Vollkommen freie Arbeitsgestaltung - Argumentationsbattle

Arbeite wo und wann Du willst – die vollkommene Freiheit bei der Arbeitsgestaltung als Erfolgsgarant

Nach einer längeren Pause startet heute die dritte Runde des Blind HR Battle auf Persoblogger.de. Diesmal dreht sich alles um die Frage, in wie weit die vollkommene Freiheit über die Gestaltung der eigenen Arbeit ein Erfolgsmodell ist. Dass dieses Thema aktuell die HR-Welt bewegt, zeigt die Tatsache, dass die Kontrahentin Dr. Elke Frank, ihres Zeichens Senior Director Human Resources und Geschäftsleitungsmitglied von Microsoft Deutschland, für dieses Konzept kürzlich den von FOCUS und XING verliehenen New Work Award 2015 erhielt. Diskussionswürdig ist das Thema insofern, als dass der Microsoft Mitbewerber Yahoo vor einigen Monaten genau die gegenteilige Maßnahme als Erfolgsfaktor umgesetzt und genannt hat: Die Abschaffung des Homeoffices. Insofern vertritt der medial bekannte Prof. Dr. Gerhard Bosch, Professsor für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Duisburg-Essen die kritische Gegenhaltung. Wie ist das nun mit der vollkommenen Gestaltungsfreiheit bei der eigenen Arbeit?

Hier das PRO-Statement von Frau Dr. Elke Frank:

Flexibles Arbeiten als Innovationsmotor

Mehr als drei Viertel der deutschen Unternehmen sind laut Studie des Bürodienstleisters Regus davon überzeugt, dass flexible Arbeitsmodelle die Kreativität und die Produktivität ihrer Mitarbeiter steigern. Auch das Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel bestätigt: Unternehmen mit flexiblen Arbeitsbedingungen bringen mit höherer Wahrscheinlichkeit innovative Produkte auf den Markt als Unternehmen, die ihre Mitarbeiter an der kurzen Leine halten.

Innovationen entstehen durch direkte Interaktion und Kommunikation – doch wie diese Erkenntnisse zeigen, müssen sich dafür nicht alle Mitarbeiter ständig zur selben Zeit am selben Ort befinden. Denn moderne digitale Technologien ermöglichen den Austausch und die Kommunikation unabhängig von Zeit und Ort. Es ist sogar so, dass Bürowände oftmals eine viel schwieriger zu überwindende Hürde für den direkten Austausch sind als die physische Distanz außerhalb des Büros. Aus diesem Grund muss sich auch die Gestaltung des Büros an die moderne Arbeitswelt anpassen. Das Büro ist und bleibt ein wichtiger Ankerpunkt jedes Mitarbeiters – ein Platz der Begegnung und der Vernetzung. Was es aber immer seltener sein wird: ein reiner Platz zum individuellen Arbeiten.

Flexibles Arbeiten – die Mischung macht’s

Flexibles Arbeiten ausschließlich mit dem Home Office gleichzusetzen greift viel zu kurz. Jeder Mitarbeiter muss völlig frei entscheiden können, wann und wo er seine Aufgaben erledigen möchte. Das bedeutet zum Beispiel: beim Kunden vor Ort, unterwegs im Zug, zu Hause – und wann immer er möchte auch im Büro. Natürlich lässt sich nicht jeder Tätigkeit außerhalb des ursprünglichen Arbeitsorts nachgehen – die Fabrikhalle ist dafür ein gutes Beispiel. Aber auch hier ist eine individuellere Arbeitsgestaltung durch flexible Schichtsysteme möglich und wird von einigen Unternehmen bereits in der Praxis angewandt.

Damit unter den Mitarbeitern keine Gefühle der Benachteiligung entstehen, sind Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen gefordert. Führungskräfte dürfen flexible Arbeitsmodelle nicht als Belohnung für besondere Leistungen aussprechen, sondern müssen diese für jeden möglich machen. Auch die Mitarbeiter selbst sollten die persönliche Eignung für flexible Arbeitsmodelle kritisch überprüfen. Denn nicht jeder ist aufgrund individueller Bedürfnisse oder Rahmenbedingungen dafür geeignet. Es ist kein Makel einzugestehen, dass einem diese Form der Arbeit nicht zusagt.

