Nach der sehr praktisch orientierten Candidate Experience Tagung am Dienstag, gab es bei der bitkom hub conference #hub15 einen Ausblick auf die digitale Zukunft. Getreu es Motto „Plug into the digital future”.
Welche substantiellen technologischen Veränderungen werden die Arbeit von HR in den nächsten Jahren massiv beeinflussen und wie wird sich unsere Gesellschaft insgesamt verändern – und damit auch die Arbeitenden der Zukunft (den Begriff Arbeitnehmer vermeide ich bewusst)?
Eine sehr persönliche thematische Zusammenstellung.

Schon die Beschilderung der Location machte klar: Hier geht es um digitales Business, deutlich erkennbar am übergroßen Hashtag #hub15 neben dem Eingang.Trotzdem gab es Menschen, die nach dem Twitterhashtag fragten…
Nunja, digitale Profis müssen ja nicht gleichermaßen real life experts sein.
Die digitale Welt liebt Bilder
Referent Ralf Gerbershagen von Kodak Alaris prognostiziert, dass in den 12 Monaten des Jahres 2018 rund 1.400 Milliarden Fotos aufgenommen werden. Das wären nach seiner Aussage mehr, als in der bisherigen Menschheitsgeschichte zusammengenommen. Die digitale Welt lebt mehr und mehr von Bildern.

Wie wirken sich diese Entwicklungen auf das Employer Branding und Personalmarketing von übermorgen aus?
Personalmarketing via Virtual Reality
Wenn in dieser rasanten Entwicklung jedes erdenkliche Motiv fotografiert und via Internet verfügbar gemacht wird, welchen Stellenwert werden verbale Unternehmensbeschreibungen noch haben? Wenn Bewerber schon heute authentischere Einblicke in den Unternehmensalltag verlangen sowie ihre potenziellen Arbeitsplätze sehen wollen?
Gleichzeitig werden die Massen an Fotos wieder verdichtet und über Virtual Reality Brillen in 360 Grad-Räumen im Detail zugänglich gemacht.

HR wird um Industrie 4.0 und Digitalisierung nicht herumkommen
Peter Heidkamp stellt eine KPMG-eigene Studie zum Status der Digitalisierung in Deutschland vor. Danach wollen angeblich 70% der deutschen CEOs ihr Unternehmen grundlegend verändern. Eine grundlegende Änderung des Business wird zweifellos mit ebenso grundlegenden Veränderungen für die Mitarbeiter einhergehen.
Es stellt sich mir dann sofort die Frage, ob HR darauf bereits vorbereitet ist und ob die Personaler eventuell sogar eine führende Rolle einnehmen?

Um genau diese Frage kontrovers zu diskutieren, starte ich übrigens in Kürze auf diesem Blog zum Thema HR und Arbeit 4.0 ein weiteres Blind HR Battle.
Gewinnen Bewerbungsfotos wieder an Relevanz?
Frisch aus New York eingeflogen, sprach Karl-Theodor zu Guttenberg das Thema datenbankgestützte Motiverkennung bei Bildern im Internet und Ableitung von Maßnahmen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch an. Schon heute werden entsprechende Datenbanken bestückt und gepflegt, um anhand von Bildinhalten schädlichen Content in sozialen Netzwerken zu identifizieren und gegebenenfalls löschen zu lassen.
Lassen sich eventuell zukünftig ebenfalls weitreichendere Schlüsse aus eingereichten Bewerbungsfotos ableiten? Und dabeit geht es mir nicht nur um die bereits von mir diskutierte Frage nach der Zulässigkeit eines Selfies als Bewerbungsfotos.
Algorithmen lesen aus der Körpersprache der Bewerber
Sehr passend zum Workshop von Nadine Kmoth vom Dienstag, vertrat Wissenschaftler Dong-Seon Chang vom Max Planck Institut eine sehr progressive Ansicht zu den Möglichkeiten der systematischen Analyse von Körpersprache unter dem Vortragsmotto „How does our brain perceive other people?”.

Sind vielleicht die zunehmend verfügbaren Angebote von Videointerviews, z.B. über Anbieter wie Jobclipr, eine gute Ausgangsbasis, um computergestützt den Bewerber viel eingehender zu analysieren und zu bewerten als bisher?
Ausführliche Bewerberanalysen via Algorithmen
Sehr spannend fand ich die von Dong-Seon Chang gezeigten Experimente, wie schwer es z.B. Europäern fällt, asiatische Gesichter zu unterscheiden – und umgekehrt. Dies liege an gelernten Verhaltensweisen.
Dass Wahrnehmung extrem subjektiv ist, bewies zuletzt auch die heftig in sozialen Netzen diskutierte Frage nach der Farbe des folgenden Kleides.

Die physikalisch korrekte Lösung konnte nur wissenschaftlich geklärt werden.
Das zeigt aus meiner Sicht sehr deutlich, welche Möglichkeiten der Verobjektivierung beim Bewerbermatching in den neuen Technologien schlummern.
Zugleich ist der Begriff VerOBJEKTivierung des Subjekts Mensch jedoch wieder fragwürdig. Das fürchtete schon Albert Einstein.

