In Anlehnung an den bekannten Spruch „Culture eats strategy for breakfast“ zugegebenermaßen ein provokativer Titel von mir. Allerdings ist es mir auch sehr ernst. Im Beitrag stelle ich dar, warum die aktuelle Diskussion um den Cultural Fit nicht nur knapp, sondern in großen Teilen völlig am Ziel vorbeigeht.
Wenn man für die aktuell noch laufende HR-Messe Zukunft Personal nach einem der Hauptthemenfelder im Bereich Recruiting sucht, dann ist das wohl der sogenannte Cultural fit. In Deutsch klingt es übrigens etwas weniger fancy: die kulturelle Passung.
Auf der Suche nach dem Perfect Match
Unternehmen sind auf der Suche nach dem Perfect Match. Der ultimativen Passung. Zum Beispiel über Mitarbeiterempfehlungsprogramme, bei denen angeblich sogar per Definition besonders gut zur Unternehmenskultur passende Kandidaten geworben werden können. Oder mittels digitaler Tools, die im Rahmen des Recruitingprozesses bei der Auswahl passender Kandidaten mit Entscheidungsvorschlägen unterstützen. Immer geht es um ein Matching. Um den Vergleich von Werten, Haltung und anderen weichen Faktoren.
Kann ich den cultural fit überhaupt messen?
Klar, es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Produkten auf dem Markt, die sich genau in dieser Nische platziert haben. Aber vorab muss doch die Frage geklärt werden, ob es den cultural fit überhaupt gibt? Und da habe ich schon in einigen Beiträgen meinen Zweifel geäußert, zuletzt im Blog „Warum klassisches Employer Branding ausgedient hat“. Denn die unterschiedlichen Kulturen in verschiedenen Unternehmensbereichen machen es auch meiner Sicht nur sehr schwer, ein ganzheitliches Bild für das gesamte Unternehmen zu erstellen. Und je größer das Unternehmen ist, umso schwieriger wird es.
Je größer das Unternehmen, desto schwieriger die Bestimmung der #Unternehmenskultur. #culturalfit? Klick um zu TweetenUnternehmenskultur bei Startups und Konzernen
Bei Startups gestaltet es sich noch relativ einfach, eine einheitliche Unternehmenskultur zu bestimmen. Dort sitzen alle Mitarbeiter meist in einem Büro oder zumindest einem Gebäude zusammen. Es gibt Traditionen wie Teamfrühstücks und vieles mehr. Hier kann relativ schnell ein digitales Abbild der Unternehmenskultur geschaffen werden.
Schaut man auf große Konzerne, so wird es komplexer. Selbst wenn rechtlich eigenständige Tochterfirmen außer Acht gelassen werden, ist es eine große Herausforderung mehr als 10.000 Mitarbeiter unter eine Unternehmenskultur zu deklinieren.
Cultural fit nur ein weichgespülter Kompromiss?
Eine Kultur setzt sich immer zusammen aus den Werthaltungen, Arbeits- und Verhaltensweisen der einzelnen Mitarbeiter. Es geht folglich um die Summenbildung und das Erstellen eines rechnerischen Endergebnisses, das irgendwo zwischen Mittelwert oder einem irgendwie pauschalierten Wert liegen wird. Der im Unternehmen vorhandenen Bandbreite an Einzelwerten wird diese pauschale Darstellung nicht immer gerecht, wenngleich statistische Betrachtungen zumindest Näherungswerte liefern können. Aber haben Sie damit wirklich die Unternehmenskultur gefunden und definiert?
Und selbst wenn das Ihnen angepriesene Tool diese Problem einigermaßen gut lösen kann, stehen Sie bereits vor der nächsten Herausforderung.
Cultural Fit zementiert die bestehende Unternehmenskultur
Wenn man viel auf HR-Veranstaltungen unterwegs ist, hat man den Eindruck, dass der Wunsch nach Veränderungen in den Unternehmen extrem hoch ist. Überall werden Projekte ins Leben gerufen, um die Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen oder um schneller, agiler und innovativer zu werden. Der Führungsstil soll sich verändern und überhaupt brauche man eine New Work.
