Ob bewusst oder unbewusst: Unternehmen signalisieren mit ihrem Vergütungssystem, welche Tätigkeiten entlohnt werden und welche nicht. Verschreiben sich Arbeitgeber New Work, brauchen sie deshalb auch New Pay. Das verargumentiert und dafür für steht Gastautorin Stefanie Hornung.
New Work steht laut aktuellen Umfragen ganz oben auf der HR-Agenda. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, worum es dabei geht: Die einen (das Lager um New-Work-Begründer Frithjof Bergmann) streben nach Selbstentfaltung von Beschäftigten Dabei geht es darum herauszufinden, was wir „wirklich wirklich“ wollen. Für die anderen ist New Work ein Organisationsprinzip, das den Freiraum und somit auch die Motivation der Beschäftigten erhöhen soll.
Mithilfe von Hierarchieabbau und Selbstorganisation versucht man, lähmende Bürokratie zu reduzieren und Innovationsfähigkeit zu entfesseln. Häufig sind die Übergänge zu agilem Arbeiten fließend. Vor allem im Versuch, die besten Leute mit den richtigen Fähigkeiten jenseits von Abteilungen und Positionen in Projekten zusammen zu bringen. Die Haltung, „das haben wir schon immer so gemacht“, soll einer neuen Experimentierfreude weichen.
Was bekommen wir für unsere Arbeit?
Das klappt dann am besten, wenn es Unternehmen gelingt, die persönliche Entwicklung mit der organisationalen zu synchronisieren. Der Weg dahin ist meist noch weit. Denn noch immer dominieren klassische Aufbauorganisationen und entsprechende Hierarchien.
Wenn nun aber Mitarbeitende jenseits von Führungsrollen mehr Verantwortung tragen (sollen oder dürfen), fragen sie sich, wie sie es auch sonst im Job tun: Was bekomme ich dafür zurück? Und schon sind wir beim Thema Vergütung.
Allein für eine Arbeitswelt, in der Kooperation und Partizipation eine immer größere Rolle spielen, sind traditionelle Vergütungssysteme nicht gedacht und gemacht. Es gibt kaum Prozesse in HR, die weniger agil sind. Und auch die Vorstellung, dass Führungskräfte qua Position prinzipiell mehr verdienen, will nicht so recht zur „Future of Work“ passen.
Die Mietwohnung zum Eigentum machen
Wie es um das Thema Engagement und Selbstverantwortung der Beschäftigten in Unternehmen steht, lässt sich an einer einfachen Analogie verdeutlichen: Wenn wir zur Miete wohnen, überlegen wir uns zweimal, ob sich die nötige Küchenrenovierung lohnt. Sollen wir wirklich neu streichen und in eine teure Einrichtung investieren, wenn wir vielleicht morgen schon ausziehen (müssen)? Das sieht ganz anders aus, wenn uns eine Wohnung oder ein Haus gehört. Dann fühlen wir uns plötzlich für die Renovierung und Instandhaltung verantwortlich, weil wir wissen, wir zahlen damit auf unsere künftige Wohnsituation ein.
Die sieben Dimensionen von New Pay
Wenn Unternehmen also New Work und Agilität fördern möchten, kommen sie um eine andere Form der Beteiligung und Verteilung des Gehaltsbudgets wohl kaum herum. In einigen Betrieben sehen wir diesbezüglich erste Trends. Beispielsweise eine geringere Gehaltsschere statt exorbitanter Managementgehälter, Projekt- oder Teamboni statt individueller Anreize oder Team- und Selbsteinschätzung statt Bewertung durch Führungskräfte.
Eine Blaupause, die für alle Unternehmen funktioniert, gibt es allerdings nicht. Im Buch „New Pay“ (Haufe 2019) habe ich zusammen mit meinen Co-Autoren Sven Franke und Nadine Nobile einige Grundprinzipien von New Work und New Pay identifiziert:
- Transparenz
- Partizipation
- Selbstverantwortung
- Flexibilität
- Wir-Denken
- Permanent Beta
- Fairness
Wir sprechen hier von Dimensionen, da diese Prinzipien in den Unternehmen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. New Pay definieren wir dabei als Prozess hin zu einem Vergütungssystem, das zur Unternehmenskultur passt.
#NewPay ist ein Prozess hin zu einem #Vergütungssystem, das zur #Unternehmenskultur passt. Share on XBeispiel Arbeitszeit flexibilisieren
Ein konkretes Beispiel, wie das in der Praxis aussehen kann: Nehmen wir an, ein Unternehmen möchte mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit bieten und die traditionelle Gleichung „mehr Präsenz = mehr Arbeit = mehr Lohn“ aufbrechen. Das hört sich für Beschäftigte zunächst durchaus attraktiv an. Schließlich können sie ihre Zeit dann freier einteilen und auch einmal früher Feierabend machen, wenn sie ihre Aufgaben im Griff haben und sich gut mit Kollegen absprechen.
Auch bei Arbeitgebern herrscht meist Einigkeit, dass es letztlich auf den Output ankommt. Die Zeit, die jemand für ein bestimmtes Ergebnis braucht, spielt aus dieser Sicht eine untergeordnete Rolle. Doch im Alltag lauern Tücken: Führungskräfte sehen die Arbeitszeit bisweilen als Kontroll- und Steuerungselement, auf das sie ungern verzichten. Die Beschäftigten wiederum müssen ihren Arbeitstag stärker selbst strukturieren. Eine neue Haltung fördern Unternehmen nur, wenn sie auch die Art und Weise ändern, wie sie Ziele formulieren, Leistung bewerten und honorieren.
