Tech-Recruiting wird häufig als Königsdisziplin im Recruiting bezeichnet: Ein umkämpfter Markt, hohe Anforderungen an die Profile und eine schwer zu verstehende Fülle an Technologien und Fachbegriffen. In diesem Beitrag erklärt Gastautor Sergej Zimpel, wie Sie Softwareentwickler in der Direktansprache besser identifizieren und für Ihr Unternehmen gewinnen können.
Der Begriff „Tech-Recruiting“ umfasst eine Vielzahl von Profilen: Productmanager (m/w/d), Designer, Programmierer und noch viele mehr. Jede dieser Kandidatengruppen hat im Recruiting eigene Herausforderungen und Best Practices. In diesem Artikel möchte ich mich auf die Direktansprache von Programmierern fokussieren. Ein Programmierer ist laut Duden „jemand, der (…) Programme für Maschinen zur elektronischen Datenverarbeitung aufstellt und erarbeitet“. In unserem digitalen Zeitalter sind sie unerlässlich für den Erfolg von Unternehmen.
Fokussiertes Vorgehen bei der Ansprache
Zunächst einmal vorneweg: Das Rekrutieren von Programmierern ist nicht einfach. Der Talentmarkt ist stark umkämpft, eingesetzte Technologien ändern sich ständig und viele komplexe Themen, an denen Programmierer arbeiten, sind in ihren Details auch für erfahrene Tech-Recruiter nicht immer leicht zu verstehen.
Einige Recruiter versuchen, diese Herausforderung durch die Massenansprache von Kandidaten zu lösen. Sie geben ein paar Keywords auf LinkedIn ein und schreiben dann einfach alle Kandidaten, die beispielsweise eine bestimmte Programmiersprache in ihrem Profil aufweisen, mit dem gleichen Template an. Diese Vorgehensweise ist nicht nur wenig effizient, sie kann auch negative Auswirkungen auf die Employer Brand Ihres Unternehmens und auf Ihre persönliche Marke als Recruiter haben. Aber wie können Sie passende Kandidaten besser identifizieren?
Sprechen Sie mit Ihren eigenen Programmierern!
Das leider noch (viel zu) oft vorherrschende Klischee von Programmierern, die zuhause bei ihren Eltern den ganzen Tag im Keller sitzen, Computerspiele spielen und jegliche Kommunikation zu anderen Menschen vermeiden, ist schlicht und einfach falsch.
Entwickler haben meistens nicht nur eine große Leidenschaft für Technologien und Programmiersprachen, sondern häufig auch zu Leadership- und Organisationsthemen.
Dazu tauschen sie sich gerne mit anderen Experten aus. Und wer schon einmal ein Standup Meeting in einer Tech-Abteilung mitgemacht hat, wird eingestehen müssen, dass diese Termine häufig viel effizienter und strukturierter umgesetzt werden als so manches Meeting in der Personalabteilung.
Gehen Sie also auf Ihre Programmierer zu, laden Sie sie vielleicht zu einem Kaffee ein und nehmen Sie sich Zeit, um Ihre Tech-Profile detailliert zu besprechen. Sie haben noch nie so ganz genau verstanden, was Ihre Kolleginnen und Kollegen in der Tech-Abteilung den ganzen Tag machen oder wie eine bestimmte Technologie funktioniert? Die meisten Beschäftigten aus den Tech-Abteilungen werden es Ihnen gerne erklären.
Lernen Sie ein paar Basics aus dem IT-Bereich
Sie müssen nicht selbst programmieren können, um Entwickler zu rekrutieren, Wissen über ein paar Basics hilft Ihnen aber ungemein. Verstehen Sie zum Beispiel, was der Unterschied zwischen Frontend und Backend ist, was Libraries von Frameworks unterscheidet oder was es mit Data Science auf sich hat.
Wenn Sie nach einer guten allgemeinen Tech-Einführung suchen, kann ich Ihnen das Buch How to Speak Tech: The Non-Techie’s Guide to Key Technology Concepts (English Edition) (Affiliate-Link) von Vinay Trivedi sehr empfehlen. Sie werden sehen, dass Ihnen diese Basics nicht nur die Suche und Ansprache von Kandidaten enorm erleichtert, sondern Sie auch gleich von Ihren Entscheidern in den Fachbereichen viel ernster genommen werden.