Und trotzdem werden neue Kolleginnen und Kollegen gesucht, die zur aktuellen Kultur passen. Denn hierauf matchen Sie Bewerber. Sie stellen die Frage „Passt die einzustellende Person zu uns?“. Die Frage lautet jedoch eher: Passen auch die aktuellen Mitarbeiter alle zur gewünschten Kultur?
Je stärker der Grad der gewünschten Veränderung hin zu einer neuen Unternehmenskultur ist, umso mehr Hindernisse legen sich Unternehmen selbst in den Weg, wenn sie mit dem Cultural Fit arbeiten. Das liegt darin begründet, dass sie ihre Energien oft zu sehr auf den Ist-Zustand legen. Besser wäre ein Fokus auf den Soll-Zustand. Denn die zur neuen Kultur passenden Mitarbeiter wollen Sie doch einstellen, nicht solche, die die bestehende Unternehmenskultur weiter zementieren, oder?
Das Authentizitätsdilemma im Employer Branding
Es läuft auf das klassische Authentizitätsdilemma im Employer Branding heraus. Die gewünschte Kultur, die in Imagekampagnen beworben wird, gerät häufig in die interne Kritik bei Mitarbeitern, die sich damit nicht identifizieren können. Der Vorwurf lautet: „In Euren Personalerfilmchen stellt Ihr die Welt aber extrem beschönigt dar. In Wirklichkeit sind wir kulturell doch gar nicht so weit.“. Ebenfalls müssen Sie stark aufpassen, keine Erwartungshaltung beim Bewerber zu erzeugen, die sie hinterher enttäuschen. Sonst springt Ihnen der Bewerber am Ende in der Probezeit wieder ab und die Recruiter müssen erneut ran.
Authentizität im Spannungsfeld zwischen Ist- und Wunschkultur
Doch selbst im eben genannten Authentizitätsdilemma gibt es einen Ausweg: Einerseits sollten Sie die gewünschte Zielkultur in Ihren Imagemaßnahmen in Richtung der gewünschten Zielgruppen aktiv vermarkten. Wichtig dabei: Den Soll-Zustand kommunizieren. Oder zumindest, dass Sie sich auf dem Weg dorthin befinden. Spätestens sobald Sie mit konkreten Kandidaten über einen Einstieg zu reden, bekennen Sie jedoch zu 100% Farbe. Sie erläutern wie weit Sie bereits gekommen sind und warum Kandidaten mit dem passenden Matching auf die Wunschkultur für diesen Weg benötigt werden.
Veränderung der Unternehmenskultur
Ich vergleiche die Veränderung der Unternehmenskultur gerne mit einer Wippe. Die Unternehmenskultur soll dabei vom Ist- auf den Wunschzustand kippen. Je mehr Gewicht Sie auf den Soll-Zustand legen, umso mehr kommt die Wippe in Bewegung und die Gewichte auf der Ist-Seite ins Rutschen.
Füttern Sie die bestehende Kultur hingegen weiterhin mit Ressourcen, wird es immer schwieriger die Wippe zum kippen zu bringen!
Wem die Wippe zu viel schwarzweiß-Denken ist und die Metapher „Kippen der Unternehmenskultur“ zu brutal klingt, der formuliert es eben als „Dehnen des Kulturbands“. Auch schön. Hauptsache Sie verstehen was ich meine.
Je besser die Passung, desto besser das Recruitingergebnis?
Antworten Sie nicht vorschnell mit „ja“. Denn das wäre die jetzt erwartbare Antwort. Immerhin werden Matching-Tools genau zu diesem Zweck entwickelt und auf den Markt gebracht. Doch bedeutet Matching mit der Unternehmenskultur immer auch Konformität. Unternehmen wollen den genau passenden Kandidaten, das genau passende Puzzlestück. Wo bleiben da die Querdenker, die Unangepassten?
Auf der Suche nach dem Best Match besteht die Gefahr, dass der Diversity-Gedanke mit Füßen getreten wird. Einerseits wollen wir Passung, gleichzeitig aber auch Vielfalt. Wie lässt sich dieses Thema nun wieder lösen?
Professionelles Recruiting als Lösung
Die Recruiter sind und bleiben der wichtigste Stellhebel. Den Cultural fit zu erheben und zu messen kann sinnvoll sein. Am besten evaluieren sie den Cultural fit zweimal (im Ist- und im Soll-Zustand). Allerdings sollten Recruiter nicht blind auf die Vorschläge eines digitalen Tools vertrauen, sondern ganzheitlich denken. Ein paar wesentliche Themen in diesem Zusammenhang habe ich eben ausgeführt.
