn-Feed, wo es noch immer omnipräsent scheint.

Das rechtlich geschützte Modell auf Basis des Akronyms DISG® (im englischen: DISC®) bezeichnet einen auf Selbstbeschreibung beruhenden Persönlichkeitstest. Die vier Grundtypen Dominanz, Initiative, Stetigkeit und Gewissenhaftigkeit werden mit den Grundfarben belegt. Das Verfahren basiert auf einer Typologie von William Moulton Marston aus dem Jahr 1928.

Einige HR-Dienstleister haben auf dieser Basis eigene Verfahren entwickelt und bieten diese für den Einsatz im Recruiting an.

Was macht Typenmodelle wie DISG® ungeeignet für den Einsatz im Recruiting?

Hier gibt es mehrere Ansatzpunkte. Zum einen natürlich wird eine Vierfelder-Matrix zur Einteilung von Menschen der Komplexität unseres Wesens in keinster Weise gerecht. Auch dürfte es die vier Typen nur selten in Reinform geben. Aber selbst eine Verortung in einem Koordinatensystem, das den Grad einer Ausprägung von Persönlichkeitseigenschaften simulieren soll, weist grobe Unschärfen auf. Denn eng an der Grenzlinie zwischen zwei Typen liegende Menschen mit unterschiedlichen Farben können, sind sich letztlich näher als gleichfarbige Typen in unterschiedlichen Ecken eines Quadranten.

Persönlichkeitstypen-Tests sorgen letztlich für die Ausprägung sogenannter Stereotypen und für pauschale Aussagen über Menschen. Mit Blick auf menschliche Vielfalt und Diversität, dürften Stereotypen so ziemlich das Letzte sein, worauf moderne Personalerinnen ihre Entscheidungen gründen sollten.

Darüber hinaus ist das DISG®-Modell nicht wissenschaftlich fundiert. Denn die Angaben zur Normierung, Zuverlässigkeit (Reliabilität) und Gültigkeit (Validität) des DISG® haben sich nach den Untersuchungen, zuletzt von Cornelius König und Bernd Marcus im Jahr 2013, als nicht stichhaltig erwiesen.

Einen Leitfaden zur Prüfung hochwertiger Auswahlverfahren und HR-Dienstleister für Ihr Recruiting gibt übrigens Eignungsdiagnostiker Harald Ackerschott in einem aktuellen Beitrag.

Wenn Sie darüber hinaus noch eine deutlich wissenschaftlichere Erklärung benötigen, warum Modelle mit Persönlichkeitstypen für einen Einsatz im Recruiting oder zur Personalauswahl ungeeignet sind, dann empfehle ich Ihnen dazu folgende Episode von „15 Minuten Wirtschaftspsychologie“ von Prof. Dr. Uwe Kanning:

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Alternative Einsatzszenarien für Typenmodelle im HR-Umfeld

Die Fraktion der Berater und Coaches, die mit dem genannten Modell sowie ähnlichen Typisierungsmodellen sehr gut verdienen, reagiert in der Regel sehr verschnupft auf Kritik aus der wissenschaftlichen Ecke. So musste ich vor einiger Zeit auf LinkedIn nahezu „Beschimpfungen“ einstecken für meine Hinweise auf die fehlende wissenschaftliche Untermauerung des DISG®-Modells in einem Kommentar.

Das bisweilen fast aggressive Verhalten kann ich bis zu einem gewissen Punkt zumindest nachvollziehen. Denn würden deutsche Personalabteilungen konsequent nicht-wissenschaftliche Verfahren oder gar Pseudowissenschaften aus ihrem Tool- und Methodenkoffer im Recruiting verbannen, bräche der Umsatz der entsprechenden Berater-, Trainer- und Coaches-Branche massiv ein.

Getreu dem Motto „Leben und leben lassen“ zitiere ich an dieser Stelle jedoch gerne eine Studie der DGFP (Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V.), auf die mich Blogger-Kollege Tim Verhoeven im Rahmen der Diskussion auf LinkedIn hingewiesen hat.