Ausgeklügeltes Matching von Bewerber und Unternehmen
Auch wenn das Beispiel eines „intelligenten“ digitalen Stiftes, der bei der digitalen Vertragsunterschrift je nach Höhe des mit der Unterschrift ausgegebenen Betrags unterschiedlich leicht zu bedienen ist, und leichtfertige Unterschriften physikalisch erschweren soll, etwas belächelt wurde: Ein Szenario, in dem der Browser beim Scrollen der Suchergebnisse innerhalb einer Jobbörse unterschiedlich reagiert, wenn die angesehene Stelle gut zum Jobsuchenden passt, ist heute schon denkbar.
Der Scrollvorgang könnte also erschwert werden, damit sich der Jobsuchenden die gerade angezeigte Stelle im Suchverlauf auf jeden Fall näher anschaut. Stellen hingegen, die zum Bewerber nicht passen, würden entsprechend schnell weitergescrollt.
Entscheidungen auf Basis von Big Data Analysen
Wer sich jetzt fragt, woher der Browser wissen soll, welche Stellen im oben gezeigten Szenario tatsächlich zum Bewerber passen, dem sei eine Beschäftigung mit Big Data Analysen empfohlen.
PriceWaterhouseCoopers, kurz PWC, setzt bereits seit Jahren im Rahmen ihrer Aufgaben in der Wirtschaftsprüfung bei der sogenannten „fraud detection“ (Betrugserkennung) Algorithmen ein, die Auffälligkeiten in großen Datenmengen zeigen.

So präsentierte PWC auf einer großen Leinwand ein Netz aus Kommunikationsverbindungen, das darstellt, wer wann wie oft mit wem kommuniziert hat und worüber. Verdächtige Verwendungen z.B. von Begriffen wie „Manipulation“ könnten hiermit nachgewiesen und zugeordnet werden – natürlich unter Beachtung der Datenschutzregelungen und nur im Falle eines gerichtlichen Beschlusses.
Gute Mitarbeiter aus Bewerbern „klonen“
Neben den zahlreichen potenziellen Einsatzmöglichkeiten im Bereich Performancemessung, Wissensnetzwerke und vielem mehr, kommt mir ein weiteres Szenario in den Sinn:
Führungskräfte würden ihre Top-Leute bereits heute gerne klonen, sprich weitere vergleichbare Mitarbeiter einstellen. Eine Big Data Analyse könnte diese ausfindig machen und in einem grafischen Netzwerk darstellen.
Wie oft kommunizieren der Mitarbeiter und der potenzielle Bewerber miteinander, welche Gemeinsamkeiten haben sie auf Basis ihrer Profile in sozialen Netzwerken (Gemeinsamkeiten zeigt übrigens XING standardmäßig schon heute rudimentär im Verbindungspfad zwischen Kontakten an) und vieles mehr.
Papiertiger Datenschutz ist kein Hindernis mehr
Auch wenn seit dem Aus des Safe Harbor Abkommens das Thema Datenschutz wieder in aller Munde scheint, so ist dieser faktisch totvernetzt, wie ich jüngst dargestellt habe.
Ex Verteidigungsminister zu Guttenberg zeigte in seiner Rede deutlich die um 180 Grad abweichenden Interessen von Sicherheitsbehörden und Datenschutzbehörden.

Wie ich von einem Berliner Taxifahrer in einem sehr interessanten Gespräch während der Fahrt erfahren habe, gab es vor einigen Tagen wohl eine interaktive Galileo-Sendung, bei der unter anderem die vom Publikum zu beantwortende Frage „Welchem Interesse geben Sie den Vorzug: Sicherheit oder Datenschutz“, mit „Sicherheit“ beantwortet wurde.
Unsere Gesellschaft wird also gerade subtil aber systematisch vom Datenschutz entwöhnt. Stellen wir uns also darauf ein, dass sich dieser Trend tendenziell noch verschärfen wird.
Dann werden wir zahlreiche neue HR-relevante Anwendungsfälle für disruptive Technologien entdecken, die sich viele von uns heute noch gar nicht vorstellen wollen oder können.
Fazit zur bitkom hub conference #hub15
Eine wirklich gelungene internationale Veranstaltung, die sowohl von der Location, dem außergewöhnlich stylisch aufgemachten Ambiente der Ausstellung und einem super Catering-Konzept überzeugt, als auch von der spannenden Mischung an Vorträgen und Workshops.
Lohnenswert, beide Daumen hoch!
2 Antworten
Danke für die gelungene Zussmmenfassung der hub15. Wir waren als HR-Startup (Jobino.de) auch mit dabei. Zusätzlich zu den von Ihnen genannten Vorträgen war der Workshop von Stepstone zugegebenermaßen sehr interessant, in dem klar wurde, welchen Stellenwert Mobile Recruiting schon jetzt für viele Arbeitgeber hat, die vom Fachkräftemangel betroffen sind. Hier scheint es ein deutliches Umdenken bei den Arbeitgebern zu geben nach dem Motto: „lieber eine unpersönlichere mobile Bewerbung als gar keine Bewerbung“.
Insgesamt war die hub15 eine wirklich gelungene Veranstaltung.
Ich denke, dass das von Ihnen beschriebene „Umdenken“ zu einem Großteil auf eine Art „akuten Bewerbermangel“ zurückgeht (ich vermeide hier bewusst den Begriff „Fachkräftemangel“) und eher Akt der Verzweiflung ist als bewusster Strategiewandel oder gewolltes Umdenken. Das Thema „Mobile Bewerbung“ hat mich schon öfters aus Praktikersicht beschäftigt, zuletzt hier: https://persoblogger.wordpress.com/2015/07/22/mobile-jobapps-scheitern-beeinflussen-candidate-experience/