Mein Beitrag „Wenn sich Recruitingroboter bei Unternehmen bewerben“ wird gerade in verschiedenen sozialen Medien diskutiert. Er wurde von mir bewusst als Experiment konzipiert und ist bedeutend tiefgründiger als auf den ersten Blick erkennbar. Die Ergebnisse lassen sich schon jetzt wunderbar erkennen. Besser noch: sie waren sogar vorhersehbar. Und sie führen zu einem klaren Schluss: Bei aller gewollten Humanzentrierung in der Digitalisierung, dürfen wir die Robots nicht zu sehr vermenschlichen.
Praxisexperiment Roboterbewerbung
Warum ist der Beitrag so bedeutsam? Das von mir unterschwellig stimulierte Experiment beruht im Grunde darauf, einen scheinbar logischen und konsequenten Schritt zu vollziehen: Die Anwendung bekannter Prozesse auf komplett neue Sachverhalte, nämlich das Ausschreiben einer Bewerbung für einen Recruitingroboter.
Was bei genauer Betrachtung bereits unsinnig erscheint, wird jedoch erstmal so von Lesern aus der HR akzeptiert. Es gibt eine Stelle zu besetzen, also schreiben wir diese aus. Ob es um einen Roboter geht oder um einen Menschen, scheint dabei keinen Unterschied zu machen. Den macht es aber. In mehrerlei Hinsicht.
Warum wir überhaupt über Roboter im Recruiting nachdenken
Wenn man die vielen Beiträge, die in letzter Zeit zu diesem Thema erschienen sind, genau verfolgt, dann wird klar: Roboter sollen die Recruiter bei der Durchführung ihrer Aufgaben bestmöglich unterstützen. Warum? Weil sie einiges in der Theorie besser können, als wir Menschen. Dass sie nicht von Grund auf überlegen sind, hat mit zahlreichen Faktoren zu tun, die ich insbesondere in meinem kritischen Beitrag „Lösen Supercomputer unsere Probleme im Recruiting?“ beschrieben habe.
Dennoch ist es das erklärte Ziel, dass Roboter, oder sagen wir besser allgemein Algorithmen, menschliche Schwächen ausgleichen und die Geschwindigkeit bei der Stellenbesetzung inklusive Personalauswahl-Entscheidungen verbessern sollen. Es geht also einerseits um Quantität, mehr noch um die Qualität der Arbeit der Recruiter.
Humanzentrierung – wenn Menschen sich selbst digitalisieren
Einer der in Digitalisierungsdebatten häufig bemühten Begriffe ist Humanzentrierung. Der Mensch soll also im Mittelpunkt der digitalen Welt stehen. Für ihn und nicht gegen ihn sollen die Maßnahmen der 4.0er-Initiativen wirken. Soweit so gut.
Aber bedeutet das gleichermaßen, dass das menschliche Denken und Handeln damit 1:1 auf die digitalen Maschinen übertragen werden sollte. Ja, noch weiter: Müssen entsprechende Roboter tatsächlich als humanoide Version unser Selbst aus den Entwicklungslaboren rollen?
Wenn Roboter vermenschlicht werden
Wie zahlreiche Kommentare (außerhalb meines Blogs) erkennen lassen, unterliegen wir der Gefahr, Roboter zu sehr nach unserem Abbild zu gestalten. Innerlich über die Algorithmen, die Entwicklern auf Basis des aktuellen Zeitgeist und derzeitigen Mindsets programmieren. Und äußerlich über die teilweise extrem starke Nachbildung des menschlichen Körpers, wie bei Roboter(in) Sophia.
Sie merken, worauf ich hinaus will, oder?
Wenn wir einerseits quasi unsere blinden Flecke des Menschseins mit dem strahlenden Licht digitaler Intelligenz bescheinen und damit beobachtbar machen wollen, andererseits aber unsere allzu menschlichen Maßstäbe anwenden, ist das mehr als bedenklich.
„Aus analogen Scheißprozessen werden digitale Scheißprozesse“
Wahrscheinlich haben Sie in Change-Projekten diesen Spruch bereits mehrfach gehört. Trotzdem passiert es uns immer wieder. Bezogen auf das Praxisexperiment #Robojob:
Im Rahmen der Personalauswahl gehen wir mit den zur Verfügung stehenden begrenzten Informationen der Bewerbungsunterlagen schwanger und gebären eine Entscheidung, wer denn nun der am besten geeignete Kandidat für eine Mitarbeit in unserem Unternehmen sein könnte.
