Personalberater bei der Suche nach Top-Management

Warum Personalberater im Recruiting von Top-Managern zum Problem werden

Personalberater sind noch immer erste Wahl bei der Suche nach neuen Mitgliedern für Vorstand, Aufsichtsrat und andere Top-Management Positionen. Große Personalberatungen versuchen sich zwar modern zu geben, offenbaren im Detail aber immer wieder, dass sie beim Recruiting der 1980er-Jahre stehen geblieben sind. Eine sehr kritische offene Replik.

Der Auslöser für diesen Beitrag

Konkreter Auslöser für diesen Blogbeitrag war ein Beitrag im Managementblog der Wirtschaftswoche vom 14.02.2019. Darin schreibt Gerhard Wiesler, Personalberater und Partner bei Kienbaum über Bewerber, lügende Manager und Frauen. Darüber hinaus beschreibt er die Auswahlmethoden im Recruiting.

Und hat damit meinen Nerv als kritischer Personaler getroffen.

Top-Manager müssen sich Social Media Relevanz erarbeiten

Dem Titel des Beitrags „Manager, die nicht in den sozialen Netzen sind, sind nicht mehr präsentabel – sie sind eine aussterbende Rasse.“ kann ich noch uneingeschränkt zustimmen. Auch ich bin der Ansicht, dass eine konsequente Ausrichtung des eigenen Unternehmens an den Erfordernissen und Maßstäben der Digitalisierung nur dann glaubwürdig durch das Top-Management transportiert werden kann, wenn diese gleichzeitig als Personen via Social Media präsent sind.

Die (wahrlich nicht mehr wirklich neuen) Medien geben der eigenen Stimme Gewicht und bringen relevante Reichweite in Richtung Kunden, Partner, Stakeholder, Öffentlichkeit sowie bei eigenen Mitarbeitern. Letztere können immer stärker zusätzlich über externe Kanäle erreicht werden.

Die Suche nach dem Top-Management durch Personalberater

Top-Manager zu finden, bezeichnet Wiesler in seinem Beitrag als aufwändig. Er meint damit die zu screenenden Informationen, die Gespräche und nicht zuletzt die Auswahlverfahren. Er hat damit Recht: Recruiting ist aufwändig, wenn man es richtig betreibt. Und es wird viel zu häufig systematisch unterschätzt. Allerdings gilt das nicht nur fürs Top-Management, sondern gleichermaßen für die Besetzung von Stellen mit Fachkräften.

Systematische Ausrichtung in Richtung Kandidaten 50+

Der folgende Satz von Wiesler ließ mich aufhorchen: „Zum Glück haben wir bei den über-50-Jährigen gerade die geburtenstarken Jahrgänge, so dass es für die Top-Positionen genug Bewerber gibt. Heute müssen wir nicht um Kandidaten buhlen, aber das könnte in zehn Jahren ganz anders aussehen.“. Darin zeigt sich eine systematische Ausrichtung auf Bewerber älter als 50 Jahre.

Unabhängig von rechtlichen Aspekten des AGG stellt sich Frage: WARUM?

Wieso fallen 35-jährige Bewerber für einen CEO-Posten von Anfang an komplett aus dem Raster? Kommen Sie mir bitte nicht mit mangelnder Berufserfahrung – oder gar mit mangelnder Lebenserfahrung!

Denn: Weder Alter noch Berufserfahrung zeichnen einen guten (Top)-Manager aus.

Oder ist es am Ende ein reines Akzeptanz-Thema? Nach dem Motto „Einen 35-jährigen CEO eines DAX-Konzerns nimmt doch niemand ernst“? Dann wäre das eine aus meiner Sicht ebenfalls höchst bedenkliche und deutlich zu hinterfragende Haltung.

Bewerber für Positionen im Top-Management müssen sich beweisen

Einer der richtigen Knaller ist die Aussage „Unternehmen glauben nicht mehr alles, was in Bewerbungsunterlagen steht.“. Im Ernst? Das ist doch hoffentlich keine neue Erkenntnis?! Für Wiesler anscheinend doch. Denn er begründet damit den Aufwand, den er und seine Berater bei der Personalauswahl von Top-Führungskräften betreiben.

