Willkommen zurück beim Thema Digitalisierung von HR! Nahezu jeden Tag lesen wir in den Medien davon, dass soundsoviele Jobs durch die Digitalisierung sowie eine Automatisierung durch Roboter und Algorithmen gefährdet sind. Auch das IAB, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung innerhalb der Bundesagentur für Arbeit, hat sich dieser Frage angenommen. Der Job Futuromat soll Auskunft darüber geben, wie stark einzelne Tätigkeiten und Berufe automatisiert werden können.
Ich habe mal verschiedene Personaler-Jobs im Rahmen eines Praxistests verprobt. Mit erstaunlichen Ergebnissen.
3,4 Millionen deutsche Jobs durch die Digitalisierung gefährdet?
Die Infografik von McKinsey und statista unter dem Titel „So viele Jobs könnte die Automatisierung kosten“ klingt hochgradig alarmierend.
In den Medien sticht ebenfalls eine Aussage aus einer aktuellen Studie des IT-Verbandes bikom hervor, wonach aufgrund der Digitalisierung bis 2022 (was immerhin schon in vier Jahren ist) rund 3,4 Millionen Stellen den Robotern und Algorithmen zum Opfer fallen.
Ich bin bekanntermaßen kein Freund abstrakter Zahlenspiele und wilder Spekulationen. Insbesondere wenn hier mit der Angst der Arbeitnehmer gespielt wird. Auch das definitorisch wüste Konglomerat aus Bezeichnungen wie Stellen, Jobs und Arbeitsplätze erschwert häufig das allgemeine Verständnis dieser Zahlen.
Nicht Stellen oder Jobs, sondern Tätigkeiten
Der Aussage, dass Millionen von Tätigkeiten zukünftig wegfallen, oder besser: digitalisiert, automatisiert und vernetzt werden, kann ich ganz gut folgen. Insbesondere Routinetätigkeiten, wiederholte Tätigkeiten und solche mit wenig Varianz bzw. geringer Entscheidungsfreiheit, stellen ja gerade das Potential im Rahmen der Digitalisierung dar. Und vielen Tätigkeiten davon trauert sicher niemand nach.
Wenn die Aussagen zu Stellen oder Jobs auf Basis der Tätigkeiten lediglich rechnerisch aggregiert werden, sind die Zahlen zwar erklärbar, haben in meinen Augen aber gewaltige Unschärfen. Es lohnt sich also der Blick auf´s Detail, nämlich die einzelne Berufsbezeichnung.
Der Job Futuromat des IAB
Mit dem neuen Online-Service Job Futuromat möchte das Forschungsinstitut IAB, das zur Bundesagentur für Arbeit gehört, genau diesen Schritt ins Detail wagen. Grund genug, um den Praxistest zu machen, wie sich nach Meinung der IAB-Experten die Digitalisierung auf folgende HR-Jobs auswirkt:
- Recruiter/in
- Personalreferent/in
- Personalleiter/in
- Personalsachbearbeiter/in
- Personalentwickler/in
Der Job Futuromat im Praxistest
Über die sehr schlank gehaltene Eingabemaske des Job Futuromats fange ich an, den Begriff „Personal“ einzutippen. Sofort hilft mir eine Autovervollständigung bzw. semantische Funktion dabei, die in der Datenbank verfügbaren passenden HR-Jobs zu finden. Ich klicke mich durch die Ergebnisliste.
Recruiter sind zu 0% automatisierbar
Schon bei der ersten Ergebnisanzeige stocke ich.
Der Job des Recruiters besteht laut Job Futuromat des IAB im Wesentlichen aus 6 verschiedenen Tätigkeiten, nämlich
- Akquisition
- Personalberatung
- Private Arbeitsvermittlung
- Bewerberauswahl und Bewerberbeurteilung
- Personalbeschaffung
- Recherche und Informationsbeschaffung
Recruiting sei damit zu 0% durch Roboter zu übernehmen, da keiner dieser Tätigkeiten automatisierbar sei.