Über Unternehmenskultur und Cultural Fit zu reden ist folglich sehr gut. Daran zu arbeiten auch. Personalverantwortliche sollten sich jedoch der möglichen Implikationen bewusst sein. Auch darüber, welche Auswirkungen rein schematisches Vorgehen auf die Diversity haben kann. Professionell ausgebildete und in diesem Sinne mitdenkenden Recruiter werden immer wichtiger. Es lohnt sich jede Investition in deren Ausbildung.
20 Antworten
Der Artikel liegt voll auf meiner Wellenlänge! Ich unterstütze diese Aussagen voll. Entweder bestätigt der Cultural fit nur den Status Quo – mit allen Vor- und Nachteilen. Oder wir suchen nach einer Passung mit einem Idealbild der Organisation, das es so (noch) gar nicht gut. Passung zum Wunschtraum sozusagen, wie wir das Unternehmen gern hätten. Und das kann nur in einer herben Enttäuschung für den Bewerber oder neuen Mitarbeiter enden.
Hi Stefan, wie angekündigt habe ich mich nun mal an eine Replik gesetzt (auch unter Zuhilfenahme zweier aktueller Untersuchungen zu dem Thema): https://blog.recrutainment.de/2017/09/27/cultural-fit-ist-wichtig-und-fuehrt-natuerlich-nicht-automatisch-zu-weniger-diversity/
VLG Jo
Hi Jo, herzlichen Dank dafür. Mein Pingback-Alarm hat schon dafür gesorgt, dass ich den Artikel gelesen habe. Da fällt mir noch einiges dazu ein. Mein nächster Ping warten schon auf Deinen Pong. ????
Herzliche Grüße aus dem sonnigen Nürnberg
Stefan
Als fleißige Leserin des Blogs möchte ich gerne die zwei Karten gewinnen: weil gerne so die Möglichkeit bekäme, persönlich zu diskutieren.
Lieber Stefan,
vielen Dank für Deinen tollen Beitrag, der wie immer Spaß und Lust auf mehr Diskussion macht. Leider haben wir uns auf der ZP verpasst. Ich bin „Personal-Allrounder“ in einem inhabergeführten 150-Mann-Unternehmen. Hier ist es umso wichtiger, die „richtigen“ neuen Mitarbeiter zu finden. In der Theorie klingt immer alles schön – hier geht der Plan oft auf … Johannes Warth sagt: Die richtige Einstellung muss man bei den Bewerbern identifizieren, daher heißt es auch Einstellungsgespräch 😉 Da ist was Wahres dran..
Gerne würde ich mich auf dem Kongress weiter darüber austauschen.
Beste Grüße und einen sonnigen Sonntag! Melanie
Hallo Stefan,
Das ist ein spannendes Thema, da sind wir uns einig. Allerdings bedeutet für mich „cultural fit“ auf keinen Fall weniger ‚diversity‘, denn man kann die gleiche Firmenkultur, d.h. dieselben Werte und Überzeugungen haben, und dennoch sehr unterschiedlich sein. Das ist genaue das tolle an guten Assessment Tools, dass es möglich ist, cultural fit und diversity zu erreichen.
Ich bin gespannt auf den nächsten Artikel.
Sonnige Grüße aus Frankreich
Antje
Hi zusammen, finde Beitrag & Diskussion spannend (insbes. als Arbeitnehmer). Frage in die Runde: Kann man den ‚fit‘ überhaupt im Zuge der bestehenden Prozesse (Interviews, Case Studies, Gespräche) feststellen oder gibt es auch Ideen für radikale(re) Ansätze? Probearbeiten kenne ich aus einem anderen Umfeld, aber sowas in die Richtung. Denn braucht es nicht auch Zeit, wenn es um Menschen geht? Oder können Algorithmen, standardisierte Fragebögen, wissenschaftliche Modelle das leisten? Würde mich freuen, falls jemand antwortet.