Mitarbeiter wollen selbst entscheiden

Gerade im Bereich der Wissensarbeit – der Anteil der Beschäftigten in diesem Bereich nimmt laut Fraunhofer IAO mehr als 40 Prozent in Deutschland ein – gibt es keine plausiblen Gründe, die Mitarbeiter in der Wahl des Arbeitsortes und der Arbeitszeit einzuschränken. Im Gegenteil: Das Angebot an flexiblen Arbeitsmodellen entscheidet über die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen, vor allem mit Blick auf das Recruiting neuer Talente. Dem Centre of Human Resources Information Systems zufolge arbeiten schon heute fast 86 Prozent aller Arbeitnehmer am liebsten in einem Unternehmen, das flexible Arbeitsmodelle anbietet. Die Gründe: Flexible Arbeitsmodelle ermöglichen eine individuelle Strukturierung des Alltags, angepasst an persönliche Bedürfnisse. Sie schaffen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Und sie führen zu deutlichen Zeit- und Kostenersparnissen, indem sich Anfahrtswege reduzieren.

Vertrauen schlägt Anwesenheit

Das Argument, dass die im Büro anwesenden Mitarbeiter die „Dummen“ sind, da sie unvorhergesehen Arbeiten erledigen müssen, lässt tief in die (fragwürdige) Unternehmenskultur blicken. Nur in Unternehmen, in denen Misstrauen und Missgunst herrschen, kann so argumentiert werden. Wenn durch die Einführung flexibler Arbeitsmodelle tatsächlich der Austausch zwischen den Mitarbeitern leidet, sollte sich die Unternehmensführung eher die Frage stellen, ob die Ursache hierfür nicht viel tiefer verwurzelt liegt, anstatt flexibles Arbeiten zu verteufeln.

Im Zentrum muss daher immer das Vertrauen stehen. Solange Führungskräfte ihren Mitarbeitern vertrauen, ist es irrelevant, wann und wo diese arbeiten. Wichtig sind hierbei klare Zielvereinbarungen sowie eine ausgeprägte Feedbackkultur. Darauf basierend zählen rein die Ergebnisse – nur hiernach sollten die Mitarbeiter beurteilt werden, und nicht danach, an welchem Ort sie wie lange anwesend sind. Darin sehe ich auch keinerlei Widerspruch zu den betrieblichen Interessen. Denn das Ziel jedes Wirtschaftsunternehmens muss es doch sein, die Produktivität und Kreativität der Mitarbeiter zu stärken, um dadurch die eigene Wirtschaftlichkeit zu sichern. Die Freiheit in der Arbeitsgestaltung ist dafür der zentrale Erfolgsgarant – und eine Win-Win-Situation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

CONTRA-Statement von Prof. Dr. Gerhard Bosch:

Werden die Unternehmen ihren Beschäftigten in Zukunft tatsächlich die Freiheit geben, überall und zu beliebiger Zeit zu arbeiten, solange sie nur ein gutes Ergebnis abliefern? Ich denke nein und zwar aus mehreren Gründen!

Nicht jeder Job ist virtuell zu erledigen

Erstens lassen sich die meisten Jobs in der Fertigung und auch in den stark wachsenden persönlichen Dienstleistungen nicht in der virtuellen Welt erledigen. Haare kann man nicht virtuell schneiden. Kindererziehung erfordert den persönlichen Kontakt und zuverlässige Zeitstrukturen. Auch der Fließbandarbeiter kann nicht eben mal die Montage von zu Hause aus erledigen. Durch neue Arbeitszeitmodelle kann man zwar auch diesen Beschäftigten in Absprache mit anderen Kollegen mehr Freiheiten geben. Von den Anwesenheitspflichten kann man sie jedoch nicht entlasten.

Teamgeist, Unternehmenskultur und Innovationskultur leiden

Zweitens lassen sich durch die Vernetzung heute viele Tätigkeiten, zu denen man früher ins Büro kommen musste, auch von zu Hause erledigen. Da stellt sich für Unternehmen die Frage, ob und in welchen Dimensionen sie das zulassen wollen. Aus guten Gründen sind die meisten Unternehmen hier vorsichtig. Wenn jeder nur noch zu Hause arbeitet, verlieren die Unternehmen ihren Teamgeist. Weiterhin leidet ihre Innovationsfähigkeit. Die meisten Innovationen werden nicht mehr von einzelnen Genies zu Hause ausgebrütet. Sie entstehen heute in gemeinsamen Experimenten oder Entwicklungsarbeiten, also im engen persönlichen Austausch mit Kollegen. Eine gemeinsame Unternehmenskultur lässt sich mit digitalen Nomaden, die nie im Team arbeiten, schon gar nicht entwickeln.