Ist Recruiting tatsächlich resistent gegenüber Digitalisierung?
Das Ergebnis überrascht in verschiedener Hinsicht: Zum einen werden mir die Unterschiede zwischen Akquisition und Personalbeschaffung nicht klar. Auch der Bereich private Arbeitsvermittlung grenzt sich für mich nicht sofort eindeutig ab. Zum anderen wundere ich mich, warum eine Recherche und Informationsbeschaffung heute nicht bereits automatisierbar sein sollte?
Auch im Rahmen der Personalauswahl unterstützen vielerorts schon Algorithmen in Softwareprodukten. Oder unterliegen wir einem Wahrnehmungsirrtum innerhalb unserer medialen Filterblase? Ist der Markt am Ende noch gar nicht so weit und 0% ist die korrekte Aussage zur Automatisierung im Recruiting? Ich habe Zweifel.
IAB: Die Automatisierbarkeit im Recruiting ist niedrig
Weiter unten auf der Seite finde ich eine Ergänzung zur Automatisierbarkeit des Berufs. Beim Recruiter sei diese Automatisierbarkeit auf der Stufe niedrig, da laut Job Futuromat maximal 30% der Tätigkeiten durch Roboter erledigt werden können.
Technologien entwickeln sich weiter
Noch weiter unten weist der Job Futuromat darauf hin, dass ich mein Job-Profil dem Job-Alltag anpassen könne. Schieberegler zu den einzelnen Tätigkeiten ermöglichen eine Feinjustierung. Allerdings ändert sich der angezeigte Automatisierungsgrad dadurch nicht. Wozu dann bitte die Schieberegler?
Ein Hinweis in roter Farbe darüber gibt Auskunft, dass sich Technologien im Recruiting weiterentwickeln, so dass es möglich sei, dass auch im Recruiting zukünftig Tätigkeiten von Robotern übernommen werden, die bislang nur von Menschen erledigt werden können. Soso.
Also, entweder habe ich die ganzen letzten Wochen und Monate im Dornröschenschlaf verbracht. Oder die Anbieter von Systemen zur Automatisierung im Recruiting versprechen etwas, das es (noch) nicht gibt oder das sich noch nicht bis zur Bundesagentur beziehungsweise zum IAB rumgesprochen hat.
Automatisierungsgrad des Jobs Personalreferent/in
Dann teste ich erstmal weiter. Der Job Personalreferent/in steht als nächstes auf meiner Liste. Denn gerade in kleineren Unternehmen übernehmen Personalreferenten auch den Job des Recruiters, der vorwiegend in größeren Unternehmen zu finden ist. Im Mittelstand sind Personalreferenten echte Allrounder.
Tätigkeiten von Personalreferenten können zu 22% automatisiert werden
Da dachten die Personalreferenten vor kurzem noch, sie würden in ihrem Job irgendwas mit Menschen machen – und schwupps kann fast ein Viertel der Tätigkeiten automatisiert werden. Mit 22% fehlen übrigens auch nur 8% bis zur Automatisierbarkeitsstufe „mittel“.
Ich kommentiere das nicht mehr einzeln, sondern erst ganz am Ende und teste lieber noch weitere HR-Berufe durch.
Automatisierungsgrad des Jobs Personalleiter/in: 11%
Selbst beim Berufsbild Personalleiter/in nimmt das IAB einen Automatisierungsgrad von immerhin 11% an.
Management scheint demnach gar nicht so komplex zu sein, wie man immer annimmt. Zumindest im Vergleich zum Recruiting.