Würde mich natürlich auch freuen, auf den Kongress zu gehen. Denn ich arbeite bald in einem HR-StartUp, deren Kunden der Mittelstand ist. Viele Grüße, Stefanie
Hallo Stefanie,
danke für Deine Rückfrage. Aktuell gibt es eine Reihe von Tools, die tatsächlich auf Basis wissenschaftlicher Fragebögen eine solche Erhebung vornehmen und die Basis für eine Matching bilden. Die Qualität ist dabei höchst unterschiedlich. In wie weit man diesen technischen Ansätzen am Ende vertraut, hängt eben auch von dieser Qualität ab. Wobei man fairer Weise den ehrlichen Vergleich anstellen muss, wie weit ich mit einer nicht wissenschaftlichen oder zumindest systematisch gesteuerten reinen Praxisbeobachtung am Ende komme. Und ob letzteres am Ende dann doch nicht wieder mehr Bauchgefühl als Analyse ist.
Ich habe übrigens bereits für einen meiner nächsten Beiträge einen Test eines solchen Tools geplant. Und zeige auch auf, was dabei in der Praxis zu beachten ist. Stay tuned!
Viele Grüße und toi toi toi für das Gewinnspiel
Stefan
Bin gespannt!
Hallo Stefan,
Danke für den sehr spannenden Beitrag. Auch in kleineren/mittelständischen Unternehmen, ist der Cultural fit nicht immer einfach zu finden. Wir stehen tagtäglich vor der Herausforderung die richtigen Talente zu finden, daher würde ich gerne am Kongress teilnehmen.
VG Romana
Ein (wieder mal) toller Beitrag, der mir die Tränen der Begeisterung (falls es das gibt) in die Augen treibt… ich kann dem Inhalt (Spanne zwischen Wunsch und Wirklichkeit bei Arbeitgebern) jedenfalls nur zustimmen, ebenso der Kritik am „Hype“ um die Messung des Cultural Fit, die es wirklich genau auf den Punkt bringt. Eigentlich brauchen Mitarbeiter (darunter auch die Führung) vor allem 6 Eigenschaften, mit der sie in jeder Kultur arbeiten könnten: 1. Offenheit gegenüber allem und jedem, die 2. Anerkennung der Leistung des anderen (egal welcher Herkunft oder welcher Hierarchiestufe), 3. Realistische Selbsteinschätzung, die nicht sich selbst überhöht und andere abwertet (bei manchen ein großes Problem! Vor allem auch im Hinblick auf Mobbing), 4. bedingte/mehr oder weniger Teamfähigkeit und 5. bedingte Kompromissfähigkeit (nicht immer, z.B. bei Qualität u.ä.). 6. Fähigkeit, sowohl nach Vorgaben als auch eigenständig zu arbeiten. Mitarbeiter, die das mitbringen, passen überall rein!!! Zumindest in Unternehmen, die auch schon so ticken… Es liegt auch oft nicht mal an den Führungskräften, sondern einzelnen arroganten Mitarbeitern. Eine Firma braucht niemanden, der glaubt, er wäre so toll, dass er sich nicht an andere anpassen oder kommunizieren müsste (ich musste mal mit jemandem zusammenarbeiten, der mich weitmöglichst ignoriert hat, offenbar weil er Software-Entwickler war und ich nur Doku-Entwicklerin… ich war auf ihn bzw. seinen Input angewiesen, er aber nicht auf mich… dachte er!). Da gibt es weltweit zu viel Auswahl an Talenten, die sich für eine guten Job gerne die Mühe machen würden…
Das ist mir jetzt grade so eingefallen, aber ich denke, da ist was dran. Ich komme allerdings (noch) nicht aus der Praxis, sondern dem Theoriebereich (Hochschule) und habe mich in den (meinen) Vorlesungen zu den Themen Organisationsentwicklung und Veränderungsmanagement natürlich auch mit dem Thema Änderung der Unternehmenskultur beschäftigt, wobei diese leider oft an der Führung bzw. irgendeiner Führungsebene scheitert, wobei meist keiner verantwortlich gemacht oder zur Rechenschaft gezogen wird, weil es keiner mitkriegt oder niemanden interessiert. Viele deutsche Unternehmen erinnern mich mit ihrer Führung an den deutschen Staat: sie laufen nicht wegen, sondern trotz ihrer Führung… sorry, I got carried away…:-) Wie auch immer, ich finde es super, dass bzw. wie in diesem Blog Hypes auseinandergepflückt werden. Es geht nie nur um ein Thema (wie Cultural Fit), sondern um viele Einzelaspekte, die die Personalauswahl besser machen könnten. Wie offenbar tausend andere auch arbeite ich im Moment an einem Startup mit diesem Ziel… daher ist der Wissensbedarf riesig, aber das Budget begrenzt (ja, ich würde auch gerne auf die Messe gehen…:-). Liebe Grüße…
Lieber Herr Scheller,
vielen Dank für den Beitrag und die kritische Würdigung der allseits gehypten Thematik „Unternehmenskultur“ .