Yahoo hat bei seiner Innovationskrise die Notbremse gezogen und die Teleheimarbeit eingeschränkt, da man viele Beschäftigte schon lange nicht mehr gesehen hatte Die großzügigen Arbeitszeitregelungen hatten nicht wenige Beschäftigte sogar veranlasst, weit weg zu ziehen mit einer entsprechenden Lockerung ihrer Betriebsbindung. Yahoo hat natürlich auch angenehme Privilegien eingeschränkt, was die Empörung in der Computerszene erklärt.

Ungleichbehandlung der Mitarbeiter

Drittens sind in der betrieblichen Praxis nicht alle Aufgaben planbar. Technische Störungen, Reklamationen oder überraschende Kundenanfragen stellen hohe Anforderungen an die Flexibilität der Unternehmen. Die anwesenden Beschäftigten sind dann die Dummen. Sie müssen alles ausbügeln, während die Heimarbeiter von ungeplanten Aufgaben verschont bleiben. Entsprechend angespannt ist die Stimmung im Unternehmen, wenn die Zusatzarbeiten nicht gleichmäßig verteilt werden oder – schlimmer noch – am Ende die Heimarbeiter sogar noch belohnt werden, weil sie ihre Zielvereinbarung ungestört erfüllen können.

Eine weitere Quelle der Unzufriedenheit ergibt sich aus der Ungleichbehandlung der Beschäftigten. Beschäftigte auf Arbeitsplätzen mit hohen Anwesenheitszwängen werden sich benachteiligt fühlen, wenn man anderen Beschäftigten großzügig Teleheimarbeit ermöglicht. Diese für ein gutes betriebliches Klima so schädliche Gerechtigkeitslücke kann man schließen, wenn man Teleheimarbeit nur in Ausnahmefällen gewährt oder sie Teil eines für alle attraktiven Arbeitszeitpakets wird.

Vollkommene Gestaltungsfreiheit bleibt für die meisten Illusion

Die meisten Beschäftigten werden in Zukunft also nicht nach eigenem Belieben arbeiten können, wo und wann sie es wollen. Viele Tätigkeiten erfordern weiterhin geplante Anwesenheitszeiten und die Unternehmen werden aus eigenem Interesse nicht jede Flexibilität zulassen, die technisch möglich ist. Natürlich wächst die Zahl der Tätigkeiten ohne die traditionelle enge Zeit- und Raumbindung. Allerdings darf man nicht den Fehler machen, diese Gruppe für das Ganze zu nehmen und zu übersehen, wie die Mehrheit der Bevölkerung arbeiten muss. Dies tun leider die Einzelarbeiter im Medienbereich in ihren Zukunftsprognosen zur virtuellen Arbeitswelt viel zu oft.

Teleheimarbeit ist nur ein Baustein

Damit ist natürlich nicht gesagt, dass wir nicht erheblich flexibler arbeiten werden. Die neuen Technologien helfen den Unternehmen nicht nur die Arbeitsaufgaben genauer zu planen, sondern auch komplexe Arbeitszeitsysteme mit unterschiedlichen Wahlarbeitszeiten und Arbeitszeitkonten zu managen. Teleheimarbeit wird dabei ein Baustein im Menu betrieblicher Arbeitszeitoptionen für einen Teil der Beschäftigten sein. Allerdings wird es in den meisten Fällen nicht um ausschließliche, sondern um alternierende Teleheimarbeit gehen. Denn die Unternehmen müssen im harten Wettbewerb mehr denn je auf Innovationen, Teamarbeit und eine fördernde Unternehmenskultur setzen. Im Idealfall können die Unternehmen den Beschäftigten die Entscheidung über die richtige Balance zwischen Arbeit im Betrieb, beim Kunden und zu Hause überlassen. Vermutlich werden sie immer wieder nachsteuern müssen, da sich Eigeninteressen schnell verselbständigen.

Wegen dieser Umsetzungsprobleme und der Angst vor den Folgen der beschriebenen Gerechtigkeitslücke sind Unternehmen gut beraten, vorsichtig mit Teleheimarbeit zu experimentieren.

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Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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