Mir dreht sich der Kopf. Ich weiß nur noch nicht, ob es ein unschlüssiges Wippen ist, ein verneinendes Kopfschütteln oder ob mein gesamtes bisheriges Weltbild bröckelt und meinen Gleichgewichtssinn stört. Dem Karnevalsmotto entsprechend … immer heiter weiter … testen…
Automatisierungsgrad Personalsachbearbeiter: 67%
Jetzt wird es echt spannend. Der Job Futuromat legt sich richtig ins Zeug und analysiert für den Beruf Personalsachbearbeiter/in einen Automatisierungsgrad von 67%. Bleibt auf Sachbearbeiter-Ebene im HR also in Zukunft nur noch ein menschlicher Tätigkeitsrest von einem Drittel der bisherigen Tätigkeiten übrig? Diese Zahl dürfte für eine Vielzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiters, die mit Personalsachbearbeitung ihr Geld verdienen, zumindest leicht beunruhigend wirken.
Personalentwickler – Automatisierungsgrad: 0%
Bei den laut Bundesagentur für Arbeit zugrundeliegenden 5 Haupttätigkeiten von Personalentwickler/innen sieht es mit dem Automatisierungsgrad vergleichsweise gut aus. Das Ergebnis im Test liegt bei glatten 0% – analog den Recruitern.
Fachkaufmann/Fachkauffrau Personal schlägt Betriebswirt/in Personalwirtschaft
Achtung, jetzt wird es kurios: Im Vergleich zwischen dem Automatisierungsgrad des Berufs Fachkaufmann/Fachkauffrau Personal und dem Betriebswirt/in (Fachschule) Personalwirtschaft klafft ein Unterschied von 7%. Während für die Ausbildung Fachkaufmann/-frau Personal ein Automatisierungsgrad von 20% angenommen wird, liegt dieser beim Beruf Betriebswirt/in (Fachschule) Personalwirtschaft bereits bei 27%. Eine weitere Grafik dazu erspare ich Ihnen und Ihrem mobilen Datenvolumen.
Bewertung meiner Erkenntnisse
Sie haben es sicher bereits weiter oben gemerkt, dass ich mit den vermeintlich gewonnenen Erkenntnissen nicht so recht viel anfangen kann. Erstens erschließen sich mir die Ergebnisse nicht sofort – zum Beispiel im Vergleich zwischen dem Leitungsjob im Management und den Recruitern – und zweitens zweifele ich die Stimmigkeit an.
OK, es sind pauschale Aussagen auf Basis von formalen Kategorien, die das IAB und die BA ebenfalls für Ihre Statistiken verwenden. Und wie es bei pauschalen Aussagen so ist, treffen sie im Einzelfall mal mehr und mal weniger zu.
Automatisierung hängt auch vom einzelnen Betrieb ab
Dazu kommt, dass eine Automatisierbarkeit nicht bedeutet, dass die konkrete Tätigkeit des Einzelnen auch tatsächlich automatisiert wird. Wenn Unternehmen sich beispielsweise dazu entschließen, Potenziale im Rahmen der Digitalisierung nicht vollumfänglich zu heben, bleibt jede Prognose ein reines Theoriekonstrukt.
Jetzt mögen die 4.0-Berater unter Ihnen einwenden, dass diejenigen Unternehmen, die nicht den Weg in die Volldigitalisierung mitgehen, bei der Umwälzung der Wertschöpfungslogiken das Nachsehen haben und zugrunde gehen werden. Mag sein. Oder auch nicht. Es ist trotz aller Unkenrufe meiner Meinung nach in Summe noch ein sehr weiter Weg.
Fazit
Der Job Futuromat ist in erster Linie eine nette Spielerei. Zwar erhalten Sie einen kleinen Hinweis darauf, welche Tätigkeiten einem allgemeinen Digitalisierungs- beziehungsweise Automatisierungsrisiko unterliegen. Hingegen sind die Aussagen keine Tatsachen. Prognosen hingegen kann man glauben. Muss man aber nicht.
Wie so oft gilt mein Rat: Augen offenhalten, Entwicklungen kritisch beobachten und eine generell hohe eigene Wandlungsfähigkeit entwickeln! Dann können Sie mit den Veränderungen im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung entspannt umgehen.
Und wenn Sie jetzt Lust bekommen haben, den Job Futuromat des IAB selbst zu testen, dann geht es hier entlang: https://job-futuromat.iab.de/.