Referenzen statt Zeugnisse bei Top-Managern

Laut Wiesner benötigen Bewerber für Top-Positionen keine Zeugnisse. Die Abkehr von einer rein vergangenheitsbezogenen Bewertung von Menschen auf Basis von Zeugnissen kann ich zuerst einmal nur unterstützen. Stattdessen würden Anwärter fürs Top-Management nach den eigenen Erfolgen befragt. Um hier Lügner zu entlarven, werden verstärkt Befragungen von Dritten (Referenzen) vorgenommen, denn „Sonst wird das Ergebnis zu subjektiv.“, so Wiesler.

Dass auch diese Dritten keine wirkliche Objektivität in den Prozess bringen, verkennt Wiesler dabei komplett. Denn deren Meinungen sind selbstverständlich ebenso subjektiv und verfolgen immer auch eine eigene Intention.

Methoden aus der Recruiting-Mottenkiste

Dabei werden laut Wiesler sehr erfolgreich Methoden der Referenz-Prüfung angesetzt. So fragen die Personalberater ehemalige Arbeitgeber beispielsweise, ob sie die betreffende Person noch einmal einstellen würden. „Wenn der zuckt oder zögert, ist das kein überzeugendes „ja“, das man braucht.“, meint der Kienbaum-Mann.

Das erinnert mich stark an pseudo-diagnostische Ansätze auf Basis offensichtlicher Verhaltensweisen. Mimik und Gestik-Interpretationen haben gerade wieder Hochkultur. Schaut er nach links oben, lügt er, blickt er nach rechts, sagt er die Wahrheit. Oder war es anders herum? – Bullshit!

Ich schätze übrigens Menschen sehr, die vor einer qualifizierten Antwort kurz nachdenken. Wer stets und sofort mit einer Antwort herausschießt, mag in Beraterkreisen als besonders schlagkräftig oder eloquent gelten. Oft kommt dabei aber nur viel heiße Luft heraus.

Will heißen: Zucken oder Zögern im Rahmen von Referenz-Befragungen als Ausschlusskriterium für Bewerber zu verwenden, ist mehr als abenteuerlich! Denn das würde umgekehrt bedeuten, dass eine Rückmeldung ohne zu zögern automatisch als wahr eingestuft würde.

Aber mal Hand aufs Herz: Welcher einigermaßen vorbereitete Referenz-Geber auf Management-Ebene würde so eine Befragung nicht meistern?

Der positive Effekt eines guten Netzwerks

Hinzu kommt eine ganz andere Problematik: Wenn nämlich Referenzen aus dem Netzwerk des Bewerbers angesprochen werden, hat der Bewerber selbst seine Referenz-Auswahl in der Hand. Er kann sich sein Zeugnis (eine Referenz ist im Grunde nichts anderes als eine Art sehr persönliches Zeugnis) quasi selbst ausstellen.

Andere Dritte außerhalb des Netzwerks des Bewerbers nach dessen Person zu befragen, dürfte hingegen für Personalberater eher in einem datenschutzrechtlichen Kontext zu beleuchten sein.

Insofern rät Wiesler zurecht, dass der Aufbau eines Netzwerks für Bewerber auf eine Top-Management Position essentiell ist.

Rat an Frauen als Bewerber fürs Top-Management

Gefragt nach einem Rat für Frauen, die ins Top-Management wollen, beantwortet Wiesler im selben Sinne „(…) ihnen fehlen teils die Netzwerke.“. Der Rat an sich ist vermutlich gut gemeint und stimmt auch. Wer sich vernetzt, hat nicht nur beim Berufseinstieg bessere Karten, sondern auch im Arbeitsalltag.