Dass es nicht DIE eine Unternehmenskultur gibt, wurde schon bereits in den 70er und 80er Jahren wissenschaftlich erforscht, bestätigt und als Erfolgsfaktor ausgemacht. Sehr spannend sind u.a. die Arbeiten von Geert Hofstede zu diesem Thema, der feststellte, „dass es nationale und regionale Kulturgruppen gibt, die das Verhalten von Managern prägen und großen Einfluss auf deren Organisation und Führung haben“.
Zudem: Kulturen entwickeln oder verändern sich in relativ schnellen Zyklen. Die Werte, die der Kultur zugrunde liegen dagegen verändern sich nicht so schnell. Wäre es also sinnvoll, nicht (nur) die Kultur (kommt ja von cultura: „Bearbeitung‘, ‚Pflege‘, ‚Ackerbau‘) zu messen und zu vergleichen, sondern die Werte dahinter? Also ein valuable fit oder so was ähnliches. Das könnte sicherstellen, dass Menschen sich langfristig in einem Unternehmen wohlfühlen können und auch unterschiedliche Phasen vom Star(t)Up bis zum etablierten Unternehmen begleiten können und wollen, egal wie die Kultur gerade aussieht?
Fragwürdig (nicht negativ gemeint) sehe ich Ihre Aussage, dass für den Kultur Fit der Recruiter benötigt wird. Wer sagt das eigentlich? Der Recruiter? Sind wir da sicher? Wir setzen gerade eine Langzeitstudie mit renommierten Wissenschaftlern aus Deutschland und den USA auf, um genau das herauszufinden. Welche Kombination aus Maschine und Mensch bzw. aus Mensch und Maschine bringt langfristig die besten Ergebnisse? Und werden die Ergebnisse überhaupt besser, wenn man zum Beispiel den kulturellen Fit misst? Oder ist am Ende der Zufall der beste Recruiter?
Erste Ergebnisse werden wir Ende 2018 haben. Wir sind gespannt.
Ach ja, deswegen muss ich unbedingt auf den Kongress, weil ich nicht an einer Diskussion teilnehme, ob Mensch oder Maschine dies oder jenes besser können. Sondern weil wir ernsthaft daran forschen, wie Mensch und Maschine gemeinsam bessere Entscheidungen im Recruiting treffen.
Herzlichst
Peter Kolb
Lieber Herr Kolb,
ausführliche und erweiternde Kommentare schätze ich immer sehr. Weil das zeigt, dass meine Leser an einer Diskussion des Themas interessiert sind.
Zu Ihrer Rückfrage, warum ich den Recruiter in der Verantwortung für die Prüfung des Cultural Fit sehe: Zum einen gehe ich mal von heute aus. Es gibt eine gar nicht mal so schlechte Tradition (Vorsicht Ironie!), Vorstellungsgespräche zu führen und Menschen persönlich kennen zu lernen. Stattdessen einen Computer vorzuschicken, mag in der Zukunft möglich sein. Aber Stand heute obliegt sogar laut Gesetz die letzte Entscheidung über die Einstellung einem Menschen.
Und bis die Systeme derart ausgereift sind, dass sie die Arbeit der (wirklich guten!) Recruiter ersetzen können, vergeht noch einiges an Zeit. Der Mensch ist nämlich am Ende doch ein wenig komplexer gestrickt, als die Anbieter diverser Systeme uns das aktuell verkaufen wollen. Vernimmt man Aussagen von Robot-Wissenschaftlern, die nicht ans Verkaufen denken, so gibt es für die Zukunft sicher große Potentiale. Aber sie sind noch nicht einsatzreif in den nächsten fünf Jahren.
