New Work (Teil 3) – das Streben nach einer Vertrauenskultur in Unternehmen

In Teil 1 meiner Serie habe ich mich mit dem Positionspapier des BITKOM zur Zukunft der Arbeit überblicksartig befasst. Der Teil 2 war der Digitalisierung und Mobilität der Arbeit gewidmet. Heute beleuchte ich einen gewichtigen Aspekt, der eine Voraussetzung für den erfolgreichen Switch in Richtung New Work im Enterprise 2.0 darstellt: Die Schaffung einer Vertrauenskultur.

Vertrauenskultur – Vertrauen im Kollektiv

„Vertrauen“ – das ist schon ein mächtiges Wort heutzutage. Im Zeitalter von Abhörskandalen, bei denen Bürger unter Generalverdacht stehen. In Zeiten, in denen Menschen ihre Regierungen stürzen, weil sie komplett das Vertrauen in sie verloren haben bzw. es nie hatten. In Zeiten, in denen auf n-tv-online neben den Wirtschaftsnachrichten Studien veröffentlicht werden, wonach 46% der Männer und 42% der Frauen in Deutschland angeblich ihre Partner betrogen haben sollen. Wo wir uns täglich mit neuen Steuerskandalen, gekauften DVDs mit Steuersündern sowie Plagiatsvorwürfen umgeben. – Hab ich was vergessen? Ach ja, den ADAC-Skandal um die zahlreichen Fälschungen bei Rankings und Tests sowie die damit in Zusammenhang stehenden weiteren Vermutungen.

In diesen Zeiten davon zu reden, dass in den Unternehmen eine Vertrauenskultur Einzug halten muss. Das ist schon starker Tobak!

Wie steht es um das Vertrauen in Unternehmen?

Denn um das Vertrauen in den Unternehmen ist es auch nicht besonders gut bestellt. Wenn die Mitarbeiter, wie zuletzt bei Vodafone öffentlich geworden, selbst nicht an ihre eigene Unternehmensmarke glauben, oder nach dem Gallup Engagement-Index die emotionale Bindung von Mitarbeitern an ihr Unternehmen weiter nachlässt, lohnt sich ein genauerer Blick auf das Thema Vertrauenskultur in Unternehmen:

Dabei ist „Vertrauen der Anfang von allem“, wie die Werbeagentur einer großen Bank, von deren Machenschaften ich persönlich sehr wenig halte, seinerzeit nach einem Skandal froh verkündet hatte. – Immerhin stimmt die Aussage. Auf den ersten Blick zumindest.

Wobei wir hier gleich in einen Widerspruch zu laufen drohen: Wenn erst das Vertrauen da sein muss, und dann alles andere folgt, könn(t)en viele Unternehmen gleich dicht machen.

Im letzten Beitrag habe ich bereits angedeutet, dass es eine charakteristische Eigenschaft des mobilen digitalen Wissensarbeiters ist, dass eine Überwachung der konkreten Arbeitsleistung schwer möglich ist. Aber zwischenzeitlich machen sich, insbesondere in IT-Unternehmen, neue Arbeitsmethoden breit, die eine ganz eigene Kultur des Vertrauens erfordern: Zum Beispiel agile Softwareentwicklung mit der Scrum-Methode.

Vetrauen ist die Basis für Scrum

Dabei werden klassische Teamstrukturen aufgelöst und die Führungskraft direkt in die neue Arbeit, klassischerweise in offenen Bürostrukturen, einbezogen. Um mit Scrum zu arbeiten, müssen die Mitarbeiter sehr eng und offen mit den Kolleginnen und Kollegen kommunizieren und den jeweiligen Arbeitsstand täglich im Rahmen des Daily Scrums berichten. Ja, sogar bzw. insbesondere über auftauchende Probleme und Schwierigkeiten, sogenannte Impediments aufklären.

Das ist sicher nicht sofort jedermanns Sache, scheint aber die Entwicklungsprozesse in Unternehmen auf ein neues Level zu heben. Dabei ändert sich vor allem die Rolle der Führungskraft, die noch weiter von einem planendem, anweisenden und überwachenden Vorgesetzten in die Rolle des Beraters und Coachs wandert.

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Demokratisierung der Führung

Noch einen weiteren Schritt in diese Richtung weisen Konzepte, die sogar die Rolle der Führungskraft bis zu einem gewissen Grad demokratisieren. Schon seit längerem kursiert das Modell der Führung auf Probe. Dabei werden Mitarbeitern (und mit dem Begriff meine ich selbstredend genauso die weiblichen Mitarbeiter!) Führungsaufgaben übertragen, ohne dass diese bereits klassische Assessmentcenter oder ähnliche Auswahlverfahren bestanden haben. Ein klassischer Fall von Vorschusslorbeeren – oder besser formuliert von Vertrauen.

Wesentlich weiter geht man bei der Firma Haufe-Umantis. Dort kann man gar den Chef wählen bzw. abwählen, per anonymer Wahl. Auch können dort Erwartungen der Mitarbeiter an ihre Führungskräfte gleich mitgegeben werden. Ein spannendes Konzept, das zwar nicht für alle Unternehmen gleichermaßen geeignet ist, aber vom Grundgedanken her fasziniert. Und daher auch -zusammen mit weiteren Aspekten- im Fokus der Verleihung des New Work Award 2014 stand.

Den eigenen Chef wählen? Mach das Sinn?