Performance Management neu gedacht
Dafür sollte das Top-Management neuen Führungsleitlinien Nachdruck verleihen. In „New-Pay-Unternehmen“ sehen wir diesbezüglich zudem einige Alternativen zu klassischem Performance Management. Ein Ansatz besteht darin, eine ambitionierte Zielsetzung und die Vergütung komplett zu entkoppeln, etwa mithilfe der Methode Objectives and Key Results (OKRs).
Andere Unternehmen gelangen zu der Überzeugung, dass vor allem die Kollegen am besten beurteilen können, was ihre Teammitglieder zum gemeinsamen Gelingen beitragen – und setzen auf Peerbewertung. Wiederum andere sind überzeugt, dass sich Leistung letztlich nicht messen lässt und verzichten lieber komplett auf Zielvereinbarungen und Leistungsmessung. Zum Beispiel mit einem Einheitsgehalt oder einem Wunschgehalt, bei dem die Mitarbeitenden selbst einschätzen, welchen Beitrag zum Unternehmenserfolg sie geleistet haben oder was sie sonst zum Leben brauchen.
New Pay Journey
All diese Ansätze haben auch ihre Schattenseiten (zum Beispiel: OKRs benötigen einen verbindlichen Prozess, Peerbewertung mit Auswirkungen aufs Gehalt kann ehrliches Feedback beeinflussen, ein Einheitsgehalt schert alle über einen Kamm). Absolute Fairness gibt es nicht.
Absolute #Fairness gibt es auch bei #NewPay nicht. Share on XDennoch geht es bei New Pay darum, sich in ständigen Anpassungsprozessen einem hohen Fairnessgrad anzunähern. In vielen Unternehmen bleiben Vergütungssysteme jedoch lange unangetastet oder Vergütungsberater haben sie derart verkompliziert, dass kaum noch jemand deren Logik und Funktionsweise versteht. Ein Auslöser dafür, sich des Themas neu anzunehmen, ist meist erst die Unzufriedenheit der Beschäftigten.
Holistic Pay: Zusammenhänge verstehen
Wenn es zu Störgefühlen oder Missmut in Bezug auf das Gehalt kommt, lohnt sich zunächst ein ganzheitlicher Blick: Geht es wirklich ums Geld oder stecken andere Dinge dahinter – ein Ruf nach Wertschätzung zum Beispiel?
Denn aus der Forschung wissen wir um die Zusammenhänge zwischen Motivation und Wirk- und Entwicklungsfeld der Mitarbeitenden. Dazu gehören folgende Aspekte:
- Eine Aufgabe, die mir Spaß macht und meinen Interessen entspricht
- Das Erleben, das ich mit meiner Arbeit im Unternehmen oder der Welt etwas bewirke
- Die Resonanz aus meinem sozialen Umfeld – von Kollegen oder Kunden
- Strukturen und Prozesse, die meine Aufgaben unterstützen
Liegt das Problem in einem dieser vier Felder, werden Unternehmen mit einem höheren Gehalt oder neuen Vergütungsstrukturen wenig bewirken. Sie verabreichen dann Schmerzensgeld, ohne den Ursachen auf den Grund zu gehen.
Identitätsupdate vonnöten
Ähnlich verhält sich die Sache mit nicht-monetären Vergütungsbestandteilen in Form von Benefits und Privilegien. Nehmen wir das Beispiel Dienstwagen: Häufig handelt es sich dabei um ein Privileg für Beschäftigte, die eine bestimmte Position haben. Selbst wenn sie ein Auto für ihren Job brauchen, zum Beispiel im Außendienst, kann die gewählte Automarke für eine gewisse Karrierestufe kennzeichnend sein.
Sind nun jedoch die Beschäftigten etwa mit der Wahl des Dienstwagens unzufrieden, hat dies immer auch mit dem damit verbundenen Status zu tun. In der Arbeitswelt gibt es viele derartige Artefakte, die uns signalisieren, wie weit es jemand mit seiner oder ihrer Karriere gebracht hat: wohlklingende Titel, das Eckbüro oder die Aufnahme in einen E-Mail-Verteiler.
Dies alles gehört mit zur beruflichen Identität, die für neue Formen der Zusammenarbeit ein Update braucht. Sonst bleiben Kulturveränderungen reine Makulatur oder signalisieren den Beschäftigten: „Im Grunde bleibt alles beim Alten, Ihr müsst den Wandel nur aussitzen.“
Fazit: New Pay ist ein Hebel für echte Veränderung
An einem solchen Identitätsupdate können Unternehmen nur arbeiten, wenn sie die Zusammenhänge zwischen Entlohnung, Unternehmenskultur und verschiedenen HR-Disziplinen erkennen. Mit dieser ganzheitlichen Sicht wird Vergütung ein starker Hebel oder gar Kristallisationspunkt für Veränderung.
Voraussetzung ist, dass das Thema von der Spezialistenecke in der Com&Ben-Rechenstube ins Zentrum der Organisation rückt. In New-Pay-Organisationen kommen die Mitglieder der Projektteams nicht nur aus HR. Oft starten Unternehmen mit Freiwilligen, die sich mit dem Thema beschäftigen.
Wichtig ist dabei ein klarerer Rahmen, in dem sich ein Projektteam für New Pay bewegen kann. Es geht wie bei Personalentwicklung, Leadership oder Kultur- und Organisationsentwicklung letztlich um das Zielbild und die Wertschöpfung eines Unternehmens. Nur wenn wir auf dem Weg zu neuen Formen der Zusammenarbeit die Vergütung mitdenken, kann New Work wirksam werden.