Trotz aller Bekanntheit der zahlreichen Fehleinschätzungen in der Personalauswahl, wenden wir bei der Auswahl eines geeigneten Roboters gleiche Mechanismen an. Das heißt genauer gesagt, wir können kaum anders.
Menschen als soziale Wesen kommunizieren gerne mit Menschen
Ein schönes Beispiel für die These, dass Menschen gerne mit Menschen kommunizieren, habe ich in meinem Beitrag Brauchen Recruiter eigene Social Media Profile beschrieben, in dem es um die Außenwirkung der unternehmenseigenen Recruiter geht. Daher ist es allzu nachvollziehbar, dass Geschäftsmodelle, bei denen Algorithmen und gegenständliche Roboter an Zielgruppen verkauft werden sollen, ebenfalls mit diesem Mechanismus arbeiten.
Es ist keineswegs Zufall, dass ein Roboter Pepper so niedliche große Augen hat oder Roboter Sophia nach dem Vorbild zweier attraktiver Frauen entstanden ist. Das macht sie nahbar. Lieblichkeit oder gar Niedlichkeit ziehen noch mehr, weil sie Sympathie wecken. Für den Verkaufsprozess unerlässlich!
Ja, es entsteht sogar der Eindruck, dass über diese optische und teilweise bewusst funktionale Nähe zum Menschen und seinem humanen Verhalten, die neuen digitalen Formen von Intelligenz leichter verständlich sind.
Gewinnt am Ende das Äußere des Recruitingroboters gar zu sehr an Gewicht? In welcher Befragung hätten denn Personaler dem Thema Niedlichkeit im Zusammenhang mit dem Bewerbungsgespräch Bedeutung beigemessen?
Warum der Scheideweg der Humanzentrierung bereits erreicht ist
Wir müssen derzeit stark aufpassen, dass die Bestrebungen, menschliches Verhalten in Software und Roboter zu bringen, um sie akzeptierbar und nahbar zu machen, nicht dazu führt, dass wir den eigentlichen Zweck darüber vergessen.
Es geht beim Einsatz von Robotern im Recruiting nicht in erster Linie darum, dem Bewerber ein quasimenschliches Substitut gegenüber zu setzen. Es geht um bessere Auswahlentscheidungen!!
Und jetzt haben wir den Knackpunkt erreicht, den ich mit meinem Experiment #Robojob verdeutlichen wollte:
Komplett unabhängig davon, wie ein möglicher Recruitingroboter aussieht oder was er bisher schon geleistet hat (zum Beispiel vor den Vereinten Nationen zu sprechen), geht es im Grunde immer um die eine Frage. Nämlich ob der im Roboter eingesetzt Algorithmus tatsächlich, live und in echt, wirklich und real, unseren Personalauswahlprozess verbessert oder nicht. Alles andere ist reine (Selbst)Täuschung. Und im Beitrag von mir als eine Art Nebelgranate konzipiert.
Fazit zum Experiment #Robojob
Bewerber, die sich einem allzu vermenschlichten Recruitingroboter gegenübersehen, werden an diesen vermutlich unbewusst die gleichen Erwartungshaltungen stellen, wie an einen Menschen. Umgekehrt würden nicht-humanoide Recruitingroboter den Ausbruch aus dem klassischen analogen Prozess der Personalauswahl bedeuten. Mit der Chance auf einen völlig neu gedachten digitalen Prozess.
Derzeit zielen die Bemühungen in meinen Augen zu sehr darauf ab, ein paralleles digitales Erlebnis zu generieren. Wie im Auswahlprozess zwischen zwei Menschen. Das zeigt auch das Experiment #Robojob ansatzweise.
Auch deutet es darauf hin, dass Personaler in Zukunft noch immer von den gleichen menschlichen Mechanismen getrieben werden und damit den gleichen Fehlern bei der Personalauswahl wie bisher unterliegen. Über eine Vermenschlichung diese Fehler indirekt in die Roboter hinein zu programmieren oder über fortlaufende Algorithmen-Trainings wieder anzulernen, darf nicht passieren.
Denn dann sind uns die Roboter zwar ähnlich. Sie können jedoch den gewünschten Zweck, uns gerade nicht (!) zu ähnlich zu sein, nicht mehr erfüllen.