Titelbild: DATEV und Personio strategische Partnerschaft im HR-Markt

HR und Arbeit 4.0 – pro und contra. Ein Argumentationsduell.

Das Thema „Arbeit 4.0“ wird derzeit überall heiß diskutiert. Nicht nur die HR-Fachmesse Zukunft Personal hatte dazu eine eigene Blogparade veranstaltet, auch ich habe dazu bereits mehrfach gebloggt. Zuletzt sehr kritisch.

Es ist nun Zeit für ein Blind HR Battle zu diesem Thema, bei dem zwei Experten die jeweils konträre Position einnehmen: Dabei vertritt Simon Mamerow vom Trendence Institut die kritische Ansicht und hinterfragt Arbeit 4.0. Der bekannte Redner und Vordenker Dr. Winfried Felser, Geschäftsführer der NetSkill Solutions GmbH sowie Herausgeber der Competence Site stellt sich aus Überzeugung auf die Seite der Arbeit 4.0 Befürworter.

Und Sie als Leser meines Blogs stimmen ab, welcher Ansicht sie näher stehen und können dabei wertvolle Sachpreise gewinnen.

Arbeit 4.0 pro und contra - ein Argumentationsduell zweier HR-Experten im Rahmen des Blind HR Battle
5. Blind HR Battle – Dr. Winfried Felser gegen Simon Mamerow

Starten wir also mit dem Statement von Simon Mamerow:

Simon Mamerow von Trendence argumentiert im 5. Blind HR Battle kritisch gegen Arbeit 4.0 und HR
Simon Mamerow vertritt die Seite der Arbeit 4.0 Kritiker

„Technik ist lediglich Prothese

Die Integration neuer Techniken erzeugt keine inhaltlichen Innovationen. Ähnlich wie sich der Rohstoff Öl durch Fracking nicht ändert, ändert sich die Human Ressource im Kern auch nicht durch die neuen Kommunikationswege. Bei Schülern – die mit den Kommunikationsmethoden aufwachsen – werden wieder verstärkt Eltern und Lehrer Meinungsbildner: Ein scheinbarer Rückschritt.

Zeit wird von Reaktionsnotwendigkeit gefressen

Wenn die neuen agilen Methoden genutzt werden sollen, muss die Organisation auch agil sein. Dies ist meist nicht der Fall und oftmals nicht von jedem Organisationsmitglied erwünscht. Die inneren Widerstände der Methode gegenüber sind deutlich wahrnehmbar. Es bedarf eines großen Anteils am knappen Gut Zeit, welches gewinnbringender eingesetzt werden müsste.

Technische Manipulierbarkeit

Der scheinbar positiven Offenheit steht mangelnde Abgrenzungsfähigkeit gegenüber. Die Kontrolle über die Daten wird mit zunehmender Relevanz wichtiger und benötigt weitere Zeit. Außerdem müssen Kommunikationskanäle überwacht und vor Manipulation geschützt werden. Dies ist im Alltag oft unrealistisch.

Überbewertung der Peer Group

Durch Fragmentierung der Gruppen untereinander bilden sich Kommunikationscluster heraus, die sich gegenseitig in ihrer Meinung bestärken. Äquivalent zum bekannten Groupthinking haben wir es nun mit Clusterthinking zu tun. Die Meinung eines bestimmten Clusters (Personaler) stützt sich gegenseitig, so entsteht ein Hype (bekannte Personaler befürworten etwas, keiner widerspricht – es ist also richtig!) der dann als state of the art gilt. Ob vom Endkunden, also dem Personal oder den zu rekrutierenden Fachkräften sich irgendjemand dafür interessiert ist zweitrangig geworden, die Personaler finden es richtig.

Geschehen massenhaft ist so etwas vor der Finanzkrise im Bankbereich. Alles hätte erkannt werden können, hätte man das große Ganze versucht im Blick zu behalten – statt dessen wurde das Netzwerk befragt. Die Peergroupmeinung wird so zur Wahrheit.

Reizüberflutung

Was an Informationen heute zu verarbeiten ist, ist ein Vielfaches dessen was früher Spitzenleute meistern mussten. Bei sehr vielen Informationen handelt es sich nicht um relevantes Wissen, sondern um überflüssiges Hintergrundrauschen. An Überinformation sind bereits der KGB und die Stasi gescheitert und das wird dem, der alles im Blick behalten will, nicht anders ergehen. Die Reizüberflutung kann nur durch gezielte Filter gemindert werden. Wer aber will entscheiden was genau überflüssig ist, wenn ein unbestimmtes Netzwerk diffus erkennen lassen soll was wichtig zu wissen sein könnte. Die Folge ist hektische Betriebsamkeit deren realer Output aber gen Null tendiert.