Investieren Sie Zeit in Recherche und ein gutes Briefing
Bevor Sie mit dem eigentlichen Sourcen anfangen, sollten Sie mit den Fachentscheidern in einem ausführlichen Briefing eine Liste von wichtigen Technologien für die Position erstellen und sich diese gut erklären lassen. Fragen Sie solange nach, bis Sie wirklich alles verstanden haben. Auch Details sind wichtig. React und React Native sind zum Beispiel genauso wenig das Gleiche wie Java und Javascript. Erst wenn Sie einer Person, die noch nie von der Stelle gehört hat, die Position erklären können, haben Sie sie wirklich verstanden.
Sie haben nun also eine vollständige Liste von wichtigen Technologien für diese Stelle erstellt? Dann geht es in dem nächsten Schritt darum, genau zu verstehen, welche dieser Technologien „Must-Haves“ und welche „Nice-to-Haves“ sind. Die eierlegende Wollmilchsau werden Sie auf einem derart umkämpften Arbeitsmarkt nicht finden. Recherchieren Sie auch, seit wann es bestimmte Technologien gibt. React gibt es zum Beispiel erst ab 2013 und wenn Sie Programmierer mit 10-jähriger React Erfahrung suchen, werden Sie definitiv nicht fündig werden.
Verstehen Sie Keywords und Positionsbezeichnungen auf LinkedIn
Für eine erste Longlist können Sie dann bei XING oder LinkedIn die Technologien aus dem Briefing als Keywords eingeben. Ich empfehle Ihnen, die Suche noch örtlich einzuschränken. Ich beginne meine Suche meist in dem Ort, für den ich rekrutiere und wenn ich nicht genug Profile finde, weite ich die Suche Schritt für Schritt aus.
Achten Sie hier unbedingt auf die Positionsbezeichnung Ihrer Kandidaten. Software Architekten fokussieren sich in ihrer Arbeit zum Beispiel auf das Zusammenspiel der vielen verschiedenen Technologien eines Softwareprodukts und haben damit einen strategischeren Fokus als viele Softwareentwickler. Sie werden also oft nicht an Positionen für Entwickler interessiert sein.
Verschiedene IT-Profile haben einen unterschiedlichen Fokus
Engineering Manager fokussieren sich hingegen oft eher auf Führungsthemen, Principal Engineers sind sehr erfahrene Spezialisten ohne Führungsverantwortung. Achten Sie sehr genau darauf, dass Sie die Profile, die Sie sourcen wirklich zu deren Rolle passen und Sie nur diese Profile anschreiben. Idealerweise bieten Sie Kandidaten zu ihrer Position den logischen nächsten Schritt auf der Karriereleiter an. Wenn Sie zum Beispiel einen Chief Technology Officer für eine Junior Softwareentwickler Rolle anschreiben, machen Sie im schlimmsten Fall sich und Ihr Unternehmen lächerlich.
Achte auch darauf, dass viele Entwickler eine sehr starke Meinung zu bestimmten Technologien haben. Ein großer Fan von React kann zum Beispiel eine starke Abneigung gegenüber anderen Libraries haben.
Beim Sourcen über LinkedIn und XING haben Tech-Recruiter aber häufig ein Problem: Viele Tech-Kandidaten pflegen ihre Profile nicht mit ihren aktuellen Kenntnissen. Manchmal lässt sich zum Beispiel aus einem LinkedIn-Profil ableiten, welche Programmiersprachen Kandidaten beherrschen, aber nicht, mit welchen Libraries oder Frameworks sie am liebsten arbeiten.
Mein Tipp: Um ein Profil besser zu verstehen, sollten Sie sich auch das GitHub Profil Ihrer Kandidaten anschauen.
Schauen Sie sich die GitHub-Profile an
GitHub ist, ganz grob gesagt, ein Versionierungstool. Stelle Dir vor, Sie arbeiten mit einigen Personen zusammen an einer Gruppenarbeit. Da verliert man schnell mal den Überblick, welche Version der Präsentation die aktuelle ist. Da dies auch ein großes Problem bei der Entwicklung von Software sein kann, setzen Programmierer GitHub ein.
Das Besondere an GitHub ist, dass Programmierer hier auch oft an sogenannten „Open Source“ Projekten mitarbeiten. Bei diesen Projekten ist der Quellcode öffentlich einsehbar und jede Person kann daran Änderungen vornehmen. Wenn diese Änderungen besonders gut umgesetzt wurden, werden sie mit in das Hauptprojekt übernommen.
Aber wie finden Sie nun das GitHub-Profil Ihrer Kandidaten? Oft gibt es dazu einen Link auf dem LinkedIn-Profil, die meisten Entwickler verwenden außerdem ihren Klarnamen auf GitHub und können damit relativ leicht gefunden werden. Alternativ macht es oft Sinn, auf Twitter oder der Blog-Plattform Medium nach den Namen Ihrer Kandidaten zu suchen. Auch dort verlinken viele Programmierer häufig auf ihr GitHub-Profil.