Drittens wird nicht jedes Unternehmen gleichermaßen solche Technologien einsetzen (wollen). Wir reden in allen Diskussionen zumeist über große Unternehmen und Konzerne. Glauben Sie, dass schon bald auch vier Personen-Unternehmen im Handwerk flächendeckend solche Technologien einsetzen werden? Ich glaube das nicht. Warum? Weil schon heute personalwirtschaftliche Funktionen in Kleinstunternehmen meist sehr „handson“ gemacht werden. Manchmal ist der Excel-Einsatz schon ein Highlight.
Schließlich wird auch der Bewerbermarkt darüber entscheiden, in wie weit der menschliche Ansprechpartner auf Seiten des Unternehmens im Recruiting-Prozess wegfallen wird. Zum Glück läuft vieles gerade in die Richtung, dass die Technik die Menschen vor allem unterstützen statt ersetzen wird. Human Centered Design lässt grüßen.
Insofern bin ich guter Hoffnung, dass wirklich professionelle Recruiter noch einige Zeit die finale Entscheidung innehaben werden. Wir sind uns insofern aber wohl einig, dass es reine Lebenslauf-Leser und A-B-C-Klicker in ATS-Systemen bald in dieser Form nicht mehr geben wird.
Herzliche Grüße
Stefan Scheller
Lieber Stefan,
vielen Dank für deinen Beitrag! Allerdings sitzt du mit der – zugegeben stark vereinfachten – Aussage „zu viel Cultural Fit heißt automatisch (zu viel) Gleichheit heißt automatisch zu wenig Diversity und somit frischer Wind“ einem weit verbreiteten Irrtum auf. Das Konzept des Cultural Fit ist per se erstmal wertfrei, d.h. es gibt den Zusammenhang „je gleicher, desto mehr fit“ so nicht. Es wird vielmehr explizit zwischen supplementärem Fit (man ist sich ähnlich) und komplementärem Fit (man ist nämlich gerade EBEN NICHT gleich) unterschieden. Und das ganze ist zudem mehrdimensional, d.h. es kann in Teilen supplementären Fit geben und in anderen Teilen komplementären. So können z.B. Unternehmen und Kandidat sehr dicht beieinander liegen hinsichtlich der Vorstellungen, wie „familiär“ es im Unternehmen zugeht bzw. (aus Sicht des Kandidaten) zugehen sollte. Gleichzeitig kann man sehr weit auseinander liegen, wenn es darum geht wie „traditionell“ oder „innovativ“ man es gern hätte. Hier kann es durchaus sein, dass das Unternehmen sehr traditionell tickt, sich aber gerade hier in Richtung Innovativität verändern will und DESHALB genau solche Leute sucht und einstellen will, die das in ihrem Wertegerüst mitbringen. Dann gibt es hinsichtlich dieses Merkmals einen sehr niedrigen supplementären aber sehr hohen komplementären kulturellen Fit. Das ficht aber das Konzept des Cultural Fit an sich nicht an!
Ich habe das unter anderem hier auch einmal etwas ausführlicher behandelt: https://blog.recrutainment.de/2016/06/23/es-gibt-keine-gute-unternehmenskultur-hoechstens-passende-aber-welche-passt-studie-zur-messung-von-cultural-fit-mitmachen/
Aber egal wie man es dreht oder wendet, wichtig ist immer erstmal eine saubere Verortung (ja „Messung…“ der vorhandenen Unternehmenskultur auf Unternehmensseite (ja klar kann sich das von Bereich zu Bereich unterscheiden, aber dann misst man eben für mehrere Bereiche!) und der „Wunschkultur“ auf Kandidatenseite. Nur wenn ich eine saubere Messung auf beiden Seiten habe, kann ich mich der Frage, „welches Schweinderl hättens denn gern“ überhaupt erst widmen. Um zu wissen, wie warm es in einem raum ist, nehme ich ein Thermometer. Ob die gemessenen 23 Grad dann (zu) warm oder kalt sind und ob und wenn ja wie man das ändern will, steht auf einem anderen Blatt. Aber das entscheidet nicht das Thermometer… Im Moment wird die Frage nach „wie ist eigentlich die Kultur?“ aber noch viel zu sehr mit „warm oder kalt“ beantwortet und nicht mit „23°“. Das Problem dabei: Was warm oder kalt ist, da hat eben jeder eine vollkommen andere Meinung zu…
Ich werde das die Tage nochmal in einem Blogartikel aufgreifen, aber es war mir wichtig, das hier schon einmal loszuwerden.