Darin heißt es „In der Entwicklung und im Coaching insbesondere zur Selbstreflexion empfehlenswert; insbesondere für die Auswahl nicht geeignet.“, siehe auch das Chart aus der DGFP-Untersuchung:

Eine simplifizierende Typisierungsmethode kann so zumindest zur Selbstreflexion anstoßen und Menschen sensibilisieren, dass es noch andere Persönlichkeiten auf dieser Welt gibt, die aufgrund ihrer „Andersartigkeit“ deswegen nicht besser oder schlechter sind. Insofern können die Systeme meinetwegen zumindest „Mindopener“ sein und das Verständnis für andere fördern. In diesem Sinne lässt sich ihnen durchaus Gutes abgewinnen – wenn die Grenzen klar sind.

Persönlichkeitsanalyse per Video in der Personalauswahl

In den letzten Jahren treten auch immer mehr Softwareanbieter in den Markt der HR-Dienstleister ein, um mit Testverfahren auf Basis künstlicher Intelligenz Auswahlentscheidungen im Recruiting zu optimieren. Neben Sprachanalyse-Software, über die ich bereits einen eigenen Beitrag verfasst habe, ist auch die Videoanalyse zu einem Hype-Thema geworden.

Je häufiger Video-Bewerbungen zum Einsatz kommen, umso stärker wächst der Wunsch, auf Basis dieser Videodaten bereits für die Personalauswahl sinnvolle Erkenntnisse zu gewinnen. Kürzlich machte der Bayerische Rundfunk (BR) einen ausgiebigen Test. Die Software eines deutschen HR-Startups, das mit seinen KI-gestützten Video-Analysen Persönlichkeitsprofile auf Basis des Big5-Verfahrens erstellen möchte, erlebte dabei einen PR-Gau.

Obwohl man davon ausgehen müsste, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen durch die Verwendung verschiedener Kleidungsstücke (z.B. Kopftuch), Accessoires (wie einer Brille) oder gar durch unterschiedliche Bildhintergründe (beispielsweise Bücherwand oder Kunst) nicht verändern sollte, hat die Software eben genau jenes attestiert. Die Software unterstellte damit je nach Setting sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, zum Teil mit signifikanten Abweichungen.

Hintergrund für das Verhalten der Software-Algorithmen sind dabei vermutlich die verwendeten Trainingsdaten. Denn das Input zum Trainieren der KI beeinflusst das Output maßgeblich. Dies ist auch einer der Gründe, warum künstliche Intelligenz nicht zwangsläufig diskriminierungsfreier arbeiten muss – oder sogar systematisch diskriminiert, wie KI-Experte Daniel Mühlbauer jüngst an einem Beispiel aufgezeigt hat.

Fazit zu Human Design, Persönlichkeitstypen und Videoanalysen

Dieser Artikel mag für Sie ernüchternd sein. Denn alle aufgezeigten Methoden sind nicht geeignet, um Ihre Personalauswahl im Recruiting-Prozess objektiver, valider oder in irgendeiner Weise wissenschaftlich fundiert „besser“ zu machen.

Warum aber werden solche Methoden immer häufiger anstelle von wirklich wirksamen Tipps zur Optimierung Ihrer Personalauswahl in deutschen HR-Abteilungen angewendet?

Damit zu tun haben könnte, der sogenannten Barnum-Effekt, der auch in der Astrologie dafür sorgt, dass wir Horoskope oft als weitgehend zutreffend wahrnehmen. Denn je allgemeiner, pauschaler und typisierter Aussage getroffen werden, um so stimmiger erscheinen sie uns. Übrigens funktionieren auch die ebenfalls gefährlich populär werdenden Verschwörungstheorien ähnlich.

Was also tun mit Blick auf Human Design, Typentests, Videoanalysen, Schädeldeutungen, Sprachanalysen und Horoskopen im Recruiting?

In der Recruiting-Rolle kann mein Tipp nur lauten: Finger weg!

Für diejenigen, die sich gerade in einem Bewerbungsprozess mit Videointerview befinden: Am besten eine Brille aufsetzen und das Video in einer Bibliothek oder Kunstgalerie aufnehmen. Denn dann steigen Ihre Chancen auf eine Einstellung … – oder eben auch nicht.

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Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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