Konkretes Beispiel für IT-Sourcing via GitHub
Um GitHub an einem konkreten Beispiel zu erklären, habe ich mir das Profil von Dan Abramov herausgesucht. Dan ist ein echter Star unter Programmierern – bitte schreiben Sie ihn also nicht unbedingt für Ihre Junior Entwickler-Stelle an.
Die Profilseite auf GitHub gibt Ihnen einen ersten Überblick. Unten im Profil sehen Sie, wie aktiv die Person bei Open Source Projekten auf GitHub ist. Hier ist allerdings Vorsicht geboten: Kandidaten mit niedriger Aktivität sind nicht gleich „schlechte“ Kandidaten. Sie sind nur nicht so sehr in der Open Source Szene aktiv.
GitHub-Projekte, an denen Programmierer in ihrem Unternehmen arbeiten, sind zum Beispiel nicht öffentlich einsehbar. Außerdem kann die Fokussierung auf besonders aktive GitHub-Nutzer zu einem Diversity Bias führen, da zum Beispiel Kandidaten mit Familie oft weniger Zeit für Open-Source-Projekte haben.
Was Sie aus einem GitHub-Profil herauslesen können
In dem Bereich über der Aktivitätsleiste können Sie an den farbigen Tags erkennen, mit welchen Programmiersprachen die Person an den Projekten arbeitet. Weiter unten gehe ich auf eine detailliere Ansicht ein. Auf der linken Seite des Profils sehen Sie, dass über 60.000 Personen Dan folgen. Das ist eine sehr hohe Follower-Zahl. Außerdem haben über 1.400 Personen Dans „Repositories“, also seine Projekte, mit einem „Star“ gekennzeichnet und quasi geliked. Dan hat darüber hinaus sein Twitter-Profil verlinkt und angegeben, dass er bei Facebook arbeitet. Wenn Sie bei GitHub angemeldet sind, können Sie bei manchen Profilen auch die E-Mail-Adresse einsehen.
Wenn Sie auf „Repositories“ klicken, sehen Sie eine detaillierte Ansicht der Projekten. Über „Types“ können Sie danach filtern, ob Sie nur eigene Projekte oder auch sogenannte „Forks“ angezeigt haben möchten. Forks sind Projekte, die zwar von einer anderen Person erstellt, die aber von dieser Person weiterentwickelt wurden.
Mit Klick auf eines der Projekte kommen Sie zu den Details. Wenn Sie Programmierkenntnisse haben, können Sie sich den Code selbst anschauen. Für alle anderen ist die „Read me“-Datei interessanter, in der erklärt wird, was die Funktion des Programmes ist.
Hier bekommen Sie nicht nur eine Einsicht in den Kommunikationsstil Ihres Kandidaten, sondern haben auch direkt einen Aufhänger für Ihre Nachricht an ihn, die Ihnen ganz sicher eine sehr viel höhere Response Rate einbringen wird.
Und was bringt mir das jetzt?
Zugegeben, das Ganze klingt erst einmal sehr zeitaufwendig. Und Sie fragen sich vielleicht: Macht es wirklich Sinn, so viel Zeit in die Ansprache zu investieren?
Für mich ist das eine einfache Rechnung: Wenn Sie für eine Position mit einem Massenanschreiben 100 Profile anschreiben und dann 10% der Empfänger eine positive Rückmeldung geben – was für ein Massen-Template schon sehr viele wären – fallen häufig noch einmal circa fünf Kandidaten nach einem ersten Call weg, da sie nicht auf das Profil passen. Es bleiben also fünf Kandidaten übrig.
Was passiert, wenn Sie nicht so sehr auf Masse setzen, sondern die Zeit in ein gutes Briefing und eine zielgenaue Ansprache investieren? Sie können „nur“ 30 (dafür aber wirklich passende) Kandidaten ansprechen, können aber mit einer Response Rate von 60% rechnen. Sie generieren also 18 Kandidaten für den weiteren Prozess. Und Sie schützen die Employer Brand Ihres Unternehmens.
Das lohnt sich doch, oder?
Dieser Beitrag ist Teil der Ideen-Kampagne #Talenthacks (Volume 2) zum Recruiting von IT-Talenten. Mehr über die Aktion sowie die Möglichkeit auf das kostenfreie eBooklet mit den besten Hacks fürs IT-Recruiting gibt es unter www.talenthacks.de!