Ein großes ABER bleibt jedoch: Wenn Frauen, wie er ebenfalls schreibt, „meist die gleichen Qualifikationen wie Männer“ haben, warum haben sie bei der Vermittlung trotzdem oft das Nachsehen? Dies mit dem fehlenden Netzwerk zu begründen, lässt tief blicken. Denn dann bestimmen im Grunde doch nicht die persönlichen Eigenschaften darüber, wem Personalberatungen zu einer Position im Top-Management verhelfen, sondern das Netzwerk!

Das gängige Vorurteil, dass Top-Manager (m/w/d) vor allem „Vitamin B“ benötigen, wird damit maximal befeuert. Selbst ich kann mich einer solchen Interpretation der Aussagen von Wiesler nicht verschließen.

Ganz abgesehen davon, dass überhaupt die Frage gestellt wurde, was Frauen in dieser Hinsicht zu raten sei. Genau genommen dürfte es überhaupt keinen Unterschied machen, wer sich bewirbt.

Management-Klone klonen sich selbst

Das gesamte Interview liest sich für mich wie aus einer längst vergangenen Zeit. Es scheint bei Personalberatungen noch immer extrem konservative Ansichten zu geben, wie Top-Management-Positionen zu besetzen seien. Der seniorige männliche, gut vernetzte Ü50-Aspirant hat dabei die wenigsten Probleme. Vor allem wenn er seine Erfolge gut zu verkaufen weiß und seine Referenzen clever auswählt.

Laut Wiesler sei es Aufgabe der Frauen „vor allem auch sich gegenseitig zu fördern.“. Soso.

Wer sich in diesem Zusammenhang immer noch noch wundert, warum sich die Landschaft deutscher Top-Manager vergleichsweise homogen darstellt, findet wie so oft Antworten in Organigrammen. Fast nur Männer in deutschen Chef-Etagen.

Aufgerüschte Kompetenzprüfungen: Digitalkompetenz darf nicht fehlen

Natürlich kommen heute Kompetenzprüfungen in Richtung „digitales Mindset“ oder anderer „moderner Buzzword-Themen“ mit hinzu. Unabhängig davon stammen alle Ü50-Bewerber alleine schon altersmäßig aus den gleichen Management-Schulen. Hier war Command & Control die Regel. Und verdächtig vielen Top-Managern fällt es schwer, mit (negativem) Feedback umzugehen. Stattdessen stellen sich die Führungskräfte darunter darauf ein. Das Selbstbewusstsein und die vermeintlich erfolgreiche Führungsstrategie des Top-Managers wird dadurch weiter gestärkt und bestätigt.

Dass man hier besonders die Digitalkompetenz prüft, verwundert also wenig. Aber warum nicht gleich den nativ digital-affinen CEO einstellen?

Abseits aufgerüschter Kompetenzprüfungen funktioniert die Personalauswahl auf Top-Manager-Ebene in meinen Augen im Grunde noch wie eh und je. Wie ich bereits in einem früheren Beitrag ausführlich dargestellt habe, steckt die Führungskräfteauswahl in deutschen Unternehmen in einer schweren Krise.

Das lukrative Geschäft mit der Auswahl des Top-Managements

Auch wenn ich mich in meinem Beitrag ausschließlich auf die Statements von Gerhard Wiesler gestützt habe, so steht dieser Top-Manager für mich eher als Sinnbild für eine gesamte Branche. Die Vermutung liegt nahe, dass sich die großen Managementberatungen im Kern sogar recht wenig unterscheiden.

Die Nachfrage auf dem Recruiting-Markt nach Leistungen von Management- bzw. Personalberatern ist hoch und das Geschäftsmodell noch immer sehr lukrativ. Die Aussage Wieslers „So eine Analyse dauert zwei bis drei Wochen. Der Aufwand lohnt sich aber, auch für uns als Personalberater.“ darf demnach gleichermaßen in einem finanziellen Kontext als wahr betrachtet werden.

Positiv erwähnen möchte ich abschließend, dass sich Wiesler zumindest an seinen eigenen titelgebenden Rat hält und via Social Media starke Sichtbarkeit hat. Vorbildlich.


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Stefan Scheller

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