Zugleich tauchen bei einem kritischen Betrachter wie mir jedoch weiterführende Fragen auf: Kann so ein Konzept im Extremfall dazu führen, dass Chefs ausschließlich mitarbeiterorientierte Entscheidungen treffen? Dass notwendige radikale Maßnahmen zur Steuerung des Unternehmens unterbleiben, weil die Chefs sonst um ihre Wiederwahl bangen müssen? Dass Leistungen gießkannenmäßig verteilt werden, um keine Unruhe ins Team zu bringen, gleichzeitig damit jedoch Leistungsträger ausgebremst werden?

So schön dieser basisdemokratische Ansatz klingt, so stark erinnert er mich an den Reformstau von Regierungen, insbesondere vor anstehenden Wahlen. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Denn das Konzept Demokratisierung geht aus meiner Sicht nur dann auf, wenn eine Vertrauenskultur tatsächlich gelebt wird – womit wir weiter beim Thema wären.

Mitarbeiter wollen gehört werden

Einen mutigen Schritt in Richtung Vertrauenskultur geht zur Zeit auch mein eigener Arbeitgeber, die DATEV eG. Im klassischen Intranet gibt es seit einigen Monaten eine Kollaborationsplattform auf Basis Microsoft Sharepoint. Unter dem Titel „Nachgefragt – Ihre Fragen an den Vorstand“ können Mitarbeiter drängende Fragen stellen, die der Vorstand beantworten soll. Via „Gefällt mir“-Klick werden die Fragen identifiziert, bei denen das größte Interesse herrscht.

Anfangs wurde das Tool auch genau so genutzt und der Vorstand antwortete regelmäßig, auf die Top-Fragen sogar mit Videobotschaft. Zwischenzeitlich hat sich das Medium weiterentwickelt und alle Führungsebenen sowie die Mitarbeiter selbst beteiligen sich an der Beantwortung – oder auch an den heftigen Diskussionen. Denn die dort geposteten Themen haben oft viel Sprengkraft an Bord.

Wie viel Selbstkritik vertragen wir?

Wie im Bereich Social Media üblich, ist (im Rahmen der Netiquette) erst einmal jede Frage und jedes Thema zulässig. Allerdings ist es extrem spannend zu sehen, wie eine Organisation reagiert, in der jedem Mitarbeiter (auch anonym) systematisch die Möglichkeit gegeben wird, sein ganz persönliches Herzensanliegen hierarchieübergreifend zu veröffentlichen. Sagen wir mal, z.B. die Unzufriedenheit mit einer Führungskraft oder eine personalpolitische Entscheidung.

Kann auch Anonymität Vertrauen schaffen?

Die aktuelle interne Diskussion zu diesem Thema beschäftigt sich mit der Frage, ob das anonyme In-die-Welt-Setzen harter Kritik etwas mit der Schaffung einer Vertrauenskultur zu tun hat, oder ob Anonymität eher ein Zeichen dafür ist, dass die Vertrauenskultur noch am Anfang steht.

In meinen Augen ist die Schaffung einer technischen Möglichkeit, Mitarbeiterbeteiligung und Meinungsäußerung „jeder“ Art an alle im Unternehmen zu ermöglichen, in erster Linie ein deutliches Zeichen des Vertrauens an die Mitarbeiter. Ein starkes Signal im Sinne von „Wir nehmen Dich wahr. Wir nehmen Dich ernst. Wir antworten Dir.“ – Und das macht den Unterschied im Umgang miteinander aus, anfängliche Anonymität hin oder her. Das muss sich ein Unternehmen erst einmal trauen!

HR als Treiber und Basis der Vertrauenskultur

Das waren einige wenige Beispiele, wie Vertrauenskultur Einzug in Unternehmen hält. Zugegeben, ein zartes Pflänzchen. Und dazu noch mit ungewisser Zukunft. Insbesondere weil es nicht nur schwierig ist, eine Vertrauenskultur Schritt für Schritt über Jahre zu etablieren, sondern weil eine solche sehr schnell wieder zerstört werden kann. Manchmal schon durch wenige Managemententscheidungen.

HR ist in dieser Hinsicht besonders gefordert. Gerade personalpolitische Entscheidungen über Vergütung, Leistungen, Arbeitszeiten werden von den Mitarbeitern sehr schnell auf die persönliche Goldwaage gelegt.

HR muss auch intern über Social Media kommunizieren lernen

Insofern sollten Personalbereiche verstärkt darauf achten, die von ihnen zusammen mit den Geschäftsleitungen getroffenen Entscheidungen auch bestmöglich an die Mitarbeiter zu kommunizieren. Und im modernen Unternehmen auf dem Weg zum Enterprise 2.0 kann das eigentlich nur über einen Social Media fähigen Kanal erfolgen, der eine unmittelbare Feedbackoption der Mitarbeiter vorsieht.

Ansonsten kommt zum üblichen Problem des Informationsverlustes noch ein weiteres hinzu: Ein Vertrauensverlust bei rein einseitigem Informationsfluss von oben nach unten. Mitarbeiter wandern dann schnell in die Unzufriedenheit ab, weil sie sich nicht mehr gehört fühlen und lieber konfrontativ über Betriebsräte agieren.

Und das war’s dann auch schon wieder mit der angestrebten Vertrauenskultur…

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Stefan Scheller

Autor und Speaker Persoblogger Stefan SchellerMein Name ist Stefan Scheller. In meiner Rolle als Persoblogger und Top HR-Influencer (Personalmagazin 05/22) betreibe ich diese Website und das gleichnamige HR Praxisportal. Vielen Dank für das Lesen meiner Beiträge und Hören meines Podcasts Klartext HR!

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