Trennung von Arbeiten und Freizeit unmöglich

Der Reizüberflutung folgend wird es im Arbeiten 4.0 unmöglich die Arbeit vom restlichen Leben zu trennen. Ständige Verfügbarkeit wird latent jederzeit erwartet, wer sich davon abkoppeln möchte als Unternehmen oder Arbeitnehmer läuft Gefahr an wichtigen Entscheidungen nicht partizipieren zu können. Dies verhindert Ruhephasen und lässt die Aufmerksamkeit im Allgemeinen sowie die Arbeitsqualität absinken.

Gefahr von Kopie statt Kreativität steigt

Unbewusste Kopie dadurch „etwas gesehen“ zu haben, was dann in Entscheidungen einfließt wird das Forcieren von Arbeit 4.0 verstärkt. Dies befördert die Beliebigkeit der Unternehmen und wirkt durch das erwähnte Groupthinking innovationshemmend. Wissen fördert Innovationen – Gruppenzwang tut dies nicht. Die reine Zugänglichkeit von Informationen hat mit anwendbarem Wissen nur bedingt etwas zu tun. Das bewusste und unbewusste Nachahmen wird relevanter. Jeder Text ist letztlich nur einen Klick entfernt: Was wurde nun wirklich erarbeitet und was „gegutenbergt“?

Verlust der Eigenkultur als USP

Arbeitgeberbindung, Arbeitszufriedenheit, Arbeitgebertreue – alles Grundpfeiler der HR-Arbeit, werden obsolet wenn der Charakter kollaborativ im Nichts verschwindet. Wir kennen die Gefahren bereits von den Schattenseiten der Teamarbeit. Was lässt uns glauben, gewaltige Teams – um solche handelt es sich letztlich – wären da weniger anfällig? Steigende Komplexität hat noch nie ein Problem gelöst, aber schon oft neue geschaffen.

Das höchste Gut eines Unternehmens ist seine eigene Kultur. Je stärker der Fokus auf dem Bereich HR liegt, desto relevanter wird dieser ohnehin wichtige Punkt. Diese Kultur muss klar definiert und abgrenzbar sein. Wenn die Übergänge zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Projektarbeit und Arbeitgeber, zwischen HR und Wissensmanagement verschwinden, wird die Gefahr des Identitätsverlust unterschätzt.“

* * * * * * * * * * *

Dagegen hält nun Dr. Winfried Felser und stellt dar, warum es keinen anderen Weg als Arbeit 4.0 gibt und dass darin große Chance liegen:

Felser vertritt die PRO-Seite im Blind HR Battle zum Thema Arbeit 4.0
Dr. Winfried Felser vertritt die Seite der Arbeit 4.0 Befürworter

„Arbeiten 4.0 ist kein Selbstzweck, sondern Muss

Arbeiten 4.0 ist kein Selbstzweck oder Nice-to-Have, auch wenn es manchmal leider technikzentriert (Arbeiten 4.0 = Mobile, …) oder hedonistisch motiviert wird (Arbeiten 4.0 = Schöner Arbeiten). Arbeiten 4.0 wird aber immer mehr zum Muss für die neue Organisation, weil nur die neue agile, autonomere Kollaboration in Netzwerken die neue Komplexität und den neuen Wettbewerb meistern kann. HR muss angesichts steigender Anforderungen in Richtung Produktindividualisierung, Lieferzeiten und Servicequalität etc. Rahmenbedingungen für die Gestaltung der Arbeit schaffen, die sowohl für Kunden und Unternehmen als auch für Mitarbeiter attraktiv sind.

Modern Times 4.0 droht, ist aber vermeidbar

Irrwege wie ein neuer digitaler Taylorismus oder ein pervertiertes Allways-On-Produktivitäts-Verständnis drohen zwar. Auch wer der Ablenkungs-Ökonomie erliegt, missversteht Wirtschaft 4.0. Hier können sich aber Personaler als Experten für die Faktoren Mensch und produktive Kollaboration in Teams positionieren, wenn sie diese Kompetenz auch aufweisen (“Agile“!) und nicht nur „Personal“ verwalten. Kronos versus Kairos, Maximierung von Arbeitsstunden und Echtzeit-Reaktion versus Kreativität und echte Wertschöpfung – diese Langeckersche Unterscheidung ist wichtiger denn je. Sie entscheidet darüber, wie lebenswert Arbeitsleben sein wird.