VLG
Jo
Hallo Jo,
danke für Deine Anmerkungen. Ich war mir sicher, dass es nicht lange dauern wird, bis ich hier von Dir lese. Du hast vollkommen Recht. Auch ist es nicht so, dass mir das nicht bewusst wäre. Trotzdem habe ich die große Provokationskeule rausgeholt. Warum? Weil ich in den letzten Tagen auf der Messe ganz viel Diskussionen genau in dem genannten Sinne vernommen habe. Eindimensionale Datenerhebung und Matching, dann ist alles gut. Klicke hier, klicke da, schiebe alle Daten rein und das Tool sagt Dir, was jetzt zu tun ist. Und so einfach funktioniert das nicht. Insofern freue ich mich, dass ich Dir einen Aufschlagpunkt für Deinen nächsten Beitrag liefern konnte.
Ich bin gespannt auf die weiteren Diskussionen hierzu. 🙂
Viele Grüße vom ZP-Rückkehrer
Stefan
Und genau DAFÜR sind wir Blogger ja da! 🙂
Herzliche Grüße
Jo
Danke für die notwendige Unterscheidung zwischen aktueller Kultur und gewünschter Kultur. Mein Fokus sind die Personalstrategien kleiner bis mittelgroßer, inhabergeführter Firmen, und da kommt man zum Glück mit dem Ansatz des Cultural Fit sehr viel weiter als in den (naturgemäß) heterogenen Konzernen.
Eine klar erkennbare und attraktive Unternehmenskultur, die dann auch in allen Aspekten und Entscheidungen prägend ist, ist für die „kleinen“ Arbeitgeber zentral, um die richtigen Bewerber anzuziehen und zu halten, die sich oft genug zwischen verschiedenen Arbeitsplatz-Angeboten entscheiden können oder eben schnell auch wieder weg sind.
Der Kongress bietet eine super Plattform, um genau darüber mit anderen zu diskutieren und die jeweiligen Erfahrungen auszutauschen. Wenn z.B. Susanne Neudeck von easySoft sagt: „Wir finden mehr IT-Kräfte, als wir brauchen“, dann bin ich wahnsinnig neugierig auf den Austausch mit ihr!
Liebe Christine Frühauf,
na dann wünsche ich viel Erfolg beim Gewinnspiel! Mich würde die Antwort übrigens auch interessieren. Wobei genau genommen jeder Personaler mehr IT-Kräfte findet, als er braucht. Wenn man im Netz sucht, wird man hunderttausendfach fündig. Nur ob sich die jeweiligen Personen dann auch im Unternehmen bewerben würden? By the way: Schreibe ich eine Stelle aus und erhalte mehr als eine Bewerbung, gilt der Satz auch bereits. 😉
Herzliche Grüße
Stefan Scheller
Eine ausgewogene und sinnvolle Darstellung zum Cultural-Fit, wie ich finde. Allerdings drängt sich mir beim Lesen der Eindruck auf, dass es mit wachsender Unternehmensgröße dann irgendwann nur noch um den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ gehen wird, der als Basis genügen muss.
Idealerweise sollte Recruiting ja ohnehin die relevanten Infos zum Stellenprofil bei jeder Suche immer wieder neu justieren. Ob dann aber Cultural Fit wirklich „abteilungsgenau“ scharf definiert und Soll- und Ist-Zustand vor dem Hintergrund der Diversity abgeglichen werden, wage ich vor dem Hintergrund hektischer Alltagsroutinen mal zu bezweifeln.
P.S.: Auf den Kongress würde ich natürlich auch gerne…
Lieber Ulf K.,
das ist auch meine Erfahrung. Vieles, was vielleicht als richtig und wichtig erkannt wird, findet dennoch keinen Einsatz im Alltag. Gerade Personalern haftet als Stigmata an, stets die richtige Stelle für finanzielle Einsparungen zu sein. Die Arbeitsbelastung ist in vielen Unternehmen enorm. Gerade wenn es um Allrounder Personaler in kleineren Unternehmen geht. Vielleicht kann hier die Technik alsbald für Effizienzgewinne sorgen.
Beste Grüße und viel Erfolg bei der Verlosung
Stefan Scheller