Arbeiten 4.0 daher Chance für HR, wenn HR sie nutzt

Arbeiten 4.0 funktioniert nicht im alten Rahmen. Transformation 4.0 kann eine Aufgabe für HR sein, gerade jetzt, wo sich HR mehr denn je hinterfragen muss. „4.0“ ist vor allem in einen neuen Wertrahmen einzubetten, wo Kunden und Mitarbeiter und nicht Maschinen und Systeme Souverän der gemeinsamen Wertschöpfung sind. Aber auch Strategie, Prozesse oder „Weiterbildung“ sind neu zu definieren und zu gestalten.  Dieser Wandel ohne die Perspektive HR ist schwer denkbar. HR kann Geschäftsführung sensibilisieren und den Transformations-Prozess mitgestalten und moderieren.

Arbeiten 4.0 erfordert auch HR 4.0 als Vorbild

HR wird nur dann zum überzeugenden Partner für die Transformation und Arbeiten 4.0, wenn HR den Wandel selbst vorlebt. HR muss die Chancen wie #DigitalHR, #AgileHR und #CollaborativeHR proaktiv nutzen. Eine digitale Personalakte ohne Änderung vom Selbstverständnis von HR und HR-Strukturen oder –Prozesse ist allerdings keine ausreichende Transformation. Sie ist die Pflicht, die die differenzierende Kür braucht.

HR 4.0 erfordert Kompetenz 4.0 jenseits des Digitalen

Diese neue HR gelingt aber nur, wenn auch HR an seinen eigenen Kompetenzen und Vernetzungen arbeitet. HR muss nicht nur digital verstehen, sondern kollaborationsfähiger werden. Aus der oft ungeliebten Service-Insel muss der Steering-Partner, der Coach, der Kollaborateur werden, auf dessen Wertschöpfung man nicht mehr verzichten möchte.

Der Markt wird Irrwege bereinigen, auch bei HR 1.0, …, 4.0

Unternehmen, bei denen sich die Personalabteilung nicht wandelt, werden die notwendige Verantwortung in anderen Abteilungen verankern oder verschwinden. Denn Unternehmen, die Arbeiten 4.0 ignorieren oder einseitig hedonistisch oder technikzentriert verstehen, werden vom Markt bereinigt, weil sie entweder am Kunden- oder am Mitarbeitermarkt nicht wettbewerbsfähig sind. Kunden-, Unternehmens- und Mitarbeiter-Interessen sind in einer humanzentrierten Wirtschaft 4.0 zu balancieren.

Nicht one-size-fits all – Individualität als Komplement der Kollaboration

Um Missverständnisse zu vermeiden: Arbeiten 4.0 ist nicht Arbeiten wie Google und HR 4.0 auch nicht das Kopieren von Google-HR. Individualität ist das Komplement der Kollaboration in der neuen Netzwerk-Ökonomie. Copy-Cats und Silicon-Valley-Pilger, die mit großen Kinderaugen bewundern, was ihnen nicht entspricht, werden durch das naive Übernehmen nicht ihrem spezifischen Kontext, ihrem Ecosystem, ihren Kunden und Mitarbeitern gerecht.

Im schlimmsten Fall wiederholen wir den New-Economy-Wahn und stellen überall Kickertische ohne Nachhaltigkeit auf. Der Haufe Quadrant und andere Modelle sensibilisieren für Lösungen, die zur Unternehmens- und Markt-DNA passen.

The bigger picture – Gesellschaft 4.0

I have a dream – Nicht, dass wir eines Tages alle an einem Tisch der Brüderlichkeit sitzen, aber vielleicht eine Nummer kleiner. Vielleicht wird die neue kollaborative Netzwerk-Ökonomie eben doch nicht zur massenhaften Arbeitslosigkeit durch AI, zur neuen Dualisierung, zu einem neuen unbalancierten Kampf zwischen Unternehmen und Cloud-Workern führen. Vielleicht kann HR helfen, dass wir auf dem Fahrersitz unserer Zukunft sitzen und eine neue Partnerschaftlichkeit in Unternehmen und Gesellschaften 4.0 realisieren. Als Zukunftsinitiative Personal arbeiten wir daran.“

Das Voting-Endergebnis zum 5. Blind HR Battle

Ich freue mich auf eine angeregte weiterführende Diskussion des Themas auf diesem Blog.

Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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